ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Ag-umwelt mailing list
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- From: Jürgen Grahl <juergen.grahl AT gmx.de>
- To: Moritz Richter <mmarichter AT aol.com>, Eric Manneschmidt <eric.manneschmidt AT gmx.de>, energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de, AG Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>, AG Steuerpolitik <ag-steuerpolitik AT lists.piratenpartei.de>, Johannes Nix <johannes.nix AT gmx.net>, Gunnar Kaestle <gunnar.kaestle AT tu-clausthal.de>, Peter Gerster <peter AT gerster.info>, Hartmut Ernst <pirates AT email.de>, danebod AT arcor.de, Manfredo Mazzaro <mazzaro AT gmx.de>
- Cc: Jürgen Grahl <juergen.grahl AT gmx.de>, Wolf von Fabeck <sfv-fabeck AT gmx.de>
- Subject: Re: [Ag-umwelt] Umsteuern mit Energieabgaben
- Date: Wed, 22 Aug 2012 10:36:48 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
- List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>
Hallo allerseits,
Einige Anmerkungen zu der Diskussion der letzten Tage:
1.) Zum Vorschlag von E. Manneschmidt:
Prinzipiell hat die Verbindung von Primär- und Endenergiesteuer durchaus
ihren Charme, führt insbesondere beide Begründungsansätze für Energiesteuern
(Internalisierung externer Kosten und Beseitigung der Schieflage Arbeit -
Energie) zusammen. Prinzipielle Einwände habe ich an zwei Punkten:
a)
> Einnahmen werden komplett als Sockeleinkommen an die Bevölkerung
> ausgeschüttet.
Dies würde bedeuten, dass die Unternehmen keine Kompensation für die (massiv)
steigenden Energiekosten erhalten; angesichts einer im internationalen
Wettbewerb stehenden Wirtschaft ist dies völlig illusorisch: Es würde die
internationale Wettbewerbsfähigkeit stark beeinträchtigt und letztlich wohl
zerstört werden - und zwar über alle Branchen hinweg: in den einen
(energieintensiven) schlimmer, in anderen (arbeitsintensiven) weniger
schlimm. Dies wäre der beste Weg, die Energiesteueridee als in der Praxis
verheerend vorzuführen. Dass die deutsche Wirtschaft derzeit eher "zu
wettbewerbsfähig" ist (-> Exportüberschüsse!), ändert daran nicht viel, denn
dieser Vorteil wäre bei einer Energiesteuerreform in relevanten
Größenordnungen sehr schnell aufgezehrt.
Anders sähe es natürlich im Falle einer europaweiten Energiesteuerreform aus,
die man durch Grenzausgleichsabgaben an den Außengrenzen der EU abfedern
könnte. Aber das ist hypothetisch; im Gegenteil: Der Weg zu einer
europaweiten Lösung muss durch nationale Vorreiterrollen gebahnt werden;
diese können nur funktionieren, wenn es auch Gewinner-, nicht nur
Verliererbranchen einer solchen Reform gibt - und dies wiederum ist nur dann
der Fall, wenn es eine Entlastung der Unternehmen bei den Arbeitskosten gibt.
> Im Prinzip ein toller Vorschlag aber dann bitte konsequent auch auf
> Importwaren anwenden und die dort fuer Herstellung und Transport
> aufgewendete Energie welche nicht nach deiner Methode versteuert wurde beim
> Import besteuern
>
> Ansonsten sorgt dein Vorschlag nur dafür dass hier die Produktion ins
> Ausland verschwindet.
Genau. (Und beim Export muss man in umgekehrter Richtung verfahren.) Nur ist
das angesichts des europäischen Binnenmarktes eben nicht mehr auf nationaler,
sondern (leider!) nur noch auf europäischer Ebene möglich.
b)
> Wir wissen nicht 100%ig welche die besten Alternativen sind (das verändert
> sich nämlich auch mit wissenschaftlichen und technischen Fortschritten).
> Deshalb kann man mit einer Verteuerung der "bösen Energien" viel weniger
> falsch machen, als mit einer Förderung der Alternativen/der "guten
> Energien". [...] Die politische Akzeptanz dürfte daher viel höher sein (ich
> kenne durchaus begeisterte Anhänger der Erneuerbaren, die gegen das EEG
> wettern).
Mir ist nicht ganz klar, worauf Sie mit diesen Ausführungen hinauswollen,
aber nur so viel: Energiesteuern sind toll und können viel, aber sie stellen
kein geeignetes (oder bestenfalls ein sehr suboptimales) Instrument zur
Markteinführung erneuerbarer Energien dar, hauptsächlich deshalb, weil sie
nicht zwischen verschiedenen Technologien differenzieren. (Mit Energiesteuern
und ohne das EEG wäre z.B. die Photovoltaik nie so weit gekommen, wie sie
heute ist.) Weitere Gründe finden sich unter
http://www.umsteuern-mit-energiesteuern.de/artikel/stromsteuerbefreiung.html.
Und die angeblich (!) bessere politische Akzeptanz darf kein Grund sein,
einem suboptimalen Instrument den Vorzug zu geben: Den Fahrtwiderstand
minimiert man auch am gründlichsten dadurch, dass man ganz stehenbleibt… ;-)
2.) Zur Frage der Besteuerung auch Erneuerbarer Energien (EE)…
… schrieb J. Nix:
> Ich sehe nach wie vor kein zwingendes Argument, warum man Erneuerbare _vor_
> der Herstellung einer nichtfossilen Versorgungssicherheit besteuern muss.
Man muss natürlich nicht "zwingend"; aber es gibt umgekehrt keinen
nennenswerten Vorteil, es nicht zu tun: Die produktionstheoretische
Begründung von Energiesteuern gebietet es, langfristig auch die EE zu
besteuern. Davon abzuweichen, ist nur im Sinne einer schnelleren
Markteinführung der EE sinnvoll. Da bringt aber zumindest im Strombereich
eine Steuerbefreiung für EE wenig, weil sich die Wirkungen von EEG und
Steuerbefreiung nicht addieren. Ebenfalls ausführlich in
http://www.umsteuern-mit-energiesteuern.de/artikel/stromsteuerbefreiung.html
erläutert. (Der Artikel ist zwar 10 Jahre alt und in manchen Punkten nicht
mehr ganz aktuell, die Kernideen gelten aber auch heute noch.)
3.) Zu den Ausführungen von M. Richter zur "Theorie":
> Gunnars Erklärungen auf dem Energiecamp zum Solow Growth Model (
> http://www.umsteuern-mit-energiesteuern.de/artikel/arbeitsentlastungssteuer.html
> )habe ich so interpretiert, dass es langfristig am besten für die
> Wohlfahrt in einer Volkswirtschaft ist, wenn Arbeit, Energie und Kapital in
> gleichem Maße (Abgaben-)belastet werden.
> Momentanes Problem ist nun, dass Arbeit überdurchschnittlich durch
> Sozialabgaben belastet sind, während Energie zu billig ist, da die externen
> Kosten nicht internalisiert sind. Darum soll nun Energie steuerlich
> belastet werden, um hier wieder einen Ausgleich zu schaffen.
Hier werfen Sie zwei unterschiedliche Begründungsansätze in einen Topf:
a) ökologische Begründung: Energie ist zu billig wegen fehlender
Internalisierung externer Kosten - dies gilt aber nur für nicht-erneuerbare
Energien (die externen Kosten der EE sind fast vernachlässigbar).
b) ökonomische (genauer: produktionstheoretische Begründung): Energie ist,
gemessen am Verhältnis Faktorkosten - Produktionselastizitäten, im Vergleich
mit Arbeit zu billig. Dies gilt unterschiedslos für EE und fossil-nukleare
Energie.
Daher ist es auch nicht ganz exakt, dass
> es langfristig am besten für die Wohlfahrt in einer Volkswirtschaft ist,
> wenn Arbeit, Energie und Kapital in gleichem Maße (Abgaben-)belastet werden
Präziser wäre: … wenn die Besteuerung möglichst dafür sorgt, dass
Faktorkostenanteile und Produktionselastizitäten einigermaßen übereinstimmen.
(P.S.: Wie ich gerade sehe, hat Herr von Fabeck hierzu bereits näher
geantwortet.)
> Wenn man also konsequent die Lohnnebenkosten auf 0 senken würde und wenn
> irgendwann regenerative Energie (ohne externe Kosten) zu 100% zur Verfügung
> stehen würde, gäbe es tatsächlich keine sinnvolle Begründung mehr, diese
> Energie zusätzlich zu besteuern.
Doch, die Begründung b)
> Die Energie wäre dann nicht mehr "böse" und eine Verschiebung von Arbeit
> auf Energie (die dann jedoch wahrscheinlich deutlich teurer wäre)
> tatsächlich auch, weil es nicht unbedingt Sinn macht, Menschen in Arbeit zu
> halten nur um des Arbeitens Willen. (Die Arbeit, die durch Energie ersetzt
> werden kann, ist oft auch nicht die schönste).
Das geht am Kern der Sache vorbei: Bei der Substitution von Arbeit durch
Energie geht es längst nicht mehr in erster Linie um eine direkte
Substitution schwerer, gefährlicher oder monotoner Arbeiten durch
Energiesklaven (eine solche Substitution wollen wir natürlich nicht
rückgängig machen), sondern es geht vor allem um eine indirekte Substitution,
bei der sinnvolle und gesellschaftlich erwünschte Tätigkeiten unterbleiben
und sich der Schwerpunkt des Wirtschaftens dafür in Richtung Massenproduktion
von energieintensiven Wegwerfgütern verlagert. Siehe hierzu W. von Fabeck,
Arbeitsplätze und soziale Gerechtigkeit - Aber wie?
(http://www.sfv.de/lokal/mails/wvf/arbeitun.htm) und dort insbesondere den
Abschnitt "Arbeitslosigkeit entsteht auf unterschiedliche Weise".
> Eigentlich müsste man "nur" ausrechnen, wie hoch die
> externen/gesellschaftlichen Kosten sind, eine Einheit eines speziellen
> Primärenergieträgers zu verwenden und dementsprechend einen Steuersatz zu
> wählen. Praktisch ist das wahrscheinlich unmöglich, da es zum einen auf
> völlig unterschiedlichen Feldern zu externen Kosten kommt und zum anderen
> die externen Kosten natürlich pro Energieträger, aber auch individuell ganz
> unterschiedlich sind. So sind die externen Kosten von leicht zu
> erschließendem Erdgas höchstwahrscheinlich anders zu beziffern, als externe
> Kosten von Erdgas, welches mittels Fracking gewonnen wurde.
Das ist genau das Problem: Die externen Kosten sind nicht auch nur halbwegs
zutreffend zu quantifizieren. Es gibt umfangreiche Arbeiten dazu (führender
Experte: Olav Hohmeyer, Flensburg), aber die Ergebnisse hängen erheblich von
den zugrundeliegenden Modellannahmen ab und sind als Basis eines breiteren
Konsenses wenig tauglich. Zudem sind die Abschätzungen - wie es sich für
seriöse Wissenschaft gehört - sehr konservativ und dürften die tatsächlichen
Folgekosten der Klimaveränderung bei weitem unterschätzen.
Die durch die Schieflage Arbeit - Energie gebotene Umschichtung der
Steuerlast ist weitergehend als die zur Internalisierung der externen Kosten
erforderliche und deckt insofern "nebenbei" die externen Kosten auch mit ab.
4.) Zu den Überlegungen von M. Richter zur Besteuerung von Endenergie:
> Klingt zunächst einfach und logisch, ist es aber überhaupt nicht. Zum einen
> hat es mit den physikalischen Eigenschaften von Energie zu tun; Energie
> lässt sich gar nicht verbrauchen, sondern nur umwandeln. Aus diesem Grund
> braucht man einen definitorischen Punkt, an dem man die Energie misst,
> bevor sie dem finalen Verwendungszweck zugeführt wird. Das mag beim Strom
> noch am einfachsten möglich sein, aber sonst? Eigentlich ein Ding der
> Unmöglichkeit, wenn man mal 2 Minuten drüber nachdenkt.
Im Prinzip richtig. Deshalb müsste man, wenn man präzise ist, eigtl. (fast)
überall das Wort "Energie" durch "Exergie" ersetzen.
> Zum anderen muss man die Energie nicht nur theoretisch messen können,
> sondern sie muss auch tatsächlich praktisch mit angemessen niedrigem
> Aufwand messbar sein, um sie einer Besteuerung zu unterziehen. Dies ist
> eigentlich auch nur bei Brennstoffen möglich, die im Handel verkauft werden
> und bei Strom, der aus dem Netz kommt.
… oder z.B. auch bei Strom, der aus einer mit dem Netz verbundenen Anlage
stammt, egal ob diese komplett ins Netz einspeist oder nicht.
> Und da hört es schon auf: Energie aus Wärmepumpen oder Solaranlagen;
> Energie, welche für den Eigenverbrauch gewonnen wird, etc. lässt sich zum
> einen nur mit verhältnismäßig hohem Aufwand messen.
Solche Energie soll natürlich auch nicht besteuert werden - nicht nur wegen
des Aufwands, sondern vor allem, weil hier weder Begründung 3. a) noch 3. b)
greift: Sie ist erneuerbar (deshalb greift 3a) nicht ), und sie hat - wenn im
privaten Haushalt gewonnen und zur Heizung und Warmwasserbereitung eingesetzt
- keine Bedeutung als Produktionsfaktor (deshalb greift 3b) nicht).
Anders sieht das natürlich aus, wenn die Solarthermie-Anlage auf einem
Fabrik-Dach steht und gewerblich genutzte Energie liefert. Das ist aber kein
schwierigeres Abgrenzungsproblem als bei der menschlichen Arbeit heute: Wenn
ich privat koche, ist das steuerfrei, wenn ich von Beruf Koch bin, muss ich
Lohnsteuer zahlen. Und tendenziell sind Energieströme natürlich leichter zu
messen und schwerer zu verbergen als der Einsatz menschlicher Arbeitskraft.
Viele Grüße,
Jürgen Grahl
- Re: [Ag-umwelt] Umsteuern mit Energieabgaben, Jürgen Grahl, 22.08.2012
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