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ag-drogen - [AG-Drogen] Bemerkungen zur geänderte, alternative Initiative ' Suchtpolitisches Grundsatzprogramm'

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

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[AG-Drogen] Bemerkungen zur geänderte, alternative Initiative ' Suchtpolitisches Grundsatzprogramm'


Chronologisch Thread 
  • From: "Georg von Boroviczeny" <georg AT von-boroviczeny.de>
  • To: <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-Drogen] Bemerkungen zur geänderte, alternative Initiative ' Suchtpolitisches Grundsatzprogramm'
  • Date: Wed, 29 Sep 2010 12:57:27 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

Vorneweg (bevor ich zu einzelnen Punkten Stellung nehme) Einiges grundsätzliche:

1.)    Drogenpolitik (so, wie das die AG sieht) und Suchtpolitik sind keine Gegensätze, auch keine Alternativen, sondern eigenständige politische Felder. Daher wäre es schön gewesen, wenn im Zuge der Überarbeitung das  ‚Suchtpolitisches Grundsatzprogramm‘ als eigenständiges Thema platziert worden wäre und nicht als Alternativentwurf. Insofern sind die drogenpolitischen ‚Ausflüge‘ der Initiative (dazu unten mehr), unabhängig von ihrer inhaltlichen Richtigkeit, in einer suchtpolitische Ausführung fehl am Platz.

2.)    Papiere/Positionen zu einem Grundsatzprogramm werden von Menschen gelesen, die nicht nur fähig, sondern auch bereit sind, sich ausführlicher mit den Inhalten auseinanderzusetzen, die die Partei vertritt; daher sollen diese, bei aller notwendigen Generalisierung, schon vertieft und ausführlich/aussagekräftig sein; eine plakative, wahlkampfrhetorische und –verkürzte Darstellung, wie in der Initiative reicht da mE nicht aus.

 

Zur Auseinandersetzung mit einzelnen Punkten hier nochmals der ganze Text:

 

Suchtpolitisches Grundsatzprogramm

Von alters her sind Rausch und Sucht Bestandteil jeder Kultur. Diese Tatsache erfordert es, sich vorurteilsfrei mit dem Konsum von Genussmitteln und dessen Folgen auseinanderzusetzen, um mit einer pragmatischen Suchtpolitik Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.
Die bisherige, repressive, fast einseitig auf Abstinenz abzielende Drogenpolitik ist offensichtlich gescheitert: Sie schuf einen Schwarzmarkt, der weder Jugend- noch Verbraucherschutz kennt und überdies die Rechte von Nichtkonsumenten ignoriert.
Die Piraten folgen einer auf wissenschaftlichen Fakten beruhenden Suchtpolitik.
Basis dieser Suchtpolitik sind:
1. Umfassende, ideologiefreie Aufklärung
2. Genusskultur und Eigenverantwortung
3. Qualitätskontrolle und Verbraucherschutz
4. Hilfe für Risikokonsumenten
5. Schutz von Nichtkonsumenten
 

Begründung
 

Warum sprechen wir von Suchtpolitik und nicht mehr von Drogenpolitik?

Wir sprechen konsequent von Suchtpolitik, weil die Ursache von Abhängigkeitserkrankungen nicht die gebrauchten Genussmittel sind, sondern das Verhalten der Konsumenten. Die Notwendigkeit, von einer reinen Drogenpolitik (Fokus auf die gebrauchten Substanzen, auch Substantismus genannt) zu einer allgemeinen Suchtpolitik (Fokus auf das Verhalten des Konsumenten, auch Life-Skill genannt) überzugehen, zeigt sich nicht zuletzt in der Verbreitung nichtstoffgebundener Süchte, wie Spiel- oder Kaufsucht.
 

Warum ist Suchtpolitik Piratenpolitik?

Piraten stehen grundsätzlich für die größtmögliche individuelle Freiheit und das kleinstmögliche Eingreifen des Staates.

Die individuelle Freiheit wird durch die bisherige Drogenpolitik massiv beschnitten.
Kennzeichen dieser - gescheiterten - Drogenpolitik sind die willkürlichen Verbote bestimmter Genussmittelgruppen, die unsachliche Ächtung einiger psychotrop wirkender Substanzen und die einseitige Fokussierung auf diese.

Der Staat darf die freie Wahl der Genussmittel nicht einschränken.

Aufgabe des Staates ist es, für eine vernünftige Suchtpolitik Rahmenbedingungen zu schaffen, in denen eine frühe und ideologiefreie Aufklärung stattfinden kann, Eigenverantwortung und Genusskultur selbstverständlich werden, Hilfsangebote für Risikokonsumenten bereitstehen und die Nichtkonsumenten geschützt werden.

In unserem Verständnis von Suchtpolitik geht es nicht um die Masse der Genusskonsumenten, sondern darum, riskanten Konsum mittels Aufklärung und Safer-Use-Maßnahmen zu vermeiden und Problemkonsumenten mit niedrigschwelligen Hilfsangeboten zu versorgen.

Die Politik sollte sich aus allen selbstbestimmten und nicht fremdschädigenden Lebensentwürfen raushalten. Das gilt erst Recht beim subjektiven Erlebnis 'Genuss'!

Ferner ist es wichtig, im Grundsatzprogramm der Piratenpartei Alleinstellungsmerkmale zu verankern. Die unübliche Terminologie, die wir in unserem Grundsatzprogramm benutzen, ("Suchtpolitik", "Genussmittel", "Genusskultur" etc.) macht den Unterschied zu den anderen Parteien, die an ihrer dogmatischen Drogenpolitik festhalten - und damit scheitern - sehr deutlich.
 

Warum haben wir den Text knapp und allgemein formuliert?

Das Grundsatzprogramm soll für Aussenstehende lesbar sein. Lange Texte werden von vielen ungern gelesen.
Prägnant formuliert gibt das Grundsatzprogramm eine Richtung vor, ohne zu detailliert zu werden und den Handlungspielraum der Landesverbände einzuschränken.
Die oben stehende Formulierung deckt alles ab, ist kurz und bündig und läßt den Bundesländern einen großen Freiraum für eigene Wahlprogramme.
Details können dadurch je nach Rahmenbedingungen in den einzelnen Landesverbänden ausgearbeitet werden.
 

Pragmatische Suchtpolitik statt dogmatischer Drogenpolitik!

(Vorschlag für Rechtschreibung: Außenstehende und lässt –jeweils ‚ss‘ und ‚ß‘ falsch)

 

Hier die einzelnen Kritikpunkte:

Satz 2 (‚Die bisherige, repressive, fast einseitig auf Abstinenz abzielende Drogenpolitik…‘): das entspricht gänzlich der Position der AG und ihrer Initiative, Absatz 3 und ist damit voll akzeptabel; es ist aber (s.o.) Drogen- und nicht Suchtpolitik, gehört somit nicht in diese Initiative

Ebenda und Punkt 5 (‚Schutz von Nichtkonsumenten‘) welche ‚Rechte‘ von Nichtkonsumenten werden denn ignoriert? Und welchen Schutz brauchen denn diese? Was haben überhaupt ‚Nichtkonsumenten‘ in einer Suchtpolitik zu suchen; sie sind nicht süchtig (besser: abhängigkeitskrank) von irgendwelchen Substanzen. Daher unnötiger Ballast.

Der Punkt 1. Ist so ziemlich die einzige ‚Schnittstelle‘ bei Sucht- und Drogenpolitik; als Position ist es im drogenpolitischen Antrag der AG auch ausdrücklich aufgenommen.

Punkte 2 + 3 (‚Genusskultur und Eigenverantwortung +  Qualitätskontrolle und Verbraucherschutz‘): voll akzeptiert, nur sind das ebenfalls drogenpolitische und nicht suchtpolitische Positionen

Punkt 4 (‚Hilfe für Risikokonsumenten‘): wer oder was sind ‚Risikokonsumenten‘? Entweder ist das ein beschönigender Ausdruck für Abhängigkeitskranke, dann halte ich eine Verharmlosung für falsch und gefährlich und durch eben eine klaren Ausdruck zu ersetzen, oder es ist eine nicht aussagekräftige Worthülse.

Anmerkung: ‚ Substantismus‘: das ist ein WIRTSCHAFTSausdruck (dort: Substantivismus), oder gehört in die Religion/Sprachwissenschaft (zumindest dem nach, was ich dazu googeln konnte), hat somit mit Drogen NICHTS zu tun.

Text ab ‚ Die individuelle Freiheit wird durch die bisherige Drogenpolitik massiv beschnitten.‘: inhaltlich ist daran nichts zu bemängeln (zu Risiko- und Nichtkonsumenten s.o.), aber hierbei handelt es sich auch um Drogen- und nicht um Suchtpolitik.

Text ab ‚ Ferner ist es wichtig…‘:  die Solidarität mit Sucht-/Abhängigkeitskranken ist Konsens (mit unterschiedlichen Gewichten) in allen Parteien; allein mit Wortwahl, denke ich, ist ein ‚Alleinstellungsmerkmal‘ nicht erreichbar.

Zur Textlänge habe schon oben Stellung bezogen.

Leider enthält der Antrag/die Initiative keinerlei pragmatischen Ansätze zu einer Suchtpolitik, weder als Bekräftigung schon bestehender Ansätze und Strukturen, noch in Richtung einer Neu- oder Weiterentwicklung. Es gibt viele Angebote, Möglichkeiten, und dabei vielfachen Bedarf, auch an politischer Unterstützung, dazu fehlt hier aber so ziemlich alles.

Deviantes Verhalten (Abhängigkeitserkrankung welcher Art auch immer IST ein solches) kann ganz sicher NICHT auf politischer Ebene verändert werden, Solidarität mit Kranken und Hilfen für diese ist eine politische Aufgabe.

Hierbei gibt es einen großen Bedarf: ich habe allein zum Thema ‚Arbeits-/Beschäftigungsmöglichkeiten für (u.a.) Suchtkranke‘ im Frühjahr bei einer 2-tägige Konferenz mitgearbeitet und Anfang September die Ergebnisse und Forderungen daraus im Abgeordnetenhaus mit vorgestellt (Teilnehmerin u. a. die Staatssekretärin Lindner aus dem Sozialsenat): wenn überhaupt, so ist über das massive Eintreten von Fachgremien eine drastische Mittelkürzung (geplant: 30%) abmilderbar, weitere notwendige Mittel sicher nicht erreichbar. Absehbar kann daran die PP, so sie denn Mitverantwortung bekommt (das wollen wir ja alle!) wohl auch nichts ändern, angesichts desolater Haushaltslagen, zumindest nicht ad hoc.

 

Ich will diesen Text nicht als Angriff oder was auch immer in dieser Richtung verstanden wissen, sondern als eine sachorientierte, inhaltsbezogene, ganz sicher nicht persönliche Auseinandersetzung zum Thema Sucht- und Drogenpolitik, daher:

Mit den besten Grüßen

 

[georgberlin]

Käpt’n der Crew ‚Tiberia‘

Koordinator AG Drogen

Georg v. Boroviczeny

 



  • [AG-Drogen] Bemerkungen zur geänderte, alternative Initiative ' Suchtpolitisches Grundsatzprogramm', Georg von Boroviczeny, 29.09.2010

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