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ag-geldordnung-und-finanzpolitik - Re: [AG-GOuFP] Mathematik und Zinseszins.

ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik

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Re: [AG-GOuFP] Mathematik und Zinseszins.


Chronologisch Thread 
  • From: Tugrisu <thomas.unger AT dessau-service.de>
  • To: ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: Re: [AG-GOuFP] Mathematik und Zinseszins.
  • Date: Wed, 20 Jun 2012 06:35:58 +0000
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
  • List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>

Comenius schrieb:
Am 19.06.2012 10:11, schrieb Alexander Barth:

Es ist wohl so, daß wir zum Schutze der Gesellschaft, diesen Leuten einen Teil Ihres Vermögens durch Steuern wegnehmen müssen. Wir müssen aber ehrlich sein, und ihnen zugestehen, daß das Vermögen das Resultat außerordentlich erfolgreichen Unternehmertums ist.

Wir sollten aber ebenso anerkennen, dass dies nicht möglich wäre, ohne die disziplinierte Arbeit vieler schlecht bezahlter Frauen, die in der Regel keine Möglichkeit haben, ihre Arbeitskraft teuer zu verkaufen. Ob hier der Unterschied in der Leistung den Unterschied der Einkommen rechtfertigt, ist durchaus zweifelhaft.

Wir sollten so ehrlich sein zu sagen, daß wir es als Gesellschaft halt oft verbocken, und daß dadurch Schulden anlaufen. Damit unsere Gesellschaft nicht zusammenbricht, müssen wir etwas Umverteilung der Substanz betreiben und Leuten, die eigentlich alles richtig gemacht haben, wieder etwas wegnehmen.

..., was mir unter Berücksichtigung meiner obigen Argumentation durchaus keine schlaflosen Nächte bereiten würde.

Die Freiheitsfunktion des Geldes als eines Tauschmittels

Die Funktion des Geldes als eines Tauschmittels kann in die verfassungsrechtliche Einsicht übersetzt werden, daß das Geld ein wesentliches, ja ein so gut wie unentbehrliches Medium der ökonomischen Vertragsfreiheit ist. Gäbe es kein Geld, - es müßte um seiner Funktion für die Vertragsfreiheit willen heute erfunden und sofort eingeführt werden! Denn wenn der Staat es in der Hand hat, die ökonomische Vertragsfreiheit derart zu erleichtern, wie es durch das Geld geschieht, dann muß er es tun, weil er sonst die Freiheit unnötig beschränkte.

Gleichheitsprobleme beim Geld als einem Tauschmittler

Das Geld macht aus einem beschwerlichen Tausch „Ware gegen Ware« wenigstens zwei bequeme Tauschvorgänge »Ware gegen Geld« und »Geld gegen Ware«. Man kann sich vorstellen, daß in einer Wirtschaft ohne ein Tauschmittel „Geld« Makler tätig würden, die sich darauf spezialisierten, Tauschpartner zusammenzuführen und Tauschketten ausfindig zu machen, so wie heute Ehevermittler Ehepartner zusammenführen. Das Geld macht solche Makler überflüssig. Aber so wie die Makler nur tätig würden, wenn ihnen Maklerlohn gezahlt würde, so können sich die Teilnehmer am Wirtschaftsleben heute Liquidität, die sie zum Abschluß von Verträgen vorübergehend brauchen, nur verschaffen, wenn sie an das Geld als an ihren „monetären Makler“ einen Maklerlohn zahlen: den Zins. Und so wie die Makler durch die Höhe ihrer Maklerforderungen bremsend auf den Abschluß von Verträgen Einfluß nehmen können, so hat es heute der Kreditgeber in der Hand, den Abschluß von Verträgen, seien es eigene, seien es Verträge unter Dritten, zu bremsen. Hier zeigt sich die Abhängigkeit dessen, der kein Geld hat, von dem, der Geld hat (zum Beispiel dessen, der Familienschmuck besitzt, von dem anderen, der den gleichen »Wert« in Form liquider Zahlungsmittel zur Verfügung hat).

So kommt der Vorteil, der mit der Einführung des allgemeinen Tauschmittels »Geld« verbunden ist, typischerweise demjenigen verstärkt zugute, der über Geld (statt über schwer liquidierbare Vermögenswerte) verfügt. Jeder könnte dazu seine Beispiele aus persönlicher Erfahrung beisteuern. Also erweist sich das Geld bei genauerem Hinsehen zwar als ein fast idealer verselbständigter und vergegenständlichter Tauschmittler, aber als ein Mittler, der die Ausgangsbedingungen für den Abschluß von ökonomischen Verträgen einseitig zugunsten des Inhabers von Geld und Liquidität verschiebt. Unsere Geldordnung schafft eine Art von Liquidität, die - ausgeglichene Marktbedingungen vorausgesetzt - den Anbieter von Geld gegenüber dem Anbieter von Waren oder Arbeit typischerweise privilegiert. Insofern erweisen sich die Beobachtungen, die Proudhon und Gesell angestellt haben, letztlich wohl als zutreffend.

Wer zum Beispiel bei ausgeglichenen Marktbedingungen die Wahl hat zwischen einem Warenbündel im Werte von DM 100.000,- und Geldscheinen im gleichen Werte, weiß den Vorteil intuitiv richtig einzuschätzen, den das liquide Geld im Vergleich zu den nicht ganz so liquiden Waren hat, und dürfte daher kaum Entscheidungsschwierigkeiten haben.

Stützel nämlich zeigt, wie die Differenz zwischen Wert und Preis in weiten Bereichen des sozialen Lebens darüber entscheidet, inwieweit einzelne Personen von anderen konkreten Personen wirtschaftlich abhängig sind: »Diese Differenzen, abschätzbar als Geldbeträge des jeweiligen konkreten Vertragsinteresses, messen den Grad des Angewiesenseins des einen auf den anderen.« Der Wert einer Leistung für einen Vertragspartner ist umso größer, je stärker seine Existenz auf dem Spiel steht, und umso geringer, je marginaler sein Interesse an der vertraglichen Leistung ist. Schaut man nun auf das »Entscheidungsfeld«, das sich bei einem typischen Geschäft zwischen »Geld« und »Arbeit« ergibt, so zeigen sich folgende, das Interesse der Partner bestimmende Faktoren: Existentielles/marginales Interesse; Substituierbarkeit/Nichtsubstituierbarkeit; Generalisierungsgrad des angebotenen bzw. nachgefragten Tauschobjektes. Nimmt man einmal eine Lage auf dem Arbeitsmarkt mit 5 % unfreiwilligen Arbeitslosen an, so ist evident, daß der Arbeitnehmer für den Arbeitgeber leichter substituierbar ist als der Arbeitgeber für den Arbeitnehmer. Also ist das konkrete Vertragsinteresse des Arbeitnehmers relativ groß. Hinzu kommt, daß es für den Arbeitnehmer eher um ein existentielles, beim Arbeitgeber eher um den Gewinn, also um ein marginales Interesse geht. Schließlich bietet der Arbeitgeber »Geld«, das von jedermann gefragt wird, weil es ein generalisiertes Tauschmedium ist, während der Arbeitnehmer nur seine konkrete, wenig generalisierte Arbeitsleistung bietet. Kurz: jeder der drei genannten Faktoren wirkt sich zum Nachteil des Arbeitnehmers in dem Sinne aus, daß sein Interesse am Vertrag steigt.

Geht man nun zu einem anderen Entscheidungsfeld über, bei dem Vollbeschäftigung unterstellt wird, so verändern sich die Faktoren »existentielles/marginales Interesse« und »Generalisierungsgrad des Tauschobjektes« kaum, wohl aber die »Substituierbarkeit«. Unser Arbeitnehmer ist also weniger auf den bestimmten Arbeitgeber angewiesen als in unserer ersten Alternative, aber er ist nach wie vor existentiell betroffen und verfügt nicht über das generalisierte Tauschmedium, sondern nur über seine konkrete, individuelle Arbeit. Selbst bei Vollbeschäftigung ist sein Vertragsinteresse daher relativ groß, auch wenn er sich den Arbeitgeber nunmehr fast nach Belieben aussuchen kann.

Um die Asymmetrie, die in der Vertragssituation steckt, noch besser zu veranschaulichen, empfiehlt sich eine zwar sehr hypothetische, gleichwohl anregende Überlegung: Unter welchen Bedingungen wären die Chancen gleich?: Man braucht nur demjenigen, der Arbeit sucht, so viel Geld zu geben, wie der Arbeitgeber hat, und außerdem zu unterstellen, der bisherige Arbeitgeber suche dringend genau eine Arbeit, für die der bisherige Arbeitnehmer zu zahlen bereit ist. Dann sind die Faktoren symmetrisch verteilt und ausgeglichen. An diesen hypothetischen Aufwand, den man treiben muß, um Symmetrie herzustellen, läßt sich ablesen, wie wenig sie tatsächlich vorhanden ist.

Fragt man nun danach, ob sich die Asymmetrie und Differenz auch quantifizieren läßt, die soeben diagnostiziert worden ist, so lautet die Antwort: Ja! Der Vorteil, den geldliche Liquidität am Markt bietet, ist, in Geld gemessen, so groß, wie der Zins hoch ist, der dafür bezahlt wird.

Nach Stützel kann man die Abhängigkeit der Marktteilnehmer von anderen Marktteilnehmern messen als Differenz zwischen »Preis« und »Wert«. Da der »Preis« des »Geldes« um den Zins höher liegt als der Kaufkraftwert für den betroffenen Marktteilnehmer, - da also der Preis des Geldes stets höher liegt als sein Wert, herrscht am Markt eine generelle Abhängigkeit der Nichtliquiden von den Liquiden: Geld wirkt im Zirkulationsprozeß nicht »neutral«!

Zusammenfassend ergibt sich also: Die Funktion des Geldes für die Vertragsfreiheit steht außer Zweifel. Aber gerade dann, wenn es als Tauschmittel seine Funktion als Freiheitsmedium erfüllt, schafft es von seiner Konstruktion her ungleiche Ausgangsbedingungen. Damit ist auch der Gleichheitssatz des Art. 3 GG berührt. Die Geldordnung in ihrer derzeitigen Struktur bringt die Waage der Vertragsgerechtigkeit bei der Verwendung des Geldes als eines Tauschmittels aus dem Gleichgewicht. Vielleicht wird das am Beispiel deutlich: Im wirtschaftlichen Spiel hat der, der Geld hat, den Joker in der Hand. Geld ist der Joker im Wirtschaftsspiel; er vertritt jede andere Ware. Wer sein Spiel mit Jokern beginnt, ist im Vorteil.

Die Teilhabefunktion des Geldes im sozialen Rechtsstaat

Bislang erschien die überlieferte Geldordnung hier im Licht der Maßstäbe grundrechtlicher Freiheit und Gleichheit. Das ist die Perspektive des rechtsstaatlichen Grundrechtsschutzes. Geld aber vermittelt auch die Teilhabe an den Leistungen der Volkswirtschaft. Denn den Geldströmen fließen entgegen die Ströme der Waren und Dienstleistungen, und daher kann man an den Geldströmen der Volkswirtschaft, an ihren Verzweigungen und Verästelungen, ablesen, wer in welchem Ausmaß an welchen Leistungen der Volkswirtschaft teil hat.

»Teilhabe« ist eine Modewort. Es kommt aus der Diskussion um den Sozialstaat: »Teilhabe an Leistungen des Staates«. Der Bürger hat aber nicht nur teil an den Leistungen des Gemeinwesens, wenn er staatliche Leistungen empfängt, sondern auch insoweit, wie er in den volkswirtschaftlichen Kreislauf von Geld, Waren und Dienstleistungen im übrigen miteinbezogen ist. Daher ist die Geldordnung zugleich eine Teilhabeordnung, und Geldordnungspolitik ist zugleich Teilhabeordnungspolitik. Hier, bei den Teilhabeströmen, zeigt sich das Geld aus der Sicht des sozialen Rechtsstaates. Diese sozialstaatliche Seite des Geldes ist untrennbar verbunden mit seiner rechtsstaatlich-grundrechtlichen Seite, die zunächst ins Gesichtsfeld getreten war.

In Zeiten der Rezession haben wir ein kritisches Bewußtsein gegenüber dem extensiven Wohlfahrtsstaat entwickelt: Wir sind sensibel dafür geworden, wenn der Wohlfahrtsstaat Bürgern, die nichts leisten, obwohl sie leistungsfähig sind, Wohltaten erweist. Ergeben sich aber nicht auch kraft der Geldordnung Möglichkeiten für Mitglieder des Gemeinwesens, an den Leistungen der Volkswirtschaft teilzuhaben, ohne selbst etwas dazu beizutragen? Die Geldordnung in ihrer derzeitigen Form bietet die Chance, sich in die Geldströme der Volkswirtschaft derart einzukaufen, daß in der Form von Zinsen Rinnsale oder Arme des Geldstromes ohne zusätzliche Leistung auf den Betroffenen zuströmen. Hier zeigt sich das verfassungsrechtliche Eigentum, nämlich das Eigentum an rentierlichen Geldforderungen, in der Gestalt eines reinen Teilhabeanspruchs, während man doch bisher geglaubt hat, Eigentum sei ein Abwehrrecht. Die Geldordnung belehrt uns eines Besseren: Eigentum kann auch ein Titel auf Teilhabe sein, auf Teilhabe an den ökonomischen Leistungen des Gemeinwesens, - und zwar nicht in dem einfachen Sinne, daß man für das Geld, das man sich »sauer verdient« hat, nun einen Anspruch auf Teilhabe an den Leistungen hat, die man mit erarbeitet hat, - sondern in dem anderen Sinne des »Einkaufens« in die Geldströme der Volkswirtschaft.

Wer sich sein Geld durch persönliche Leistung und Arbeit verdient, tut sich schwer, wenn er sein Einkommen verdoppeln will. Es zu verzehnfachen, ist schon meist so gut wie unmöglich. Dadurch aber, daß man Eigentum und geldliche Liquidität kumulieren kann, ist es durchaus möglich, in Form von Zinsen das 10fache oder 100fache dessen, was durch persönliche Leistung verdient werden kann, aus den volkswirtschaftlichen Geldströmen auf sich abzuzweigen.

Dieser Befund widerspricht dem Art. 14 GG insofern, als unsere Verfassung dasjenige Eigentum bevorzugt schützt, das aus eigener Arbeit und Leistung stammt. Zwar mag das Kapital, das sich »rentiert«, durchaus aus eigener Leistung stammen und deshalb bevorzugten Schutz genießen. Zinsen jedoch sind das Entgelt dafür, daß man auf entbehrliche Liquidität verzichtet, also auf marginales Dispositionsvermögen (nicht auf den Kaufkraftwert des Geldes selbst, denn der soll ja am Ende der Darlehenslaufzeit zurückgegeben werden). Dieser Verzicht ist um so marginaler, je größer das Vermögen ist, - und die Chance, auf dem nämlichen Wege das eigene Vermögen ohne »Arbeit und Leistung« zu vergrößern, wächst entsprechend: eine eigenartige Widersinnigkeit von »Eigentumsbildungs-Politik«, die in die Geldordnung hineinkonstruiert ist. Die Geldordnung »hinterfüttert« die Eigentumsordnung mit Teilhabechancen und Teilhabeströmen, die mit Entscheidungen der Verfassung schwer verträglich sind. Was oben an Bedenken im Zusammenhang mit dem beengenden Einfluß von Zinsen auf die Freiheit der Bürger angedeutet wurde, kann daher hier in sozialstaatliche Bedenken übersetzt werden: Die Möglichkeit, sich im großen Stil in die Geldströme der Volkswirtschaft »einzukaufen« derart, daß ein womöglich mit Zinseszinsen wachsender Strom leistungsloser Teilhabe entsteht, ist im sozialen Rechtsstaat untragbar, sobald Alternativen denkbar und realisierbar erscheinen, die sich nicht negativ auf das Marktgeschehen auswirken, also weder die Lenkungsfunktionen der Liquiditätsprämie außer Kraft setzen noch die Freiheitsfunktion des Geldes überhaupt. Wenn irgendwo, dann entscheidet sich nämlich auf dem Felde der Geldordnungspolitik im großen Stil, ob und in welchem Umfang die Mängel, die in die Geldordnung hineinkonstruiert sind, mit verwaltungs- und wohlfahrtsstaatlichen Mitteln wieder ausgeglichen werden müssen. Von der Geldordnung also dürfte es zu einem guten Teil abhängen, ob und in welchem Umfange unser Gemeinwesen ein freiheitlicher sozialer Rechtsstaat ist und bleiben wird, oder ob er sich zu einem beengenden wohlfahrtsstaatlichen Gebilde entwickelt, in dem die Pathologie der Geldordnung durch eine korrespondierende Pathologie »sozialstaatlicher« Transferströme ausgeglichen werden muß.

Geldordnungspolitik aus der Sicht des Grundgesetzes
Dieter Suhr
Seit 1975 war er Professor für öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsinformatik an der Universität Augsburg, parallel dazu war er kurze Zeit Richter am Bayerischen Verfassungsgerichtshof. Seine Forschungsschwerpunkte waren die Grundrechte, insbesondere das Eigentumsrecht sowie das Umweltrecht.




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