Zum Inhalt springen.
Sympa Menü

ag-geldordnung-und-finanzpolitik - [AG-GOuFP] Fwd: Re: Geldschöpfung vs Fristentransformation

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

Listenarchiv

[AG-GOuFP] Fwd: Re: Geldschöpfung vs Fristentransformation


Chronologisch Thread 
  • From: Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de>
  • To: AG AG-Geld <AG-Geldordnung-und-Finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [AG-GOuFP] Fwd: Re: Geldschöpfung vs Fristentransformation
  • Date: Mon, 5 Jun 2017 20:16:06 +0200




-------- Weitergeleitete Nachricht -------- Betreff: Re: Geldschöpfung vs Fristentransformation Datum: Mon, 5 Jun 2017 20:13:24 +0200 Von: Rudolf Müller <muellerrudolf AT on22.de> An: Moneymind <moneymind AT gmx.de>

Lieber Wolfgang,

auch Dir vielen Dank für das Lesen und die Wertschätzung meiner Beiträge.

Am 05.06.2017 um 14:24 schrieb Moneymind:
Lieber Rudolf,

vielen Dank für Deinen sehr schönen Beitrag, auch die Hinweise auf deine Beiträge zur goldenen Finanzierungsregel, der Bodensatztheorie und der Shiftability-Theorie.   Ich habe alles gelesen.  Du hast das sehr schön strukturiert und erklärt, alle Achtung. 

Das Problem sehe ich weniger darin, daß das, was Du schreibst, nicht stimmen würde, mal abgesehen von einer Reihe von vermeidbaren Mehrdeutigkeiten durch die Verwendung ungenügend präzise definierter Begriffe. 

Ich würde mich freuen, wenn Du mir die "vermeidbaren Mehrdeutigkeiten"  und die "Verwendung ungenügend präzise definierter Begriffe" benennst, damit ich meine Beiträge entsprechend überarbeiten und verbessern kann. Auch gerne in einer PN, damit die Leser hier nicht mit Begriffsdefinitionen belästigt werden.

Sondern eher darin, daß wichtige, fürs Verständnis der Dynamik einer Kreditwirtschaft entscheidende Aspekte fehlen.  Vielleicht aber hast Du diese ja anderswo auf Deinen Seiten beschrieben.  Ich möchte Dir dazu daher einige Fragen stellen und würde mich freuen, wenn Du sie aus Deiner Sicht beantworten könntest, gerne wieder auch mit Hinweis auf Beiträge auf deinen sehr informativen und übersichtlich angelegten Seiten. 

Nochmals Danke für Dein Lob. Beiträge mit dem gewünschten Inhalt über die Dynamik einer Kreditwirtschaft suchst Du bei mir vergebens, da ich schlicht und einfach noch nicht bis zu diesem Thema gekommen bin.

Ich beginne lediglich mit einem Beispiel, und entwickle dann daraus eine Reihe von Fragen, die sich für die idealtypischen Situationen von "Boom" und Finanzkrise ("Bust") mithilfe von Bilanzdarstellungen und einigen Spezifikationen (wie Fälligkeitstermine und erwartungsabhängige Bewertungen von Aktiva (bei Finanzaktiva: Nominalwert abzüglich Diskont, also erwartungsabhängige Schätzung von Diskontsätzen) beantworten lassen.   Auf Deine Anwort freue ich mich. 

Ich beginne mit einem Zitat aus Deinem "Bodensatztheorie"-Artikel:

"Aus Erfahrung wussten die Banken, dass niemals sämtliche Noten zur Auszahlung in echtem Geld vorgelegt wurden. Auch die Auszahlung der Sichteinlagen in barem Geld wurde nie gleichzeitig gefordert . Es reichte, wenn ein gewisser Prozentsatz an Bargeld vorhanden war. Die für den Zahlungsverkehr nicht benötigten Geldmittel wurden entsprechend als "Bodensatz" bezeichnet."

Das Problem besteht hier darin, daß Du nicht zwischen den unterschiedlichen Situationen Boom und Finanzkrise unterscheidest.  Banken wußten sehr wohl, daß im Boom kaum Noten zur Bareinlösung präsentiert oder die Barauszahlung von Guthaben verlangt wurde.  In dieser Situation reichte ein "Bodensatz" an Bargeld ("Teilreservesystem").  In den damals häufigen Finanzkrisen hingegen tendierten die Kunden dazu, sämtliche Guthaben in bar abzuziehen und sämtliche Noten in bar einzulösen.  Dies führte immer wieder zu Pleitwellen von Banken (und auch Unternehmen der Realwirtschaft).   Boom und Finanzkrisen haben mE vor allem einen Einfluss auf die durch Eigengeschäfte von der Bank erworbenen Aktien und Unternehmensbeteiligungen. Weniger davon betroffen sind Kredite. Betrachtet man sich die Aktivseite der konsolidierten Bankbilanzen in Deutschland, liegt der Anteil der Aktien und Unternehmensbeteiligungen bei etwa 18 % der Bilanzsumme.
(Schülerbuch Geld und Geldpolitik, Seite 89, Ausgabe 2015) Folglich kann auch nur von diesem Anteil eine maßgebliche Beeinflussung stattfinden. Die vorgenannten 18 % sind jedoch nur ein Durchschnittswert, sodass es auch Banken mit einem wesentlich höheren Anteil geben kann. Die Pleitebanken hatten sicherlich einen bedeutend höheren Anteil an Eigengeschäften, welche ihnen schließlich zum Verhängnis wurden. Viel mehr kann ich Dir auch zu Deinen nachfolgenden Fragen nicht sagen, da ich mich damit noch nicht näher beschäftigt habe.
Ebenfalls fehlen in Deinen Betrachtungen Diskont- und Zinssätze und deren Veränderung in Boom und Bust.

Ich würde nun von Dir wissen, wie sich solche Booms und Krisen deiner Ansicht nach abspielen:  im Kopf der Beteiligten Akteure selbst - und vor allem in ihren Bewertungen ihrer Aktiva.  Hierzu einige Fragen:
  • Wie ändern sich die Aktivseiten von Bilanzen in einer deflationären Depression
  • in Bezug auf die Vermögenswerte der "Sachaktiva" (Eigentumstitel)
  • in Bezug auf die die Abschläge vom Nominalwert (Diskont) bei Finanzaktiva definierter späterer Fälligkeit
  • in Bezug auf die "Liquidität" bzw. "Shiftability" der auf den Aktivseiten befindlichen Vermögenswerten?
  • im Zusammenhang damit in Bezug auf die Risikostruktur (Ausfallrisiken) der Finanzaktiva (Forderungen) auf der Aktivseite?
  • Wie ändern sich die Aktivseiten von Bilanzen in einem Boom
  • in Bezug auf die Vermögenswerte der "Sachaktiva" (Eigentumstitel)
  • in Bezug auf die die Abschläge vom Nominalwert (Diskont) bei Finanzaktiva definierter späterer Fälligkeit
  • in Bezug auf die "Liquidität" bzw. "Shiftability" der auf den Aktivseiten befindlichen Vermögenswerten?
  • Welche Funktionen erfüllen Zentralbanken (die es ja noch nicht sehr lange gibt)
  • in einer Finanzkrise (was ist und wie funktioniert die "Lender/Dealer of Last Resort"-Funktion der ZBen?)
  • in einem Boom?
  • Was ist expansive, was ist restriktive Geldpolitik und wie wirken sich beide jeweils aus auf
  • die Aktivseite von Bankbilanzen
  • die längerfristigen Risikoerwartungen und -Kalkulationen der Geschäftsbanker? 

Du könntest diese Fragen z.B. anhand des dotcom-booms und der Lehman-Pleite 2008 mit der anschließenden Finanzkrise beantworten. 

Wie bereits weiter oben gesagt habe ich mich mit diesen Themen noch nicht beschäftigt. Im Vordergrund stehen in meinen Beiträgen die Grundfunktionen des Geldsystems. Diese sollten dann sicher noch um die von Dir erwähnten Bereiche erweitert werden. Vielleicht hast Du Interesse an der Erstellung entsprechender Beiträge in dem von mir gepflegten Wiki? Du bist herzlich eingeladen Dich dort mit einzubringen.

Und zu guter letzt noch die Frage:  woraus besteht Deiner Ansicht nach "Vermögenswert" genau - was ist "Vermögenswert", und vor allem, was hat er mit den Erwartungen derer zu tun, die Bewertungen ihrer Aktiva oder der Aktiva ihrer Schuldner (z.B. zwecks Bonitätsprüfung) vornehmen oder überprüfen?  Denn die Veränderungen auf den Aktivseiten der Bilanzen (bei gleichbleibender Zusammensetzung) ergeben sich ja durch Bewertungsakte der Bilanzierenden und ihrer Gläubiger aufgrund von Ertrags- und Risikoerwartungen, die zu Auf- oder Abwertungen von Sachaktiva, zur Kalkulation größerer oder geringerer Diskontsätze (Differenz zw. Nominalwert bei Fälligkeit und gegenwärtigem Marktwert) für Finanzaktiva und zur Neueinschätzung des Liquiditätsgrades der Aktiva.
Auch die vorstehende Frage kann ich Dir aus den o. g. Gründen kaum zufriedenstellend beantworten und verzichte deshalb lieber darauf.

Mit den besten Grüßen
Rudi Müller


So weit erstmal - danke & Gruß
Wolfgang


Am 05.06.2017 um 08:55 schrieb Rudolf Müller:

Hallo Wolfgang,


im Beitrag zu "Fristentransformation: Frage" vom 11.05.2017 19:23 hast Du geschrieben:

Als ich vor ca. 3 Jahren mal bei einer Veranstaltung mit Brodbeck und Huber war, in der es um Vollgeld ging, stand der lokale Sparkassendirektor auf und sagte: "ich weiß nicht worüber sie reden mit dieser Geldschöpfung - wir machen Fristentransformation."

Ein typisches Beispiel für die Sprachverwirrung zwischen Volkswirten und Bänkern. Die Volkswirte modellieren sich das Geldsystem und den Bankensektor so zurecht, wie sie ihn für ihre volkswirtschaftlichen Betrachtungen gerne hätten. Was dabei in den Banken tatsächlich insgesamt abläuft, interessiert sie offensichtlich nicht. Die Funktion unseres Geldsystems mit Guthaben und Schulden wird in Sach- und Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre zwar vielfach beschrieben und erklärt, bei der Erklärung von Geld beschränken die Autoren sich vielfach auf die Funktionen von Geld und wie Geld eingesetzt wird. Wie Geld entsteht, wird überwiegend entweder nicht erläutert, oder es wird auf die Entstehung der Tauschwirtschaft verwiesen. Neu wird jetzt wieder die bereits im 19. Jahrhundert bekannte "Geldschöpfungstheorie der Banken" aus der Schublade hervorgeholt und als neue Erkenntnis angepriesen. (z. B. Norbert Häring, Die Bundesbank versucht über Geldschöpfung aus dem Nichts aufzuklären – vergeblich, http://norberthaering.de/de/27-german/news/818-bundesbank-geldschoepfung) 

Die Bänker hingegen leben in ihrer eigenen Welt. In der Bankbetriebslehre und den Fachbücher über Banken und das Kreditwesen kommt das Wort "Geldschöpfung" so gut wie garnicht vor.  Das Stichwort „Geldschöpfung“, unter welchem die Entstehung von Geld eigentlich beschrieben werden sollte, sucht man teilweise vergebens. Wird die Geldschöpfung beschrieben, so geschieht dies auf weniger als zwei Seiten in einem Buch mit über 1000 Seiten. Im Wesentlichen beschränken sich die Erklärungen auf folgende Aussage: „Die Geldschöpfung der Geschäftsbanken erfolgt durch Kreditgewährung und Buchung der eingeräumten Kredite auf Konten. Das so entstandene Buchgeld ist seinerseits die Grundlage für weitere Kreditgewährungen durch die Banken.“ Nun kommt noch der Satz des oben erwähnten Sparkassendirektors hinzu: "ich weiß nicht worüber sie reden mit dieser Geldschöpfung - wir machen Fristentransformation."

In der o. g. Veranstaltung trafen offensichtlich die Mitglieder zweier unterschiedlicher Gruppen aufeinander, die nicht die gleiche Sprache benutzten. Sie interessierten sich jedoch auch offensichtlich nicht für den Sprachgebrauch der jeweils anderen Gruppe. Überzeugt von der eigenen Vorstellung über die Funktionsweise des Geldsystems wird die Auseinandersetzung mit der jeweils andern Meinung als unnötiger, nicht zielführender Aufwand angesehen.


Geldschöpfung der Banken aus volkswirtschaftlicher Sicht
Unbestritten ist wohl heute die Aussage, dass in einem Kreditvorgang sowohl eine neue Forderung der Bank an den Kreditnehmer entsteht wie auch gleichzeitig eine neue Forderung des Kreditnehmers an die Bank. Diese Forderungen unterscheiden sich im Wesentlichen in den zugrunde liegenden Fristen. Während die Kreditforderung der Bank erst nach z. B. 2 Jahren fällig ist, besteht für die Forderung des Kreditnehmers an die Bank keine Frist. Die Forderung des Kreditnehmers an die Bank, unser "Giralgeld", ist sofort fällig. Dieser unterschiedlichen Fristigkeit wird von Volkswirten jedoch keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Aus ihrer Sicht schöpfen die Geschäftsbanken im Kreditvorgang neues "Geld" aus dem Nichts.
Die Formulierung "aus dem Nichts" soll andeuten, dass "neues Geld" = "täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber den Kunden" geschaffen wurde, ohne dass die Bank über entsprechende täglich fällige Forderungen (z.B. Bargeld, täglich fällige Guthaben bei der Zentralbank oder bei anderen Banken) verfügt. Das den "täglich fälligen Verbindlichkeiten der Bank gegenüber den Kunden" langfristige Forderungen und Vermögenswerte auf der Aktivseite gegenüberstehen, wird dabei verschwiegen.

Fristentransformation aus Bankensicht
Unter Fristentransformation wird allgemein verstanden, dass ein Kreditnehmer  z. B. einen Kredit über 10.000 € für 5 Jahre benötigt, jedoch kein Sparer bereit ist, diesen Betrag für 5 Jahre festzulegen. Der Sparer möchte den Betrag nur für 1 Jahr festlegen. Die Bank gewährt den Kredit, muss demnach nach einem Jahr einen neuen Sparer finden, der ebenfalls bereit ist, einen Sparbetrag in dieser Höhe für ein Jahr festzulegen. Die Bank benötigt somit zeitlich hintereinander 5 Sparer mit einem Sparbetrag von jeweils 10.000 €, um dem Kreditnehmer den Betrag von 10.000 € für 5 Jahre zur Verfügung zu stellen. 5 Jahresfristen hat sie zu einer 5-jährigen Frist transformiert. In dieser Fristentransformation wird eine wesentliche Funktion unseres Bankensystems gesehen. Was geschieht aber mit dem "Giralgeld", den täglichen Forderungen der Kunden an die Bank? Der einzelne Kunde wird sein Giralgeld für Überweisungen oder aber Barauszahlungen benutzen. Betrachtet man jedoch den gesamten Giralgeldbestand einer Bank stellt man fest, dass dessen Summe sich nur noch unwesentlich verändert, in der Tendenz immer steigend. Obwohl also der Bankkunde sein Giralgeld täglich für Zahlungen verwenden kann und dies auch tut, besitzt jede einzelne Bank einen "Bodensatz" an Giralgeld, der stets vorhanden ist. Dieser wirkt sich wie ein dauerhafter Kredit der Bankkunden gegenüber der Bank aus. In Höhe dieses Bodensatzes kann also die Bank langfristige Kredite vergeben ohne sich der Gefahr auszusetzen, dass es zu Zahlungsengpässen kommt.
Ohne die Erkenntnis über diesen Bodensatz müsste die Bank soviele "täglich fällige Aktiva" besitzen wie sie an Giralgeldern auf den Konten ihrer Kunden verbucht hat. Dann hätte sie fristenkongruent finanziert, dass heißt, den täglich fälligen Forderungen der Kunden an die Bank auf der Passivseite würden auch täglich fällige Forderungen auf der Aktivseite gegenüberstehen.
Aufgrund destatsächlich vorhandenen Bodensatzes ist dies jedoch nicht erforderlich. Die Bank hat tägliche fällige Kredite ihrer Kunden erhalten, deren Giralgelder, und finanziert damit langfristige Kredite an Kreditkunden. Sie betreibt Fristentransformation auf der höchsten Stufe, d. h. aus Krediten ohne Frist generiert sie langfristige Kredite.

Fazit
An Gemeinsamkeiten lässt sich bei beiden Betrachtungen feststellen, dass "täglich fällige Verbindlichkeit der Bank gegenüber den Kunden" neu geschaffen wurden, ohne dass diesen auch "täglich fällige Forderungen der Bank" gegenüberstehen. Die Volkswirte bezeichnen diesen Vorgang als "Geldschöpfung", wohingegen die Banken von "Fristentransformation" sprechen. So einfach lässt sich das anfängliche Sprachproblem zwischen Volkswirten und Bänkern lösen. Die gegenseitige Position muss lediglich ernsthaft wahrgenommen und untersucht werden.
Otto Hübener beschreibt bereits 1853, dass bei der Fristentransformation die Bank etwas verkauft, was sie zum Zeitpunkt der Kreditgewährung noch nicht besitzt. Eine Form von ungedecktem Leerverkauf.

weiter Informationen:
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Goldene_Bankregel
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Bodensatztheorie
http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Shiftability-Theorie

Mit den besten Grüßen
Rudi Müller








  • [AG-GOuFP] Fwd: Re: Geldschöpfung vs Fristentransformation, Rudolf Müller, 05.06.2017

Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.

Seitenanfang