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nrw-duesseldorf-talk - [Ddorf-Talk] Artikel aus der Welt : Die Wunderwaffe der Piraten klemmt

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Betreff: Kreisverband Düsseldorf - TALK - (Nordrhein-Westfalen)

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[Ddorf-Talk] Artikel aus der Welt : Die Wunderwaffe der Piraten klemmt


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  • From: Michael Theine-Dimt <m.theine-dimt AT s4pc.com>
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  • Subject: [Ddorf-Talk] Artikel aus der Welt : Die Wunderwaffe der Piraten klemmt
  • Date: Thu, 7 Jun 2012 14:07:07 +0200
  • Accept-language: de-DE
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  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/nrw-duesseldorf-talk>
  • List-id: <nrw-duesseldorf-talk.lists.piratenpartei.de>

Artikel aus der Welt:

http://hd.welt.de/ausgabe-b/politik-b/article106427932/Die-Wunderwaffe-der-Piraten-klemmt.html

Mitsprache-Software

Die Wunderwaffe der Piraten klemmt

Die Mitsprache-Software Liquid Feedback ist innerhalb der Partei umstritten. Viele Mitglieder nutzen die Plattform gar nicht. Technische Probleme schlossen Tausende Neupiraten zudem lange aus. Der Parteivorsitzende Bernd Schlömer will das Tool auf den Prüfstand stellen lassen.

Es war eine Niederlage, die viel über Herz und Schmerz der Piratenpartei aussagt: Ende April in Neumünster, Bundesparteitag. Die rund 1500 Mitglieder stimmten über einen Antrag ab, wonach die Amtszeit des Vorstandes verlängert werden sollte. Das sollte mehr Kontinuität, Ruhe bringen.

Im Vorfeld hatten die Piraten bereits eine Vorauswahl getroffen: Bei Liquid Feedback, der Software für interne Meinungsbildung und Mitsprache, votierten 72 Prozent dafür. Auf dem Parteitag knallte die virtuelle Abstimmung jedoch mit der Realität zusammen: Weit weniger als die Hälfte der Mitglieder hob ihre Stimmkarte. Die Zweidrittelmehrheit war klar verfehlt. Liquid Feedback hatte eine Illusion erzeugt.

Wer Gründe für den Erfolg der Piratenpartei aufzählt, nennt fast immer auch Liquid Feedback. Mit der Software versucht die Partei, die Möglichkeiten des Internets für mehr Beteiligung an der Demokratie auszuschöpfen. Liquid Feedback soll helfen, so basisdemokratisch wie möglich zu bleiben.

Diese Hoffnung elektrisiert in einem Zeitalter, in dem der Ruf nach Bürgerbeteiligung laut ist. Die FDP zum Beispiel beschloss auf ihrem letzten Parteitag, man werde den Einsatz der freien Software bei sich prüfen. Sogar US-Präsident Barack Obama wurde das Tool angeraten: In der "New York Times" hieß es, Obama erwecke zwar im Wahlkampf noch den Anschein von Bürgerbeteiligung via Social Media. In der Präsidentschaft bliebe die Meinung der Anhänger jedoch weitgehend ungehört.

Doch die Software ist selbst unter Piraten umstritten. Hauptgrund: Sie ist unübersichtlich und schwer zu bedienen. Das soll sich ändern: Derzeit wird an einer benutzerfreundlicheren Oberfläche gearbeitet. Auch eine App für Smartphones wird entwickelt. Aber ob dann mehr mitmachen?

Der Bundesvorsitzende Bernd Schlömer will zwar weiterhin den Beschluss umsetzen, die Software zu nutzen. Er sagte der "Welt" aber auch: "Ich persönlich würde eine externe Evaluation über die Effektivität von Liquid Feedback anregen." Dies sei üblich, um "innovative Verfahren besser einschätzen zu können", und könne eine "systematische" Diskussion über Stärken und Schwächen anregen.

Die Abstimmung von Neumünster offenbarte die geringe Akzeptanz von Liquid Feedback. Dabei kann der Antrag über die Vorstände-Amtsdauer mit über 600 online abgegebenen Stimmen eigentlich sogar als Erfolg gelten. Doch an der Realität der Mitglieder im Saal ging er vorbei. Diese Abstimmung war auch eine Niederlage für den Piraten Martin Haase. Dabei gilt der Linguistikprofessor aus Bamberg manchen sogar als "einflussreichster Pirat". Wer dies verstehen will, muss das komplizierte Liquid Feedback genauer anschauen.

Auf der Internetplattform veröffentlichen Piraten Entwürfe zu allen möglichen politischen Themenbereichen. Wenn diese genug Unterstützung erhalten, kommen sie eine Runde weiter in die inhaltliche Diskussion. Nun kann jeder kommentieren, Verbesserungen oder alternative Initiativen vorschlagen.

Über Entwürfe, die eine kleine Abstimmungshürde genommen haben, kann abgestimmt werden. Bevor dies geschieht, wird die Abstimmung jedoch für kurze Zeit "eingefroren", damit über die Vorschläge diskutiert werden kann. Dann folgt die Entscheidung, an der sich Parteitage, Abgeordnete und der Vorstand orientieren können.

Haase gilt manchen als "mächtig", weil die Software "liquid", also "flüssig" sein soll: "Sie ist eine Mischung aus Delegiertenprinzip und der von der Piratenpartei angestrebten Basisdemokratie", erklärt Haase. Jeder Pirat darf seine Stimme weiterreichen. Und Haase vereint derzeit mit über 160 Stimmen mehr als jeder andere Pirat. Daher werden viele Initiativen, die Haase unterstützt, Erfolge.

Er setzt sich für die rechtliche Gleichstellung von Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft ein – es wird beschlossen. Das Gleiche passierte, als sich Haase für das bedingungslose Grundeinkommen einsetzte. Die Ausnahmen, wie Haases Abstimmungsniederlage von Neumünster, aber weisen auf die Probleme mit der Software hin.

Vor allem im Bund mangelt es an Akzeptanz. Nicht mal ein Drittel der rund 30.000 Mitglieder hat sich registriert und kann abstimmen. Aufgrund technischer Probleme in den vergangenen Monaten hat zudem zunächst weniger als die Hälfte der Neumitglieder seit dem Boom der Berlin-Wahl eine Einladung erhalten. Erst vor Kurzem konnte nach Wochen wieder eine Einladungs-Mail verschickt werden – betroffen waren rund 8000 Mitglieder.

Piraten debattieren etwa beim Kurznachrichtendienst Twitter, bei virtuellen Gesprächsrunden oder auf "Pads", Internetseiten, auf denen kollaborativ Texte verfasst werden können. Dazu kommen persönliche Treffen: Stammtische oder "Squads", bei denen Teams themabezogen Positionen ausarbeiten. Vieles davon fließt in die Diskussionen bei Liquid Feedback ein. Aber: "Liquid Feedback ist nur eines von vielen Meinungsbildungstools der Piratenpartei", sagt Matthias Schrade, Beisitzer des Bundesvorstandes. "Es kann eine Hilfe, ein Hinweis darauf sein, wohin die Mitglieder tendieren – aber es ist kein Vorhersagetool."

Die innerparteiliche Kritik an der Software wird zudem deutlich, wenn man in die Landesverbände schaut. Es gibt zwar den Berliner, der fast das komplette Wahlprogramm für den sensationellen Einzug ins Abgeordnetenhaus mit Liquid Feedback vorbereitete. Doch andere große Landesverbände lehnen die Software ab. Baden-Württemberg nutzt Liquid Feedback erst gar nicht.

Gestritten wird zudem bereits seit Jahren darüber, ob die Software weiterhin mit nebulösen Pseudonymen arbeiten soll. Die einen Piraten setzen auf Transparenz und verlangen, dass jedes Mitglied erkennbar sein und für seine Positionen einstehen müsse: Wie sonst könnten Abgeordnete sich daran orientierten? Andere haben Datenschutzbedenken oder fürchten, dass Minderheitsmeinungen durch den Druck der Mehrheit seltener würden.

Der neue Bundesvorstand steht damit vor einer großen Herausforderung. In ihm sitzen mehrere starke Befürworter von Liquid Feedback. Und bei seiner Bewerbungsrede grenzte sich der neue Oberpirat Schlömer deutlich von seinem Vorgänger Sebastian Nerz mit dem Bekenntnis ab, er werde den Beschluss umsetzen, wonach Liquid Feedback im Bund genutzt werden soll.

Die Zeit für ein schlankes und akzeptiertes Programm für die Bundestagswahl wird jedoch knapp. Auf den Piraten lastet der Druck, mehr inhaltliche Positionen zu liefern. Ein schnurrendes Liquid Feedback könnte perfekt zur Vorbereitung des Programmparteitages Ende des Jahres dienen. Eine Software voller Fehler hingegen wäre für die Computerspezialisten ein Desaster. Und eine Gefahr für den Bundestagswahlkampf.

Manuel Bewarder

 




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