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- From: Gunnar Kaestle <gunnar.kaestle AT gmx.net>
- To: AG Energiepolitik <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>, AG-Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Buch zu Steinkohle
- Date: Sat, 12 Oct 2019 16:36:57 +0200
Hallo Hanns-Jörg,
beim Thema Kohle, fällt mir immer eine Arbeit von Prof. David Rutledge
ein, der kein Bergbauingenieur ist, sondern ein Elektrotechniker, der
sich auf Signalverarbeitung versteht. Der hat ganz einfach die
vergangenen Förderdaten in den verschiedenen Kohleförderregionen
genommen und sie mit der logistischen Wachstumskurve gefittet.
Estimating long-term world coal production with logit and probit
transforms, 2011
https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0166516210002144
(Open Access). Ein Update hat er letztes Jahr hier gegeben
http://www.its.caltech.edu/~rutledge/Rutledge2018ACS.pptx
Was mich beunruhigt, und das schreibt er nicht so deutlich, ist der
Wendepunkt der kumulierten Förderung. Der Wendepunkt ist erreicht, wenn
der Logit wert 0 erreicht. Die Ableitung der logistischen Kurve, die
bekannte Glockenkurve, hat dann ihr Maximum erreicht. Mathematische
Theorie und bergbauliche Praxis können zwar noch ein paar Jahre
auseinander liegen (Messfehler + Rauschen), der Zeitpunkt der Peak
Produktion weicht von der theoretischen Halbzeit ab (vgl. Tab. 2 im
Paper). Dennoch war ich überracht, wo t_50 (Halbzeit) gemäß seiner
gefitteten Kurven nicht nur bei Kohle, Erdöl und Erdgas liegen.
Auf Seite 25 (Combining the Fossil Fuels) der obigen
Powerpointpräsentation schreibt er für t_10 und t_90 - also dem Jahr,
in dem erst 10% der förderbaren Mengen gehoben wurde, und dem Jahr in
dem noch 10% verblieben sind, und woraus sich per Mittelwert aufgrund
Spiegelsymmetrie der S-Kurve der t_50 Wert bestimmen lässt:
(1977 + 2080)/2 = 2028,5 Kohlenwasserstoffe
(1947 + 2066)/2 = 2006.5 Kohle
(1968 + 2075)/2 = 2021.5 Gesamt
Das ist für mich ein starker Indikator, dass man in den 2020er Jahren
mit einem Peak der fossilen Brennstoffe rechnen muss. Aus Ökosicht ist
das durchaus zu begrüßen, allerdings kommt es bei den wirtschaftlichen
Auswirkungen darauf an, wie der Weg vom Berg runter gestaltet ist.
Entweder wird es immer schwieriger Kohle, Erdöl- und -gas zu fördern,
die Mengen gehen zurück und bei bleibender Nachfrage schiesst der Preis
in die Höhe - sowas haben wir 2008 erlebt, incl. einer weltweiten
Wirtschaftskrise. Oder, was ich bevorzugen würde: die Nachfrage wird
getrieben durch Substitute aus erneuerbaren Energien aktiv reduziert und
sinkt schneller als eine mögliche Abfahrt auf dem Peak Oil, Gas & Coal
Hügel (4-6% ist der Decline beim Öl). Das hält die Preise in Schach und
die finanzielle Unterstützung von erneuerbaren Energien hilft nicht nur
beim Kampf gegen den menschgemachten Klimawandel, sondern ist auch eine
Abwehrstrategie gegenüber wirtschaftlichen Krisen. Zur Bedeutung der
Energie (genauer gesagt: Exergie) als Produktionsfaktor empfehle ich:
http://www.umsteuern-mit-energiesteuern.de/pdf/produktionsfaktor_energie.pdf
Was ich sagen will: die gezielte und gewollte Abkehr vom Öl, als derzeit
dem teuersten der drei fossilen Brennstoffe, im wesentlich den Umbau des
Verkehrssektors ist nicht nur aus Umweltgesichtspunkten geboten und
würde helfen, dass die deutsche Automobilindustrie nicht vollständig den
Anschluss verliert, sondern ist auch eine Versicherungsprämie gegenüber
Preisschwankungen beim Import dieser Rohstoffe, die wie (noch) in hohem
Maße benötigen.
https://ag-energiebilanzen.de/index.php?article_id=29&fileName=energieflussbild-2017_pj_lang_de_20190529.pdf
(DE 2017: 13,5 EJ Primärenergieverbrauch, davon 1,8 EJ Grün)
Den ganzen klagenden Politikern: "Energie muss billig bleiben",
"Energiewende darf nicht zu teuer werden" "Langsam, langsam" kann man
nur entgegenhalten: Habt ihr mal ausgerechnet, wie teuer es werden kann,
wenn wir es nicht rechnen. Und damit meine ich nicht die Auswirkungen
des Klimawandels im Jahr 2100, sondern die Dreissiger Jahre, wenn wir
die Zwanziger Jahre mit Nichtstun verschlafen.
Mit Clausthaler Glückauf,
Gunnar
Am 30.09.19 um 14:40 schrieb Hanns-Jörg Rohwedder:
Moin,
kam über eine Kohle-Aktivisten-ML:
Das Steinkohle Buch des deCOALonize Bündnis „Still Burning – Vom Kampf
gegen die Steinkohleindustrie ist jetzt druckfrisch und versandbereit :).
Bestellt werde kann es hier:
https://www.robinwood-shop.de/de/infomaterial/brosch%C3%BCre-still-burning-steinkohle
Das Pdf findet ihr hier:
https://decoalonize-europe.net/wp-content/uploads/2019/09/Still-Burning.pdf
Auf 164 Seiten werden die Bedingungen in den Abbauländern, die globale
Lieferkette und die Nutzung der Steinkohle beschrieben. Außerdem liefern
die Texte aktuelle Hintergrundinformationen zu Kraftwerksbetreibern,
Kohlehäfen und Transportwegen der Kohle und zeigen die globalen
zerstörerischen Folgen der Steinkohleindustrie.
Das Buch ist ein Gemeinschaftsprojekt von Autor*innen aus dem Umfeld von
deCOALonize Europe. Seine Veröffentlichung wurde unterstützt durch
ausgeCO2hlt, Gegenstrom Hamburg, ROBIN WOOD, Klimavernetzung Ruhr, Ende
Gelände Hamburg und dem Coal Action Network.
Fröhliches Lesen!
Hanns-Jörg
--
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- Re: [Ag-umwelt] [Energiepolitik] Buch zu Steinkohle, Gunnar Kaestle, 12.10.2019
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