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[AG-GOuFP] Nettogeldvermögen ungleich 0, war: Heinz Bontrup: "Krisenkapitalismus und EU-Verfall" + Werttheorie
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- To: ag Geldordnung <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [AG-GOuFP] Nettogeldvermögen ungleich 0, war: Heinz Bontrup: "Krisenkapitalismus und EU-Verfall" + Werttheorie
- Date: Wed, 16 Apr 2014 18:10:39 +0200
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Fazit über Bruun/Heyn-Johnsen: Sie
bringen zwar einen neuen interessanten Punkt ins Thema
Finanzvermögen, Schulden etc. Ihre Darstellung finde ich jedoch
nicht klar und umfassend genug.
Fazit für die AG: Mir scheint, dass derzeit in etwa dieses Bild vorherrscht: Gesamtvermögen besteht aus Geldvermögen (=Forderungen) und Sachvermögen, wobei den Forderungen gleich hohe Schulden gegenüber stehen. Nettogesamtvermögenszuwachs ist immer Sachvermögenszuwachs, also neue Sachwertschöpfung. Diese Sichtweise ist in zweierlei Hinsicht zu vereinfachend:
Näheres siehe unten. Am 13.04.2014 15:02, schrieb moneymind: Hallo Thomas, saldenmechanisch ist klar: einzelne Unternehmer können monetäre Überschüsse (Forderungen abzüglich Verbindlichkeiten = Netto-Finanzvermögen) erwirtschaften. Diesem Netto-Finanzvermögen stehen dann natürlich gleich hohe Netto-Finanzverbindlichkeiten der Komplementärgruppe ("Rest der Welt") gegenüber. Also: Partialsatz: Ein einzelner Wirtschaftsteilnehmer kann jederzeit Netto-Finanzvermögen aufbauen. Satz zur Größenmechanik: Ein einzelner Wi-Teilnehmer kann Netto-Finanzvermögen nur insoweit aufbauen, als die Komplementärgruppe (Gruppe sämtlicher restlicher Wi-Teilnehmer) gleich hohe Netto-Verbindlichkeiten aufbaut. Globalsatz: Die Gesamtheit aller Wi-Teilnehmer (die Wirtschaft als ganze) kann niemals Netto-Finanzvermögen (oder Netto-Finanzverbindlichkeiten) aufbauen. Dies impliziert, daß der Satz: "einzelne Wirtschaftsteilnehmer können Netto-Finanzvermögen aufbauen - wenn also alle betriebswirtschaftlich so klug handeln wie dieser "eine", können alle Wirtschaftsteilnehmer Netto-Finanzvermögen aufbauen (monetär sparen/monetäre Profite erzielen) eine Fehlverallgemeinerung darstellt ("Trugschluß der Verallgemeinerung", "Fallacy of Composition"). Soweit kein Dissenz. Dies bezeichnen Brunn/Heyn-Johnsen als "Paradox of monetary Profits" und zeigen dann, in welcher Form Marx und Keynes auf dieses "Paradox" gestoßen sind. Nun weisen Bruun/Heyn-Johnsen aber auf eine extrem simple Tatsache hin http://reykjavikmanifesto.wdfiles.com/local--files/mafin09/heynbruun.pdf , S. 23: Der betriebswirtschaftliche Gewinn, nach dem Wirtschaftsteilnehmer streben, besteht bilanzmäßig gar nicht in einem Zuwachs an Netto-Finanzvermögen (Forderungen minus Verbindlichkeiten), wie Marx mit seiner (von Keynes übernommenen) Formel "G-W-G'" fälschlicherweise unterstellt hat. Vielmehr wird dieser Gewinn ermittelt als Zuwachs an Gesamtvermögen. Und dieses setzt sich natürlich zusammen aus dem Netto-Finanzvermögen plus den restlichen (forderungslosen) assets auf der Aktivseite der Bilanz. Diese Aussage kann ich zwar nicht in dem pdf finden, aber inhaltlich jedenfalls kein Dissenz. Der entscheidende Unterschied zwischen diesen beiden Vermögensformen besteht aber darin, daß die Finanzvermögen und -Verbindlichkeiten nominell fixiert sind (d.h. auf fixe, über die Zeit hinweg konstante Beträge lauten), während die forderungslosen Vermögenswerte ständig neu bewertet werden, und zwar in Abhängigkeit von Ertragserwartungen. Saldenmechanik gilt nur für die Finanzvermögen, also für "monetäre Gewinne" im Sinn von Zugewinn von Finanzvermögen (Forderungen minus Verbindlichkeiten). Saldenmechanische Aussagen für Unternehmensgewinne insgesamt (in die eben auch Bewertungsveränderungen bei den forderungslosen Vermögenswerten eingehen) sind schlicht unmöglich, und wo sie gemacht oder behauptet werden, schlicht falsch. Das "Paradox of monetary Profits" oder auch "Sparparadoxon" (im Sinne: die Gesamtwirtschaft kann nicht "sparen" im Sinne von "Überschüsse der Forderungen über die Verbindlichkeiten erzielen") gilt daher NICHT für Unternehmensgewinne insgesamt. Es ist also durchaus möglich, daß in der Gesamtwirtschaft alle Wirtschaftsteilnehmer Gewinne machen, obwohl dies auf der Ebene der Finanzvermögen saldenmechanisch unmöglich ist - wenn die nonfinancial assets (forderungslosen Vermögenswerte, die zu den haftenden Sicherheiten zählen) entsprechend aufgewertet werden. Dies ist auch in einem größeren Boom empirisch der Fall. Ebenso ist es möglich, daß in der Gesamtwirtschaft alle Wirtschaftsteilnehmer Verluste machen, obwohl dies auf der Ebene der Finanzvermögen saldenmechanisch unmöglich ist - wenn die nonfinancial assets entsprechend abgewertet werden. Gesamtwirtschaftliche Vermögenszuwächse oder -Verluste kann es nur auf der Ebene forderungslose Vermögenswerte geben, da sich Finanzvermögen und -Verbindlichkeiten gesamtwirtschaftlich zu Null addieren. Entscheidend ist hier aber nun, zu verstehen, daß wir hierbei über VERMÖGENSWERTE reden und nicht über GÜTERMENGEN. Vermögenswerte sind subjektive Bewertungen in Geldeinheiten ("money of account"), rein gedankliche (und dann in Bilanzen notierte) "soziale Konstruktionen". Das gesamtgesellschaftliche Nettovermögen kann rein logisch trotz sinkender Gütermengen steigen, und umgekehrt. Klingt gut. Zustimmung. Hier sind wir an einer entscheidenden Schnittstelle der Ökonomie, an der oft geschlampt wird (z.B. indem man in die Falle der Quantitätstheorie tappt). Hier brauchen wir eine einfache, präzise Bewertungstheorie (Ansätze dazu finden sich z.B. in Bewertungsmethoden in jedem BWL-Lehrbuch). Es ist dieser "Zusammenhang" der nonfinancial assets mit ihren "Vermögenswerten", den sowohl Arbeitswert- als auch Grenznutzentheorie gerade nicht erfassen und durch fiktive Annahmen ersetzen, auf denen dann das gesamte Theoriegebäude errichtet wird. Sehr gut erkannt und herausgearbeitet haben das z.B. Jonathan Nitzan und Shimshon Bichler in ihrem Buch "Capital as Power". Leider kommen sie (aus meiner Sicht) bei ihrem Versuch, eine Werttheorie zu entwickeln, die die tatsächliche Praxis beschreibt, und v.a. bei der Entwicklung eines gesamtwirtschaftlichen Modells auf dieser Basis nicht sehr weit und beziehen sich auch nicht auf stock-flow-consistent modelling. Diese Werttheorie wäre aber - neben Saldenmechanik und stock-flow-consistent modelling - notwendig für eine praxiskompatible Konjunkturtheorie. Die würde basieren auf "almost stock-flow consistency" (B/H-J: "changes in stocks (durch Neubewertung) generate flows" als das "almost"-element) - denn völlige stock-flow-consistency müßte die entscheidenden Bewertungsprozesse gerade ausblenden. Damit bekäme man zwar ein logisch konsistentes, mathematisch immer durchrechenbares Modell, aber die für Konjunktur entscheidenden Prozesse würden gerade ausgeblendet. Stützel war sich dessen übrigens bewußt, er schreibt das auch ganz explizit auf den ersten Seien der VSM. Er hat sich aber bewußt entschieden, sich zunächst nur auf reine Saldenmechanik (reine Logik, triviale Aussagen) zu konzentrieren, da in der Ökonomie schon auf dieser Ebene oft enorm geschlampt würde. Bruun/Heyn-Johnsen schlußfolgern: "When equity prices go up, society FEELS richer, and this may affect the behavior of firms as well as households" "The monetary wealth (hier meinen B/H-J Netto-Gesamtvermögen, nicht Netto-Finanzvermögen!) increase, and with a wealth-effect in consumption, consumption increases. "The monetary profit of firms, defined as chance in monetary wealth (wieder ist Netto-Gesamtvermögen und nicht nur Netto-Finanzvermögen gemeint!), increases, and this may make firms, as well as banks, more optimistic. "When equity prices go down, we see the opposite effect". Wir haben glaube ich ein bisschen aneinandervorbeigeredet. Manche bezeichnen mit Geldvermögen nur Forderungen und packen den Rest ins Sachvermögen. Bruun/Heyn-Johnsen betrachten anscheinend auch Forderungslose Aktiva (wie z.B. Aktien) als "monetary wealth". Aber ich denke wir haben uns mittlerweile schon verstanden. Ich würde noch eine ganze Reihe weiterer entscheidender Schlüsse ziehen (beispielsweise, daß diese erwartungsbasierten Bewertungsprozesse Kreditnahme- und Kreditvergabeentscheidungen steuern, weswegen Geldpolitik ihrerseits versuchen muß, auf diese Erwartungen Einfluß zu nehmen; daß leicht verständlich wird, wie in einer Deflation durch Abwertung von Sicherheiten "faule Forderungen" entstehen und aus diesen durch nachfrageorientierte Geld- und Fiskalpolitik wieder "gut gesicherte Forderungen" werden können, indem mit besseren Ertragserwartungen auch die haftenden Sicherheiten wieder aufgewertet werden, etc. etc. etc. +1 Muß jetzt aber erstmal Schluß machen. Abschließend noch zu Deinen Fragen: WasDa weisen sie einfach nur auf betriebswirtschaftliche Tatsachen hin - was aber nötig ist und in die Modellbildung einbezogen werden muß (was z.B. bei Marx gerade gefehlt hat - Folge der verkürzten Perspektive, die er aus Sicht der Arbeitswerttheorie einnahm, und seiner betriebswirtschaftlichen Inkompetenz beim accounting). * Die Einbeziehung von Neubewertungen in das Stock-flow-consistentJa - vor allem, daß damit die ("gedanklichen", wahrnehmungsbasierten) subjektiven Bewertungsprozesse der Wi-Teilnehmer explizit ins Modell aufgenommen werden (wie bei Keynes "Veranlassung zur Investition", "Hang zum Verbrauch", "Liquiditätspräferenz"). * Die Möglichkeit eines positiven Gesamtnettogeldvermögens durchAuch das, wobei entscheidend ist, daß gesamtwirtschaftlich "netto" nur nonfinancial assets existieren, deren Vermögenswert nichts mit Gütermengen, sondern Bewertungsprozessen (in "money of account") zu tun hat, die in Abhängigkeit von Erwartungen stattfinden, die u.a. durch Geld- und Fiskalpolitik zu beeinflussen sind, etc. etc. etc. Außderdem: Almost stock-flow-consistent modelling -> agent based macroeconomics / monetary production theory, Mikrofundierung der Makroökonomie über Werttheorie; einheitliche Werttheorie als Basis von Bewertungsprozessen sowohl in Realwirtschaft als auch auf Finanzmärkten; Etc. etc. etc. Sorry, das sollte alles klarer und besser strukturiert sein. Bin momentan nicht sehr fit. Sehr viel Streß privat, Fühl dich nicht verpflichtet hier immer auf alles zu antworten. Es ist akzeptiert und üblich, dass jeder auch mal weniger Zeit reininvestiert. Wir machen das ja alle nur nebenbei. und die Aussichten für die nähere und mittelfristige Zukunft Europas werden auch täglich schlechter. Ich glaube nicht, daß sich Weltwirtschaftskrise II noch stoppen läßt, Krieg ist wahrscheinlich. Nur wenn Deutschland entschieden handeln würde - Eurobonds, gesamteuropäischer New Deal, Umstellung der "Spielanordnung" auf ein realkapitalistisches Modell - gäbe es m.E. noch eine Chance, doch das ist in so gut wie keinen der vernagelten Köpfe irgendwie hineinzubekommen. Es ist längst zu spät, wer kann, sollte übers Auswandern nachdenken. Es trifft mich tief, wenn ein so fachkundiger Mensch wie du ein so düsteres Bild zeichnet. Aber fürs Aufgeben bin ich (noch) zu optimistisch. Gruß Wolfgang Gruß, alles Gute und bis zur nächsten Mail, Thomas ----- Original Message ----- From: "Thomas Weiß" <Weiss-Tom AT gmx.de> To: "moneymind" <moneymind AT gmx.de> Cc: "matthias garscha" <matthias_garscha AT yahoo.de>; "Benedikt Weihmayr" <benedikt AT weihmayr.de> Sent: Thursday, April 10, 2014 1:05 PM Subject: Re: [AG-GOuFP] Heinz Bontrup: "Krisenkapitalismus und EU-Verfall" + Werttheorie Am 14.03.2014 12:41, schrieb moneymind: |
- [AG-GOuFP] Nettogeldvermögen ungleich 0, war: Heinz Bontrup: "Krisenkapitalismus und EU-Verfall" + Werttheorie, Thomas Weiß, 16.04.2014
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