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ag-landwirtschaft - [Ag-landwirtschaft] Bericht über das Fachgespräch Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung

ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Landwirtschaft

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[Ag-landwirtschaft] Bericht über das Fachgespräch Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung


Chronologisch Thread 
  • From: "Pirat Wolfgang" <pirat AT wolfgang-zerulla.de>
  • To: <ag-landwirtschaft AT lists.piratenpartei.de>, <ag-tierschutz-landwirtschaft AT lists.piraten-nds.de>
  • Subject: [Ag-landwirtschaft] Bericht über das Fachgespräch Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung
  • Date: Tue, 29 May 2012 23:01:57 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-landwirtschaft>
  • List-id: <ag-landwirtschaft.lists.piratenpartei.de>

Hallo zusammen,

zur Info und im Sinne der Transparenz sende ich euch nachstehend meinen
Bericht von dem Fachgespräch Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, das am
Freitag in den Fraktionsräumen der Grünen im Nds. Landtag stattgefunden hat
und an dem ich als Zuhörer teilgenommen habe.
Es wurde uns zugesagt dass die Referate ins Internet gestellt werden und alle
Teilnehmer im Laufe der Woche die Links dazu bekämen. Sobald ich diese habe
werde ich den Bericht, ergänzt um die Links, im Wiki der Nds.-AG
Landwirtschaft Tierschutz Ernährung Verbraucherschutz unter "Protokolle"
einstellen.

Noch zwei Infos für eine transparente AG-Arbeit:
Am Sa. d. 21.07. findet, wie bereits mitgeteilt, der "Tag der Tierschützer"
in Hannover statt. Veranstalter ist der AK Tierschutz der SPD. Neben der AG
Land & Tier der Grünen kann auch unsere Nds.-AG dort einen Stand aufbauen.
Ich werde auf jeden Fall den ganzen Tag (10:00 bis 18:00 Uhr) dort sein. Es
wäre schön wenn mich ein oder zwei Piraten aus der AG dort unterstützen
könnten. Das könnten zwar auch Piraten hier aus dem Regionsverband, die sind
aber nicht so in den Themen drin.

Bei der Veranstaltung am Freitag habe ich weitere Kontakte zur AG Land & Tier
der Grünen geknüpft. Ich hoffe nun, dass der überparteiliche
Tierschutz-Stammtisch mit SPD, Grünen und Piraten bald realisierbar sein wird.

LG

Wolfgang


Bericht über das Fachgespräch Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung

Fr. 25.05.12 im Nds. Landtag. Veranstalter: Fraktion Grüne Niedersachsen
Christian Meyer, MdL, Sprecher für Landwirtschaft, Verbraucher- und Tierschutz
Beginn 15:00, Ort: Nds. Landtag.

Referenten:
Prof. Dr. Wolfgang Witte, Robert-Koch-Institut
Dr. med. Thomas Fein, BI Norden
Peter Knitsch, Ministerium für Klima, Umwelt, Landwirtschaft NRW
Dr. Hermann Focke, ehem. Leiter Vet.-Amt Cloppenburg
Reinhild Benning, Leiterin Agrarpolitik BUND
Dr. Thomas große Beilage, Bundestierärztekammer
Dr. Erwin Sieverding, Verband Nds. Geflügelwirtschaft


Einführung: Christian Meyer, MdL
Lt. Agrarstatistik Nds. gibt es 14.137.784 Legehennen, lt. Tierseuchenkasse
jedoch 17.915.660
Lt. Agrarstatistik Nds. gibt es 36.504.651 Masthühner / Broiler, lt.
Tierseuchenkasse jedoch 63.305.171

Die enormen Abweichungen zwischen Agrarstatistik und den der Tierseuchenkasse
gemeldeten Beständen lassen erhebliche Überbelegungen über die genehmigten
Stückzahlen hinaus vermuten.
85% bekommen Antibiotika, 26,6% sogar bis zu 8 verschiedene. Seit 2010 stellt
Frau Dr. Petermann, LAVES, steigenden Antibiotikaeinsatz fest.
Es gibt jährlich 400.000 – 600.000 Infektionsfälle durch MRSA-Keime in D.,
diese fordern jährlich ca. 40.000 Tote.
Lt. Untersuchungen der TiHo und der FU Berlin sind MRSA-Keime bei mehr als
60% der Hennen in konventioneller Haltung nachweisbar, jedoch nur bei 25% aus
Bio-Haltung.
Diese Keime sind noch in 500 – 600m Entfernung von den Ställen nachweisbar.
Deshalb haben die Grünen einen Antrag mit 14 Forderungen zur Reduzierung des
Medikamenteneinsatzes in der Tierhaltung in den Landtag eingebracht.

Die Niederlande haben ihren Antibiotikaeinsatz bereits um 1/3 reduziert. U.
a. werden dort die Lieferungen an die Betriebe erfasst, Betriebe mit hohem
Antibiotikaverbrauch werden bestraft und die Namen veröffentlicht.


Prof. Dr. Wolfgang Witte: Molekulare Strategien des Resistentwerdens von
Bakterien
Bei Bestandsbehandlung entstehen Resistenzen bei allen Bakterien, nicht nur
bei denen, die man behandeln will.
Antibiotika >Tiere >Oberflächenwasser >Bevölkerung
>Fleischprodukte >Nahrungsmittel
>Fäkalien, Abwasser > Kulturpflanzen
> Tierernährung
In Krankenhäusern sind insbesondere Kreuzresistenzen und Mehrfachresistenzen
gefährlich.
MRSA bei Tieren >Veterinärpersonal > Bevölkerung
> Landwirte
> Krankenhäuser > zurück zu den Tieren
Es gibt Stämme die nur bei Tieren und solche, die nur bei Menschen vorkommen.
Aber auch Stämme, die bei Mensch und Tier vorkommen.
Allein in Krankenhäusern passieren jährlich 45.000 Infektionen, seit Beginn
der Untersuchungen ist deren Anzahl deutlich gestiegen.
Eine Trennung zwischen Antibiotika die nur bei Menschen und solchen, die nur
bei Tieren angewandt werden ist nicht sinnvoll da sie die
Behandlungsmöglichkeiten zu sehr einschränken würde. Sie würde auch nichts
bringen da Resistenzen sich zwischen verschiedenen Stämmen übertragen.


Dr. med. Thomas Fein: Gefahren für die Bevölkerung durch die Massentierhaltung
Studie dazu ist nachzulesen unter www.bi-norden.de
Viren verbreiten sich über Bio-Aerosole. Stallluft enthält 120.000 x mehr
Keime als die Außenluft. Endotoxine sind in der Stallluft 1.000 x häufiger.
Hühnertrockenkot ist eine der stärksten Quellen für Endotoxine. Selbst die
Transportfahrzeuge für Hühner sind hochgradig kontaminiert. Auch hinter
Transportfahrzeugen sind daher schon deutlich erhöhte Konzentrationen
gemessen worden. Ursache ist der Stress beim Transport, der zum Zusammenbruch
der Darmschranke führt.
Die Aufnahme von Antibiotika über die Pflanzenwurzeln ist bereits seit den
50er Jahren bekannt. Gerade die niedrige Konzentration in den Böden führt
hier zu Resistenzen.
Das Fleisch im Einzelhandel ist bis zu 35 % (Puten) mit MRSA infiziert.
ESBL-Keime sind in der Tierzucht und beim Menschen zu 70% identisch.


Peter Knitsch: Ausmaß des Antibiotikaeinsatzes in der Tierhaltung
Antibiotika als Leistungsförderer sind seit 2006 verboten. Eine Studie des
NRW-Ministeriums in 2011 ergab das 91,6% aller Tiere mit Antibiotika
behandelt worden waren.
Untersucht wurden dabei 17,9 von 19 Mio. Tieren. Geprüft wurden 184 Betriebe,
davon hatten 165 Antibiotika verwendet. Geprüft wurden 984 Mastdurchgänge,
dabei wurden in 829 Mastdurchgängen Antibiotika eingesetzt.
Im Durchschnitt bekamen alle Tiere 2,6 Behandlungen mit 1 bis 8 Antibiotika.
Dabei wurden die Antibiotika, entgegen den Zulassungsbedingungen, im
Durchschnitt nur 1 – 2 Tage lang verabreicht.
Es wurden signifikante Unterschiede zwischen Betrieben und Mastdurchgängen
festgestellt.
Betriebsgrößen <16.000 haben seltener Antibiotika eingesetzt als Betriebe
>48.000.
Bei Mastdurchgängen von 50 – 70 Tagen wurden seltener Antibiotika eingesetzt
als bei Mastdurchgängen von 35 – 37 Tagen.
Forderungen:
1. Rechtliche Verankerung der Antibiotika-Leitlienien
2. Offenlegung der Vertriebswege
3. Rechtsgrundlage für eine Datenbank, in der alle Antibiotikaanwedungen
erfasst werden
4. Einführung eines Systems zur Begrenzung der Antibiotikamengen


Dr. Hermann Focke. Antibiotika – notwendige Begleiterscheinung der
Massentierhaltung?
Seit 1980 werden zunehmend Antibiotika eingesetzt weil der Infektionsdruck
immer höher wurde.
Ein Zusammenhang zwischen Betriebsgröße und Durchfallerkrankungen sowie
entsprechende Medikamentierung ist bei Schweinen bereits seit 1982 bekannt.
Bei Betriebsgrößen < 150 Tiere wurden nur 6% der Tiere gegen Durchfall
behandelt, bei Betriebsgrößen > 900 Tiere waren es 64% (Untersuchungszeitraum
1973 – 1982).
Die von den Herstellern empfohlenen Dosierungen je kg Lebendgewicht haben
sich bei den 3 meistverwendeten Antibiotika von 2002 bis 2010 verdoppelt bis
vervierfacht.

In der Geflügelmast werden Medikamente, die bspw. für 5 Tage verordnet
wurden, zur Wachstumsförderung auf 15 Tage gestreckt.um das gewünschte
Wachstumsdoping zu erzielen. Durch diese Unterschreitung der Dosis entstehen
Resistenzen.

Forderungen:
Änderung der Zuchtziele
Artgerechte Haltungsbedingungen
Andere, robustere Zuchtrassen

Schlusssatz: es gibt keinen Erkenntnismangel, es gibt nur ein enormes
Handlungsdefizit.

Reinhild Benning: Systemfrage Massentierhaltung – Ist die artgerechte
(Bio-)Haltung besser?
Die industrielle Tierhaltung bietet lt. FAO 2007 kein natürliches
Futterangebot und leidet unter geringem genetischem Potential der Tiere.
In der Schweinehaltung in Gruppen < 250 Tiere sind diese zu 40% mit MRSA
infiziert, in Gruppen > 500 Tiere zu 80%.

Eine große Infektionsquelle sind die Schlachthöfe, dort können auch Tiere aus
dem Bio-Bereich durch konventionell gemästete Tiere infiziert werden. Gerade
die Billiganbieter wie ALDI & Co. lassen oft in Bio-Schlachthöfen schlachten
weil sie dort eine gleichmäßig bleibende Verarbeitungsqualität bekommen.
Eine weitere große Infektionsquelle ist der Zukauf von Tieren, z. B. durch
die Mäster von den Züchtern oder der Mäster untereinander. Dänemark hat
transparente Datenbanken über Erkrankungen, Resistenzen und
Antibiotikaeinsatz. Da kann sich jeder Landwirt informieren bevor er Tiere
zukauft.
Der Selbstversorgungsgrad an Schweinefleisch liegt in D. bei 115%, in der EU
bei 110%. Auch bei Rind- und Geflügelfleisch liegt der Selbstversorgungsgrad
bei über 100%. Wachstumstreibender Faktor für die Geflügelproduktion ist der
Export. Die Subventionierung dieser Tierproduktion kostet allein in D.
jährlich 1 Mrd. €.


Dr. Thomas große Beilage: Wie kann der Antibiotikaeinsatz reduziert werden?
1. Erfassung des Arzneimitteleinsatzes
2. Statistische Auswertung
3. Regulierungsprogramme
4. Honorierung TA-Leistungen von Arzneimitteleinatz trennen
5. Erfahrungen anderer EU-Staaten einbeziehen
6. Diskussion über das Dispensierrecht: eine Abschaffung würde zu
Versorgungsengpässen führen
7. Effektive Überwachung der Betriebe und der Tierproduktion
8. Aufbau einer Datenbank


Dr. Erwin Sieverding: Antibiotikaverbrauch in D.
Antibiotikaverbrauch im Veterinärbereich 2005: 785t*, davon 20% für
Kleintiere und Pferde
2010: 1.000t, davon 30% für Kleintiere und Pferde
* zuzüglich weiterer 150t die als Masthilfen eingesetzt worden sind, was seit
2006 verboten ist.
Beim Antibiotikaeinsatz liegt D. im Mittelfeld, NL und F haben den weltweit
höchsten Antibiotikaeinsatz.
Gegenmaßnahmen:
1. Entwicklung von Impfstoffen die Erkrankung der Tiere vorbeugen
2. Fort- und Weiterbildung der Tierhalter
3. Ausrichtung der Zucht auf Gesundheit, ggf. auch unter Leistungseinbußen
4. Erfassung der betrieblichen Antibiotikaeinsätze


Nach jedem Referat konnten den Referenten Fragen gestellt werden.


Schlussdiskussion:
In der anschließenden Schlussdiskussion konnten noch mal Fragen an alle
Beteiligten gestellt werden.

Reinhild Benning: in Dänemark wurde das Dispensierrecht aufgehoben. Der
Antibiotikaeinsatz ist danach jedoch nur kurzzeitig zurück gegangen, danach
aber wieder gestiegen. In NL verschreiben 5% der TA 80% der Antibiotika.

Christian Meyer: 12 von 18 Landkreisen in Nds. machen bereits
Brandschutzauflagen. Die Grünen fordern landesweit Brandschutz und
Keimschutzauflagen.

Dr. med. Thomas Fein: prophylaktische Antibiotikagaben fördern die
Ausbreitung resistenter Keime indem sie die natürlichen Keime, z. B. in der
Darmflora, zerstören und so die Ausbreitung der resistenten Stämme
begünstigen.

Dr. Erwin Sieverding: ich esse jeden Tag ein Ei. Da ist es doch völlig gleich
ob es nun aus konventioneller Haltung kommt und zu 80% belastet ist oder aus
Bio-Haltung und zu 25% belastet ist. Das ist doch nur ein rechnerischer
Unterschied.

Ich habe mich zum Thema Dispensierrecht zu Worte gemeldet, mich als Mitglied
der AG Tierschutz/Landwirtschaft der Piratenpartei zu erkennen gegeben und
folgendes ausgesagt:
Wir haben das Thema diskutiert und sind zu dem Konsens gelangt das die
Abschaffung des Dispensierrechts nur Nachteile für alle Tierhalter hätte,
sowohl für private wie auch Landwirtschaftliche, das Problem der
Antibiotikaverwendung als Masthilfe aber nicht lösen würde.
Statt einer Abschaffung des Dispensierrechts sehen wir als sinnvoller an:
1. Verbesserung der Haltungsbedingungen, um Antibiotikaeinsatz weitgehend
überflüssig zu machen
2. Bessere Kontrollen der Masttiere, Dokumentation der Anwendungen und
Überwachung der Handelswege

Ende der Veranstaltung ca. 21:00 Uhr

Bericht:
Wolfgang H. Zerulla
29.05.2012




  • [Ag-landwirtschaft] Bericht über das Fachgespräch Antibiotikaeinsatz in der Tierhaltung, Pirat Wolfgang, 29.05.2012

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