ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Nicolai Hähnle <nhaehnle AT gmail.com>
- To: AG Europa <ag-europa AT lists.piratenpartei.de>, ag Geldordnung <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>, AG Wirtschaft <ag-wirtschaft AT lists.piratenpartei.de>, esm-squad AT goeddek.de
- Subject: [AG-GOuFP] Ratschläge zur Euwikon und die Agenda für die Zukunft
- Date: Tue, 25 Sep 2012 22:30:51 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo zusammen,
lasst mich fünf Ratschläge für die Euwikon ohne große Umschweife auf
den Punkt bringen:
1. Emotionen und Verzweiflung sind schlechte Ratgeber.
Die Nachrichten zum ESM lassen bei manch einem immer noch Emotionen
hoch kochen, und jetzt häufen sich auch noch die Meldungen, dass in
Deutschland die Konjunktur wieder abflaut, was den ein oder anderen
auch in die Enge treiben kann. Das ist menschlich und verständlich,
aber aus dem kurzfristigen Klein-Klein heraus entstehen keine
intelligente Lösungen - das ist übrigens auch psychologisch bestätigt.
Also lasst uns einen Schritt zurück nehmen und einen kühlen Kopf
bewahren.
2. Lasst eure Vorurteile und gefährliches Halbwissen zu Hause.
Ziel muss sein, ein intelligentes Wirtschaftsprogramm zu erstellen,
dass sich vom üblichen Phrasendreschen deutlich abhebt. Das ist nicht
ganz einfach, weil sich dabei einzel- und gesamtwirtschaftliche
Überlegungen decken müssen. Gerade letztere sind oft unintuitiv, also
zeigt euch bitte von eurer rationalsten und intelligentesten, aber
auch von eurer offensten Seite - und fordert das gleiche von allen
anderen.
Die Kunst des rationalen Arguments: die Bereitschaft, eigene Fehler
und Unwissen einzugestehen, auch wenn es schmerzhaft ist, aber
gleichzeitig Wahrheit und Logik bis zuletzt auch gegen dreckige Tricks
zu verteidigen.
3. Seid euch eurer Verantwortung für alle Menschen bewusst.
Als Politiker (und sei es im noch so kleinen Rahmen) stehen wir im
Dienst der Gesellschaft und müssen das Wohl aller Menschen im Ziel
behalten. Das ist gerade beim Thema Wirtschaft brisant weil es eine
starke Tradition gibt, Maßnahmen im Interesse einer kleinen Minderheit
so zu verkaufen, als wären sie im Interesse aller. Also seid
vorsichtig: wenn sich etwas so anhört, als ob viele Menschen dadurch
schlechter gestellt werden, dann ist dem meistens auch so - das geht
von Steuersenkungen für Reiche bis zur Prekarisierung von Arbeit.
Übrigens: in einer Gesellschaft, in der es allen gut geht, geht es
auch den Reichen und Erfolgreichen besser, wie in Metastudien recht
deutlich gezeigt wurde. Dass am Ende alle - von arm bis reich - von
einer solidarischeren Gesellschaft und niedrigerer Kriminalität
profitieren versteht sich eigentlich von selbst.
4. Freiheit hat viele Facetten.
Jeder mag Freiheit. Freiheit hört sich auch immer gut an. Aber oft
wird ein sehr eingeschränkter Freiheitsbegriff als Totschlagargument
genutzt. Hütet euch davor, darauf herein zu fallen. Denn was nutzt
"Freiheit" in der Theorie, wenn Mensch in der Praxis durch Schulden
oder Arbeitslosigkeit unfrei wird? Besteht auf einem Verständnis von
Freiheit, das der Komplexität der realen Welt gerecht wird.
5. Emanzipiert euch vom täglichen Chaos und setzt die Agenda.
Wir Piraten haben zu viel reagiert. Am Thema ESM wird das deutlich.
Noch eine Meldung zum Thema Haftung oder Hebelung ist schön und gut,
bringt aber nicht weiter, weil wir uns damit auf Terrain bewegen, das
durch die Gegenspieler gewählt ist.
Ich möchte mit einer konkreten Anregung für ein für die Piraten besser
geeignetes Terrain schließen, und das ist die Machtverteilung in der
Eurozone.
Es gibt keine Volksvertretung, keine Legislative, die auf Ebene der
Eurozone handlungsfähig ist. Die Exekutive steht alleine am Steuer,
aber die Exekutive agiert nach Prinzipien, mit denen die Krise in der
Eurozone nicht gelöst werden kann. Das ist nicht die Schuld der
Exekutive: sie kann nicht anders, solange sie ihrem gesetzlichen
Auftrag folgt. Wir brauchen auf Ebene der Eurozone eine
funktionierende, direkte Volksvertretung, denn nur diese kann
gesamteuropäische Interessen in den politischen Prozess einbringen.
Und auf dieses Terrain sollten wir die Diskussion bringen, denn es
gibt genug zu diskutieren. Nur um ein paar Beispiele zu nennen:
Wie sieht die Volksvertretung aus? Nimmt man das Europäische
Parlament? Unverändert oder mit Veränderungen? Beschränkt auf
Abgeordnete aus der Eurozone? Oder ein ganz neues Parlament?
Die Volksvertretung muss ganz konkrete und direkte Macht über
Finanzfragen haben, aber welche? Weisung gegenüber der EZB bezüglich
dem Ankauf von Staatsanleihen? Erhebung von Steuern? Kontrolle über
den ESM?
Selbst wenn auf der Euwikon keine einheitliche Position gefunden wird,
was diese Detailfragen angeht, so hoffe ich doch, dass man sich
einigt, eine Diskussion darüber zu führen, wie die Machtverteilung in
der Eurozone aussehen soll, und dass man diese Diskussion auch in die
breitere Öffentlichkeit trägt. Denn hier geht es um die Zukunft
unserer politischen Verfassungen, dass sind die eigentlichen Themen,
die nun schon seit ein paar Jahren unter der Oberfläche brodeln, und
bald heftigst ausbrechen können.
Schöne Grüße,
Nicolai
--
Lerne, wie die Welt wirklich ist,
aber vergiss niemals, wie sie sein sollte.
- [AG-GOuFP] Ratschläge zur Euwikon und die Agenda für die Zukunft, Nicolai Hähnle, 25.09.2012
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