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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] zukünftige Gesundheitspolitik

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] zukünftige Gesundheitspolitik


Chronologisch Thread 
  • From: wolfgang AT hennig-clan.de
  • To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] zukünftige Gesundheitspolitik
  • Date: Wed, 16 May 2012 10:40:06 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hi,

ich habe mal gesucht, was denn die Softdrink-Steuer in Frankreich einbringen
soll. Die Regierung geht wohl von 280 Millionen Euro aus. Und das bei
moderaten 11ct pro 1.5l.
Hier möchte man - ähnlich der Tabaksteuer - wohl keinen wirklich vom Trinken
abhalten...

Zusammen mit dem Werbeverbot für Tabak - und möglicherweise einem für Alkohol
und für Süßigkeiten für Kinder würde wir sicherlich in wenigen Jahren erste
Erfolge sehen können.

Das sind doch gute Ansätze, oder?

Wolfgang

>Zur Information, wen es interessiert:
>
>
>Frankfurter Allgemeine Zeitung, 16.05.2012, Nr. 114, S. N2
>
>Steuern auf schädliche Nahrung, mehr sozialer Druck - wie sollen die Leute
>sonst zur Vernunft kommen? / Von Dietrich Garlichs
>
>Die rasante Ausbreitung der neuen Zivilisationskrankheiten, die mit unserem
>Lebensstil zusammenhängen, ist kein neues Phänomen. In den fünfziger Jahren
>gab es in Deutschland kaum Menschen mit Diabetes, ihre Zahl lag bei weniger
>als ein Prozent der Bevölkerung. Heute sind es mehr als sechs Millionen
>Menschen, Dunkelziffer nicht eingerechnet, und Hunderttausende kommen jedes
>Jahr hinzu. Ähnlich ist die Situation bei den anderen Volkskrankheiten
>Herz-Kreislauf-Leiden, Krebs und Atemwegserkrankungen.
>
>Die nicht übertragbaren Krankheiten sind inzwischen weltweit zur
>Hauptursache
>von Tod, Krankheit und Behinderung geworden. In Europa entfallen hierauf
>nach
>Angaben der Weltgesundheitsorganisation bereits 86 Prozent der Todesfälle
>und
>77 Prozent der Krankheitslast. Die gemeinsamen Risikofaktoren sind schnell
>aufgezählt: Rauchen, schädlicher Alkoholkonsum, körperliche Inaktivität und
>ungesunde Ernährung. Wir konsumieren heute doppelt so viel Zucker, Salz und
>Fett, als uns guttäte und zu wenig Ballaststoffe. In den westlichen Ländern
>nehmen die Menschen durchschnittlich mehr als 4000 Kilokalorien täglich zu
>sich, obwohl die Hälfte angebracht wären. Dies hat auch in Deutschland dazu
>geführt, dass inzwischen die Hälfte der Frauen und zwei Drittel der Männer
>als
>übergewichtig gelten. Auch die Entwicklung bei Kindern ist besorgniserregend.
>
>Die Skizzierung der Ursachen zeigt, dass sie weitgehend außerhalb der
>Kontrolle des Gesundheitssektors liegen. Der Lebensstil wird geprägt von der
>Familie, von der peer group und vom nahen sozialen Umfeld - und zwar in den
>jungen Jahren. Die entscheidende Frage ist, wie wir die ungesunde
>Lebensstilprägung zurückdrängen und eine ernsthafte Gesundheitsförderung
>betreiben können, statt eines teuren, oft ineffizienten Reparaturbetriebs.
>
>Die klassische Antwort der Gesundheitspolitik in Deutschland ist der Appell
>an
>die Vernunft des Einzelnen. Daneben gibt es gut gemeinte Angebote zur
>Gesundheitsförderung für die Einsichtigen, in ihrer Vielzahl kaum noch
>überschaubar. Projekte wie "In Form" oder die Plattform "Ernährung und
>Gesundheit" sind nur zwei Beispiele hierfür. Sie haben allerdings eines
>gemeinsam: Es sind Insellösungen, nicht eingebettet in nachhaltige
>Regelstrukturen, und sie sind mit wenigen Ausnahmen erfolglos.
>
>Aus diesen Gründen findet in der internationalen Diskussion zurzeit ein
>Paradigmenwechsel statt. Der erste UN-Gipfel zu den nicht übertragbaren
>Krankheiten im letzten Jahr und die Europäische Strategie der
>Weltgesundheitsorganisation (WHO) machen dies deutlich. Ohne klare
>bevölkerungsbezogene Präventionsstrategien und ohne deutliche Stärkung der
>Verhältnisprävention werden wir weiter scheitern. Nur wenn wir neben
>Aufklärung und Appell das Umfeld des Menschen so gestalten, dass der gesunde
>Weg der leichte Weg ( "the healthy choice the easy choice") wird, haben wir
>eine Chance, den Zivilisationskrankheiten wirkungsvoll entgegenzutreten.
>
>Als wesentliche Interventionen empfiehlt die WHO: Erstens: stärkere
>Besteuerung von Tabak, Alkohol und verarbeiteten Nahrungsmitteln mit einem
>hohen Gehalt an gesättigten Fettsäuren, Transfetten, Salz und Zucker, um die
>Nachfrage zu senken und die Lebensmittelindustrie zu motivieren, die
>Zusammensetzung ihrer Produkte zu verändern. Zweitens: Beschränkung der auf
>Kinder zielenden Werbung für Lebensmittel mit hohem Salz-, Fett- und
>Zuckergehalt und Verbot der Werbung für Tabakwaren. Drittens: Verbot von
>Transfettsäuren in verarbeiteten Lebensmitteln und Ersetzen durch mehrfach
>ungesättigte Fettsäuren. Viertens: Förderung einer gesünderen Ernährung
>durch
>entsprechende Kennzeichnungsvorschriften. Fünftens: Die Reduzierung der
>Salzaufnahme aus Lebensmitteln auf weniger als fünf Gramm pro Person und Tag.
>
>Der Charme dieser Maßnahmen liegt darin, dass sie gesundheitsfördernde
>Signale
>an die Gesamtbevölkerung senden und nicht nur an die ohnehin schon
>Gesundheitsbewussten. Sie erfordern keine Finanzmittel, sondern generieren
>solche. Wenn man sozialpolitische Benachteiligungen vermeiden will, kann man
>die Steuermehreinnahmen verwenden für die Verbilligung gesunder
>Lebensmittel.
>Ein weiterer Vorteil dieser Maßnahmen ist, dass sie marktkonform sind und
>keine zusätzliche Bürokratie erfordern.
>
>Dass deutliche Preissignale in Verbindung mit massiver Verbraucheraufklärung
>wirksam sein können, hat die Antiraucherkampagne gezeigt. Nach einer neuen
>Untersuchung der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung hat sich der
>Anteil der Jugendlichen zwischen 12 und 17 Jahren, der zur Zigarette
>greifen,
>in zehn Jahren mehr als halbiert.
>
>In anderen Ländern wird mit der Besteuerung gesundheitsschädlicher und
>adipogener Lebensmittel inzwischen Ernst gemacht - über die klassischen
>Sondersteuern auf Tabak und Alkohol hinaus. In Deutschland haben diese
>Vorschläge bisher keine Befürworter in der Gesundheitspolitik. Das scheint
>nicht nur daran zu liegen, dass wir momentan einen liberalen
>Gesundheitsminister haben, sondern an einer generellen Angst, die Freiheit
>des
>Individuums einzuschränken, auch wenn sie die Freiheit zugunsten der
>Krankheit
>ist. Nach dem Trauma der Diktaturen in Deutschland scheint dies eine feste
>ideologische Fixierung zu sein, die nur schwer aufzubrechen ist. Trotz
>permanenter Misserfolge baut man weiter ausschließlich auf den Appell an die
>Vernunft des Einzelnen. Augenscheinlich brauchen wir in Deutschland einen
>gesundheitspolitischen "Gau", damit eine Trendwende geschafft wird.
>Vergangenes Jahr haben wir eine Energiewende geschafft, nach einem Gau am
>anderen Ende der Welt. Lebensstilkrankheiten tun zunächst nicht weh, es sind
>schleichende Krankheiten, die keine unmittelbare Betroffenheit schaffen,
>sowohl was den Einzelnen betrifft wie für die Gesellschaft. Es gibt keine
>Bilder wie von Flutkatastrophen oder Erdbeben, und darum wird kein
>Handlungsdruck ausgelöst. Erst wenn der Herzinfarkt da ist, wird dies als
>Einschnitt empfunden und alles getan, um den nächsten zu verhindern.
>
>Die bisherige Trägheit der Gesundheitspolitik sollte uns aber nicht daran
>hindern, die internationale Debatte hierzulande in Gang zu bringen. Wenn es
>die Gesundheitspolitik nicht schafft, werden wir Unterstützung erhalten aus
>der Finanzpolitik und aus der Wirtschaft. Der Finanzpolitik wird immer
>deutlicher, dass wir die Kosten für eine gute Versorgung der Kranken nicht
>aufbringen werden, wenn wir das Anwachsen der chronischen Erkrankungen nicht
>umkehren. Schon heute verursachen zwanzig Prozent der Versicherten achtzig
>Prozent der Ausgaben der Krankenkassen, und das ganz überwiegend für die
>Behandlung chronischer Krankheiten und ihrer Folgen. Und in der Wirtschaft
>sieht man angesichts der demographischen Entwicklung immer klarer, dass nur
>eine frühzeitige Gesundheitsförderung die Gewähr für eine vitale Belegschaft
>bietet. Finanzpolitik und Wirtschaft sind diejenigen, die der Gesellschaft
>als
>Erste deutlich machen werden, dass Prävention genauso wichtig ist wie
>Versorgung, und zwar gerade auch im Interesse derjenigen, die auf
>medizinische
>Versorgung angewiesen sind.
>
>Der Autor ist Geschäftsführer der Deutschen Diabetes-Gesellschaft
>
>Alle Rechte vorbehalten © Frankfurter Allgemeine Zeitung GmbH, Frankfurt am
>Main
>
>
>--
>AG-Gesundheitswesen mailing list
>AG-Gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
>https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-gesundheitswesen



  • Re: [AG-Gesundheit] zukünftige Gesundheitspolitik, wolfgang, 16.05.2012

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