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ag-umwelt - Re: [Ag-umwelt] Warum gibt es keine Erfolge in der Politik der Nachhaltigkeit

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Betreff: Ag-umwelt mailing list

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Re: [Ag-umwelt] Warum gibt es keine Erfolge in der Politik der Nachhaltigkeit


Chronologisch Thread 
  • From: Johannes Nix <Johannes.Nix AT gmx.net>
  • To: ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [Ag-umwelt] Warum gibt es keine Erfolge in der Politik der Nachhaltigkeit
  • Date: Sat, 14 Apr 2012 18:34:54 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Hallo,

>
> Warum ich das schreibe? Meine Argumentation lehnt sich an die von
> Johannes Nix auf dieser Liste an. Wenn wir in Zukunft mit einer um 6%
> pro Jahr schwindenden Energieversorgung mit fossilen Energieträgern
> zu rechnen haben (und das ist postiv gerechnet, da die Menge der noch
> verbleibenden Reserven sicher geschöhnt sind) dann müssen wir mit
> einem Schrumpfen der globalen Wirtschaft mit diesem Faktor rechnen
> sofern sich diese nicht von der Fossil-Abhängigkeit löst.

Dazu möchte ich etwas weiter ausführen, weil ich nicht sicher
bin, ob die Tragweite einer solchen Verminderung allgemein klar ist.

Als Visualisierung kann man sich einmal diese Grafik der
Internationalen Energieagentur anschauen:

http://www.heise.de/tp/artikel/33/33646/1.html

Ein Absinken der Ölförderung, so die IEA, lässt sich nur
vermeiden, wenn in den nächsten Jahren mit steigender
Tendenz neue Ölquellen gefunden und erschlossen werden.
Der benötigte Umfang an neuen Funden ist jedoch nicht realistisch,
er müsste in wenigen Jahren den doppelten Umfang Saudi-Arabiens
umfassen - so viel wurde etwa seit 1970 nicht gefunden,
und die Funde gehen seitdem stetig zurück!

Hier noch ein Vergleich verschiedener Prognosen;
die der IEA gehört zu den eher optimistischen:

http://bit.ly/H887y0

Wie stark könnte sich nun ein Zurückbleiben des
Angebots um 6 % (um einfach mal eine Hausnummer zu verwenden)
jährlich auswirken? Als einen Datenpunkt kann man nutzen, dass
während der Ölkrise von 1973 die OPEC die Fördermenge
länderspezifisch um 5% - 25 % kürzte und den Ölpreis anhob; in einem
halben Jahr vervierfachte sich der Preis. Die
Preiselastizität beim Erdöl ist also extrem niedrig.

Weiter hat sich seit dem Jahr 2000 der Ölpreis etwa verfünffacht.
Es ist also nicht irrational, bei einem Zurückfallen der Förderung
mit einem Anstieg der Ölpreise um ein Vielfaches zu rechnen.

Unter Ökonomen ist nun die Vorstellung populär, dass bei einer
allgemeinen Verknappung und Verteuerung von Energie der Markt die Dinge
schon regeln wird - höhere Energiekosten treiben eine Erschließung
neuer Quellen und Effizienztechnologien. Prinzipiell stimmt das,
der Effekt reicht aber nicht mehr aus, wenn die Folgen einer
Energieknappheit anfangen, die vielfältigen Rückkopplungen im
ökonomischen Geschehen zu beeinträchtigen. Es kann dann sehr
wohl zu einem systemischen Zusammenbruch kommen, bei dem
sich die Gesellschaft eine weitere Erschließung von Energiequellen
oder gerade jene Investitionen, die für Effizienzsteigerungen
nötig sind, nicht mehr leisten kann.

Um diese recht abstrakte Formulierung mal in einen bildhaften
Zusammenhang zu stellen: Wenn ich einen Organismus nehme,
z.B. einen Löwen, und drücke dem Löwen die Halsschlagader ab,
so dass gerade nur noch 50 % des Sauerstoffs zur Verfügung stehen,
dann kommt eben kein um 50 % kleinerer Löwe heraus, der sich
flott an den Sauerstoffmangel anpasst. Sondern die
ineinandergekoppelten, gegenseitig voneinander abhängigen
Subsysteme wie Atmung, Herzschlag, Stammhirn etc versagen
ab einem bestimmten Punkt einfach.

> Da an die
> Tilgung der gigantischen Schuldenberge nur über ein
> Wirtschaftswachstum überhaupt gedacht werden kann ist unvermeidlich,
> angesichts eines globalen Schrumpfens des Wirtschaftswachstums eine
> gewaltige Krise auf uns zu rollt.

Das könnte einer der Gründe sein, warum die Auseinandersetzung
mit dem Thema, wo in Zukunft die Energie eigentlich herkommen
soll, eher vermieden wird. Das sind eben auch angstbesetzte
Themen.

Es gibt einige Stimmen, welche die Finanzkrise von 2009
in direktem Zusammenhang sehen mit dem starken Anstieg
der Ölpreise vor dieser Krise, beispielsweise Jürgen
Wiemann:

http://www.dw-world.de/dw/article/0,,5808174,00.html

"Auch die globale Finanzkrise deutet auf das Nahen von Peak Oil hin.
Während die Ökonomen noch zu verstehen versuchen, warum das aus ihrer
Sicht völlig rational funktionierende Weltfinanzsystem an den Rand des
Kollapses geraten konnte, und dabei einige axiomatische Grundlagen
ihrer Disziplin in Frage stellen, gehen nur wenige so weit, den
drastischen Ölpreisanstieg im Jahr zuvor dafür verantwortlich zu
machen. Das eigentlich Naheliegende fällt der akademischen
Volkswirtschaftslehre so schwer, weil sie die bio-physikalischen
Grundlagen des Wirtschaftsprozesses, also den Stoffwechsel moderner
Gesellschaften, aus ihren Modellen ausblendet. Dabei liegt der
Zusammenhang auf der Hand. Schließlich war in den Jahren zuvor der
Ölpreis bis auf 150 US-Dollar pro Barrel geklettert und hatte mit den
steigenden Kraftstoffpreisen auch die Nahrungsmittelpreise in die Höhe
getrieben. Je teurer die Autofahrt zur Arbeit wurde, umso schneller
gerieten die mit riskanten Hypothekenfinanzierungen zum Erwerb von
suburbanen Häusern verleiteten unteren Mittelschichten in den USA in
Zahlungsverzug, und die Hypothekenkrise nahm ihren Lauf. Einmal mehr
erwies sich der Ölpreis als Schlüsselgröße für die auf fossiler
Energie basierende industrielle Zivilisation."



Volker schreibt:

>
> Die Industrie hat noch gewaltige Einsparpotentiale im
> Energieverbrauch, musste sie doch als jeder Regierung liebster Kind
> nie wirklich Strom sparen.
>
> """
> Glaubt man Georg Honsel, der in der jüngsten Ausgabe der
> deutschsprachigen Technology Review über Energieeffizienz in der
> Industrie schreibt, haben die wenigsten Manager Ahnung davon, wo in
> ihrem Betrieb wie viel Energie verbraucht wird, geschweige denn, dass
> sie den Verbrauch beim Einkauf neuer Maschinen berücksichtigen würden.
> Dabei sei diese Ignoranz auch ökonomisch unsinnig. Bei Pumpen würden
> die Energiekosten über die ganze Lebensdauer immerhin 70 Prozent
> ausmachen, die Anschaffungskosten hingegen nur zwölf Prozent.

Es gibt beispielsweise auch große Einsparmöglichkeiten im
Bereich Pneumatik und Hydraulik. Viele Maschinen, z.B.
Werkzeugmaschinen, müssen auch gekühlt werden, diese
Kühlungen sind oft überdimensioniert und sehr energieaufwändig.
Im Maschinenbau werden nach meinen Informationen normalerweise
keine Effizienzmaßnahmen genutzt, die länger als zwei Jahre
brauchen, um sich zu amortisieren; typische Industrieanlagen
sind aber oft 20 Jahre in Betrieb.

Insgesamt halte ich Einsparungen von 30% bis 50 % für gut
machbar. Das würde dann sechs bis zehn Jahre Zeit gewinnen.
Industrieverbände wie der VDMA sind solchen Themen gegenüber übrigens
aufgeschlossen, da Energieeffizienz ja auch ein Wettbewerbsvorteil
wird.

>
> Diese Einsparpotentiale werden sicher 50% betragen. Trozden werden
> sie einen jährlichen Schwund der Primärenergie von 6% nciht auffangen
> können.
>
> Selbst die Naßnahmen zur Verringerung des Energiebedarfs in der
> Industrie werden sicher auf den Endkunden umgelegt.

Auch das wird nicht gehen, weil die Endkunden gleichzeitig steigende
Heizkosten sowie stark steigende Treibstoffpreise
bewältigen müssen. Das verfügbare Einkommen sinkt
damit.

Wenn man diese Zusammenhänge betrachtet, kann man sich
nur fragen, was die Beteiligten geritten hat, den Absatz
von PKW mit einer Verschrottungsprämie aka "Abwrackpauschale"
zu fördern. Kurzzeitig half das sicherlich der Automobilindustrie,
die 2009 kurz vor dem Kollaps zu stehen schien.
Der Langzeiteffekt ist jedoch, sowohl die Verschuldung
als auch die Verwundbarkeit niedriger und mittlerer Einkommensschichten
gegenüber Ölpreiskrisen zu erhöhen. Selbst ein Programm,
das Geringverdienern den Umzug in eine näher am
Arbeitsort gelegenen Wohnung finanziert hätte, wäre wohl
volkswirtschaftlich sinnvoller gewesen, weil das so
eingesparte Geld eher im Land bliebe.

Auch die Pendlerpauschale ist eher eine Subventionierung
der fossilen Abhängigkeit. Es sind zwar Wege mit allen
Verkehrsmitteln mit dem gleichen Betrag pro Kilometer
abzugsfähig, aber mit dem PKW werden im Mittel
größere Strecken zurückgelegt als mit dem Fahrrad oder
ÖPNV, in vielen Fällen sicher auch weil sich diese
letzteren Arbeitnehmer bewusst zu sparsameren Verhalten
entschieden haben.


Meine Stoßrichtung mit dem Positionsentwurf zu Peak Oil ist nun,
dass man diese Probleme nicht ohne weiteres "lösen" kann
- dazu wäre ein viel umfassenderer Prozess nötig, der
auch die Frage neu stellt, was wir mit unserem
Wirtschaften eigentlich erreichen wollen, was unsere Zivilisation
ausmacht. Allerdings ist es eben *sehr wohl* möglich, die massiven
wirtschaftlichen Risiken welche eine Ölknappheit darstellt, mit
konkreten Maßnahmen gezielt zu verringern. Die Zusatzkosten, sofern
welche anfallen, kann man als eine Art volkswirtschaftliche
Versicherungsprämie veranschlagen.
Und diese Maßnahmen würden weiter gehen als eine Umstellung der
Stromerzeugung, fügen sich aber m.E. in die von den Piraten
bisher formulierten Ziele für die Energiewende sinnvoll ein.


Ich denke, dass so eine Risikovorsorge auch psychologisch
sinnvoll ist, weil sie einerseits die von Volker
beschriebenen Barrieren zum Handeln (und damit das Gefühl
eines mehr oder weniger hilflosen Ausgesetztseins) durchbricht.
Und andererseits auch die Frage stellt, wie die
Zukunft gestaltet werden soll.


Johannes







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