ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik
Listenarchiv
- From: Christine Zander <christine.zander AT gmx.net>
- To: ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
- Subject: [AG-Drogen] Mail/Spliff /Guido
- Date: Sun, 30 Oct 2011 23:35:14 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
- List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
Hi Spliff,
Ich habe mich wohl missverständlich ausgedrückt. Mit "Handel müsste anders bewertet werden". war gemeint: Handel müsste gesetzlich anders bewertet werden: Es ist ja wichtig was wird verkauft: also ist die Droge verschnitten worden? und an wen wird verkauft: Schutz von minderjährigen und nichtabhängigen (denen nicht bewusst ist, was sie erwerben).
Natürlich sollten meiner Meinung nach Handel und Vertrieb legalisiert werden – ich sehe nicht, dass das momentan gesellschaftlich durchsetzbar ist. Wir werden wohl viele Zwischenschritte dorthin brauchen. In meinen Augen ist schon jeder kleine Schritt aus der Prohibition besser als die jetzige Situation.
Ich wollte dich und deine Arbeit nicht persönlich angreifen. Im Gegenteil die Sozialarbeiter "an der Front" leisten gute Arbeit und stehen oft auch sehr hinter ihrer Arbeit. Aber genau deshalb sollte man seine Augen nicht vor dem verschließen, was teilweise in diesem Bereich passiert. Ich habe mich nur gefragt, warum sich Drogen- bzw. Alkoholtherapien so von anderen Therapien unterscheiden. Vielleicht kannst du mir da ja auch weiterhelfen.
Durch die Prohibition hast du quasi keine Entscheidungsfreiheit. Laut Gesetz musst du dich irgendwann für die Abstinenz oder Abstinenztherapie entscheiden. Selbst die Methadonprogramme zwingen den Patienten irgendwann zu einem Entzug oder einer Therapie (es sei denn du bist Privatpatient). Viele Süchtige verschwenden Jahre im Wechsel von Szene zu Therapie – Szene etc. – das Selbstbewusstsein wird immer schlechter, bis sie am Ende ganz unten sind.
Für meine Ansichten kann ich dir keinen Link zu Studien oder Artikeln geben – und genau das ist das Problem – deshalb kam das ganze für dich vielleicht pauschalisierend an. Meine E-Mail bezog sich komplett auf die Erzählungen von Klienten und Suchttherapeuten, die in diesem Bereich arbeiten. Und ehrlich, teilweise war ich wirklich geschockt von den Erzählungen! Dazu gibt es kein Material, da niemend wagt Kritik zu äußern.
Erst einmal hat ja jeder Therapeut mit der Prohibition zu kämpfen. Ich habe mit Suchttherapeuten gesprochen, die meinten, sie könnten momentan nur im niedrigschwelligen Beriech arbeiten, da sie durch die Prohibition, die Leute in Bezug auf Therapien gar nicht ehrlich beraten könnten. Die Entscheidung für eine Therapie fängt ja mit einer Frage an:" Willst du wirklich damit aufhören? Finde für dich den Weg der am besten ist." Das ist ja durch die Prohibition nicht gegeben.
Im Drogenbereich, gibt es das Angebot "Therapie statt Knast". Dadurch nehmen viele Leute oft nicht wirklich freiwillig an einer Therapie teil. Natürlich, wenn die Therapeuten gut sind, nehmen sie sicher etwas daraus mit – aber das ist leider nicht immer so.
Meine Kritik bezog sich auf Therapieformen, die wirklich viel mit Zwang (Zwang auf alle Klienten nicht nur Straffällige) arbeiten. Als krasses Beispiel nenne ich dir "Synanon" – die ich als Sektenartig bezeichne. Auch bei den Anonymen Alkoholikern kann ich mich dieses Eindrucks nicht erwehren. Wobei das ist jetzt wirklich meine subjektive Wahrnehmung ist. Ich frage mich – muss das wirklich so sein?
Generell landen ja in diesen Therapien meistens Härtefälle. Oft auch Leute, die ihre Verantwortung gern mal auf die Droge abschieben. Es ist halt einfacher, als sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Aber angesichts der Prohibition ist es für einen Therapeuten schwer, die Leute argumentativ auf sich selbst zurückzuverweisen.
Ich persönlich würde mich freuen, wenn du als Suchttherapeut 3 Villen verdient hättest .. das wär dann mal ein korrekter Verdienst ... Aber so geht es den meisten. Man leistet gute Arbeit, steht auch hinter seiner Arbeit .. aber das Geld stecken sich andere ein. Ich habe hier in Hamburg zur Schill und CDU Zeit den Kampf um den Therapieetat miterlebt. Hier mussten wirklich gute kleine Einrichtungen (die von der politischen Meinung nicht so genehm waren) geschlossen werden, zugunsten von 2 grossen Einrichtungen. Es bilden sich große bundesweite Einrichtungen, die auch funktionieren wie ein großes Unternehmen. Teilweise erinnern ja schon die Namen an Großkonzerne (siehe Therapiekette Nord). Das ist das, was ich in Frage stelle und nicht die Arbeit von euch Streetworkern oder Sozialarbeitern. Ich kann mir vorstellen, dass ihr mit vielen Dingen auch nicht einverstanden seid. Und das sollten wir ändern ...
Ja, meine E-Mail war vollkommen subjektiv, da sie auf Aussagen Betroffener beruht. Aber ich finde, wir sollten überlegen, was verbesserungswürdig ist. Ja es gibt viele Therapieangebote – aber wieviel bringen sie für den Einzelnen. Können Menschen unter den herrschenden Gesetzen überhaupt ehrlich therapiert werden?
Sie sollte aber nicht die Arbeit der Sozialarbeiter/Therapeuten an der Front schlecht machen.
LG, Christine
- [AG-Drogen] Mail/Spliff /Guido, Christine Zander, 30.10.2011
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