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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] russische Wahrnehmung der FED und des russischen Geldsystems

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] russische Wahrnehmung der FED und des russischen Geldsystems


Chronologisch Thread 
  • From: moneymind <moneymind AT gmx.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] russische Wahrnehmung der FED und des russischen Geldsystems
  • Date: Thu, 01 May 2014 21:10:50 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Wie diametral anders die Darstellung des FED in Russland aussieht, das zeigt ein Youtube Video (veröffentlicht bei Rott&Meyer) durch den führenden Politikwissenschaftler Nicolai Sarwikow.

http://www.rottmeyer.de/nikolai-starikov-das-russische-zentralbanksystem/

Das Weltwährungssystem aus unterschiedlichen Perspektiven sozusagen.
Food for thought (Wichtig auch die Kommentare lesen!)

Wie der Vortragende sagt, nutzt die russische Zentralbank ein currency board - klassisch für Länder, in denen mangels Rechtssicherheit und unzuverlässigem Steuersystems (mangelnde Steuergewalt des Staates) Forderungen nicht vollstreckt werden können, womit inländische Forderungen (gegen Private oder den Staat) nicht zur Basis der Emission einer halbwegs stabilen Währung nutzbar sind.

Halbwegs stabil halten kann man die Währung dann nur über die Bindung an eine stabile externe Währung, die ihrerseits eben aus einem Staat mit verläßlicher Steuergewalt und verläßlich einklag- und vollstreckbaren privaten Kontrakten beruht.

Wenn ein Staat, der keine verläßliche Steuergewalt hat, versucht, "Geld aus dem Nichts" zu schöpfen, dann wird daraus nichts (nämlich Geld, das keiner will). Dito für Banken, die "Geld aus dem Nichts" schöpfen, indem sie mangels Vertragssicherheit (Zivilrecht) nicht vollstreckbare Forderungen gegen Nichtbanken ankaufen.

David Woodruff hat das in seinem Buch "Money Unmade - Barter and the Fate of Russian Capitalism" für Rußland im Detail beschrieben. Schon das Vorwort beschreibt die irren Zustände, die entstehen, wenn man versucht, Kapitalismus herzustellen, ohne rechtliche Grundlagen für ein funktionierendes Kreditsystem zu haben (vollstreckbare Kontrakte zwischen Privaten, vollstreckbare Steuerschulden).

http://personal.lse.ac.uk/woodruff/_private/materials/MoneyUnmadePreface.pdf

Homepage David Woodruff:
http://www.lse.ac.uk/government/whosWho/profiles/dwoodruff@lseacuk/Home.aspx

Die mangelnde Vertragssicherheit (Zivilrecht!) ist auch Grund dafür, daß statt zivilen Vertragsbeziehungen direkte Mafia-Gewalt die Geschäftsbeziehungen bestimmt - nicht nur in Palermo, sondern auch in Russland. Das hat eine russische Soziologen in ihrer Dissertation über "Contract Enforcement in the New Russia" gut beschrieben - zur Illustration mal bitte den Appendix: "Luba's Story" lesen. Sie erzählt dort welche Erfahrungen eine ihr persönlich bekannte Kleinunternehmerin in St. Petersburg bei ihrem Versuch, sich unter Bedingungen fehlenden Zivilrechts selbständig zu machen, sammeln "durfte".

http://de.scribd.com/doc/192155036/E-Vinogradova-The-Big-Issue-Small-Business-Contract-Enforcement-in-the-New-Russia

Die "Sitten" im "wilden Osten" waren (zumindest in den 90ern - inwieweit noch heute, weiß ich nicht genau) nicht nur analog denen im "Wilden Westen". Sie beruhten auch beidesmal auf demselben Hintergrund: einem fehlenden zivilen Rechtssystem (Privatrecht = Zivilrecht, d.h. Eigentums, Vertrags- und Schuldrecht).

In Rußland gibt es keine Tradition verläßlicher privater Eigentums- und Vertragsrechte, auf die man zurückgreifen könnte (Ausnahme: Novgorod, das im 15. Jhdt. über den Handel mit der Hanse eines entwickeln konnte) - vgl. Richard Pipes: Property and Freedom. Man sprang direkt aus dem zaristischen Feudalsystem ins realsozialistische Feudalsystem - auch dort gab es kein auf vollstreckbaren Kontrakten beruhendes Kredit- und Geldsystem, daher waren realsozialistische Währungen auf den internationalen Währungen auch nicht gefragt (man vergleiche mal in der Erinnerung die D-Mark mit der DDR-Mark: als ich 1987 auf einer Studienfahrt durch die DDR in Erfurt und Berlin war, war der offizielle Umtauschsatz 1:1. Auf dem Schwarzmarkt bekam ich für eine DM bis zu 25 DDR-Mark).

Kein Wunder, wenn die Russen - wie auch andere postsozialistische Staaten oder Entwicklungsländer - kein funktionierendes Geld- und Kreditsystem auf die Beine bekommen und ein currency board brauchen.

Auch der Vortragende versteht deshalb auch nicht den Unterschied zwischen "Zahlen im Computer", die einen vollstreckbaren Kontrakt zwischen Privaten repräsentieren - hinter diesem Geld steht die Staatsgewalt - und "Zahlen im Computer", denen diese Rechts- und Gewaltgrundlage fehlt. Er glaubt (ähnlich wie die westlichen Goldbugs), Geld sei nur dann etwas wert, wenn dahinter etwas materielles (wie Gold) steht.

Daß er über die Staatsfinanzierung der FED auch sonst den üblichen Unsinn vom "fehlenden Zins" erzählt und nicht mal weiß, daß der ZB-Gewinn an den Staat ausgeschüttet wird, brauche ich ja hier nicht extra zu erwähnen.

Die zivilrechtliche Grundlage fürs Funktionieren des Geld- und Kreditsystems wird von der keynesianischen Tradition komplett übersehen, weil sie zum Zeitpunkt der Entstehung dieser Theorie als selbstverständlich vorausgesetzt werden konnte (im Westen, der von der Weltwirtschaftskrise betroffen war, gab es funktionierendes Zivilrecht).

Z.B. versteht auch Flaßbeck nicht, daß hier ein zentrales Problem der Entwicklungsländer liegt:

Er beschreibt in seinem Buch "Die Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts" (S. 142ff.) eine westliche Bank in einem afrikanischen Land, die 30% Zins verlangt. Auf seine Frage, wieso die Zinsforderung so hoch sei, bekam er zur Antwort: "weil die Rückzahlung so unsicher sei" (und man also hohe Risikoprämien verlangen müsse).

Flaßbeck regt sich dann darüber auf, daß die Bank so hohe Zinsen verlangt, denn so könnten die lokalen Bauern ja gar keine Kredite nehmen; bei so hohen Zinsen könnten Kredite natürlich nicht zurückgezahlt werden. Kein Wunder, wenn es keine Entwicklung gebe. Er würde dann die Bank wahrscheinlich per Gesetz zwingen wollen, niedrigere Zinsen zu berechnen? Dann würden die Banken dort bald komplett dichtmachen.

Auf die mangelnde Vollstreckbarkeit bzw. Verlierbarkeit des Eigentums (das dafür natürlich kataster- und grundbuchmäßig registriert und so rechtsfähig gemacht sein muß), bzw. generell auf die zivilrechtliche Infrastruktur und die dazugehörigen Institutionen kommen da offensichtlich weder die Bank noch Flaßbeck.

Kurz gesagt: no property and contract law means: no transferable credit/debt relations. Stabil halten kann man eine Währung nur, indem man sie gegen den Ankauf vollstreckbarer Titel (oder Staatsschulden, hinter denen verläßliche Steuergewalt steht) emittiert. Gibt es diese Titel mangels Rechtssystem im Inland nicht, bleibt nur der Weg eines currency boards, d.h. des Ankaufs einer auf gesicherten Schuldtiteln beruhenden Fremdwährung, die deshalb als Zahlungsmittel gefragt ist.

Das haben vor allem Heinsohn/Steiger ("Eigentumsökonomik") und Hernando DeSoto ("The Mystery of Capital") fürs Privatrecht und die Modern Monetary Theory fürs Steuerrecht (und das "tax driven money") erkannt.




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