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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: "Dr. Johannes C. Kerner" <jckerner AT googlemail.com>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: [AG-GOuFP] Streit und Konsens
- Date: Tue, 3 Apr 2012 15:24:31 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hi,
ich will ja nach so kurzer Zeit hier nicht überheblich daherkommen, aber ich tu's mal trotzdem. Ist bei mir auch ein bischen Jobbedingt, ich löse Probleme bei wissenschaftlichen Arbeiten.
Was ich bisher sehe ist, dass sehr viel über grundlegende funktionale Mechanismen im Status Quo und systemische (strukturelle) Lösungen geredet wird. Das ist Problem Nummer 1, von funktionalen Problemen ausgehend kann man (begründet) nur funktionale Lösungen erarbeiten. 100%-Reserve wäre eine solche Lösung. Vollgeld hingegen ist eine systemische Lösung, da sie zumindest theoretisch ausserhalb der aktuell geltenden systemischen Parameter angesiedelt ist. Bevor man aber systemische Lösungen angeht, sollte man mehr über systemische Probleme reden und dann die möglichen Lösungen (die sind ja schon gesammelt) im Hinblick auf ihre Eignung zur Lösung dieser Probleme beurteilt.
Mein Vorschlag wäre daher, erstmal eine Sammlung systemischer (gerne auch funktionaler, aber das bitte danach!) Probleme anzugehen, hier einen Konsens zu finden und dann einen Rahmenkonsens zu den Lösungswegen anzugehen. Der ist, wie momentan an PA041 und dem LQFB-Antrag, böse formuliert, darauf beschränkt, dass wir das momentane System nicht gut finden (d'accord) und uns nach Alternativen umsehen wollen, die wir unter anderem in "Regional- und Komplementärwährungen" suchen wollen. Dass man die bisherigen Erkenntnisse mit einem kleinen Fehler ("Berechnungen") Copy-Paste & rewrite vom BGE übernehmen kann, zeigt ja nur, wie wenig belastbares dahintersteht.
Bitte jetzt nicht falsch verstehen, ich übe hier keine (/ kaum) inhaltliche Kriitk an dem bisherigen Vorgehen, lediglich strukturelle. Würde ich inhaltliche Kritik üben, sähe das so aus:
Ich sehe kein Argument dafür, sich für Komplementär- oder Regionalwährungen einzusetzen, mit Ausnahme von "diese würden einen Systemzusammenbruch abmildern". Aus systemischer Perspektive zeigt das, dass wir es nicht schaffen wollen, ein nachhaltig funktionierendes (!) Geldsystem aufzubauen (sonst gäbe es ja keinen Zusammenbruch), sondern lieber so viele Systeme, dass immer eines bestehen bleibt. Ist das ein verfolgenswertes Ziel?
oder, anders formuliert:
Wenn Regional- und Komplementärwährungen eine so erforschenswerte Alternative / Ergänzung zum "staatlichen" Finanzsystem sind, sollte man sich dann nicht Gedanken über die Grundzüge dieser Währungssysteme machen und versuchen, die als zentrales Währungssystem umzusetzen, statt Insellösungen zu propagieren?
Naja, das wäre aber wenig konstruktiv. Um meinen obigen strukturellen Forderungen nachzuhelfen, habe ich mal angefangen, die systemischen Grundpfeiler des Finanzsystems aufzulisten und "Konsenspositionen" dazuzuschreiben. Siehe unten, Ergänzungen und Meinungen dann ins Pad.
Viele Grüße
Jo
Ich versuche an dieser Stelle mal, die bisherigen "Konsenspositionen" zusammenzutragen, so, wie ich sie als Neuling rauslese.
1. Das aktuelle Geldsystem ist nicht ideal.
2. Wir sind uns nicht einig, wie ein neues Geldsystem aussehen soll.
3. Wir denken, dass das Problem sich irgendwie mit den Steuerungsgrößen Geldschöpfung und Zinsen lösen lässt.
4. Dass Staatshaushalte und Staatsverschuldung irgendeine Rolle in der Geschichte haben, ist auch klar. Welche?
Sollte das
jetzt tatsächlich Konsens sein, könnte man auf Basis des
Strukturrahmens auf (3) mit den Steuerungsgrößen Geldschöpfung und
Zinsen die Probleme des (1) aktuellen Geldsystems analysieren und auf
diesen Fehlern aufbauend (2) ein neues Geldsystem entwickeln. Ich
vereinfache jetzt im Folgenden sehr stark, komplizierter machen kann man
es danach immer.
1. Die Probleme des aktuellen Geldystems
1.1 Zinsbasierte Probleme
1.1.1 "Fehlender Zins"
Ich
sehe aktuell keinen Konsens bezüglich grundlegender Zinskritik; kenne
aber keine klare Argumentation dagegen. Wir brauchen hier dringend eine
klare Meinung, da zinsbasierte Geldsysteme bei Richtigkeit des Postulats
irgendwann zusammenbrechen müssen (Das Haupt-Gegenargument gegen den
"Josephspfennig" sind (!) Zusammenbrüche). Stimmt das Postulat nicht, warum brechen dann alle zusammen?
Zum Nachlesen:
http://www.florian-seiffert.de/doc/my_nwo.pdf (Das zentrale Werk von Gesell)
David Graebers Buch, sehr empfehlenswert, hier, die Zusammanfassung im RT-Interview.
1.1.2 Gründe für Zins
a. Geld ist den Menschen heute mehr wert als morgen (Neoklassisch)
b. Geld ist aufgrund seiner Werthaltigkeit per se mehr wert als andere Waren (Keynes)
c. ?
Möglicher Konsens: Es gibt eine Präferenz dazu, heute Geld zu behalten
Es
"muss" aber ein Geldumlauf stattfinden, also keine Geldhortung, weil...
zumindest sonst nicht investiert werden kann und kein Wachstum
stattfindet. (Konsens?)
Dieser
Geldumlauf wird dadurch ermöglicht, dass es den Geldinhabern
attraktiver gemacht wird, Geld zu investieren als zu behalten. Das geht
durch positive Zinsen auf Investitionen (auch wertverlierendes Freigeld
kann, wohlgemerkt bei einem niedrigeren Zinsiveau, relational profitabel
investiert werden).
1.1.3 Auswirkungen von Zinsen
Möglicher Konsens: Zinsen führen dazu, dass Geldvermögen eine "leistungsfreie" Vermehrung erfahren.
Grund: Geldvermögen wachsen exponentiell, während Sach- und Arbeitsvermögen linear wächst. Illustration:
Konsequenzen hieraus:
Das Geld wird weniger wert
Materielle Güter werden immer teurer
Die "Reichen" werden immer reicher (evtl: deswegen werden die armen immer ärmer).
Problem: soziale Unruhen, Revolution, das System bricht zusammen (in Graebers Buch historisch belegt).
1.2 Geldschöpfungsbasierte Probleme
1.2.1 Unkontrollierte Geldschöpfung
Der
Großteil der Geldschöpfung der EU ist in der Hand der Privatbanken, die
mit marginalen Sicherheiten große Mengen Geld schöpfen können
(Konsens?)
1.2.2 Kontroll- und Normenfreie Geldschöpfung
Da
die Geldschöpfung für die Banken profitabel ist, und diese
profitorientiert arbeiten, werden sie versuchen, möglichst viel Geld zu
verleihen. Das führt mitunter zu unrentablen Geldvergaben
(Zahlungsausfälle). Eine nachhaltig handelnde (auf Bestand bedachte)
Bank würde auf eine die Ausfälle deckende Rückzahlungsquote achten. Dies
ist, siehe Bankenkrise, faktisch nicht so. Die Banken zu "retten"
bedeutet eine sozialisierung der den privatisierten Gewinnen
nachfolgenden Verluste. Der EFSF garantiert dies auch für die Zukunft.
2. Lösungen
(ich wäre dafür, uns erstmal bei den Problemen einig zu werden)
- [AG-GOuFP] Streit und Konsens, Dr. Johannes C. Kerner, 03.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Streit und Konsens, alex, 05.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Streit und Konsens, Stephan Schwarz, 05.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Streit und Konsens, alex, 06.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Streit und Konsens, Stephan Schwarz, 05.04.2012
- Re: [AG-GOuFP] Streit und Konsens, alex, 05.04.2012
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