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ag-gesundheitswesen - Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 17

ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: AG Gesundheit

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Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 17


Chronologisch Thread 
  • From: "mb" <michaela_bach AT web.de>
  • To: <ag-gesundheitswesen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 17
  • Date: Tue, 17 Aug 2010 12:43:36 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-gesundheitswesen>
  • List-id: AG Gesundheit <ag-gesundheitswesen.lists.piratenpartei.de>

Hallo,

ich möchte mal die praktischen Probleme durchgehen, die ich sehe und weshalb
ich immer von Datenmüll spreche:

Bei Behandlung von Patienten entstehen unendlich viele Unterlagen,
medizinische Befunde, Kurzgutachten, Anfragen von Krankenkassen, Ämtern usw.
Was soll davon gespeichert werden? (Der durchschnittliche Deutsche geht 18mal
im Jahr zum Arzt!) Man kann wahrscheinlich bei vielen Daten nicht pauschal
sagen: ja oder nein, oft ist es eine Einzelfallentscheidung. Wird diese
Entscheidung aber auch jemand vornehmen? Und nach welchen Kriterien? Im
Zweifel erhält die Arzthelferin die Anweisung alles zu speichern, dadurch
wird auch verhindert, dass sich hinterher jemand beschwert, dass angeblich
wichtige Unterlagen fehlen.

Wie soll die Speicherung praktisch vorgehen. Ich könnte mir durchaus
vorstellen, dass es sinnvoll ist, einen am PC geschriebenen Arztbrief direkt
digital zu übertragen. Darauf könnten dann am zentralen Server Suchfunktionen
ua. angewendet werden. Die meisten Daten entstehen aber auf Papier. Das
müsste dann für die Übertragung erst eingescannt werden -dauert lange, große
Datenmenge, Suchfunktionen lassen sich auf eingescannte Objekte
wahrscheinlich nicht anwenden (für die Texterkennung dürften die meisten
Praxisscanner zu schlecht sein ). D.h. eingescannte Befunde sind später nur
verwertbar, wenn sie einen sinnvollen Titel erhalten oder sonstwie sinnvoll
bezeichnet werden - das kostet wieder sehr viel Zeit und wird deswegen wohl
oft lustlos gemacht werden. Auf dem Server werden somit zahlreiche Dokumente
liegen, deren Inhalt nicht genau erkennbar ist. Aber wie lange dauert es,
diverse Unterlagen zu öffnen, anzuschauen, zu schließen (und das dann auch
noch online). Schaut der Arzt aber nicht alle Unterlagen durch, kann das
unter Umständen zu Schadensersatzforderungen führen, weil er möglicherweise
irgenwo was übersehen hat.

Man muss auch mal überlegen, bei welchen Patienten Datenspeicherung überhaupt
sinnvoll ist:
1. junge, relativ gesunde Patienten gehen vielleicht zweimal im Jahr mit
Erkältungen oder anderen Bagatellerkrankungen zum Arzt. Dabei fallen
normalerweise keinerlei medizinische Befunde an, die für die Zukunft
bedeutsam sind. Die wenigen schweren Erkrankungen könnten zentral gespeichert
werden (macht mit Einschränkung Sinn, würde aber auch auf die Chipkarte oder
in einen persönlichen Klarsichtordner passen), gerade diese Patientengruppe
ist meist durchaus in der Lage, sich die wenigen Erkrankungen noch zu merken.

2. Patienten mit zahlreichen, jahrelang chronischen Erkrankungen: Diese
Patientengruppe macht einen Großteil der Arztkontakte aus. Ich will gern
zugegeben, dass es durchaus interessant sein kann, Untersuchungsergebnisse
von anderen Fachärzten zu erhalten. Für den Hausarzt stellt sich das Problem
eher nicht, da er gesetzlich vorgeschrieben jedes Quartal von allen
Fachärzten einen Behandlungsbericht erhalten muss (wird wohl nicht immer
gemacht, bisher auch nicht geahndet, ist aber überwiegend Pflicht). Künftig
würde der Facharzt den Arztbrief einfach auf den Server stellen. Der arme
Hausarzt müsste dann den Bericht runterladen, lesen (viele nicht mehr ganz
junge Menschen lesen übrigens sehr ungern längere Berichte am PC). Auf den
Server hat er jedoch nur Zugriff, wenn der Patient mit der Chipkarte vor ihm
sitzt. Heute schickt der Facharzt einen Brief, der Arzt schaut ihn nach
Ankunft kurz bezüglich wichtiger Informationen durch und kann ggf. den
Patienten neu einbestellen. Oder soll der Facharzt zusätzlich weiterhin seine
Briefe direkt an den Hausarzt schicken?. Soll der Hausarzt den Brief dann
nochmal einscannen? Soll er erst vorher suchen, ob der Facharzt den Brief
schon hochgeladen hat? Wer ist schuld, wenn der Brief fehlt?

3. Im Prinzip gesunde Patienten mit (sub)akuter Erkrankung mit erschwerter
Diagnosefindung: Bei diesen Patienten ist es in der Tat wichtig, alle bereits
in dieser Angelegenheit veranlasste Befunde, teilweise auch Verläufe, zu
kennen. Hierbei handelt es sich aber nur um eine relativ kleine
Patientengruppe, die meist aus Eigeninteresse durchaus in der Lage ist , die
letzten Befunde zu sammeln.


In den letzten 30 Jahren wurde in der Medizin immer mehr Bürokratie,
Dokumentation, Qualitätssicherung usw. eingeführt. Begründet wurde dies immer
mit einer einfacherem Arbeiten oder besserer medizinischer Versorgung. Ärzte
(egal ob Krankenhaus oder Praxis) leiden heute massiv unter diesem
Papierkram. Der dafür erforderliche Zeitbedarf fehlt bei der
Patientenversorgung, eine bessere Medizin wird weitgehend nicht erreicht.
Durch die zahlreichen Papiere entsteht vielfach sogar eine große
Unübersichtlichkeit, die den Blick auf wirklich wichtige Informationen
verdeckt. Wir wollen Patienten behandeln und nicht Papier vollschreiben oder
uns mit dem PC rumärgern!!!



Nochmal, ich habe nichts dagegen, wenn wichtige Dinge (z.B. Diagnosen,
wichtige Befunde, Rezepte usw) direkt auf der Patientenkarte gespeichert
werden. Aufgrund der eingeschränkten Speichermöglichkeit wird man sich hier
auf das wichtigste beschränken müssen, das System ist kostengünstig und
anwenderfreundlich umzusetzen). Eine zentrale Lösung ist teuer, verursacht
bei Einrichtung und Betrieb viel Aufwand, Datensicherheit? - der Nutzen ist
eher gering bzw. mit anderen Mitteln einfacher zu erreichen (Speicher direkt
auf Gesundheitskarte, Klarsichtordner für Befunde, Fax an Hausarzt).

Michaela



> Hallo,
>
> ich habe noch eine weitere Frage:
>
> wird es bei der weiteren Verrechtlichung unseres Gesundheitssystems
> vielleicht sogar so kommen, dass ein Arzt, der einen Patienten, der es
> verweigert, ohne Einsicht in die ePA behandelt bei einem dadurch
> bedingten Fehler haftbar gemacht wird - nach dem Motto: gut Sie haben
> nach Ihrer Informationslage richtig gehandelt, aber Sie hätten die
> Behandlung verweigern müssen bis Sie alle verfügbaren Informationen
> hatten.
>
> Euer Jürgen
>




  • Re: [AG-Gesundheit] AG-Gesundheitswesen Nachrichtensammlung, Band 9, Eintrag 17, mb, 17.08.2010

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