Die innere Logik der Krisen
von Jochen Steffens
Die Märkte hoffen auf die Fed. Sie setzen darauf, dass QE3 kommt,
deswegen der heutige Anstieg. Doch die Zinssitzung endet erst
morgen, und so wird auch das dazugehörige Statement erst am
Mittwoch um 20.15 Uhr veröffentlicht. Es bleibt also ein wenig
Zeit, um über das große Bild zu philosophieren.
Bei einem Blick zurück auf die vergangenen zehn bis zwölf Jahre
kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass wir eine lang
anhaltende Zeit der Krisen hinter uns haben. Diese nahmen in ihrer
Stärke und Systemrelevanz immer weiter zu. Aber diese Häufung von
Krisen und der Anstieg des Gefahrenpotenzials sind typisch für
große Seitwärtsbewegungen. Und genau in einer solche befinden wir
uns seit 15 Jahren, zumindest wenn man den Dow Jones, den
S&P500 und den DAX betrachtet.
Die Probleme in einer solchen krisenbehafteten Seitwärtsbewegung
müssen einfach jedes Mal „existenzieller“ und komplexer werden, da
sich die Anleger sonst aufgrund der Häufung der Krisen daran
gewöhnt hätten und entsprechend besonnen reagieren würden. Da die
Börse aber die Masse der Anleger an der langen Nase herumführt
darf dieser Gewöhnungseffekt nicht eintreten. Also werden die
Krisen immer komplexer und unüberschaubarer, und so reicht die
Gewöhnung an die vorherige Krise nicht mehr aus, um auch die
nächste zu meistern. Was sich hier nun fast mystisch oder sogar
geplant anhört, hat ganz klar erkennbare und logische
Hintergründe.
Die Spätfolgen des Aktienbooms
Tatsächlich ist die aktuelle Krise immer noch eine Folge des
unglaublichen Aktienbooms, der von 1985 bis zum Jahr 2000
andauerte. Das klingt für einige, die den Steffens Daily noch
nicht so lange lesen, vielleicht seltsam, deswegen hier der
Zusammenhang:
Ein langanhaltender Aktienboom führt dazu, dass immer mehr
Menschen sich für Aktien interessieren. Es fließt also immer neues
Geld an die Börsen, das die Kurse treibt. Kurz: die Nachfrage
steigt. Zum Schluss eines Booms gehen aber auch immer mehr
Unternehmen an die Börse. Es kommt somit zu einem Angebotsschub.
Irgendwann haben viele Anleger ihr Geld bereits investiert, so
dass die Nachfrage schwächer wird. Gleichzeitig drängen aber immer
mehr Unternehmen an die Börsen. Irgendwann übersteigt das Angebot
die Nachfrage, und die Kurse brechen ein. Gleichzeitig sind die
Zinsen in diesen Situationen oft vergleichsweise hoch (um die heiß
gelaufene Wirtschaft / Börse abzukühlen), so dass das Geld nun aus
den Aktien- in die Anleihenmärkte fließt. Das umso mehr, je höher
und irrationaler die Aktienbewertung ist.
Es gibt schlussendlich einen Punkt ohne Wiederkehr, an dem die
Märkte in Folge dieser Punkte crashen. Die erste große Krise
entsteht.
Der Immobilienboom
Der Crash führt dazu, dass immer mehr Menschen ihre Aktien
verkaufen. Dieses Geld, das aus den Aktienmärkten abgezogen wird,
fließt in sichere Häfen, die bis dato noch günstig erscheinen.
Häufig ist das – wie auch in diesem Fall – der Immobilienmarkt. Da
die Notenbanken die Zinsen in Krisenzeiten senken, werden
Immobilien als Alternative interessanter. In Ländern, in denen
Immobilienspekulationen einfach sind (also nicht in Deutschland),
kommt es zum ungezügelten Boom des Häusermarktes (siehe USA,
Spanien aber auch Japan 1990 ff.).
Der Bankencrash
Doch auch diese Blase platzt, und plötzlich sind die spekulativen
Immobilienkredite, die in der Boomphase exponentiell anstiegen und
in keinem Verhältnis mehr zu den normalen Werten stehen, nicht
mehr durch reale Werte gedeckt, da die Immobilienpreise
weggebrochen sind. Die logische Folge: Die Kreditgeber, also die
Banken kriegen massive Probleme. Es kommt, wie es kommen muss: Der
Bankencrash folgt. Und der Bankencrash ist schon deutlich
systemrelevanter als der vorherige Aktiencrash – und ohne Frage
auch komplexer und undurchschaubarer.
Der Staatsbankrott
Wenn die Bankenkrise sich ausweitet, versucht einerseits der
Staat unter Umständen alles, um einen systemrelevanten Bankencrash
zu verhindern. Das heißt, er pumpt nun Geld in das Bankensystem
und verschuldet sich dadurch massiv. Andererseits führen die
Probleme der Banken zu einer Kreditmarkklemme, da die Banken keine
weiteren Kredite mehr vergeben. So gerät auch die Industrie in
eine Rezession.
Das trifft die Staaten doppelt, denn ihre (Steuer-)Einnahmen
sinken dadurch. Gleichzeitig werden die Staatshaushalte durch
Konjunkturprogramme belastet, mit denen man seit den Tagen des
Aktiencrashs versucht, die rezessive Wirtschaft zu unterstützen.
Nun müssen die Staaten auf der einen Seite den Banken und auf der
anderen Seite wiederum der Wirtschaft helfen, die extrem unter der
Kreditmarktkrise leidet. Mit einer anspringenden Arbeitslosigkeit
werden aber auch die sozialen Ausgaben massiv ansteigen. Kurz, der
Staat verschuldet sich immer und immer mehr und die Gefahr einer
massiven Überschuldung entsteht.
Sobald aber die Märkte diese massive Überschuldung „bemerken“,
kann es für die Staaten schwierig werden. Durch steigende Renditen
(siehe Spanien, Italien u.a.) geraten sie bei der Refinanzierung
in Bedrängnis. Es droht die Gefahr des Staatsbankrotts oder
zumindest anderer massiver Probleme.
Das Ende der Krisenzeit
Damit sind wir in der letzten Phase der Krise angelangt, und
genau am Ende dieser Krise taucht die für uns so aktuell relevante
Frage auf: Können die betroffenen Staaten den Staatsbankrott
abwenden oder nicht? Die Gefahren sind also gerade am Ende der
Krise extrem hoch.
Zusammenfassung
Sie sehen also: Das, was aktuell passiert, ist tatsächlich immer
noch eine direkte Folge des Aktienbooms von 1985 bis 2000. Und es
ist der sich immer wiederholende Krisenmechanismus in den großen
Seitwärtsbewegungen, der einer inneren Logik folgt. Und gerade im
Moment größter Sorge wird dann der neue Aktienboom geboren – dann,
wenn keiner mehr daran glaubt (und natürlich nur wenn der
Staatsbankrott ausbleibt).
Eigentlich müsste das bekannt sein, denn es passiert in gewisser
Abwandlung immer und immer wieder. Das Problem ist jedoch, dass
die Seitwärtsbewegung 15-20 Jahre dauert und der Aktienboom
ebenfalls wieder 15-20 Jahre. Einen kompletten Zyklus von 40
Jahren machen nur die wenigsten Börsianer mit. Von den anderen
machen sich die wenigsten diese Zusammenhänge wirklich bewusst.
Kurz: Die Vergangenheit ist vergessen und jede Krise ist scheinbar
wieder neu und einzigartig – ist sie aber nicht.
Das Potenzial
Der interessante Punkt ist folgender: Das Potenzial für eine
langanhaltende massive Aktienrally war in den vergangenen 20
Jahren niemals so groß wie jetzt. Das hört sich doch komplett
verrückt an – angesichts der Krisensituation, in der wir uns
befinden. Aber es ist eben auch „nur“ das Potenzial. Auf der
anderen Seite waren aber auch in den vergangenen 20 Jahren die
systemrelevanten Risiken niemals so hoch wie zurzeit. Das darf man
nicht vergessen.
Und da haben wir wieder das so bekannte Bild: Die Chancen an den
Börsen stehen immer in einem direkt proportionalen Verhältnis zu
den Risiken. Von dieser Regel gibt es keine Ausnahme – auch jetzt
nicht.
Ob jetzt schon der ideale Investitionszeitpunkt für langfristige
Investoren gekommen ist oder er noch fünf Jahre auf sich warten
lässt, ob die Chancen schlussendlich triumphieren oder die
Risiken, ob also die Bullen oder die Bären Recht behalten .– das
kann ich Ihnen jetzt noch nicht sagen.
Aber ich kann Ihnen, wie heute geschehen, die Hintergründe
aufzeigen – und vielleicht ein wenig den Blickwinkel verändern.
Man sollte angesichts der Tatsache, dass die aktuelle Krise
eigentlich genauso abläuft, wie sie aufgrund der Logik der Krisen
ablaufen soll, nicht allzu bearish werden und hin und wieder auch
mal einen Blick auf die möglichen Chancen werfen – besonders dann,
wenn diese Krise gemeistert werden sollte (woran die wenigsten
glauben, ich weiß, aber gerade auch das gehört zu der letzten
Phase der Krise…).
Viele Grüße
Jochen Steffens