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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] Probleme der 2 Klassen-Krankenkassen und folgenden 2Klassen-Medizin

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] Probleme der 2 Klassen-Krankenkassen und folgenden 2Klassen-Medizin


Chronologisch Thread 
  • From: syna <syna AT news.piratenpartei.de>
  • To: ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] Probleme der 2 Klassen-Krankenkassen und folgenden 2Klassen-Medizin
  • Date: Sat, 01 Oct 2011 01:04:48 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Newsserver der Piratenpartei Deutschland - Infos siehe: http://wiki.piratenpartei.de/Syncom/Newsserver



GargleBlaster schrieb:
> Ohne jetzt groß auf den Inhalt einzugehen:
>
> aber solch ein Kampfvokabular (Feudalstruktur, parsitär, zum Wohle der
> wenigen Privatversicherten) ist dem Sachverhalt nicht angemessen.

>
> Irgendwie vergeht mir dann auch die Lust mich mit weiteren Punkten
> deiner Ausführungen auseinander zu setzen, da ich keine abwägenden,

> analytischen Gedanken erwarte. Ich werde das nachher trotzdem machen,
> aber ich würde dir raten das ganze objektiv zu schildern.



*Sorry* - bitte überlese dieses "Kampfvokabular". Ich tendiere halt
dazu, für manchen Leser auch gleich meine Interpretation mitzuliefern
...

das ist vielleicht nicht so gut. *Danke für den Hinweis!*


GargleBlaster schrieb:
> Nur zwei Punkte, der mir spontan aufgefallen sind:
>
> Den Punkt mit der Forschung kann ich nicht nachvollziehen. Für wen
> soll das gelten? Der forschende Arzt ist an nicht-Universitätskliniken
> nach meinen Erfahrungen eher die Ausnahme, wenn es sich denn nicht um
> gesponsorte Forschung für CROs oder pharmazeutische Unternehmen
> handelt. Und solche Ärzte, die daran teilnehmen, bekommen in den
> meisten Fällen schon eine gute Aufwandsentschädigung.


Zu (3) *Forschung in der Medizin* :

Die Zweiklassenmedizin ruiniert die Forschung, weil zu viele Spezialisten


nach Abschluss ihrer extrem aufwändigen Ausbildung aus der Forschung
aussteigen und sich der Behandlung von Privatpatienten widmen. Denn
mit der Forschung alleine kann an einem deutschen
Universitätskrankenhaus nicht viel Geld verdient werden. Wirbt der
klinische Forscher in großem Umfang Drittmittel von der Industrie ein,
geht das Geld komplett an die Klinik, für ihn bleibt nichts. Beansprucht
er

einen Teil der Mittel für Tätigkeiten außerhalb des engen
Forschungsvorhabens, läuft er Gefahr, wegen Korruption angeklagt zu
werden. Viele ziehen sich deshalb zum Zeitpunkt der Berufung
weitgehend aus der aktiven Forschung zurück, behandeln Privatpatienten,
werden einigermaßen vermögend und bewerten die Ergebnisse der
Forschungsgruppen im Ausland, ohne selbst etwas dazu beizutragen.

Keine Ausnahme, geradezu typisch ist der deutsche Universitätsprofessor,


der seinen Kollegen für ein Honorar der Pharmafirma die
Forschungsergebnisse aus den USA erklärt und somit eine Art Marketing-
Galionsfigur der Firma darstellt. Im Fachjargon wird von einem
habilitierten

„Mietmaul“ gesprochen. Es ist so peinlich wie traurig, wenn man
erleben muss, dass viele hochdotierte deutsche Universitätsprofessoren
nur bei den sogenannten Satellitensymposien der internationalen
Fachkongresse eine Rolle spielen.

Dabei handelt es sich um Marketingveranstaltungen der Pharmafirmen, die
parallel zum eigentlichen wissenschaftlichen Programm ablaufen. Der
Verlierer dieses Systems ist der gesetzlich Versicherte – und die
gesamte

Gesellschaft durch den Niedergang der klinischen Forschung. Dabei wird
fast die gesamte Infrastruktur der Universitätskliniken von
Beitragszahlern

der Gesetzlichen Krankenversicherung und aus Steuermitteln bezahlt.
Stärker als alle andere profitieren davon die zehn Prozent privat
Versicherten, für die wir in Deutschland die aufwändigste Therapie
weltweit vorhalten.


GargleBlaster schrieb:
> Auch der Punkt 4 irritiert mich.
>
> Ist es denn tatsächlich notwendig, dass mich derselbe Arzt, der mich
> operiert hat, auch nachversorgt? In den meisten Fällen kann dein
> Hausarzt

> die Nachversorgung gewährleisten. Viele Krankenhäuser bieten auch
> Case-Management an, d.h. dein Krankenhaus koordiniert die
> Nachversorgung. Ich sehe das Problem nicht in diesem Ausmaß.



Zu (4) *Drehtürmedizin* :

Bei kleinen Routine-OPs genügt die Nachversorgung durch den Hausartz in
der Regel. Unangenehm wird es bei schweren und individuell
unterschiedlich verlaufenden OPs. Dort wo Case-Management angeboten wird,
hat sich die Lage schon verbessert - wenn es denn wirklich funktioniert.
Auch die vereinzelten MVZs sind ein interessanter Weg.


Meistens sieht es aber so aus (ich erzähle mal anhand eines Beispiels):

Der gesetzlich Versicherte bemerkt Blut im Urin und geht zum Urologen. Es
wird Prostatakrebs festgestellt. Der niedergelassene Urologe überweist
an die örtliche Klinik. Der Patient hat keine Ahnung, dass bei einer
Prostataoperation viel davon abhängt, wie oft die Klinik den Eingriff
vornimmt und wie stark der Operateur spezialisiert ist. Verschiedene
Studien zeigen, dass Männer seltener unter Inkontinenz und Impotenz
leiden und schneller aus dem Krankenhaus entlassen werden können, wenn
die Prostata von einem auf diesem Gebiet erfahrenen Urologen entfernt
wird. Amerikanische Fachgesellschaften empfehlen deshalb 55 Eingriffe pro
Jahr und Krankenhaus – eine Quote, die in Deutschland nur ein Viertel
der Kliniken, die Prostataoperationen durchführen, auch erreichen.
Vielmehr werden in Deutschland die Fälle so gut auf die Krankenhäuser
verteilt, als ob die Forschung bewiesen hätte, dass die Ergebnisse der
Operation um so besser wären, je weniger Erfahrung der Chirurg mit dem
Eingriff hat.


Gibt es Komplikationen, beispielsweise unkontrollierten Harnabgang, dann
geht der Patient zurück zu seinem niedergelassenen Urologen. Dieser
versucht jetzt, das Problem in den Griff zu kriegen. Er hat die Operation
allerdings nicht durchgeführt, er kennt den Verlauf des Falls nur aus
der Akte, die er oft erst mit wochenlanger Verspätung bekommt. Er fühlt
sich für die Folgekrankheit vielleicht gar nicht verantwortlich,
während der Operateur den Fall ganz aus den Augen verliert. Die
niedergelassenen Ärzte, etwa ein Röntgenarzt, der Urologe und ein
Spezialist für Innere Medizin besprechen den Fall niemals gemeinsam, sie
tauschen nur Akten aus. Richtig zuständig fühlt sich niemand,
bestenfalls der Hausarzt, der aber mit solchen Fällen noch die wenigste
Erfahrung hat.


In den USA, den skandinavischen Ländern und den Niederlanden würde der
Fall anders ablaufen. Die Behandlung würde in der Regel in einem Zentrum
für Prostatakrebs durchgeführt, die Komplikationsrate fiele dort
wahrscheinlich niedriger aus. Diese Versorgung durch Spezialisten aus
einer Hand hat sich nicht nur als besser, sondern auch als
kostengünstiger erwiesen.


Sie steht aber in Deutschland ausschließlich dem privat Versicherten zur
Verfügung, weil sie die Ärzte frei auswählen können und die Fachleute
sie gerne behandeln. Im Fall von Komplikationen können sie daher auch
nach dem Eingriff von dem Arzt ambulant weiterbetreut werden, der sie
operiert hat.


Der gesetzlich Versicherte Patient wird dagegen nach Auftreten einer
Komplikation „durch das System gereicht“. Dabei gerät er an Ärzte,
die mit Fällen wie seinem keine oder wenig Erfahrung haben. Ist seine
Behandlung aufwändig und durch die Budgets des niedergelassenen Arztes
nicht gedeckt, so überweist man ihn phasenweise in das Krankenhaus
zurück. Die *Drehtürmedizin* beginnt: Anlässlich einer jeden
Verschlechterung seines Leidens wechselt er vom niedergelassenen in den
stationären Bereich und wieder zurück.


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