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muenster - [MS Piraten] Grund- und Bürgerrechte (vorsicht, langer Text ;-)

muenster AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kreis Münster/ NRW

Listenarchiv

[MS Piraten] Grund- und Bürgerrechte (vorsicht, langer Text ;-)


Chronologisch Thread 
  • From: Thomas Walter <tw AT b-a-l-u.de>
  • To: "Ortsgruppe Münster (Nordrhein-Westfalen)" <muenster AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [MS Piraten] Grund- und Bürgerrechte (vorsicht, langer Text ;-)
  • Date: Wed, 9 Sep 2009 02:34:36 +0200
  • List-archive: <http://service.piratenpartei.de/mailman/private/muenster>
  • List-id: Ortsgruppe Münster (Nordrhein-Westfalen) <muenster.lists.piratenpartei.de>

Hidiho,

ich versuche gerade in meinem Blog die zentralen Punkte der Piraten genauer zu beschreiben und aufzuklären, dass es eben um viel mehr geht als um "Internet" und "legale Raubkopien".

Der Grund hierfür ist eine Diskussion, die ich mit meinen Eltern nach dem Piratenspot Samstag Abend per Telefon geführt habe. Erst dadurch haben sie wirklich verstanden, dass die Piraten nicht nur ein paar Internetspinner sind, die Zugriff auf Kinderpornographie ermöglichen und Raubkopien erlauben wollen.

Vielleicht helfen die Details auch dem einen oder anderen Piraten, in Diskussionen noch gezielter auf die Probleme hinzuweisen, die wir so sehen.

Den Anfang habe ich heute gemacht mit einer detaillierteren Aufstellung der Einschränkung von Grund- & Bürgerrechten, die auch im Flyer genannt werden.

Vielleicht kann mal einer drüberlesen, ob dort irgendwelche schweren Fehler enthalten sind oder wichtige Punkte ausgelassen wurden.

Balu


Als das BKA in den 70er Jahren vergeblich nach den RAF-Terroristen fahndete, wurde dort die so genannte <strong>Rasterfahndung</strong> entwickelt. Diese ist ein Verfahren, um verschiedene Datenbestände zusammenzuführen und so gezielt durchsuchen zu können. Hierzu werden verschiedene Datenbanken nach Merkmalen durchsucht, die auch auf die gesuchte Person zutreffen könnten. Durch die Nutzung verschiedener Datenbanken wird so eine Gruppe von verdächtigen Personen ermittelt, die anschliessend gezielt überprüft werden können. Für alle Personen dieser Gruppe wird dadurch insbesondere die Unschuldsvermutung aufgehoben, schließlich sind alle Personen verdächtig - und sei es nur, weil Schuhgröße, Nationalität und Geschlecht übereinstimmen.

Die <strong>Schleierfahndung</strong> wurde 1995 in Bayern eingeführt und später von anderen Bundesländern übernommen, um nach dem Wegfall der Grenzkontrollen in Europa einen Anstieg der Kriminalität zu verhindern. Sie erlaubt es der Polizei innerhalb eines 30 Kilometer breiten Streifens entlang der Auslandsgrenzen, auf Fernstraßen, an Bahnhöfen und Flughäfen jede Person zu überprüfen bzw. zu kontrollieren. Hierbei ist es egal, ob hierzu ein Verdachtsmoment besteht oder ein bestimmtes Ereignis die Kontrolle rechtfertigen würde. Weil diese Art der Fahndung unverhältnismäßig ist und den Gleichheitssatz verletzt (es werden hauptsächlich "ausländisch" wirkende Personen kontrolliert), wird sie teilweise als verfassungswidrig angesehen.

Nach Artikel 8 unseres Grundgesetzes, haben alle Deutschen <em>das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Für Versammlungen unter freiem Himmel kann dieses Recht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes beschränkt werden.</em> Die <strong>eingeschränkte Versammlungsfreiheit</strong> wird hauptsächlich durch das Versammlungsgesetz definiert, in dem z.B. das Waffentrageverbot, die passive Bewaffnung und das Vermummungsverbot enthalten sind. Die zuständigen Behörden können Versammlungen verbieten oder von Auflagen abhängig machen, wenn die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet sind. Seit 2005 können auch Versammlungen an Gedenkstätten von historisch herausragender, überregionaler Bedeutung, die an die Opfer der menschenunwürdigen Behandlung unter der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft erinnern, verboten werden.

Seit Ende 2006 gibt es die so genannte <strong>Antiterrordatei</ strong>. In dieser Datenbank werden bestimmte Daten von 38 verschiedenen Ermittlungsbehörden inklusive der Inlands- und Auslandsgeheimdienste und Polizeibehörden zusammengeführt. Das Ziel dieser Datei ist es, bereits im Vorfeld mögliche potentielle Attentäter zu erkennen und Lücken zu schließen, die durch die Gewaltenteilung in demokratischen Staaten entstehen können. So soll vermieden werden, dass eine Person von einer Behörde verfolgt, aber voon einer anderen geduldet oder gefördert wird.

Seit Anfang 2008 gilt die so genannte <strong>Vorratsdatenspeicherung</ strong>. Durch sie werden die Anbieter von Telekommunikationsdiensten verpflichtet, sämtliche elektronischen Kommunikationsvorgänge ohne Anfangsverdacht oder konkrete Hinweise auf Gefahren für 6 Monate zu speichern. Das beinhaltet z.B. die Speicherung der Rufnummern von Anrufer und Angerufenem, die Anrufzeit und bei Handys auch den jeweiligen Standort. Für Verbindungen ins Internet werden die IP- Adressen gespeichert, bei E-Mails werden sowohl Absender- als auch alle Empfängeradressen, die betroffenen Mailserver und beim Abrufen der Benutzername und dessen IP-Adresse protokolliert. Zugriff auf diese Daten haben nicht nur die Polizei und Staatsanwaltschaft, sondern auch ausländische Staaten, insofern es dem Schutz vor Terrorgefahren dient. Hierdurch werden Infrastrukturen geschaffen, durch die jeder Deutsche bis ins Detail überwacht werden kann. Komplexe Beziehungsprofile zwischen Personen lassen sich mit Leichtigkeit erstellen. Nebenbei ist davon die Verschwiegenheitspflicht von Rechtsanwälten und Ärzten und das Seelsorge- bzw. Beichtgeheimnis betroffen. Der Informantenschutz von Journalisten wird ebenfalls eingeschränkt, so dass auch eine kritische Berichterstattung schwieriger wird.

Ebenfalls 2008 wurde das <strong>BKA-Gesetz</strong> reformiert. Hierdurch wurden dem Bundeskriminalamt Befugnisse eingeräumt, die sonst nur Landespolizeien und Geheimdiensten zustanden. Neu geregelt wurden unter anderem die Befugnisse zur Gefahrenabwehr. Hierzu zählen die oben bereits genannten Raster- und Schleierfahndung, der Einsatz von verdeckten Ermittlern, der Lauschangriff (auch innerhalb Wohnungen von dritten Personen), Videoüberwachung innerhalb der Wohnung, sowie das heimliche Betreten von Wohnungen. Insbesondere wurde aber auch die Möglichkeit zur (heimlichen) Online-Durchsuchung von Computern geschaffen. Insbesondere der letzte Punkt wird als besonders problematisch angesehen und es ist noch ungeklärt, ob er nicht schlicht verfassungswidrig ist.

Als letzte Maßnahme wurden 2009 die sogenannten <strong>Internetsperren</strong> eingeführt. Durch das "Gesetz zur Erschwerung des Zugangs zu kinderpornographischen Inhalten in Kommunikationsnetzen" sollen Provider in Deutschland verpflichtet werden, den Zugang zu vom Bundeskriminalamt vorgegebenen Webseiten mit strafbaren Inhalten (insbesondere Kinderpornografie) zu erschweren. Abgesehen davon, dass die geplanten Sperren nicht nur leicht umgangen werden können, verhindern sie auch nicht die Veröffentlichung von Kinderpornografie. Außerdem greift das Gesetz laut Expertenmeinungen in mindestens vier Grundrechte ein: Das Fernmeldegeheimnis, das Recht auf informationelle Selbstbestimmung, die Informationsfreiheit und die Berufsfreiheit (des Providers). Eine unabhängige Prüfung der vom BKA erstellten Sperrlisten ist bis dato nicht vorgesehen. Das ist besonders problematisch, weil sich die genannten Sperren auch zur Zensur von anderen unerwünschten Inhalten eignen.

Insbesondere die Gesetze der letzten 2 oder 3 Jahre halte ich für sehr gefährlich, da wir uns durch sie langsam aber sicher in die Richtung eines Staates bewegen, der alle seine Bürger überwacht, egal ob dafür ein Grund besteht oder nicht. Auch die für eine Demokratie so wichtige Gewaltenteilung wird in Teilen aufgeweicht.

Ich hoffe, ich habe alle diese Gesetze und deren Auswirkungen hier richtig dargestellt. Ich bin kein Jurist und konnte mir die Informationen nur aus verschiedenen Quellen (hauptsächlich und wie könnte es anders sein - aus der Wikipedia) zusammensuchen. Vermutlich habe ich sogar noch den einen oder anderen Punkt vergessen. Darum freue ich mich natürlich über jeden Hinweis.


  • [MS Piraten] Grund- und Bürgerrechte (vorsicht, langer Text ;-), Thomas Walter, 09.09.2009

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