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Re: [AG-GOuFP] Varoufakis: Schäuble's Plan for Europe (kommenden Do in der ZEIT, vorab am blog)
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- To: Axel Grimm <axel.grimm AT baig.de>
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Varoufakis: Schäuble's Plan for Europe (kommenden Do in der ZEIT, vorab am blog)
- Date: Mon, 03 Aug 2015 14:43:05 +0200
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Am 30.07.15 um 13:51 schrieb Axel Grimm:
> ivl1705 schrieb:
>> Hält man sich
>> vor Augen, dass eine Nichtbankenbilanz in der Bankenbilanz bereits
>> grundsätzlich vorhanden ist, allerdings spiegelbildlich (Aktiva der Bank
>> ist Passiva der Nichtbank und umgekehrt), so ergibt sich daraus, dass
>> der Vermögensstatus einer Volkswirtschaft bereits vollständig vom
>> Bankensystem abgebildet wird.
>
> Der Vermögensstatus einer Volkswirtschaft kann NICHT aus den
> Bankbilanzen entnommen werden.
Da muss ich ein wenig weiter in der Historie ökonomischer Modellbildung
ausholen. Ausgangspunkt des Mainstreams ist immer noch das
reduktionistische Nutzenkalkül der Neoklassik. Die axiomatische
Gleichsetzung sämtlicher Gütermärkte mit einem hypothetischen
Numeràire-Gut in der mikroökonomischen Totalanalyse nach Walras bildet
die methodische Grundlage für die mathematische Formulierung in
'Gleichgewichtsmodellen'. Das war um 1870. Um 1900 wurde durch Alfred
Marshall die Produktion mit der Einführung der
Cobb-Douglas-Produktionsfunktion[1] in dieses Modell integriert. Damit
war der Rumpf für ein einfaches volkswirtschaftliches Gesamtmodell
geschaffen: Unternehmen wurden im Unternehmenssektor extrapoliert,
Arbeitnehmer in Privathaushalte. Das Modell wurde dahingehend
verfeinert, indem die Sektoren 'Banken', 'Staat' und 'Ausland'
angeflanscht wurden. Der Beginn einer volkswirtschaftlichen
Gesamtrechnung ist eng mit der Arbeit von J.M.Keynes verbunden. Keynes'
Denken war aber noch tief in neoklassischer Sichtweise verhaftet, so
dass er lediglich Paradoxien herausarbeiten konnte (Liquidity Trap). Die
praktischen Probleme bei der VGR hat Flassbeck dieser Tage illustriert:
<http://www.flassbeck-economics.de/anmerkungen-zur-berechnung-des-bip-in-spanien-und-anderswo/>
Fakt ist, dass bis heute kein konziser Vermögensstatus einer gesamten
Volkswirtschaft zu einem Zeitpunkt erfasst wird.
Die Bilanztheorie mit der Unterscheidung zwischen Anlage- und
Umlaufvermögen sowie Eigenkapital und Fremdkapital liefert den
konzeptionellen Ansatz einen solchen Vermögensstatus zu ermitteln. Die
wesentlichen Grundlagen für eine volkswirtschaftliche Betrachtung hat
Wolfgang Stützel mit seiner Saldenmechanik gelegt. Als wesentliche
Erkenntnis kann daraus gezogen werden, dass beim Übergang von Partial-
zur Globalbetrachtung Paradoxien auftreten.
Die Quantumanalyse löst diese Paradoxien auf, indem
1. mit der vertikalen Unterscheidung in national/international und
2. der zeitlichen Unterscheidung in Finanzierungs- und
Kapitalbildungsphase buchhalterische Grenzen setzt, das die Abbildung
eines gesamtwirtschaftlich konsistenten Darstellung des
Vermögensstatuses erlaubt.
Ideologisch stellt die Quantumökonomie einen Übergang vom
Konkurrenzparadigma zu einem Kooperationsparadigma dar. Das hat
natürlich auch Konsequenzen für die Politikberatung. Mit dem einfachen
'der Markt wird's schon richten' und einem vagen Wachstumsversprechen
für die Zukunft ist es dann nicht mehr getan. Die sture Extrapolation
aus der engen einzelwirtschaftlichen Perspektive eines
profitorientierten Unternehmens auf die 'Wettbewerbsfähigkeit' von
ganzen Staaten ist damit ebenso in Frage gestellt, wie die Wirksamkeit
einer 'Austeritätspolitik'. Die spöttische Bemerkung von Varoufakis,
Ökonomie stelle eine Religion mit mathematischen Gleichungen dar, kommt
dem aktuellen Zustand der Politikberatung durch die Ökonomie schon recht
nahe.
> Es fehlen:
> A- die Sachvermögen, die nur im Nichtbankensektor erfasst sind
Schon heute ist ein erheblicher Teil volkswirtschaftlichen Sachvermögens
erfasst: Das institutionalisierte Sachvermögen, das in Form von
Kapitalgesellschaften (wie etwa einer Aktiengesellschaft) eingeht. Es
wird bislang lediglich 'falsch' im Bereich Finanzierung erfasst.
Insgesamt fehlt natürlich noch einiges. Als erstes sind da die
Infrastrukturinvestitionen der Gebietskörperschaften zu nennen. Am
Beispiel der Autobahnen sei mal dargestellt um, welche Größenordnung es
sich da handelt:
Wir hatten 2014 lt. Stat. Bundesamt 12.917km Bundesautobahn. Als
Baukosten werden zwischen 6 und 20 Mio €/km in Verdichtungsräumen auch
schon mal 100 Mio € (Lärmschutzmaßnahmen!) veranschlagt. Bei willkürlich
angenommenen 10 €/km wären das allein ~130 Mrd€.
Hinzu kommen die Vermögenswerte nicht profitorientierter Körperschaften
(sowohl privaten als auch öffentlichen Rechts). Hier ist ein Ansatzpunkt
um die Allokation von Gemeingütern detaillierter zu betrachten (TODO in
separaten Thread).
Daneben müssten imho auch langfristige Konsumentscheidungen privater
Haushalte berücksichtigt werden. Am Beispiel eines 'Häuslebauers' sei
dies illustriert. Mit der Entscheidung ein Einfamilienhaus zu bauen,
wird ein Produktionsprozess angestossen, der auch volkswirtschaftlich
relevant ist. Relevant deswegen, weil dadurch eine Nachfrage nach Gütern
und Dienstleistungen im Bau- bzw. Baunebengewerbe angestossen wird. Der
physische Output (das Haus) wird wahrscheinlich seiner Lebtage nie einen
Gütermarkt zu Gesicht bekommen, da das Gut exklusiv vom Häuslebauer
genutzt wird. Heutzutage ist es ja so, dass das Haus nur dann am
Immobilienmarkt auftaucht, wenn es den Häuslebauer mit der Bedienung der
Hypothek zerlegt und das Objekt der Bank fürn Appel und ein Ei zufällt.
> B- die Ausleihungen im Nichtbankensekror untereinander.
Private Darlehen sind gesamtwirtschaftlich irrelevant, solange sie nicht
in Form einer Personengesellschaft sowohl institutionell als auch
rechtlich verfasst sind.
> C- die Finanzwertpapiere, die Nichtbanken von Banken gekauft haben
>
> zu C ein konkrtes Beispiel:
> Eine Staatsanleihen in den Aktiva einer Bank ist bei den Nicthbanken das
> Geld.
> Eine Staatsanleihe, die von "Invesoren" bei Banken gelauft worden ist,
> steht NICHT mehr in den Aktiva einer Bank. Das Geld dazu ist nicht merh
> da, das ist mit dem Kauf verschwunden = der Staat hat kein Geld erhalten.
Du hast zwar die Staatsanleihen aus den Geschäftsbanken herausgebucht,
sie stehen aber immer noch in der Bilanz der Zentralbank.
ivl1705
[1] Nebenbei bemerkt, liegt imho in der CDP die Ursache für den
'Wachstumszwang', dem sich die Ökonomen ausgesetzt sehen.
- Re: [AG-GOuFP] Varoufakis: Schäuble's Plan for Europe (kommenden Do in der ZEIT, vorab am blog), Gerhard, 03.08.2015
- Re: [AG-GOuFP] Varoufakis: Schäuble's Plan for Europe (kommenden Do in der ZEIT, vorab am blog), Axel Grimm, 04.08.2015
- <Mögliche Wiederholung(en)>
- Re: [AG-GOuFP] Varoufakis: Schäuble's Plan for Europe (kommenden Do in der ZEIT, vorab am blog), David Forstner, 03.08.2015
- Re: [AG-GOuFP] Varoufakis: Schäuble's Plan for Europe (kommenden Do in der ZEIT, vorab am blog), Arne Pfeilsticker, 04.08.2015
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