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ag-gesundheitswesen - [AG-Gesundheit] Risikofaktoren, Krankheitsursachen und ein marodes Gesundheitssystem

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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[AG-Gesundheit] Risikofaktoren, Krankheitsursachen und ein marodes Gesundheitssystem


Chronologisch Thread 
  • From: Klugscheißer <Klugschei%C3%9Fer AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [AG-Gesundheit] Risikofaktoren, Krankheitsursachen und ein marodes Gesundheitssystem
  • Date: Sat, 07 Jan 2012 14:39:37 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver


Risikofaktoren und Krankheitsursachen sind zweierlei Paar Schuh.
Leider wird gerne so getan als sei beides äquivalent.

Ich habe erst vor einiger Zeit aufgehört mit dem Rauchen, wobei das
in meinem Fall keine gesundheitlichen Gründe hatte.
Mich hatte inzwischen die Abhängigkeit vom Glimmstengel einfach
persönlich zunehmend genervt. Das war ein Prozess, der über viele Jahre
andauerte, bis ich mich schließlich entschlossen hatte, aufzuhören.

Trotzdem möchte ich zum Thema eine persönlich erlebte Geschichte
beitragen, die hoffentlich ein wenig zum Nachdenken anregt:

Vor etwa 5 Jahren bekam ich an einem Abend am Wochenende
Schmerzen im Bereich des Bauches, die ich bisher so noch nicht
gekannt hatte. Sie stiegen Stunde um Stunde an und wurden
schließlich unerträglich, sodass ich die Rufnummer des ärztlichen
Bereitschaftsdienstes anrief, denn die Praxen hatten schon geschlossen.
Der Arzt, der mich konsultierte, gab mir intravenös ein Schmerzmittel,
die Schmerzen ließen so langsam nach. Der Arzt riet mir aber
trotzdem, zur Abklärung in die Klinik zu gehen und orderte einen
Krankenwagen. Ich wurde in der Notaufnahme der Klinik untersucht.
Man wollte akutes Abdomen, aber auch einen Herzinfarkt
ausschließen. Ich bekam ein weiteres mal Schmerzmittel injiziert
und schlief dann in der Klinik. Am nächsten Morgen waren die Schmerzen
verschwunden, ich wurde wieder entlassen. Ohne eindeutige Diagnose.

Ich ging schließlich zu meinem Hausarzt, dieser überwies mich an
Fachärzte usw...
Die Untersuchungen ergaben kein klares, diagnostisches Bild.

Die Schmerzattacken wiederholten sich im Laufe der Zeit in
unregelmäßigen Abständen. Mal dauerte es zwei Monate, mal
nur zwei Tage bis die Beschwerden wieder auftraten.

Nachdem ich im Laufe der Zeit etwa ein halbes Dutzend unterschiedlicher
Diagnosen erhalten hatte, schwand mein Vertrauen in die medizinisch
Verantwortlichen ein wenig, zumal man bei jeder Schmerzattacke immer
ein EKG machte, ich aber ausschloss, dass die Ursache im Herzen liegt,
ich familiär in dieser Hinsicht nicht vorbelastet bin, außerdem
ausreichend Herzuntersuchungen hinter mir hatte, um dort die Wurzel
des Problems verorten zu können. Aber, man musste halt seine
medizinischen Geräte nutzen, damit es wirtschaftlich ist und man gut
abrechnen konnte. Den Eindruck, dass man die Ursache meines
Problems wirklich ernsthaft herausfinden wollte, hatte ich bald nicht
mehr, sondern eher, dass ich vom System nur verwaltet und
abgerechnet wurde.

Der Fehler, den ich gemacht hatte, war der, dass ich bei den Befragungen
in der Notaufnahme immer ehrlich auf die Frage nach meinem Zigarettenkonsum
geantwortet hatte. So stand in den Befunden immer "Nikotinabusus"
drin. Das ärztliche Personal änderte zwar mit regelmäßigen Abständen
die Diagnose, ließ sich aber bei seinen Verdachtsdiagnosen immer deutlich
vom Tabakkonsum leiten. Selbst mein Hausarzt war auf das Rauchen fixiert
und drängte mich, damit aufzuhören, dann würden auch die Beschwerden
verschwinden. Was Genaueres wusste aber auch er nicht, denn auch er nahm
die wechselnden Diagnosen an, mal hieß die Erkrankung „X“, mal „Y“.

Wenn die Schmerzen auftraten, waren sie nach ein paar Stunden so intensiv,
dass ich sterben wollte. Es war unerträglich. Eines Tages wirkten auch die Schmerzmittel
nicht mehr bei den akuten Attacken und ich bekam Opiate bzw. Morphine, die mich
aber auch eher einschläferten, als dass sie die Schmerzen tatsächlich linderten.

Ich selbst reflektierte natürlich intensiv über die Ursachen meiner unregelmäßigen
wiederkehrenden Schmerzattacken. Das Thema nahm mich natürlich gefangen, denn
selbst Zahnschmerzen sind banal gegenüber dem, was ich da erlebte.

Das erste, was mir auffiel, war die Tatsache, dass die Schmerzen irgendwann leicht anfingen,
sich Stunde um Stunde steigerten, um schließlich nach etwa 4 Stunden ihren Höhepunkt
zu erreichen, den sie mehrere Stunden lang beibehielten. Irgendwann schlief ich ein,
meist vor Erschöpfung durch das Krümmen und Biegen wegen der Schmerzen.
Wenn ich dann wieder aufwachte, waren die Schmerzen immer verschwunden.

Dann fiel mir auf, dass die Schmerzattacken überwiegend am Wochenende kamen.
Außerdem fiel mir auf, dass es praktisch immer zur selben Uhrzeit anfing, nämlich
zwischen 16 und 17 Uhr nachmittags.

Beides zusammen führte dazu, dass ich fast immer einen Notarzt bemühen musste,
weil die Praxen während er Schmerzattacken meist schon geschlossen hatten.

Es dauerte etwa ein halbes Jahr bis ich selbst meine persönliche Diagnose hatte.
Sie stellte sich am Ende auch als die richtige heraus, während das medizinisch
ausgebildete Personal 4 Jahre dazu benötigte und Kosten in 6-stelliger Höhe.
Alleine die vierwöchige Kur/Reha, aufgrund einer ärztlichen Fehldiagnose dürfte
deutlich 5-stellige Kosten verursacht haben. Interessant fand ich während der Reha,
dass bei meinen Arztterminen der zuständige Arzt noch in der 4. Woche der Reha
immer noch die Stationsschwester fragen musste, aufgrund welcher Diagnose ich
hier sei. Er hielt während der Reha Vorträge und schrieb an einem Buch, seine
Patienten schienen ihn aber nicht zu interessieren.

Mir war klar, dass die Sache durch einen vergleichsweise banalen operativen Eingriff
behoben werden konnte, aber alle Ärzte verweigerten mir eine entsprechende Überweisung
bzw. Klinikeinweisung, über Jahre hinweg. Und zwar mit der Begründung, ich solle endlich
aufhören zu rauchen. Nur, mit dem Rauchen hatte das nun wirklich nichts zu tun.
Die Ärzte sahen das anders, wohl wissend, dass ihnen aufgrund ein
halb dutzend unterschiedlicher Diagnosen, die sich zudem allesamt am
Ende immer als falsch herausgestellt
hatten, ein wenig mehr Demut zu Gesicht gestanden hätte. Es scheint sich ein Glaube
in weiten Teilen der deutschen Medizinerzunft durchgesetzt zu haben, dass fast jede
Erkrankung eines Rauchers ihre Ursache im Nikotinkonsum habe. Bei den anderen sind
es halt die Gene. Die Medizin ist sehr esoterisch geworden wie es scheint.

Eines Tages hatte ich die Faxen dicke, es war das 4. Jahr, als ich wieder einmal am
Wochenende in die Klinik musste. Ich lag wieder einmal in der Notaufnahme einer Klinik,
die normalen Schmerzmittel verschafften keine Linderung, sodass man auf den Chefarzt
warten musste, weil die Verabreichung von Betäubungsmitteln an bestimmte gesetzliche
Vorschriften gebunden ist. In der Notaufnahme sagte man mir, der Chefarzt sei gerade
noch im OP-Saal, er würde aber bald kommen. Ich sagte dem diensthabenden Arzt, dass
ich diesmal die Klinik nicht verlassen würde, ohne die richtige Diagnose.

Ich lag auf der Bahre, war gerade der einzige Notfallpatient, sodass das medizinische
Personal im Nebenraum sich ein Fußballspiel im Fernseher anschaute.
Es war gerade Fußball-WM. Ich krümmte mich vor Schmerzen, fragte immer wieder
einmal nach, wann denn der Chefarzt kommen würde. Er sei noch im OP, man habe
gerade viele Notfälle usw.

Irgendwann hörte ich wie im benachbarten Fernsehraum die Krankenschwester den
Assistenzarzt fragte, wann denn der Chefarzt käme: „Er will sich das Fußballspiel erst
noch zu Ende ansehen“. Dummerweise war ich eine Stunde vor Beginn des Spiels in die Klinik
gekommen, sodass ich am Ende drei Stunden mit unerträglichen Schmerzen warten musste.
Der Chefarzt schien anfangs tatsächlich noch im OP gewesen zu sein, war aber anschließend
nicht in die Notaufnahme gegangen, wo ein Patient wartete, sondern scheinbar in den Fernsehraum, um sich das Fußballspiel anzugucken.

Am nächsten Morgen nach dem Aufwachen waren die Schmerzen -wie immer- verschwunden.
Diesmal untersuchte man mich allerdings sehr ausführlich, ging auch auf meine persönliche
Verdachtsdiagnose ein und bestätigte sie schließlich, allerdings erst, nachdem man eine
Untersuchung nach 24 Stunden Fasten noch einmal wiederholt hatte.

Zwei Tage später wurde ich operiert, seither hatte ich nie wieder Beschwerden.

Als der diensthabende Arzt vor der OP zum Aufklärungsgespräch kam, meinte er,
die Wahrscheinlichkeit, dass es zu Komplikationen komme, sei sehr gering,
wie auch die Risiken des Eingriffs nur marginal vorhanden seien, denn die
Entfernung einer Gallenblase sei eine der häufigsten operativen Eingriffe,
die man hier macht. Für das medizinische Personal sei das Alltagsroutine.

Mir ist nicht bekannt, dass Rauchen zu Gallensteinen oder zur Entzündung
einer Gallenblase führt.

Wenn das ein Einzelfall unseres Gesundheitssystems wäre,
dann würde ich es hier nicht erzählen.




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