Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Buch Digitalisierung Notenbankkredit an den Staat?

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

Listenarchiv

Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Buch Digitalisierung Notenbankkredit an den Staat?


Chronologisch Thread 
  • From: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
  • To: "AG Wirtschaft (Achtung viele Mails am Tag!)" <ag-wirtschaft AT lists.piratenpartei.de>
  • Cc: ag Geldordnung <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Buch Digitalisierung Notenbankkredit an den Staat?
  • Date: Sat, 30 Jun 2012 18:40:31 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

2012/6/30 Benedikt Weihmayr <benedikt AT weihmayr.de>:
> die Digitalisierung des Buches „Notenbankkredit an den Staat?“ von Dr. Klaus
> von Dohnanyi ist abgeschlossen. In seiner Zeit als Bundesminister und später
> Erster Bürgermeister von Hamburg veranstaltete er Symposien zur Finanzierung
> von öffentlichen Investitionen durch Notenbankkredite.
>
> An dieser Stelle möchte ich noch Rainer Hotter für die professionelle und
> mühsame Digitalisierung danken. Ebenso Dr. Klaus von Dohnanyi, welcher sich
> für das Vorhaben und die kostenfreie Verbreitung ausgesprochen hat.
>
> Zum Download:
>
> http://db.tt/MMMz2Q7H

Super. Vielen Dank an alle Beteiligten. Man sieht sehr schön, dass
unsere Diskussion zu dem Thema keinesfalls neu ist, auch wenn sich die
Details natürlich ändern.

Ich habe etwas darin geschmökert und ein paar Notizen gemacht.

1. Schon damals haben sich die Geister an der Frage geschieden, ob es
"crowding out" gibt, siehe z.B. "Zinssteigerungen in Folge von
Crowding out", S. 27, oder in der Kontraposition auf Seite 106.

Nachdem ich dazu viele Diskussionen im englischsprachigen Raum gelesen
habe ist für mich ziemlich klar, dass es finanzielles Crowding Out
nicht geben kann; nur reales Crowding Out ist möglich, dieses ist aber
unabhängig von der Staatsfinanzierung. Mit anderen Worten: wenn das
Haushaltsdefizit zu hoch ist und die Wirtschaft voll ausgelastet ist,
dann können Staatsausgaben private Ausgaben verdrängen, unabhängig von
der Finanzierung.

Aber das Zinsniveau, und damit das finanzielle Crowding Out ist eine
andere Sache. Durch direkte Staatsfinanzierung über die Zentralbank
kann das Zinsniveau nur sinken.


2. Der Vorschlag eines unabhängigen Gremiums als Gegenspieler zu
Parlament und Exekutive wurde auch damals schon diskutiert, allerdings
nur am Rande - siehe z.B. S. 40: "Es stellt sich also die Frage, ob es
möglich ist, den wünschenswerten Umfang der Kreditfinanzierung
eindeutig festzulegen oder falls dies nicht möglich ist, ob es
wenigstens geeignetere Kriterien für die Bemessung einer Obergrenze
gibt.";

Meine These, dass starre Schuldenbremsen schlecht sind, findet in dem
Buch sinngemäß auch Unterstützung: "Es dürfte sich nicht empfehlen,
dass der Gesetzgeber im Einzelnen vorschreibt, wie die Kriterien zur
Beurteilung der konjunkturellen Lage zu bewerten sind, da es bisher
noch nicht gelungen ist, ein voll aussagefähiges Konjunkturbarometer
zu entwickeln." (auch S. 40)

Mit anderen Worten: da die VWL noch nicht weit genug fortgeschritten
ist, um wirklich sichere Aussagen zu treffen, sollte man sich nicht
auf Detailvorschriften festlegen. Das ist auch heute noch so.


3. Das Thema ist natürlich hochaktuell, aber das Buch ist in mancher
Hinsicht klar veraltet. Es wird immer wieder von der Steuerung der
Geldmenge gesprochen, die von den Zentralbanken inzwischen schon lange
aufgegeben wurde (angesichts des zitierten Zielkorridor von 7 bis 12
Mrd. DM der Bundesbank würde ich davon ausgehen, dass die Steuerung
der Geldmenge bereits damals aufgegeben worden war - man hat es nur
noch nicht gemerkt). Außerdem beziehen sich viele Überlegungen in dem
Buch auf das damalige System fester Wechselkurse, das nicht mehr
existiert. Man erkennt sehr deutlich, dass ein größerer
Handelsspielraum für gesellschaftlich sinnvolle Politik im Inland
bleibt, wenn man freie Wechselkurse zulässt.


4. In dem Buch findet sich die gleiche Denkblockade, die ich auch in
Diskussionen hier wahrnehme: Wenn man direkte Staatsfinanzierung gut
findet, aber Sorge bzgl. Missbrauch hat, der zu Inflation führt, dann
sollte man einen Mechanismus einführen, der explizit bei zu hoher
Inflation die direkte Staatsfinanzierung zurückführt. Stattdessen
beschäftigt sich das Buch seitenweise mit der Frage, wie man die
konjunkturelle Lage beurteilt. Aus Perspektive der VWL sind das
interessante Frage, aber für das Design eines Finanzierungsmechanismus
sind sie völlig unerheblich.

Man braucht einfach ein verfassungstechnisch stark gestelltes
unabhängiges Gremium, das im Falle einer Inflation sein Veto einlegen
kann, und dessen nur in besonderen Fällen (z.B. 2/3-Mehrheit im
Parlament) übergangen werden kann.

Schöne Grüße,
Nicolai
--
Lerne, wie die Welt wirklich ist,
aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.




Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang