ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Nicolai Haehnle <nhaehnle AT gmail.com>
- To: Karlsruher <mailings AT ootoo.de>
- Cc: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Fwd: Eine mutige Alternative zum ESM
- Date: Wed, 2 May 2012 13:39:59 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo Karlsruher,
2012/5/1 Karlsruher <mailings AT ootoo.de>:
> nha schrieb:
>> 1. Wir führen eine Europäische Direktfinanzierung für das Europäische
>> Parlament ein. Konkret: das Europäische Parlament kann mit einfacher
>> Mehrheit beschließen, dass die EZB dem Europäischen Parlament einen
>> direkten, unverzinsten, ewigen Kredit gewährt. Also ein Kredit ohne
>> Zinsen und ohne Rückzahlungspflicht. Das Europäische Parlament
>> entscheidet darüber, wann und wie viel es haben will, und was es damit
>> macht.
>
> Dieser Absatz enthält für mich mehrere Vorschläge auf einmal und hat deshalb
> ein erhöhtes Risiko, daß er nicht durchsetzbar ist, im einzelnen:
> 1a direkter Kredit
> 1b unverzinster Kredit
> 1c ewiger Kredit
> Ich finde direkter Kredit von der EZB an das EU Parlament (1a) schon mal
> eine gute Forderung, so daß diese auch allein Sinn macht. Die beiden anderen
> Forderungen (1b/1c) sehe ich im Verhältnis zum erwarteten Widerstand (warum
> ewig, warum unverzinst) zu wenig Nutzen. Ein Kredit direkt von der EZB führt
> bereits zu deutlich niedrigeren Zinsen (<1%), so daß die Forderung nach
> unverzinstem Kredit nur Widerstand produziert, aber effektiv wenig
> Unterschied macht. Ein ewiger Kredit widerspricht der Forderung 2 nach
> Checks and Balances, wenn der Kredit auf ewig vergeben wurde, dann kann es
> ja keine Überprüfung mehr geben. Deshalb plädiere ich dafür, die
> Formulierung auf direkten Kredit zu reduzieren.
Das kann man schon so sehen wie du sagst. Ich würde trotzdem alles in
der Originalform zu fordern und zu sehen, ob man damit durchkommt -
einfach weil man dann erstens Verhandlungsmasse hat (also eine
taktische Überlegung), und zweitens weil ich es sachlich tatsächlich
angemessen ist. Lass mich kurz darlegen, warum ich das denke:
Zum Zins: bei einem verzinsten Kredit würde das Parlament dann Zinsen
an die Zentralbank zahlen und im Gegenzug Zinszahlungen von den
europäischen Mitgliedsstaaten fordern. Die EZB würde einen Gewinn
machen, und dieser Gewinn wird zurück an die Mitgliedsstaaten
ausgezahlt. Netto und über alle Staaten summiert macht es also gar
keinen Unterschied, ob der Kredit verzinst ist oder nicht - und dann
ist es sauberer und transparenter, diese Kreiszahlungen einfach zu
unterlassen.
Wenn es einen Unterschied gibt, dann liegt dieser auf der
einzelstaatlichen Ebene. Je nachdem, wie das europäische Parlament die
Zinszahlungen regelt könnte es passieren, dass Staaten, die de facto
stärker von der Direktfinanzierung Gebrauch machen müssen netto Zinsen
an diejenigen Staaten zahlen, die davon weniger Gebrauch machen. Das
ist für mich ein Nachteil.
Denn dadurch werden Unterschiede zwischen den Staaten weiter
verstärkt. Der Haushalt von Staaten, die von der Direktfinanzierung
Gebrauch machen müssen wird stärker belastet, wodurch sie weiterhin
mehr Gebrauch davon machen müssen werden. Manch einer mag das toll
finden, weil er darin eine Bestrafungsfunktion sieht. Aber ich bin
kein Mensch der viel moralisiert, ich sehe das pragmatisch. Wenn die
Direktfinanzierung als ungerecht empfunden wird, dann soll das über
die Entscheidungsmacht des Europäischen Parlaments gelöst werden.
Gleichzeitig sollten die grundlegenden europäischen Mechanismen eher
auf einen Ausgleich abzielen, d.h. auf eine langfristige Reduzierung
von Unterschieden zwischen Staaten - und dafür ist es besser, wenn es
diesen Zinseffekt nicht gibt.
Zur Ewigkeit: Der Abstimmungs- und Vetomechanismus soll dazu dienen,
eine staatlich ausgelöste Inflation zu verhindern. Aber staatlich
ausgelöste Inflationen sind kausal nur in den Flüssen, also in den
laufenden Defiziten, zu finden. Die Gesamtsumme des in der
Vergangenheit in Umlauf gebrachten Geldes ist egal - das wurde ja
schon längst ausgegeben, darauf hat der Staat keinen kausalen Einfluss
mehr. Von daher ist es unsinnig, wenn alle paar Jahre über die
Gesamtsumme des direkt in Umlauf gebrachten Geldes abgestimmt werden
muss. Bestände sind einfach nur Zahlen; es sind die Flussgrößen auf
die es wirklich ankommt. Deshalb sollte der Kredit ewig sein.
Also wie gesagt: Ich verstehe schon, woher deine Ansichten kommen. Ich
denke auch, dass es keinen besonders großen Unterschied macht. Aber
mit 1b + 1c (also unverzinst und ewig) lässt sich besser von first
principles begründen, und im Übrigen bietet es im Zweifelsfall
Verhandlungsmasse, ist also auch taktisch klüger.
Schöne Grüße,
Nicolai
--
Lerne, wie die Welt wirklich ist,
aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: Eine mutige Alternative zum ESM, Keox, 01.05.2012
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: Eine mutige Alternative zum ESM, Christoph "Pluto" Puppe, 01.05.2012
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: Eine mutige Alternative zum ESM, Karlsruher, 01.05.2012
- Re: [AG-GOuFP] Fwd: Eine mutige Alternative zum ESM, Nicolai Haehnle, 02.05.2012
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