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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Regionalwährungen und Schwundgeld bewertet

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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[AG-GOuFP] Regionalwährungen und Schwundgeld bewertet


Chronologisch Thread 
  • From: "Christoph Ulrich Mayer" <CU_Mayer AT Menschen-gerechte-Gesellschaft.de>
  • To: <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-GOuFP] Regionalwährungen und Schwundgeld bewertet
  • Date: Tue, 18 Sep 2012 20:30:12 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Autor

Hallo,

 

ich bin zufällig auf ein erstaunliches Dokument gestoßen.

 

Die Deutsche Bundesbank hat 2006 die Regionalwährungen untersucht und ausgewertet:

 

http://www.bundesbank.de/Redaktion/DE/Downloads/Veroeffentlichungen/Diskussionspapiere_1/2006/2006_12_29_dkp_43.pdf?__blob=publicationFile

 

Zusammenfassung der Ergebnisse

Mittlerweile laufen in 16 Regionen Deutschlands so genannte Regionalwährungen

als lokaler Bargeldersatz zum Euro um. Zudem planen knapp 50 weitere

Regionalgeldinitiativen, in naher Zukunft ihr eigenes Zahlungsmittel auszugeben.

Zwar überrascht die Dynamik dieser neuen Gelder, doch zeigt die Analyse, dass die

Emission von inoffiziellen Parallelgeldern weder in Deutschland noch im

europäischen Ausland ein wirklich neues Phänomen ist. Derzeit sind die deutschen

Regionalgelder fast ausschließlich als „Schwundgelder“ konzipiert, wobei hier das

„Markengeld“ am stärksten verbreitet ist. Für alle Schwundgeldvarianten gilt, dass sie

nach einem im Voraus bekannten Zeitpfad an Wert verlieren. Dies soll die Geldhalter

zur schnelleren Verausgabung anhalten. Davon erhofft man sich eine permanente

Stimulation der örtlichen Nachfrage, da man diese Gelder nur in der Region

einsetzen kann. Dabei sind bereits die theoretischen Annahmen des

Schwundgeldkonzepts hochgradig defizitär. So wird unter anderem

modelltheoretisch gezeigt, dass zwar die Umlaufgeschwindigkeit dieser

Zahlungsmittel bei Einführung einer positiven Schwundrate tatsächlich zunimmt, aber

die monetäre Gesamtnachfrage hiervon letztlich unberührt bleibt, da im Gegenzug

die nachgefragte Geldmenge wegen des gestiegenen Kosten der Geldhaltung

entsprechend zurückgeht. Auch wohlfahrtstheoretisch ist die Schwundgeldkonzeption

suboptimal. So würde den Modellberechnungen zufolge der deutschen

Volkswirtschaft ein Schaden von rund 130 Mrd. € entstehen, würde der gesamte

heimische Bargeldumlauf und die Giroeinlagen bei den deutschen Banken auf

Schwundgeld umgestellt werden. Angesichts des Gesamtumlaufs der Regionalwährungen

in Deutschland in Höhe von rund 200.000 € sind jedoch die

gegenwärtigen volkswirtschaftlichen Wohlfahrtsverluste aus der Schwundgeldemission

vernachlässigbar gering.

 

Diese Schlussfolgerung muss nicht zwangsläufig geteilt werden. Die beobachteten Effekte betreffen ja einen regionalen Einsatz parallel zu einer Landeswährung Euro, in der z.B. die Steuern bezahlt werden. Würde man komplett auf „Schwundgeld“ umstellen, wären die Effekte wieder andere.

 

Was haltet Ihr davon?

 

Welche Maßnahmen würden die gesehene defizitäre Situation beheben?

 

Gruß

Christoph

 

Von: ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de [mailto:ag-geldordnung-und-finanzpolitik-bounces AT lists.piratenpartei.de] Im Auftrag von Christoph Ulrich Mayer
Gesendet: Mittwoch, 5. September 2012 20:16
An: 'Alexander Barth'; 'Welt Pirat'
Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: [AG-GOuFP] Wörgl und moderne Umsetzungen des Umlaufsicherungsgeldes

 

Hier noch mehr zum Umlaufsicherungsgeld (Seitenzahlen beziehen sich auf mein Buch, bitte ignorieren)

 

Das Schwundgeld von Wörgl

 

1932 in Wörgl (Österreich) hat Bürgermeister Unterguggenberger das Schwundgeld eingeführt, Arbeitsscheine, die monatlich 1% an Wert verlieren. Damit gab jeder das Geld so schnell wie möglich wieder aus. Vor der Einführung litt der Ort wie der Rest von Österreich unter wirtschaftlicher Depression, hoher Arbeitslosigkeit und hohen Gemeindeschulden. Zwischen Juli 1932 und September 1933 wurde die Gemeinde vom Schuldenberg befreit, hatte freies Kapital und nebenher noch ein Gemeindehaus, eine Brücke und Kanalisation gebaut. Die Arbeitsscheine wurden am 15. September 1933 verboten, da die Nationalbank ihr Währungsmonopol gerichtlich einklagte.

Der eigentlich wichtige Wert, der zu realem Reichtum führt, ist nicht die Geldmenge, sondern die Zirkulation des Geldes. In Wörgl zirkulierten die Arbeitsscheine im Wert von 5.490 Schillingen in 13,5 Monaten 416 mal, es wurden Güter im Wert von 2.283.840 Schilling geschaffen. In der Folge reduzierte sich die Arbeitslosigkeit um 25%, die Gemeindeeinnahmen stiegen um 35%, die öffentliche Auftragsvergabe um 220%. [Kennedy,2009].

In Wörgl zirkulierte das Geld (Umschlagshäufigkeit) 370 mal innerhalb eines Jahres. Das heißt, jeder Schilling wechselte innerhalb eines Jahres 370x die Hand aufgrund der Bezahlung von Gütern der Dienstleistungen. Zum Vergleich: 1980 hatte das Geld (DM) in Deutschland eine Umschlagshäufigkeit von 6,2 und ist bis 2010 auf 1,8 gesunken (S. 205). Das bedeutet: Die Geldmenge ist zwar gestiegen, jedoch fand viel weniger Austausch von Leistungen statt. In Wörgl war die Umschlagshäufigkeit bei 370!

 

Und auch auf die Steuereinnahmen wirkt sich das aus: Bei jedem Austausch an Leistung verdient der Staat ja mittels Steuer mit und profitiert damit von einer hohen Umschlagsrate – oder leidet unter einer niedrigen Umschlagsrate. [Wozniewski, 2007]

 

Moderne Umsetzungen des fließenden Geldes

Beispiele für moderne alternative Währungssysteme der heutigen Zeit („Komplementärwährungen“):

·         Das Pflege-Ticket, S. 535, 537

·         Die „Saber“ Bildungswährung, Brasilien, S. 537

·         WIR Wirtschaftsring, Schweiz [WIR Bank Genossenschaft, 222]:
1934 entstandenes, bargeldloses Verrechnungssystem für kleine und mittlere Unternehmen, 15 Regionalgruppen mit 60.000 Mitgliedern und ca. 1,7 Milliarden WIR (entspr. Schweizer Franken) Umsatz.
Das WIR wirkt antizyklisch, da die Umsätze in WIR nach oben gehen, wenn es der Wirtschaft schlecht geht (wirkt sozusagen als Ausgleich für stockenden Geldverkehr in der Nationalwährung).
Da das System nun über 70 Jahre existiert, können wir auf die Erfahrung mit diesem System aufbauen.

·         Weltweit gibt es bereits mehrere regionale Alternativwährungen, die die Nationalwährung dort stellenweise ersetzen, Sie finden diese unter www.regiogeld.de, z.B. den „Chiemgauer“ www.chiemgauer-regional.de, der 2008 schon in mehr als 500 Geschäften als Zahlungsmittel akzeptiert wird. 3% des Umsatzes mit dem „Chiemgauer“ fließen an die örtlichen Vereine.


Als Argumente für die Regionalwährungen werden genannt:

·         Stärkung der regionalen Identität

·         Schaffung neuer finanzieller Liquidität

·         Den Verbleib von Wertschöpfung und Überschüssen in der Region

·         Eine Verringerung der Arbeitslosigkeit

·         Engere Verbindung zwischen Produzent und Konsument

·         Eine Reduktion der Transportwege und damit des Energieverbrauchs

·         Den Erhalt öffentlicher Infrastruktur-Einrichtungen in öffentlicher Hand

·         Eine teilweise Entkoppelung der Region von der globalisierten Wirtschaft

 

Kritik am Regionalgeld (Teilweise aus [Creutz, 2009 (Original 2004)] ):

·         Die Anbieter entziehen sich der internationalen Konkurrenz und verschaffen sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil, der zu Lasten der (oft Schwellen-)Länder geht, die sich im offenen Markt einen Wettbewerbsvorteil erkämpft haben.

·         Mit dem Regionalgeld kann Steuerhinterziehung betrieben werden, wenn die Umsätze nicht als Einkommen in der Landeswährung angegeben werden.

·         Viele Firmen, die überregional einkaufen müssen, können mit Regionalwährung als Einnahmewährung nichts anfangen.

·         Das regionale Angebot ist begrenzt und damit können viele Güter nicht in dieser Währung erworben werden.

·         Es gibt einen Anreiz, das zinsfreie Regionalgeld in verzinste Normalgeld-Anlagen umzuwandeln, also doch wieder das Geld dem Kreislauf zu entziehen.

 

Solange eine Währung regional bleibt und als Zweitwährung existiert, gibt es viele Probleme. Letzten Endes ist eine Regionalwährung aber ein funktionierendes Modell im Kleinen, also immerhin ein Exempel für die Funktionsfähigkeit des umlaufgesicherten Geldes.

 




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