ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: AG Gesundheit
Listenarchiv
- From: Wolf-Dietrich Trenner <wolf-dietrich AT trenner.de>
- To: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?
- Date: Tue, 29 Sep 2015 18:33:40 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
- List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
Das „hier“ kann sich nur auf eine Website, also einen Spiegel der
Mailingliste beziehen. Die dort verantwortlichen Admins können vielleicht
helfen. Auf der Liste ging jedenfalls keine Beschwerde über „verschwinden von
Beiträgen“ ein.
Vielleicht mag sich auch jemand zu den immer wieder vorgetragenen Plädoyers
für die Abschaffung der PKV auch eine andere Position/Wahrnehmung durchlesen:
„Die Deutschen sind so zufrieden mit dem Gesundheitswesen wie lange nicht
mehr. 70 Prozent der gesetzlich Versicherten schätzen die Leistungen, die es
ihnen bietet. Noch zufriedener sind die Privatversicherten, 85 Prozent
beurteilen ihre Versorgung positiv.“
<http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/unternehmen/gesundheitswesen-ruhigere-zeiten-fuer-privatkassen-13826699.html>
Ich selbst sehe andere politische Prioritäten.
Mit freundlichen Grüßen
Wolf / gn8
p.s.: Bei der Gelegenheit noch Fragen:
1.) gibt es irgendwelche Bewerbungen für die Koordination der AG Gesundheit
und/oder Gesundheitspolitik? Demnächst steht die Wahl an, man könnte es mal
mit einem Wechsel probieren.
2.) Wer möchte an der Überarbeitung der Flyer mitarbeiten?
3.) Wer möchte an der Überarbeitung des Programms mitarbeiten?
> Am 29.09.2015 um 17:29 schrieb syna <syna AT news.piratenpartei.de>:
>
> Tcha,
>
> leider verschwinden nach einiger Zeit hier alle Beiträge;
> und die Links hier funktionieren nicht mehr.
>
> (Ich weiß, das ist eigentlich nur eine große /Mailing-Liste/. Trotzdem
> erreichen mich immer wieder Anfragen und Beschwerden, dass die Links
> hier nicht mehr funktionieren).
>
> syna schrieb:
>> Die detaillierte Begründung für die Abschaffung der PKV finden Sie -
>> findest Du -
>> in diesem Thread, und zwar:
>> (1) hier (dieser Thread, Seite 4, unterstes Posting).
>> http://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=494191&pid=2305611#pid2305611
>> Ungerechte Finanzierung.
>> (2) hier (dieser Thread, Seite 8, Drittes Posting von oben).
>> http://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=494191&pid=2306803#pid2306803
>> Fehlallokationen
>> und Ressourcenvergeudung
>> (3) + (4) hier (dieser Thread, Seite 11, Neuntes Posting von oben.
>> http://news.piratenpartei.de/showthread.php?tid=494191&pid=2307878#pid2307878
>> schlechtere
>> Foschungsleistungen + Drehtürmedizin.
>
> Deshalb werde ich hier nochmal auf (1) bis (4) eingehen:
>
> Probleme, die durch die PKV verursacht werden:
>
> 1. Ungerechte Feudalstruktur durch die PKV
> 2. Erhebliche Fehlallokationen in fast jedem Fachbereich.
> 3. Forschungsleistungen sind viel schlechter.
> 4. Uneffiziente duale Strukturen (doppelte Facharztschiene, Drehtürmedizin)
> -
> nur zum Wohle der Privatversicherten.
>
> ==========================================================
> ==========================================================
>
> Bei jeder Leistung des Gemeinwesens, also des Staates für den Einzelnen,
> stellt
> sich die Frage, wie diese bezahlt werden soll. Wie also Lasten verteilt
> werden:
> Je nachdem, ob man einem hochherrschaftlichen Feudalsystem zugewandt ist
> oder ob man ein egalitär demokratisches System bevorzugt, wird die Antwort
> unterschiedlich ausfallen.
>
> Im Gesundheitssystem wird diese Frage besonders pikant, denn es geht ja um
> die Gesundheit des Einzelnen. Im Ernstfall geht es um Leben und Tod - um die
> Frage, wieviel ein Leben oder ein Mensch wert ist. Soll das Leben oder der
> Wert eines Menschen von seinem Einkommen abhängen? Wäre so eine
> Abhängigkeit überhaupt mit dem Eid des Hippokrates vereinbar?
>
> Bezüglich des Gütermarktes gibt große Unterschiede gibt. Der Begüterte kann
> sich eine Motoryacht leisten, der andere gerade mal einen klapprigen Golf.
> Das
> mag ja auch o.k. sein. Aber wenn es um Gesundheit, um Lebenserwartung, um
> Leben oder Tod geht: Soll auch hier die Brieftasche entscheidend sein? Was
> für
> eine Gesellschaft, was für einen Staat wollen wir?
>
> Im Gesundheitssystem Deutschlands finden wir heutzutage ein Feudalsystem
> vor: Wir haben ein typisches 2-Klassensystem: Die Richtig-Gut-Verdiener sind
> privatversichert in der PKV und die übrigen sind gesetztlich versichert
> (GKV).
> Die Auswirkungen des 2-Klassensystems durch die PKV sind im Wesentlichen
> die folgenden Vier:
>
> ----------------------------------------------------------------------------------
> 1. Ungerechte Feudalstruktur durch die PKV
> ----------------------------------------------------------------------------------
> Alleine die Solidargemeinschaft der gesetzlich Versicherten muss die
> Behandlung
> derer bezahlen, die selbst kein ausreichendes Einkommen haben. Dazu zählen
> mitversicherte Ehefrauen, Kinder, Arbeitslose und Hartz-IV-Empfänger. Privat
> Versicherte beteiligen sich nicht an diesem Sozialtransfer, sie bezahlen
> lediglich
> ihr in der Regel niedriges Krankheitsrisiko. Der minimale Steuertransfer,
> den es
> gibt, ändert an dieser Tatsache nichts.
>
> Das sieht konkret dann so aus: Ein Arbeitnehmer mit 3800 € Einkommen zahlt
> 550 € Beitrag (einschließlich Arbeitgeberanteil). Von diesen 550 € werden
> etwa
> 250 € verwendet, um damit die medizinische Versorgung von
> Einkommensschwachen
> zu finanzieren. Dagegen bringt ein privat Versicherter mit genau dem
> gleichen
> Einkommen nicht einen einzigen Euro für die Solidargemeinschaft auf! Er kann
> sein Geld ganz dafür ausgeben, sich selbst eine bessere medizinische
> Behandlung zu kaufen!
>
> Der Kassenpatient dagegen muss er sich vom Arzt oft behandeln lassen, als ob
> er der Ausnutzer des Systems wäre, nur weil er für den Arzt nicht so
> lukrativ ist.
> Noch schlimmer: Ist er ernsthaft krank (Krebs, Herz), dann kann er einen
> Spezialisten gar nicht erst konsultieren.
>
> Die Private Krankenversicherung subventioniert nicht das System, sondern
> bezahlt
> nur die Luxusversorgung ihrer Versicherten und profitiert von der Subvention
> durch die ihren eigenen Mitgliedern erlassenen Solidarbeiträge.
>
> Damit - und mit der besseren Behandlung der PKVler - hat man eine Struktur,
> die
> sonst nur aus dem feudalen Mittelalter bekannt ist. Die ungerechte
> Feudalstruktur
> durch die PKV!
>
> ==========================================================
>
> Nicht genug damit. Durch die Nichtbeteiligung der PKV-Versicherten an der
> Solidarität kann die PKV pro Versichertem mehr bezahlen - und genau das
> weckt
> Begehrlichkeiten und führt zu einer drastischen Verzerrung im
> Gesundheitswesen:
>
> ----------------------------------------------------------------------------------
> 2. Erhebliche Fehlallokationen in fast jedem Fachbereich.
> ----------------------------------------------------------------------------------
> Fehlallokation: Gut ausgebildete Spezialisten werden nicht in ihrem
> Spezialbereich,
> für den sie bestens ausgebildet wurden, eingesetzt, sondern für
> Trivialeinsätze von
> PKV-Patienten verschwendet. Das passiert genau deshalb, weil für diese
> Trivial-OPs
> besser bezahlt wird. Die Situation hat sich noch verschlechtert, seit die
> privaten
> Krankenversicherungen verlangen, dass der liquidierende Spezialist die
> Leistung
> auch selbst erbracht haben muss, um abzurechnen, während in der
> Vergangenheit
> oft die Arbeit von weniger qualifizierten Ärzten durchgeführt werden
> konnte, und
> der Spezialist sie nur abgerechnet hat.
>
> ----------------------------------------------------------------------------------
> 3. Forschungsleistungen sind viel schlechter.
> ----------------------------------------------------------------------------------
> Hohe Gehälter hängen in deutschen medizinischen Fakultäten zu wenig von der
> Forschungsleistung und der Qualität der Behandlung aller Patienten und zu
> stark
> von den Nebeneinnahmen durch die Privatpatienten ab. D.h. ein hochdotierter
> Wissenschaftler wird von der kaufm. Leitung gezwungen, Trivial-Erkrankungen
> von PKV-Patienten zu behandeln, weil diese "so gut" bezahlt werden, statt
> sich
> wirklich der Forschung und schweren Krankheiten zu widmen. Ethisch ist
> dieses
> System fragwürdig, weil es die Versorgungsqualität indirekt vom Einkommen
> des
> Patienten abhängig macht (Siehe Rothmund, M, Die Stellung der klinischen
> Forschung in Deutschland im internationalen Vergleich, 1997, Dtsch. Med.
> Wschr. 122, 1358-1362.)
>
> ----------------------------------------------------------------------------------
> 4. Uneffiziente duale Strukturen (doppelte Facharztschiene,
> Drehtürmedizin)
> - nur zum Wohle der Privatversicherten.
> ----------------------------------------------------------------------------------
> Die ambulante Behandlung steht in Deutschland ausschließlich dem privat
> Versicherten zur Verfügung, weil sie die Ärzte frei auswählen können und
> die Fachleute sie gerne behandeln. Im Fall von Komplikationen können sie
> daher auch nach dem Eingriff von dem Arzt ambulant weiterbetreut werden,
> der sie operiert hat. Der gesetzlich Versicherte Patient wird dagegen nach
> Auftreten einer Komplikation „durch das System gereicht“. Dabei gerät er
> an Ärzte, die mit Fällen wie seinem keine oder wenig Erfahrung haben.
>
> ==========================================================
>
> Wenn wir Menschen hier auch nur ansatzweise "soziale" Wesen sind, dann
> folgt aus (1), (2), (3) und (4) zwangsläufig: Wir müssen die PKV (jedenfalls
> für jegliche medizinische Leistungen) abschaffen zugunsten einer reinen,
> egalitären Bürgerversicherung. Dabei müssen bereits erworbene Ansprüche
> und geschlossene Verträge berücksichtigt werden.
>
> Dabei sollten wir bedenken: Eine gerechte Gesellschaft setzt
> Chancengleichheit
> voraus, für die der einkommensunabhängige Zugang zu einer optimalen
> Gesundheitsversorgung und zum kompletten Bildungsangebot kennzeichnend
> sind. Gesundheit und Bildung dürfen daher nicht nur als Kostenfaktor für
> unsere Gesellschaft gesehen werden, sondern als Voraussetzungen für
> Produktivität und Wachstum. In einer alternden und schrumpfenden
> Gesellschaft
> wie Deutschland können Wachstum und Produktivitätsgewinne nur erreicht
> werden, wenn wir in die Ressourcen aller Bürger investieren, damit diese
> länger gesund und lernfähig bleiben. Somit ist die Abschaffung der PKV
> zugunsten einer Bürgerversicherung nicht nur die gerechtere Lösung,
> sondern auch die ökonomisch bessere.
>
> ==========================================================
> Noch kürzer - Zusammenfassung
> ==========================================================
> Die 2-Klassengesellschaft durch die PKV hat folgende, schwerwiegende
> Auswirkungen:
>
> 1. Ungerechte Feudalstruktur durch die PKV
> 2. Erhebliche Fehlallokationen in fast jedem Fachbereich.
> 3. Forschungsleistungen sind viel schlechter.
> 4. Uneffiziente duale Strukturen (doppelte Facharztschiene, Drehtürmedizin)
> - nur zum Wohle der Privatversicherten.
>
> ==========================================================
>
> Hauptargument ist, dass die PKV in ihrem Geschäftsmodell den Anteil
> Solidarität
> vollkommen ausblendet und alleine der GKV anlastet. Und stattdessen für ihre
> Mitglieder erhebliche Privilegien bezahlt. Im Gesundheitsbereich haben wir
> daher
> noch eine echte, fast mittelalterliche Feudalstruktur.
>
> Das Gebaren der PKV führt darüberhinaus zu erheblichen Fehlallokationen in
> fast jedem Fachbereich, welche insgesamt erhebliche Kosten bzw.
> Ineffizienzien
> verursacht. Und welche die Forschungsleistungen stark dezimieren. Das
> Gebaren
> führt zudem zu ineffizienten dualen Strukturen (doppelte Facharztschiene,
> Drehtürmedizin) - nur zum Wohle der wenigen Privatversicherten.
>
> Grüße,
>
> Syna.
> --
> AG-Gesundheitswesen mailing list
> AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
> https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen
- Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?, syna, 29.09.2015
- Re: [AG-Gesundheit] Privates Gesundheitssystem?, Wolf-Dietrich Trenner, 29.09.2015
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