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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>
- To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [AG-GOuFP] Vollbeschäftigung ist das beste Sozialprogramm
- Date: Mon, 15 Oct 2012 09:30:38 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Du hast natürlich Recht mit der Aussage, dass es der Bevölkerung besser geht, wenn Vollbeschäftigung heißt.
Das als Wunsch eines Sozialprogramms einzubauen, kann ich jedoch nicht gutheißen. Ich denke nämlich, dass ein wesentliches Problem unseres Sozialsystems die Kopplung an die Wirtschaft ist. Meiner Meinung nach sollten alle sozialen Leistungen (im Idealfall auch ein existenzsicherndes Grundeinkommen) von der Gesamtgesellschaft getragen werden und den einzelnen Bürgern unabhängig von deren Arbeitsverhältnis o.ä. gewährt werden.
Ich finde, Kapitalismus bzw. Marktwirtschaft funktioniert gut - allerdings nur darin, die Produktion materieller Güter zu maximieren. Alle sogenannten Marktmechanismen resultieren auch in diesem Ziel. Die Kopplung von Existenzsicherung und Wirtschaft hat nun auf beiden Seiten unangenehme Folgen. Zum einen werden Marktmechanismen durch, aus sozialen Gründen notwendige, staatliche Eingriffe ausgehebelt (bsp. Opel-Rettung) und schwächen damit die Wirtschaft. Andererseits ziehen rein wirtschaftliche Probleme soziale Probleme nach sich.
Solange man also Unternehmen die Verantwortung abverlangt, für den existenziellen Lebensunterhalt ihrer Arbeiter zu sorgen, ist die Aussage "sozial ist was Arbeit schafft" und deine Argumentation für Vollbeschäftigung auch korrekt, ich würde jedoch eine Entkopplung der Bereiche Wirtschaft und Sozialstaat bei weitem vorziehen.
Am 14.10.2012 21:44, schrieb Nicolai Hähnle:
Hallo zusammen,
wollte euch mal aufmerksam machen auf eine Diskussion die andernorts
zur Zeit läuft:
http://prospect.org/article/full-employment-best-social-program
http://ordinary-gentlemen.com/shawngude/2012/10/the-awesomeness-of-full-employment/
Die Quintessenz ist, dass viele der aktuellen Übel im tatsächlichen
Wirtschaftsleben (jenseits von Hyperinflationspanik und co.) deutlich
kleiner wären bzw. deutlich leichter beseitigt werden könnten, wenn
wir Vollbeschäftigung hätten. Ein paar Highlights, natürlich nur als
Stichpunkte:
1. Vollbeschäftigung heißt nicht, dass jeder arbeitet.
Vollbeschäftigung heißt, dass jeder, der arbeiten _will_, auch eine
Arbeit findet.
2. Der Ökonom Kalecki hat schon in den 1940er-Jahren erklärt, warum
von Seiten der Industrie Lobbyarbeit gegen Vollbeschäftigung gemacht
wird.
3. Vollbeschäftigung erhöht die Verhandlungsmacht von Arbeitnehmern
und damit ihre gesellschaftliche Teilhabe.
4. Vollbeschäftigung führt zu einem realen Lohnzuwachs bei
Arbeitnehmern und führt dadurch zu einer gerechteren Gesellschaft.
5. Die sogenannten "strukturellen Probleme" im Arbeitsmarkt (wie skill
mismatch) werden bei Vollbeschäftigung durch den freien Markt selbst
gelöst.
6. Vollbeschäftigung ist ein moderates und inkrementelles Programm,
das dennoch eine große transformative Wirkung für die Gesellschaft
haben kann (bzw. in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg schon gehabt
hat).
7. Vollbeschäftigung kann zu einem sozialeren Verständnis von Arbeit
führen - weg von Drecksarbeit, hin zu bedeutungsvoller Arbeit.
Ich will keineswegs behaupten, dass alle diese Punkte in den
verlinkten Artikeln gänzlich durchdiskutiert wären. Aber jeder dieser
Punkte ist realistisch und muss ernst genommen werden, und der
Grundtenor ist auf jeden Fall richtig. Wenn wir als Piraten ein
wirklich gutes Sozialprogramm aufstellen wollen, dann sollte
Vollbeschäftigung zumindest eine wichtige Komponente davon sein.
Schöne Grüße,
Nicolai
- [AG-GOuFP] Vollbeschäftigung ist das beste Sozialprogramm, Nicolai Hähnle, 14.10.2012
- Re: [AG-GOuFP] Vollbeschäftigung ist das beste Sozialprogramm, Thomas Weiß, 15.10.2012
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