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[AG-GOuFP] Fwd: [AG Wirtschaft] TARGET2-Salden - Hintergründe um den "Chaff" ein wenig zu reduzieren
Chronologisch Thread
- From: Rudi <piratrudi AT gmx.de>
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- Subject: [AG-GOuFP] Fwd: [AG Wirtschaft] TARGET2-Salden - Hintergründe um den "Chaff" ein wenig zu reduzieren
- Date: Wed, 04 Dec 2013 10:43:44 +0100
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Unten eine Mail von der ML der AG Wirtschaft
Gruß
Rudi
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Hallo Wirtschaftsliste,
ich hatte auf dem BPT13.2 mit Arne ein knuffiges Mittagsgespräch, aus
welchem folgende Frage entstand:
On 12/02/2013 06:33 PM, Arne Pfeilsticker wrote:
> Unabhängig davon ist die Frage zu den Target2-Salden. Meines Erachtens
> spielen die Targetsalden eine Rolle weil:
>
> 1. die Targetsalden verzinst werden. Das Land mit
> Targetverbindlichkeiten zahlt an das Land mit den entsprechenden
> Targetforderungen. Die Zinszahlungen gleichen
> Geldschöpfungsvor-/-nachteile aus.
> 2. wenn der Euro aufgelöst werden würde, dann würden die
> Targetforderungen/-verbindlichkeiten auf die nationalen
> Zentralbanken übertragen werden. Die Targetsalden stellen bereits
> vergemeinschaftete Schulden dar, weil die jeweilige Zentralbank
> keinen Einfluss auf ihre Entstehung hat. Beispielsweise könnte die
> Bundesbank nicht sagen, dass sich ihre Target2-Forderungen nur
> gegen die Länder x oder y richten sollen.
>
>
> Ich freue mich über eine gute Diskussion und verbleibe mit vielen Grüßen
> Arne
>
TARGET2 ist nicht sonderlich schwierig, es gibt aber leider nur ganz
wenige Leute die's verstehen und auch kommunizieren, also habe ich mal
nachgefragt.
Heute mittag habe ich einen meiner Kollegen bei einer deutschen Großbank
abgepaßt, der auf Leitungsebene für das Intraday Cash Management
ebendieser Bank zuständig ist und habe ihn mal zum Thema TARGET2
befragt, zumal er als Banklobbyist (Eigenbezeichnung) auch in den
entsprechenden BuBa- und EZB-Gremien sitzt...
Hier mein Gedächtnisprotokoll als lose Chronologie mit ein paar
sprachlichen Vereinfachungen:
1.) Es war einmal vor langer Zeit (im letzten Jahrtausend) eine gar
prosperierende EWU mit Ländern, die alle eigene Notenbanken (NBs)
hatten. Diese NBs versorgten ihre Länder mit Bargeld und
Mindestreservepflichten, und sie ersannen ein System mit dem man
elektronische Zahlungsanweisungen untereinander und zwischen den lokalen
Geschäftsbanken abwickeln kann. Dazu hatte jede Geschäftsbank eines
Landes ein Nostro-Konto bei der zuständigen Notenbank, in Deutschland
war die Kontonummer bei der Bundesbank die gute alte Bankleitzahl.
2.) Die Mindestreserven waren Pflichteinlagen der Banken bei ihrer
lokalen NB, die _nicht_ verzinst wurden. Gegen Hinterlegung von
entsprechenden Sicherheiten wurden diese Mindestreserveeinlagen (oder
Teile davon) dann zum NB-Zinssatz an die Banken im Open Tender-Verfahren
verliehen, damit diese damit <wasauchimmer> machen. Da die
Mindestreserve begrenzt ist, hat die auf dieser Liste so populäre
"Geldschöpfung" bei den NBs einen Deckel - die Mindestreservehöhe eben.
Der Notenbank-Gewinn aus diesen "monetären Maßnahmen" wurde auch Jahr
für Jahr dem Finanzminister gutgeschrieben und alle freuten sich.
3.) Um damals Geldtransfers zwischen den verschiedenen Ländern zu
ermöglichen (u.a.) wurde das Real-Time Gross Settlement (RTGS) System
aufgebaut, welches von den Zentralbanken auch tatsächlich operativ
bedient wurde. Die lokalen Banken bekamen ein RTGS-Konto und
länderübergreifende Zahlungen gingen fortan von BankHome ->
RTGS-KontoHome -> NBHome -> switch Währung -> NBFarFarAway ->
RTGS-KontoFarFarAway -> BankFarFarAway, wobei der Teil RTGS zu RTGS in
voller Kontrolle der NBs untereinander ablief. Es war zwar mühselig und
arbeitsintensiv, aber am 1.1.1999 wurde alles anders...
4.) Um den Euro als Gemeinschaftswährung einzuführen, wurden zum
31.12.1998 alle RTGS-Konten zweiwährungsfähig gemacht, sprich alle
RTGS-Geldeingänge wurden zum jeweiligen Euro-Referenzkurs konvertiert
und alle Ausgänge waren Euros. Das war die Geburtsstunde des
TARGET1-Systems, welches als sog. "Interbank-Interlinking" Komponente
tatsächlich noch physische Zahlungen zwischen NBs vornahm. Nun wurden
länderübergreifende Zahlungen natürlich einfacher, BankHome ->
RTGS-KontoHome -> TARGET1 -> RTGS-KontoFarFarAway -> BankFarFarAway,
wobei TARGET1 immer noch eine Menge Arbeit bei den NBs verursachte.
5.) Am 1.1.1999 geschah noch etwas, es wurde die Umlaufgeldsumme jedes
Landes, die aktuelle Giralgeldmenge und die Mindestreserve statistisch
verwurstet (das Verfahren sprengt diese Geschichte) und die Summe aller
Länderergebnisse als Basisgeldmenge für die damals neue EZB in einen
virtuellen Topf geworfen, dessen Füllstand die EZB seither bestimmen
kann. Die Verantwortung für Mindestreserven verblieben bei den lokalen
NBs, die EZB greift jedoch nur ein, wenn durch einseitige Schieflagen
Verwerfungen zwischen Ländern auftreten.
6.) Die TARGET1-Konten waren Saldenkonten, welche zwischen den NBs bis
2007 (*) NICHT verzinst wurden, und die RTGS-Konten waren nur
Zahlungsschleudern (technische Zwischenkonten) zu oder von den
Sender-/Empfänger-Nostros ohne wirkliche Tagesendsalden - und das was
heute gemeinhin "Target-Salden" genannt wird ist eine rein technische
Summierung, die lediglich die absoluten Überschüsse/Defizite der
Zahlungen zwischen den verbundenen NBs ausweisen - ohne Zins und ohne
Schuld, da als Interbank-Interlinking Komponente nur die vorher nicht
verbundenen RTGS-Konten verknüpft werden sollen. Bis 2007 unverzinst,
wohlgemerkt. Und nach 2007 wurden die TARGET1-Konten eingestampft...
7.) Und jetzt wird's lustig: TARGET2 wurde in drei Wellen eingeführt,
einmal in 2007 und jeweils im Februar und Mai 2008. Und keine NB muss
mehr buchen oder anweisen, das TARGET1-System wurde nämlich komplett auf
ein gemeinsames S.W.I.F.T.-System übertragen (!) - keine NB ist mehr
direkt eingebunden. Technisch ist das System komplett autark, es gibt
jeweils zwei Rechenzentren (RZ) südlich und nördlich der Alpen, die
lokal "heiß (synchron)" gespiegelt sind und über die Alpen hinweg
asynchron gespiegelt werden (plus noch zwei als Fallback, falls durch
eine Großkatastrophe zwei RZ gleichzeitig ausfallen). Technisch also
hochverfügbar, aber nicht bei den NBs. Die _rechtliche_ Verantwortung
der RZs liegt bei der BuBa und bei der Bank of Italy, operativ wechseln
sich 16 Notenbanken beim Betrieb und Monitoring der RZs ab. Und das sind
pro RZ ja nur ein paar Datenbankserver mit angeschlossenen
S.W.I.F.T.-Gateways...
8.) Der Interbanken-Zahlungsverkehr wurde 2007 (*) auf BICs umgestellt
(...die S.W.I.F.T.-IDs der lokalen Banken) und die TARGET1- und
RTGS-Konten wurden komplett abgeschafft. Und weil's so schön ist, wurde
die TARGET-Saldendokumentation für *statistische Zwecke* fortgeführt,
ohne NB-Konto wohlgemerkt. Die Rolle der NBs ist seit 2008 im
Interbankenzahlungsverkehr auf einen Headereintrag in einer
S.W.I.F.T.-Message reduziert! Wer in den Header einer MT202 in Europa
schaut, der wird dort eine "Posting Institution" finden, die entweder
"TGT" (TARGET2) oder "EBA" (die französische Analog-Sonderlocke) heißt.
Die beiden Clearing-Systeme werden täglich um 16:00 CET miteinander
verrechnet. So sind auch die nicht-Euro Systeme via S.W.I.F.T.
verbunden, da Fedwire (USA) oder Chips (UK) nur andere "Posting
Institutions" sind...
9.) Sowohl TGT als auch EBA sind S.W.I.F.T.-interne "closed user
groups", wobei jedes Land für jedes andere EU-Land Unterkonten führt, zu
Verrechnungszwecken. Wenn also z.B. aus Deutschland 100 m€ nach Zypern
via TGT überwiesen werden und taggleich aus Zypern 10 x 10 m€ nach Paris
via EBA überwiesen werden (alles vor 16:00 CET) dann ist durch den
EBA-TGT-Ausgleich das statistisch geführte TARGET2-Saldo am Ende des
Tages unverändert. Merkt ihr was?
10.) Wenn nun Zypern aus dem Euroverbund austritt (oder rausgeworfen
wird) dann reduziert sich lediglich die EZB-Basisgeldmenge um den
"Wertanteil" von Zypern - was der zyprischen NB entsprechend
gutgeschrieben werden sollte (obacht: pure Spekulation meinerseits aus
dem Umkehrschluß der Euroeinführung), und danach muss Zypern eben wieder
sowas ähnliches wie das alte RTGS für seine neue Währung einführen...
Und was in diesem Fall aus TARGET verrechnet werden soll ist mir völlig
schleierhaft.
So, Arne, ich hoffe ich habe Deine Fragen hiermit beantwortet und Du
verstehst warum Du von der BuBa darauf keine Antwort erhalten hast...
und bin ich jetzt eigentlich noch als Mitwirkender der AG Wirtschaft
erwünscht?
Und alle anderen sollten nun anders über TARGET2 denken.
Und wir wissen nun auch warum der amerikanische Zugriff auf
S.W.I.F.T.-Daten so kackscheiße ist...
Und ich würde auch gerne wissen wer die S.W.I.F.T-Betriebsnutznießer
sind, denn wir sind dem System auf Gedeih und Verderb ausgeliefert.
Wer bis hierher durchgehalten hat: Danke für's Lesen!
Und wenn ich jemanden erwische, der mir SEPA so ähnlich erklärt, dann
lasse ich es Euch natürlich wissen.
Wir sind die mit den Fragen, gell?
Just my 2 cents.
Cheers from the Vacuum
- [AG-GOuFP] Fwd: [AG Wirtschaft] TARGET2-Salden - Hintergründe um den "Chaff" ein wenig zu reduzieren, Rudi, 04.12.2013
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: [AG Wirtschaft] TARGET2-Salden - Hintergründe um den "Chaff" ein weni, Axel Grimm, 04.12.2013
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: [AG Wirtschaft] TARGET2-Salden - Hintergründe um den "Chaff" ein wenig zu reduzieren, Thomas Weiß, 04.12.2013
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: [AG Wirtschaft] TARGET2-Salden - Hintergründe um den "Chaff" ein wenig, Axel Grimm, 04.12.2013
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