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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Geld und Geldschöpfung auf der realen Ebene von Banken

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Geld und Geldschöpfung auf der realen Ebene von Banken


Chronologisch Thread 
  • From: Arne Pfeilsticker <Arne.Pfeilsticker AT piratenpartei-hessen.de>
  • To: Amos comenius <comenius2000 AT gmail.com>
  • Cc: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Geld und Geldschöpfung auf der realen Ebene von Banken
  • Date: Fri, 4 Nov 2016 21:08:18 +0100

Hallo Comenius,
zunächst besten Dank für deine Rückmeldungen.

Am 04.11.2016 um 20:01 schrieb Amos comenius <comenius2000 AT gmail.com>:

Die rekursive Gelddefinition braucht den Rekursionsanker "Zentralbankgeld". Ohne diesen wird die Definition "Geld ist ein Anspruch auf Geld" zur Tautologie.
Der Rekursionsanker muss nicht zwangsläufig die Zentralbank sein. Nur ist er es im Falle von Euro.

Nun haben Rudolf und andere hier bereits dargelegt, dass ein modernes Kreditgeldsystem auch ohne Bargeld und in der Folge auch ohne Zentralbank funktionieren könnte,

Kein Problem. Die Aufgabe von Materiellen Definitionen in meiner Geldtheorie habe genau die Aufgabe, den jeweiligen Sachverhalten gerecht zu werden. Wie du sehen kannst ist die materielle Definition für Vollgeld und Bitcoins nicht rekursiv.

wohlgemerkt nicht ohne Rechtsordnung einschließlich der Bankenaufsicht. Damit ist einer rekursiven Gelddefinition der Rekursionsanker entzogen.

Hinzu kommt, dass der entscheidende Aspekt des Geldes in der rekursiven Definition nicht erfasst wird. Für den, der Geld (letztlich das Geld einer bestimmten Währung) als Gegenleistung für eine von ihm erbrachte Leistung, z.B. Arbeitsleistung, entgegennimmt, ist entscheidend, dass er hoffen darf, in der Zukunft für dieses Geld von einem anderen eine von ihm gewünschte Leistung zu erhalten, die im Wert ungefähr der von ihm erbrachten (Arbeits-)Leistung entspricht.

Diese Kopplung wird durch Verträge gemacht, die zwei getrennte Schuldverhältnisse beinhalten. Wie die Tauschverhältnisse von Leistung und Gegenleistung in den Verträgen ist, hängt auch aber primär nicht nur an dem Schuldverhältnis Geld.

Entscheidend für die Funktionsweise eines Wert-Zeichens (Banknote, Kontostand, Muschel ...) als Geld ist dass die Wahrscheinlichkeit, dass ich dafür die von mir gewünschten Leistungen in angemessenem Umfang erhalten werde, als überaus hoch und das Risiko, dass solches nicht geschieht, als vernachlässigbar klein von allen am Wirtschaftsleben Beteiligten eingeschätzt wird. Eine materielle Definition von Geld, die nicht auf die Notwendigkeit dieses Vertrauens verweist, welches ein Zeichen erst zu "Geld" machen kann, erscheint mir unvollständig.

Du musst eine bestimmte materielle Definition immer zusammen mit der funktionalen Definition sehen. Und genau dort wird der Zusammenhang zwischen Nominalwert und Tauschwert in der Wertgleichung beschrieben.

Wie dieses Vertrauen hergestellt wird und wurde, ist historisch unterschiedlich. Ein wichtiger Aspekt war und ist (in Gesellschaften mit einem funktionierenden Staatswesen), dass der Staat das Wertzeichen als Mittel zur Tilgung einer Steuerschuld anerkennt und selbst seine "Sold"aten und Bediensteten damit bezahlt. Ein anderer Aspekt, der das Vertrauen generieren hilft, ist ein staatlich geregeltes Verfahren zur Herstellung der entsprechenden Wertzeichen. Im Falle unseres modernen Giralgeldes sind dies alle die Regelungen, die das Bankensystem und das damit verbundene Zahlungssystem betreffen. Diese Regelungen stellen im Kern sicher, dass als Giralgeld genau das Geld geschaffen werden kann, für das ein Kreditnehmer verspricht eine (wert-)entsprechende Gegenleistung in der Zukunft zu erbringen (für die er dann Geld von anderen bekommt, womit er seinen Kredit tilgen kann). Die Regeln für das Banksystem stellen darüber hinaus sicher, dass die Bank sorgfältig prüft, ob der jeweilige Kreditnehmer auch in der Lage sein wird, die versprochene Leistung zu erbringen und lassen die Bank für Fehleinschätzungen dabei mit ihrem Eigenkapital haften. Falls dieses nicht ausreicht muss die Gemeinschaft der Banken mit einem Einlagensicherungssystem (zumindest begrenzt) die ausgefallene Leitung des Schuldners durch eigene Leistung ersetzen. Im Hintergrund sorgt der Staat für die Funktionsfähigkeit des Banken- und Zahlungssystems ("What ever ist takes ..."), unter Umständen auch dadurch, dass er Geld schafft bzw. Kredite vergibt, für die kein belastbares Leistungsversprechen vorliegt, was zu einer anteiligen, wenn in der Regel auch minimalen Belastung aller Geldhalter (im gleichen Währungssystem) führt.

Die Eintauschbarkeit von Giralgeld in Bargeld oder Zentralbankengeld mag das Vertrauen des Einzelnen, der das System nicht versteht, erhöhen. Es sind jedoch keine Komponenten, die das Vertrauen substantiell rechtfertigen oder vergrößern können. Sie sind durchaus verzichtbar. Schon gar nicht braucht es eine "unabhängige" Zentralbank. Im Gegenteil: Nicht verzichtbar ist ein Staat, der stark genug ist, das Banken- und Zahlungssystem substantiell zu kontrollieren und seine Funktionsfähigkeit sicher zu stellen.

Es ist nicht die Kontrolle der Banken, die an dieser Stelle erforderlich ist, sondern die gegebenenfalls staatlichen Durchsetzung einer Forderung die das Vertrauen schafft und aufrecht erhält.

Der rekursiven Gelddefinition ist also der Rekursionsanker und damit die Basis entzogen.

Diese Schlussfolgerung verstehe ich leider nicht. 

Der etablierte Mechanismus, dass Banken in dem Umfang Geld schaffen, in dem leistungsbereite und leistungsfähige Schuldner für die Zukunft Leistungen versprechen, und Geld vernichten, wenn diese Leistungen erbracht sind, ist eine sehr gute Grundlage für das Vertrauen in eine Währung (ein funktionierendes Staats- und Wirtscahftssystem vorausgesetzt).

Die staatliche Schaffung (und Vernichtung) von "Willkürgeld" durch eine Zentralbank (auf der Grundlage von Expertenschätzungen) ist demgegenüber deutlich risikobehafteter. Ein Vollgeldsystem wäre also deutlich weniger vertrauenswürdig als ein korrekt funktionierendes Kreditgeldsystem.

Ein Vollgeldsystem ist ein Kreditgeldsystem! Nur mit dem Unterschied, dass nur die Zentralbank das Kreditgeld herstellen darf.

Gruß
Arne

Ahoi,
Comenius


Am 03.11.2016 um 17:31 schrieb Arne Pfeilsticker:
Hallo AG,
zugegen ich habe mich in den letzten Monaten in der AG und dieser Mailingliste ziemlich rar gemacht, - aber ich war nicht untätig. Ich habe an einer Studie zu Geld und Geldschöpfung auf der realen Ebene von Banken gearbeitet.

Über den Link: https://www.hidrive.strato.com/lnk/2oAEPJ05 kannst du dir den Entwurf meiner Studie zur Geldschöpfung bei der GLS-Bank herunter laden. Ich werde das Dokument hinter diesem Link ständig updaten und euren Feedback einarbeiten.

Über jeden Hinweis oder Anmerkungen würde ich mich sehr freuen. - Auch wenn es nur die Rechtschreibung oder Ausdrucksweise betrifft.

Besonders würde mich deine Meinung zur Weiterentwicklung meiner Funktionalen und den Materiellen Gelddefinitionen interessieren:

Die funktionale Definition spezifiziert die notwendigen und hinreichenden Anforderungen die alle Arten von Geld zu allen Zeiten und in allen Kulturen erfüllen.

Die materiellen Definitionen implementieren diese Anforderungen in einer bestimmten Art und Weise. Sie beantworten z.B. die Frage: Aus was ist unser heutiges Kreditgeld gemacht?

Ich war vom Ergebnis selbst überrascht, dass es tatsächlich möglich ist, Geld und Geldschöpfung ohne Bankbilanzen und Konten zu erklären. Erst dadurch ist mir ein erheblicher Verstoß gegen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in den Bankbilanzen aufgefallen.

Du kannst die Analyse bzw. den Link gerne an Interessierte weiterleiten mit der Bitte um Anmerkungen und Kritik.

Viele Grüße
Arne

PS: Zur Anregung die ersten beiden Kapitel:

Geld und Geldschöpfung auf der realen Ebene von Banken

Autor: Arne Pfeilsticker  Status: in Arbeit Stand: 3.11.2016

1 Motivation und Zielsetzung

Wer mit selbstgemachtem Geld Güter und Dienstleistungen kaufen und Kredite vergeben kann, hat gegenüber allen Anderen, die für Geld gleichwertige Gegenleistungen erbringen müssen, einen unschlagbaren Vorteil.

Hierin liegt die Relevanz und Brisanz der Frage, ob, in welchem Umfang und mit welcher Wirkung der Finanzsektor Geld selbst herstellen und in Umlauf bringen kann.

Die Auseinandersetzung wird auf der Ebene von Bankbilanzen geführt. – Aber eine Bankbilanz hat mit Geld und Geldschöpfung genauso viel oder wenig zu tun, wie eine Ligatabelle mit den erfassten realen Fußballspielen. Eine Ligatabelle „bilanziert“ spielrelevante Ergebnisse, aber die Spiele selbst sind etwas ganz anderes. Dieser Unterschied ist bei Bankbilanzen und Geld mindestens genau so groß, jedoch kaum bekannt. – Die allgemeine Wahrnehmung von Geld endet auf der Ebene von Banknote und Bankkonten.

Diese Wahrnehmung führt auch zu der Behauptung: „Banken schöpfen Geld aus dem Nichts.“ Diese Behauptung ist vergleichbar mit der These: „Pflanzen wachsen aus dem Nichts.“ Diese Aussage ignoriert die Bedeutung der Biosphäre für das Wachstum von Pflanzen. Die Rechtsordnung ist die „Biosphäre“ für Geld und Geldschöpfung und wird bei der „Geldschöpfung aus dem Nichts“-These nicht beachtet. In dieser Studie wird die Bedeutung der Rechtsordnung für Geld dargelegt. Zur Verdeutlichung wird gezeigt, wie durch einen einzigen zusätzlichen Paragrafen alles Geld und der gesamten Finanzsektor schlagartig vernichtet werden könnte. Der Zusatz lautet: Ansprüche auf Geld sind nichtig.

Der Beweis, warum und wie dieser Zusatz Geld und den gesamten Finanzsektor vernichten könnte, findet sich in Kapitel 4.3.1

Wenn die Ligatabelle alles ist, was man über Fußball weiß, dann wäre ein reales Fußballspiel eine ziemliche Überraschung. Eine ähnliche Überraschung bietet diese Analyse demjenigen, der Münzen, Banknoten und die Daten auf Girokonten für Geld hält. Die Analyse zeigt, dass Münzen, Banknoten und die Daten auf Girokonten Geld lediglich nachweisen, aber nicht das reale Phänomen Geld sind. Das reale Phänomen Geld ist etwas ganz anderes. Der Unterschied ist so ähnlich wie der zwischen einem Personalausweis und der ausgewiesenen Person. Ein Personalausweis weist eine Person aus, aber die ausgewiesene reale Person ist etwas ganz anderes.

Das Ziel dieser Analyse besteht darin, Geld und die Geldschöpfung auf der realen Ebene und unabhängig von Bilanzen darzulegen.

2 Zusammenfassung

Eine Bilanz ist Dokumentation und Interpretation der realen Ebene, aber nicht die reale Ebne selbst, in der Geld existiert. Buchungssätze dokumentieren, filtern und bewerten vermögensrelevante Geschäftsvorfälle und bilden damit die reale Ebene eines Unternehmens in einer ganz bestimmten Art und Weise ab.

Auf der Basis der realen Ebene von Banken wird eine funktionale Definition entwickelt, die alle notwendigen und hinreichenden Anforderungen für alle Arten von Geld zu allen Zeiten und allen Kulturen spezifiziert. 

Materielle Definitionen implementieren diese Anforderungen und führen so zu den bekannten Geldarten, wie z.B. Warengeld, Kurantgeld, Kreditgeld oder Bitcoins.

Das reale Phänomen Geld und Geldschöpfung legen nahe, den Geldbegriff und die Abgrenzung der Geldmengen zu überdenken.

Die Analyse ergab, dass Geldschöpfung nicht nur für Banken möglich ist, aber nur für Banken bestehen die rechtlichen und technischen Rahmenbedingungen, die ihr geschöpftes Geld zu Zahlungsmittel machen. Diese Rahmenbedingungen sind aber die Voraussetzung, um aus der Geldschöpfung einen Gewinn zu ziehen.

Überraschender Weise hat die Analyse auf der realen Ebene Widersprüche in der Bilanzierung aufgedeckt. Erhebliche Vermögenwerte fehlen in der Bilanz und die Wertansätze für Forderungen und Verbindlichkeiten sind überwiegend falsch, d.h. betroffen sind wertmäßig ca. 80-90% der Bilanzsumme.

Woher kommt die Macht des Geldes ist die vielleicht wichtigsten Erkenntnisse aus der Analyse der realen Ebene.

Im Detail werden in dieser Studie folgende Ergebnisse begründet:

Geld: Alle Rechtsansprüche auf Geld sind Geld.

Geldschöpfung: Jeder neue Anspruch auf Geld.

Bar- und Giralgeld: Ansprüche auf Geld werden zu Geld im engeren Sinne, wenn es Rahmenbedingungen gibt, in denen Forderungen zur Begleichung von Verbindlichkeiten verwendet werden (Zahlungsmittelfunktion).

Wenn Beding 3 nicht erfüllt ist, dann können Forderungen dennoch Geld i.e.S. sein, wenn es Märkte oder Vereinbarungen gibt, in denen diese Forderungen effizient und nahezu pari in Bar- oder Giralgeld umgetauscht werden können. (z.B. Geldmarktpapiere)

Die Summe der Passiva aller Bankbilanzen weisen Geld nach, das der Finanzsektor selbst hergestellt hat. Das Eigenkapital der Bankbilanzen könnte man auch als die „Girokonten“ der Banken selbst betrachten.

Nicht nur die Auszahlung eines Kredits, sondern alle Zahlungen von Banken an Nichtbanken führen direkt oder indirekt zu einer Geldschöpfung.

Nicht nur die Tilgung eines Kredits, sondern alle Zahlungen von Nichtbank an eine Bank führen direkt oder indirekt zu einer Geldvernichtung.

Die Einlagen der Kunden, sind nicht die entsprechenden Positionen auf der Passiva-Seite der Bilanz, sondern die Aktiva, die im Zuge z.B. einer Einzahlung zufließen, wie z.B. Barreserve. Hinter der Passiva-Position Kundeneinlagen verbergen sich die Rückzahlungsansprüche für geleisteten Einlagen durch die Kunden. 



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