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ag-barrierefreiheit - Re: [Ag-barrierefreiheit] FYI: der-gehoerlose-vorsitzende

ag-barrierefreiheit AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Koordinations und Arbeitsliste der AG Barrierefreiheit

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Re: [Ag-barrierefreiheit] FYI: der-gehoerlose-vorsitzende


Chronologisch Thread 
  • From: Enno Park <ennomane AT googlemail.com>
  • To: Koordinations und Arbeitsliste der AG Barrierefreiheit <ag-barrierefreiheit AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-barrierefreiheit] FYI: der-gehoerlose-vorsitzende
  • Date: Sat, 9 Apr 2011 19:00:05 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-barrierefreiheit>
  • List-id: Koordinations und Arbeitsliste der AG Barrierefreiheit <ag-barrierefreiheit.lists.piratenpartei.de>

Hi Ralph,

dank, *das* nenne ich mal konstruktiv.

> [*] Frauen und Politik: Merkel ist vielleicht kein Vorzeigeexemplar
> [sic!] aber in ihrem Schaffen durchaus erfolgreich. Betrachtet man den
> relativ kurzen Zeitraum, den Frauen alleine beim Wahlrecht nicht mehr
> benachteiligt sind, ist das schon eine enorme Drehung der
> Gesellschaft, von dem Manchen immer noch schwindelig zu sein scheint.

Wie ich geade schon im Blog schriebe: Ich bin heilfroh, dass niemand diese
total vermurkste Kanzlerschaft zum Anlass nimmt, nacher noch zu behaupten,
dass Frauen nicht geeignet seien.

> [*] Schwarze und Politik: Ja, "change we can believe in" Obama ist ein
> Heuchler aber mal ehrlich: Martin Luther King hätte sich ein Obama
> Wahlplakat wahrscheinlich als Pinup an den Sargdeckel nageln lassen.

Du darfst Frauen oder Farbige nicht mit Behinderten vergleichen. Ein
Gehörloser kann *wirklich* nicht hören, weißt du? So richtig gar nicht. (Von
dem Fall "perfekt funktionierendes CI reden wir hier nicht".) Der braucht
IMMER alles schriftlich. Oder IMMER für alles eines
Gebärdensprachedolmetscher. Manche Bezeichnen das als Audismus, aber es
ändert nichts daran, dass ich mich in einer Kneipe nicht unterhalten kann.

> [*] Gehörlose können keine erfolgreichen Ärzte, Juristen oder
> Politiker sein. Wirklich? Ich bin mir sicher, dass RA Judith Hartmann,
> Dr. med. Inge Richter und andere widersprechen würden.

Diese Leuchtturmbeispiele verstellen den Blick auf Alltag und Realität. Sie
haben sogar den gegenteiligen Effekt und führen zu dem Vorwurf: Hey, warum
schaffst du das nicht, es gibt mittlerweile auch gehörlose Ärzte und Anwälte.

> Soziale Missstände müssen nicht hingenommen werden! Es ist schwierig
> aber wir können es ändern. Vielleicht dauert es lange aber wir haben
> einen guten Grund, daran zu arbeiten.
>
> Vergleiche passen selten und sie hinken stets bei Einzelpersonen und
> -schicksalen. Darum will ich es mal anders herum betrachten und so
> formulieren:
>
> Ich habe (als Hörender) ein Recht darauf,
> auch mit (in diesem Fall) Gehörlosen
> leben zu dürfen und mich von einem/einer
> Gehörlosen vertreten zu lassen.

DAS alledings finde ich mal großartig und deine Haltung in dieser Sache freut
und motiviert mich persönlich sehr.

Ich sehe es (rein für mich!) nur genau umgekehrt: Ich höre nichts und möchte
bitte, dass die coolste, gewandteste Sau überhaupt meine Anliegen im
Haifischbecken vertritt. Sonst könnte ich ja auch gleich selber kandidieren
(was ich für Kommunalwahlen übrigens längere Zeit in Erwägung gezogen habe
aber mittlerweile ablehne, da ich keine Lust habe, als "Vorzeigebhinderter"
instrumentalisiert zu werden).

> Abgesehen davon nehmen Gehörlose eine Sonderrolle ein, da sie aufgrund
> der Natur ihrer Sinnesbeeinträchtigung eine eigene Sprache und (frei
> nach Wittgenstein) entsprechend eine eigene Kultur entwickelten.
> Unabhängig von jeder Debatte um Behindertenpolitik, Inklusion oder
> Integration geht es in diesem besonderen Fall auch um den Schutz einer
> durch Lobbyverbände (Oralisten und CI-Fetischisten) massiv bedrohten
> Kultur. Diese Kultur nutzt eine Sprache, die in Deutschland trotz
> langer Tradition stets bekämpft aber seit Anfang dieses Jahrtausends
> endlich als eigenständige, anerkannte Sprache gesetzlich bestätigt
> wurde.

Ja, diese eigene Kultur mag eine Bereicherung darstellen. Ja, gehörlose
Kinder sollen endlich komplett in Gebärdensprache unterrichten werden. Ja,
ja, ja! Ich als nahezu Gehörloser empfinde es aber als Ghettoisierung, in
diese Kultur abgedrängt zu werden. Es ist nich meine. Mein Gehör definiert
mich nicht.

> Ich stelle mal eine provokante Frage: wie würde die ganze Diskussion
> verlaufen, wenn es statt um Gehörlose um Menschen mit Schuhgröße 38
> ginge?

Die Frage ist nicht provokant, sondern albern, weil Schuhgröße 38 kein
Handicap ist. Es ist eher eine Verniedlichung, die mir unterstellt, die
Schwierigkeiten, die ich durch meine Behinderung habe, seien nicht weiter
schlimmer als das zufällige Tragen von Schuhgröße 38. Mit derlei Statements
kannst du Behinderte, die unter ihrer Situation *leiden*, durchaus
beleidigen. (Also nicht mich jetzt.)

LG, Enno



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