ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: matthias garscha <matthias_garscha AT yahoo.de>
- To: "ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de" <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [AG-GOuFP] Das deutsche 3 Säulen Modell in der Finanzkrise
- Date: Sat, 22 Mar 2014 13:18:40 +0000 (GMT)
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Dazu ein Beitrag von Fabian Hassan (Finance Watch):
Mit seinem aktuell soliden öffentlichen Haushalt und kräftigen
Außenhandelsüberschuss scheint Deutschland die Finanzkrise ganz gut
gemeistert zu haben. Andererseits mussten einige deutsche Banken im
Jahr 2008 mit riesigen Summen an Steuergeldern gerettet werden.
Welche Rolle hat dabei das deutsche dreisäulige Bankensystem gespielt?
Hat die deutsche Wirtschaft trotz oder gerade wegen dieses Modells
Schlimmeres verhindern können?
Unser Gastautor Fabien Hassen, der derzeit in Berlin wohnt, widmet eine
neue Artikelserie der deutschen Finanzwelt.
Ein konservatives Bankensystem
Das Bankengeschäft könnte so einfach sein: Einlagen annehmen, Kredite
vergeben. Bei dieser Betrachtungsweise müssten die deutschen Banken
einen Wettbewerbsvorteil haben, denn sie sitzen auf einem Haufen
Erspartes. Seit 2006 haben die deutschen Haushalte ungefähr 25% ihres
Einkommens auf die hohe Kante gelegt. Das ist im Vergleich zu anderen
großen Industrieländern viel: im Jahr 2012 haben die Franzosen,
Italiener und Spanier in etwa 18% gespart. In Großbritannien sind es
gerade einmal 10,8% (Quelle: OECD, 2013).
Rein theoretisch könnte man annehmen, dass die hohe Sparquote auch zu
einer höheren Finanzstabilität beiträgt. Allerdings ist das
Bankengeschäft heute weitaus komplizierter. In den 1960er Jahren
beriefen sich US-Banker noch auf die alte Weisheit, dass für ihr
Geschäftsfeld die 3-6-3-Regel
gelte. Banker zahlen 3% Zinsen auf Einlagen, verleihen selbst wiederum
Geld zu einem Zinssatz von 6% und spielen dann ab 3 Uhr nachmittags
Golf. So gesehen könnte man sagen, dass die 3-6-3-Regel das konservative
Bankengeschäft beschreibt. Es herrscht kaum Wettbewerb, man ist
riskikoscheu, verdient nicht viel Geld und könnte sich beinahe
langweilen. In den USA wurde viel über den soziologischen Abgesang auf
das altmodische konservative Bankengeschäft geschrieben, was den
risikofreudigen Händlern und Mathegenies in die Karten spielte. Im
Gegensatz dazu gelten die deutschen Banken weiterhin als eher
konservativ, obwohl sie genauso wie die amerikanischen und europäischen
Konkurrenten in großem Umfang in die spekulativen Marktaktivitäten
eingestiegen sind.
Aber wenn die deutsche Finanzwelt so konservativ ist, warum musste
die Regierung dann 9,1% ihres Bruttoinlandsprodukts für Rettungen und
Rekapitalisierungen ihrer Banken aufbringen? Im Oktober 2008 hat die
deutsche Bundesregierung den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung
(SoFFin) eingerichtet, und damit ein Rettungspaket von €480 Milliarden
an Garantien und Finanzspritzen geschnürt.
Daraufhin lebte eine alte Kontroverse über die Vorzüge des deutschen
Bankensystems und sein Hauptcharaktistikum, das Drei-Säulen-Modell,
wieder auf. Noch heute wird heftig diskutiert: Hat es sich als ein
robustes System erwiesen, dass Deutschland krisenresistenter machte?
Oder ist es gescheitert, wenn man bedenkt, dass die Regierung sich zu
Rettungen von Banken gezwungen sah, die in einem wirtschaftlich starken
Land niemals dermaßen hätten schwächeln dürfen?
Das Drei-Säulen-System
Das deutsche Bankensystem basiert auf drei Säulen, den Privatbanken,
den öffentlich-rechtlichen Banken und den Genossenschaftsbanken.
Privatbanken: Es gibt heute rund 300 Privatbanken in
Deutschland; vor der Krise beherrschten 5 Großbanken den privaten
Bankensektor: Commerzbank, Dresdner Bank, Deutsche Bank, Deutsche
Postbank AG und HypoVereinsbank. Diese Banken arbeiten weltweit, ihr
Hauptgeschäft machen sie mit Geschäftskunden und auf den Finanzmärkten.
Von allen Vermögenswerten im Bankensektor besaßen die Privatbanken nur
36% im Jahre 2010 (Brämer & ali., 2011).
Während der Krise standen die größeren Privatbanken kurz vor der
Pleite, und es kam zu staatlich überwachten Sanierungsmaßnahmen. Die
Dresdner Bank und die Deutsche Postbank AG wurden von der Commerzbank
bzw. der Deutschen Bank übernommen. So gibt es heute nunmehr 3
Marktführer. Die Commerzbank ist heute zu 17% in staatlicher Hand und
kämpft noch immer mit den Folgen der Krise. 2013 konnte sie erstmals
seit 2008 wieder einen kleinen Gewinnn verbuchen.
Öffentlich-rechtliche Banken: Der
öffentlich-rechtliche Bankensektor ist sowohl geographisch als auch
vertikal aufgeteilt: Sparkassen sind in den Händen von Städten und
Kommunen, während Landesbanken im Besitz der Länder sind. Dazu kommen
noch Förderbanken, die zum Ziel haben, „den Markt dort [zu ergänzen], wo
marktwirtschaftliche Ergebnisse als nicht sozialverträglich angesehen
werden“ (VÖB, 2013).
Im Jahr 2001 hat die Europäische Kommission beschlossen, dem deutschen
System von Staatsgarantien für Sparkassen und Landesbanken ein Ende zu
setzen (Anstaltslast und Gewährträgerhaftung), die als gesetzeswidrige
staatliche Hilfe eingestuft wurden, da sie eine günstigere
Refinanzierung ermöglichten. In den Jahren 2001-2002 wurde zwischen den
deutschen Behörden, den öffentlich-rechtlichen Banken und der
EU-Kommission ein Kompromiss ausgehandelt. Daraufhin musste das deutsche
Recht geändert werden und rund 600 öffentlich-rechtliche Banken müssen
fortan ohne explizite Staatsgarantie auskommen.
Wie sind die öffentlich-rechtlichen Banken durch die Krise gekommen?
Die Krisenresistenz der Sparkassen war beeindruckend. Natürlich haben
auch sie im Jahr 2008 Geld verloren. Aber bereits Anfang 2009 konnten
sie ähnliche Gewinne verbuchen wie 2007; zur gleichen Zeit schrieben die
Privatbanken weiterhin rote Zahlen. Es muss allerdings hinzugefügt
werden, dass die Banken des öffentlich-rechtlichen Sektors niemals hohe
Gewinne verbucht haben, was sich ganz einfach damit erklären lässt, dass
für sie Gewinnmaximierung nicht oberste Priorität hat.
Ganz im Gegensatz zu den kommunalen Banken haben die Landesbanken
enorme Verluste angehäuft, woraufhin der Staat eingreifen musste und
eine komplette Umstrukturierung
nötig wurde. So musste beispielsweise die Landesbank Baden-Württemberg
die Sachsen LB übernehmen, die durch eine irische Tochtergesellschaft
tief in die Krise auf dem US-Immobilienmarkt verwickelt war. Wie und
warum es dazu kommen konnte, dass öffentlich-rechtliche Banken in
solchem Ausmaß mit hochriskanten Finanzprodukten spekulierten, ist ein kontrovers diskutiertes Thema in Deutschland.
Die meisten Landesbanken hatten keine stabilen Refinanzierungsquellen
jenseits der Einlagen (wholesale funding = Refinanzierung über andere
Finanzinstitute und Finanzmarktinstrumente) und waren extrem abhängig
von kurzfristiger Mittelbeschaffung. Sowohl Verbraucher als auch viele
kleine Unternehmen reagierten entsetzt auf das Gebaren ihrer Banken vor
Ort. Denn diese hatte stets auf einen Vertrauensvorschuss gebaut und
sich vom Geschäftsgebaren der großen Privatbanken wie der Deutschen Bank
distanziert. Eine mögliche Erklärung bietet ein Schlupfloch, das in die
Übergangsregelungen Eingang gefunden hat und von der EU-Kommission im
Jahr 2001 eingeführt wurde. „Verbindlichkeiten, die zwischen dem 19.
Juli 2001 und dem 18. Juli 2005 entstanden sind, fallen weiter unter die
Gewährträgerhaftung, sofern der Fälligkeitstermin nicht über den 31.
Dezember 2015 hinausgeht.“ Das führte dazu, dass sich einige
Landesbanken dank der staatlichen Garantie zwischen 2001 und 2005 – mit
einem enormen Anstieg nach 2003 – so viel Geld wie möglich liehen, um
damit zu spekulieren. Sie dachten, sie könnten damit den fließenden
Übergang erleichtern.
Unter Wissenschaftlern und Politikern wird heute über die Zukunft der
Landesbanken diskutiert. Waren die internen Managementstrukturen
einfach zu durchlässig und haben eine extreme Risikonahme gefördert? So
oder so haben die öffentlich-rechtlichen Banken weiterhin eine zentrale
Rolle inne: Ende 2012 liegt ihr Marktanteil weiterhin bei 36%.
Genossenschaftsbanken: Sie sind zahlenmäßig am
stärksten vertreten: 1.162 im Jahr 2010 (Brämer & ali., 2011).
Eigentümer sind ihre Kunden, es gilt das Genossenschaftsprinzip: eine
Person, eine Stimme. An oberster Stelle stehen die Interessen ihrer
Mitglieder, gewöhnlich Bauern und Kleinunternehmer. Das hält sie jedoch
nicht davon ab, Gewinne erwirtschaften zu wollen, indem sie
beispielsweise Einlagen annehmen und Kredite an ihre Mitglieder oder an
andere Personen (rund die Hälfte ihrer Kunden) vergeben.
Bekanntermaßen waren die Genossenschaftsbanken nicht direkt von der
Finanzkrise 2008 betroffen. In Anbetracht der wirtschaftlichen
Turbulenzen ist es bemerkenswert, wie gut die Genossenschaftsbanken
durch die Krise kamen. Selbst im Jahr 2008,
dem schlimmsten Jahr der Krise, haben sie einen kleinen Gewinn erzielen
können. Im Jahr 2012 lag der Nettogewinn bei 6,9 Milliarden Euro. Die
Probleme der Großbanken sowie die moralische Verurteilung durch deren
Kunden kam den Genossenschaftsbanken zugute.
Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sind nun damit beschäftigt
abzuschätzen, welchen Einfluss die neuen Bankenregeln auf die
Genossenschaftsbanken haben und inwieweit die Eigenarten ihrer
Eigentümerstruktur berücksichtigt werden.
E
Eine alte Tradition der Selbstregulierung
In Deutschland gibt es mehr Banken als in jedem anderen EU-Staat. In
den 1990er Jahren betrachtete man diese Zerplitterung noch als Hemmnis
für die wirtschaftliche Entwicklung. Überall in Europa hat die Zahl der
Banken stetig abgenommen. In Deutschland wurde diese Entwicklung jedoch
extrem stark spürbar. Während es 1990 noch 4.582 gab, sank die Zahl 2011
auf 1.898. Trotz dieses Rückgangs sind auch 2011 noch 24% aller Banken
in der EU deutsch. Im Schnitt sind sie eher klein und halten 18% der
Vermögenswerte aller EU-Banken (EBF, 2013). Einem Bericht des
Internationalen Währungsfonds zufolge sei diese hohe Zahl an Banken
„etwas irreführend, da die öffentlich-rechtlichen Banken und die
Genossenschaftsbanken innerhalb ihrer jeweiligen Säulen eng miteinander
verwoben sind, und zwar durch gegenseitige Garantien, durch das
“Regionalprinzip“, durch die gemeinsame Durchführung einiger Geschäfte
sowie durch die Existenz von Apex-Institutionen, wie es die Landesbanken
für die Sparkassen sind.“
Durch die Zahl der Banken sowie die dezentrale föderale politische
Struktur Deutschlands lässt sich auch die fest verankerte Tradition der
Selbstregulierung erklären. Die Bankangestellten richten ihr Verhalten
nicht nur nach den gesetzlichen Vorschriften, sondern auch nach
sektoriellen Übereinkünften. So sind Genossenschaftsbanken
beispielsweise nicht mehr gesetzlich daran gebunden, sich auf ein
geographisches Gebiet zu beschränken, was sie davon abhalten würde,
Einlagen außerhalb eines bestimmten Gebietes anzunehmen und dort Kredite
zu vergeben. In der Praxis jedoch halten sie sich immer noch an diese
Regel.
Ein weiteres wichtiges Beispiel ist das Einlagensicherungssystem.
Jede der vier Bankenverbände hat ein freiwilliges System eingeführt, das
über das europaweite Minimum von 100.000 Euro hinausgeht. Der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken e.V.
sichert bis zu 30% des haftenden Eigenkapitals für jede Bank ab. Das
ist auch einer der Gründe, weshalb sie einige Bausteine der europäischen
Bankenunion ablehnen: Deutsche Banken wollen nur ungern Teil eines
europäischen Systems werden. Sie sind davon überzeugt, dass ihr eigenes
System sich als wirksamer erwiesen hat, und da ihr eigenes System nicht
nur auf gesetzlichen Vorschriften beruht, könne es nicht so einfach
übertragen werden, viele Anpassungen wären nötig. Zudem hat die
Konkurrenz durch den öffentlich-rechtlichen Sektor die deutschen Banken
strukturell gesehen weniger profitabel werden lassen als die
Durchschnittsbank in Europa, was strengeren gesetzlichen Vorschriften
weniger Spielraum lässt.
Ein Blick nach Deutschland 1 – Wie das Drei-Säulen-Modell des deutschen Bankenmarkts durch die Krise kam
Tag der Veröffentlichung: 20. March 2014
Seitdem sich die Aufmerksamkeit der Medien und Politiker langsam weg von den Problemen des privaten Finanzsektors hin zu den hoch verschuldeten öffentlichen Haushalten bewegt, hat Deutschland sich mehr und mehr zur zentralen politischen Figur in Europa entwickelt. Politische Stabilität, solide öffentliche Finanzen und dazu noch ein deutlicher Außenhandelsüberschuss werden von vielen in Europa als wichtige Zutaten für den großen wirtschaftlichen Erfolg betrachtet. Darüber können die Schwierigkeiten, in denen sich viele schwächelnde deutsche Banken 2008 befanden und daraufhin vom Staat mit ordentlichen Finanzspritzen aufgepäppelt werden mussten, leicht in Vergessenheit geraten. Um die deutsche Finanzwelt besser zu verstehen, widmet sich unser Gastautor Fabian Hassan, der derzeit in Berlin lebt, in seinem neusten Blog zunächst einmal dem Aufbau des deutschen Bankensystems.
Von Fabien Hassan, Gastautor*
Ein konservatives Bankensystem
Das Bankengeschäft könnte so einfach sein: Einlagen annehmen, Kredite
vergeben. Bei dieser Betrachtungsweise müssten die deutschen Banken
einen Wettbewerbsvorteil haben, denn sie sitzen auf einem Haufen
Erspartes. Seit 2006 haben die deutschen Haushalte ungefähr 25% ihres
Einkommens auf die hohe Kante gelegt. Das ist im Vergleich zu anderen
großen Industrieländern viel: im Jahr 2012 haben die Franzosen,
Italiener und Spanier in etwa 18% gespart. In Großbritannien sind es
gerade einmal 10,8% (Quelle: OECD, 2013).
Rein theoretisch könnte man annehmen, dass die hohe Sparquote auch zu
einer höheren Finanzstabilität beiträgt. Allerdings ist das
Bankengeschäft heute weitaus komplizierter. In den 1960er Jahren
beriefen sich US-Banker noch auf die alte Weisheit, dass für ihr
Geschäftsfeld die 3-6-3-Regel
gelte. Banker zahlen 3% Zinsen auf Einlagen, verleihen selbst wiederum
Geld zu einem Zinssatz von 6% und spielen dann ab 3 Uhr nachmittags
Golf. So gesehen könnte man sagen, dass die 3-6-3-Regel das konservative
Bankengeschäft beschreibt. Es herrscht kaum Wettbewerb, man ist
riskikoscheu, verdient nicht viel Geld und könnte sich beinahe
langweilen. In den USA wurde viel über den soziologischen Abgesang auf
das altmodische konservative Bankengeschäft geschrieben, was den
risikofreudigen Händlern und Mathegenies in die Karten spielte. Im
Gegensatz dazu gelten die deutschen Banken weiterhin als eher
konservativ, obwohl sie genauso wie die amerikanischen und europäischen
Konkurrenten in großem Umfang in die spekulativen Marktaktivitäten
eingestiegen sind.
Aber wenn die deutsche Finanzwelt so konservativ ist, warum musste
die Regierung dann 9,1% ihres Bruttoinlandsprodukts für Rettungen und
Rekapitalisierungen ihrer Banken aufbringen? Im Oktober 2008 hat die
deutsche Bundesregierung den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung
(SoFFin) eingerichtet, und damit ein Rettungspaket von €480 Milliarden
an Garantien und Finanzspritzen geschnürt.
Daraufhin lebte eine alte Kontroverse über die Vorzüge des deutschen
Bankensystems und sein Hauptcharaktistikum, das Drei-Säulen-Modell,
wieder auf. Noch heute wird heftig diskutiert: Hat es sich als ein
robustes System erwiesen, dass Deutschland krisenresistenter machte?
Oder ist es gescheitert, wenn man bedenkt, dass die Regierung sich zu
Rettungen von Banken gezwungen sah, die in einem wirtschaftlich starken
Land niemals dermaßen hätten schwächeln dürfen?
Das Drei-Säulen-System
Das deutsche Bankensystem basiert auf drei Säulen, den Privatbanken,
den öffentlich-rechtlichen Banken und den Genossenschaftsbanken.
Privatbanken: Es gibt heute rund 300 Privatbanken in
Deutschland; vor der Krise beherrschten 5 Großbanken den privaten
Bankensektor: Commerzbank, Dresdner Bank, Deutsche Bank, Deutsche
Postbank AG und HypoVereinsbank. Diese Banken arbeiten weltweit, ihr
Hauptgeschäft machen sie mit Geschäftskunden und auf den Finanzmärkten.
Von allen Vermögenswerten im Bankensektor besaßen die Privatbanken nur
36% im Jahre 2010 (Brämer & ali., 2011).
Während der Krise standen die größeren Privatbanken kurz vor der
Pleite, und es kam zu staatlich überwachten Sanierungsmaßnahmen. Die
Dresdner Bank und die Deutsche Postbank AG wurden von der Commerzbank
bzw. der Deutschen Bank übernommen. So gibt es heute nunmehr 3
Marktführer. Die Commerzbank ist heute zu 17% in staatlicher Hand und
kämpft noch immer mit den Folgen der Krise. 2013 konnte sie erstmals
seit 2008 wieder einen kleinen Gewinnn verbuchen.
Öffentlich-rechtliche Banken: Der
öffentlich-rechtliche Bankensektor ist sowohl geographisch als auch
vertikal aufgeteilt: Sparkassen sind in den Händen von Städten und
Kommunen, während Landesbanken im Besitz der Länder sind. Dazu kommen
noch Förderbanken, die zum Ziel haben, „den Markt dort [zu ergänzen], wo
marktwirtschaftliche Ergebnisse als nicht sozialverträglich angesehen
werden“ (VÖB, 2013).
Im Jahr 2001 hat die Europäische Kommission beschlossen, dem deutschen
System von Staatsgarantien für Sparkassen und Landesbanken ein Ende zu
setzen (Anstaltslast und Gewährträgerhaftung), die als gesetzeswidrige
staatliche Hilfe eingestuft wurden, da sie eine günstigere
Refinanzierung ermöglichten. In den Jahren 2001-2002 wurde zwischen den
deutschen Behörden, den öffentlich-rechtlichen Banken und der
EU-Kommission ein Kompromiss ausgehandelt. Daraufhin musste das deutsche
Recht geändert werden und rund 600 öffentlich-rechtliche Banken müssen
fortan ohne explizite Staatsgarantie auskommen.
Wie sind die öffentlich-rechtlichen Banken durch die Krise gekommen?
Die Krisenresistenz der Sparkassen war beeindruckend. Natürlich haben
auch sie im Jahr 2008 Geld verloren. Aber bereits Anfang 2009 konnten
sie ähnliche Gewinne verbuchen wie 2007; zur gleichen Zeit schrieben die
Privatbanken weiterhin rote Zahlen. Es muss allerdings hinzugefügt
werden, dass die Banken des öffentlich-rechtlichen Sektors niemals hohe
Gewinne verbucht haben, was sich ganz einfach damit erklären lässt, dass
für sie Gewinnmaximierung nicht oberste Priorität hat.
Ganz im Gegensatz zu den kommunalen Banken haben die Landesbanken
enorme Verluste angehäuft, woraufhin der Staat eingreifen musste und
eine komplette Umstrukturierung
nötig wurde. So musste beispielsweise die Landesbank Baden-Württemberg
die Sachsen LB übernehmen, die durch eine irische Tochtergesellschaft
tief in die Krise auf dem US-Immobilienmarkt verwickelt war. Wie und
warum es dazu kommen konnte, dass öffentlich-rechtliche Banken in
solchem Ausmaß mit hochriskanten Finanzprodukten spekulierten, ist ein kontrovers diskutiertes Thema in Deutschland.
Die meisten Landesbanken hatten keine stabilen Refinanzierungsquellen
jenseits der Einlagen (wholesale funding = Refinanzierung über andere
Finanzinstitute und Finanzmarktinstrumente) und waren extrem abhängig
von kurzfristiger Mittelbeschaffung. Sowohl Verbraucher als auch viele
kleine Unternehmen reagierten entsetzt auf das Gebaren ihrer Banken vor
Ort. Denn diese hatte stets auf einen Vertrauensvorschuss gebaut und
sich vom Geschäftsgebaren der großen Privatbanken wie der Deutschen Bank
distanziert. Eine mögliche Erklärung bietet ein Schlupfloch, das in die
Übergangsregelungen Eingang gefunden hat und von der EU-Kommission im
Jahr 2001 eingeführt wurde. „Verbindlichkeiten, die zwischen dem 19.
Juli 2001 und dem 18. Juli 2005 entstanden sind, fallen weiter unter die
Gewährträgerhaftung, sofern der Fälligkeitstermin nicht über den 31.
Dezember 2015 hinausgeht.“ Das führte dazu, dass sich einige
Landesbanken dank der staatlichen Garantie zwischen 2001 und 2005 – mit
einem enormen Anstieg nach 2003 – so viel Geld wie möglich liehen, um
damit zu spekulieren. Sie dachten, sie könnten damit den fließenden
Übergang erleichtern.
Unter Wissenschaftlern und Politikern wird heute über die Zukunft der
Landesbanken diskutiert. Waren die internen Managementstrukturen
einfach zu durchlässig und haben eine extreme Risikonahme gefördert? So
oder so haben die öffentlich-rechtlichen Banken weiterhin eine zentrale
Rolle inne: Ende 2012 liegt ihr Marktanteil weiterhin bei 36%.
Genossenschaftsbanken: Sie sind zahlenmäßig am
stärksten vertreten: 1.162 im Jahr 2010 (Brämer & ali., 2011).
Eigentümer sind ihre Kunden, es gilt das Genossenschaftsprinzip: eine
Person, eine Stimme. An oberster Stelle stehen die Interessen ihrer
Mitglieder, gewöhnlich Bauern und Kleinunternehmer. Das hält sie jedoch
nicht davon ab, Gewinne erwirtschaften zu wollen, indem sie
beispielsweise Einlagen annehmen und Kredite an ihre Mitglieder oder an
andere Personen (rund die Hälfte ihrer Kunden) vergeben.
Bekanntermaßen waren die Genossenschaftsbanken nicht direkt von der
Finanzkrise 2008 betroffen. In Anbetracht der wirtschaftlichen
Turbulenzen ist es bemerkenswert, wie gut die Genossenschaftsbanken
durch die Krise kamen. Selbst im Jahr 2008,
dem schlimmsten Jahr der Krise, haben sie einen kleinen Gewinn erzielen
können. Im Jahr 2012 lag der Nettogewinn bei 6,9 Milliarden Euro. Die
Probleme der Großbanken sowie die moralische Verurteilung durch deren
Kunden kam den Genossenschaftsbanken zugute.
Gesetzgeber und Aufsichtsbehörden sind nun damit beschäftigt
abzuschätzen, welchen Einfluss die neuen Bankenregeln auf die
Genossenschaftsbanken haben und inwieweit die Eigenarten ihrer
Eigentümerstruktur berücksichtigt werden.
Eine alte Tradition der Selbstregulierung
In Deutschland gibt es mehr Banken als in jedem anderen EU-Staat. In
den 1990er Jahren betrachtete man diese Zerplitterung noch als Hemmnis
für die wirtschaftliche Entwicklung. Überall in Europa hat die Zahl der
Banken stetig abgenommen. In Deutschland wurde diese Entwicklung jedoch
extrem stark spürbar. Während es 1990 noch 4.582 gab, sank die Zahl 2011
auf 1.898. Trotz dieses Rückgangs sind auch 2011 noch 24% aller Banken
in der EU deutsch. Im Schnitt sind sie eher klein und halten 18% der
Vermögenswerte aller EU-Banken (EBF, 2013). Einem Bericht des
Internationalen Währungsfonds zufolge sei diese hohe Zahl an Banken
„etwas irreführend, da die öffentlich-rechtlichen Banken und die
Genossenschaftsbanken innerhalb ihrer jeweiligen Säulen eng miteinander
verwoben sind, und zwar durch gegenseitige Garantien, durch das
“Regionalprinzip“, durch die gemeinsame Durchführung einiger Geschäfte
sowie durch die Existenz von Apex-Institutionen, wie es die Landesbanken
für die Sparkassen sind.“
Durch die Zahl der Banken sowie die dezentrale föderale politische
Struktur Deutschlands lässt sich auch die fest verankerte Tradition der
Selbstregulierung erklären. Die Bankangestellten richten ihr Verhalten
nicht nur nach den gesetzlichen Vorschriften, sondern auch nach
sektoriellen Übereinkünften. So sind Genossenschaftsbanken
beispielsweise nicht mehr gesetzlich daran gebunden, sich auf ein
geographisches Gebiet zu beschränken, was sie davon abhalten würde,
Einlagen außerhalb eines bestimmten Gebietes anzunehmen und dort Kredite
zu vergeben. In der Praxis jedoch halten sie sich immer noch an diese
Regel.
Ein weiteres wichtiges Beispiel ist das Einlagensicherungssystem.
Jede der vier Bankenverbände hat ein freiwilliges System eingeführt, das
über das europaweite Minimum von 100.000 Euro hinausgeht. Der Einlagensicherungsfonds des Bundesverbandes deutscher Banken e.V.
sichert bis zu 30% des haftenden Eigenkapitals für jede Bank ab. Das
ist auch einer der Gründe, weshalb sie einige Bausteine der europäischen
Bankenunion ablehnen: Deutsche Banken wollen nur ungern Teil eines
europäischen Systems werden. Sie sind davon überzeugt, dass ihr eigenes
System sich als wirksamer erwiesen hat, und da ihr eigenes System nicht
nur auf gesetzlichen Vorschriften beruht, könne es nicht so einfach
übertragen werden, viele Anpassungen wären nötig. Zudem hat die
Konkurrenz durch den öffentlich-rechtlichen Sektor die deutschen Banken
strukturell gesehen weniger profitabel werden lassen als die
Durchschnittsbank in Europa, was strengeren gesetzlichen Vorschriften
weniger Spielraum lässt.
Die Vorliebe der Deutschen für ihr Bankensystem
Das Drei-Säulen-Modell hat die Finanzkrise überstanden. Jetzt muss es
sich einer neuen Herausforderung stellen: die Anpassung an die neuen
Regulierungsvorschriften, die Stück für Stück eingeführt werden, um den
Finanzsektor insgesamt wieder sicherer zu machen. Die Banken sind
unterschiedlich gut durch die Krise gekommen. Aber die Probleme waren
letztlich die gleichen wie überall sonst auf der Welt: zu viel Risiko
und zu viel Spekulation, die enorme Ausmaße angenommen hatte.
Wenngleich einige der großen Landesbanken in Skandale verwickelt
waren, halten die Deutschen an ihrem Drei-Säulen-Modell weiter fest. In der Tat haben sich auch nicht alle Landesbanken wie die Sachsen LB aufgeführt.
Viel wichtiger: Kleine und mittelständige Unternehmen, die oft als
Schlüssel zum Erfolg des deutschen Wirtschaftsmodells angeführt werden,
sind weiterhin größtenteils abhängig von der Finanzierung durch die
genossenschaftlichen und öffentlich-rechtlichen Banken (siehe nächster
Artikel). Um die deutsche Haltung in Debatten wie die zur Bankenunion zu
verstehen, und auch, warum sich die Landesbanken beispielsweise gegen eine einheitliche Bankenaufsicht und höhere Kaptialvorschriften gewehrt haben,
muss man die Eigenheiten des deutschen Bankensystems im Auge behalten,
das zu großen Teilen nicht in erster Linie auf Gewinnmaximierung
ausgerichtet ist bzw. sein sollte.
Im Allgemeinen
erkennen die meisten Beobachter an, dass die Reformen der 1990er Jahre
die größten Schwachstellen der öffentlichen Strukturen beseitigt haben:
„Deutsche Verbraucher und Unternehmen profitieren von einem System, das
eine gute Auswahl und Verfügbarkeit von Finanzdienstleistungen bietet.
[...] Folglich sind deutsche Vermittler von Finanzdienstleistungen
wohlmöglich eher in der Lage, den Wohlfahrtsstaat zu stützen, indem sie
eben solche Dienstleistungen anbieten und die Gewinne zwischenzeitlich
glätten, als es ein kurzfristig orientierter Finanzmarkt machen würde,
der wenig Anreize dafür hat.“ (IMF, 2011).Was wir vom deutschen Bankensystem lernen können
Was können wir von der Widerstandsfähigkeit und den Schwächen der deutschen Banken während der Krise lernen?
Zunächst einmal, dass Banken, die nicht nur auf Profit aus sind, der
Gesellschaft von Nutzen sind. Kleine Unternehmen wie auch Verbraucher
profitieren von diesen alternativen Finanzierungsquellen, wie sie von
öffentlich-rechtlichen und genossenschaftlich organisierten Banken
angeboten werden. Deutsche Politiker und Banker geben zu, dass es
Schwächen im System gibt. Das ist der Grund, weshalb auch 25 Jahre
voller Reformbemühungen, „der Grad an öffentlicher Einflussnahme auf das
System beinahe unverändert ist und auch derzeit noch wesentlich höher
liegt als in anderen EU-Staaten“ (IMF, 2011).
Die zweite Lehre, die wir aus dem deutschen Modell ziehen können, ist
die Tatsache, dass trotzdem einige Banken unterschiedlicher Natur zu
hohe Risiken während der Krise genommen haben. Regulierungsmaßnahmen
sollten daher, so weit es eben möglich ist, alle Banken gleich
behandeln.
Und zu guter Letzt ist es interessant festzuhalten, dass die
europäischen Wettbewerbshüter eine förmliche staatliche Garantie für
öffentlich-rechtliche Banken im Jahr 2001 abschaffen ließen, indem sie
deutliche Argumente gegen unlauteren Wettbewerb vorbrachten. Die
massiven Finanzspritzen von 2008 haben gezeigt, dass eine sogenannte
implizite Staatsgarantie weiterhin besteht, und das sie vor allem
privaten Geschäftsbanken zu gute kommt. Daraus ergibt sich letztlich ein
Paradox, das wenig zufriedenstellend ist: Man mag sich fragen, warum
öffentlich-rechtliche Banken heute weniger Unterstützung erhalten als
private ‚Too-big-to-fail‘-Banken, die nur ein einziges Ziel verfolgen:
maximale Rendite. Unter diesem Aspekt betrachtet würde Deutschland
genauso wie alle anderen EU-Mitgliedsstaaten erheblich von einer
Strukturreform des EU-Bankensektors profitieren, so wie sie von Finance Watch und anderen gefordert wird.
- [AG-GOuFP] Das deutsche 3 Säulen Modell in der Finanzkrise, matthias garscha, 22.03.2014
- Re: [AG-GOuFP] Das deutsche 3 Säulen Modell in der Finanzkrise, Axel Grimm, 24.03.2014
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