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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: [AG-GOuFP] FDP Antwort auf Anschreiben von Gert Flegelskamp zum Thema ESM.
- Date: Fri, 15 Jun 2012 17:54:13 +0200
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Antwort Christian Ahrendt (FDP) auf Beitrag zur Abstimmung über den ESM und Fiskalpakt
und meine Antwort auf das Schreiben
Sehr geehrter Herr Flegelskamp,
vielen Dank für die Zusendung Ihrer E-Mail vom gestrigen Tag. Gestatten Sie mir meine Argumente nachfolgend zu benennen.
Der Fiskal-Vertrag und der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM) bilden zwei Seiten einer Medaille ab. Beide Verträge zusammen sollen sowohl kurzfristig, als auch langfristig zu finanzpolitischer Stabilität in der Eurozone führen. Der ESM dient dabei zur kurzfristigen Stabilisierung von in Not geratenen Staaten zur Bewahrung der Stabilität in der Eurozone insgesamt und der Fiskal-Vertrag soll gewährleisten, dass es in Zukunft nur noch tragfähige Staatshaushalte in der Eurozone und damit letztlich keine Notfälle für den ESM mehr geben wird.
Den Abschluss des Fiskal-Vertrages wertet die FDP-Bundestagsfraktion als Meilenstein auf dem Weg zur Stabilitätsunion. Die Übernahme der Schuldenbremse nach deutschem Vorbild durch die anderen Euro-Staaten ist entscheidend für die Stabilisierung unserer Gemeinschaftswährung. Die FDP war 1997 die erste Partei, die sich für die Einführung einer Schuldenbremse in Deutschland eingesetzt hat. Heute gilt die Schuldenbremse in ganz Europa als unverzichtbar.
Zukünftig dürfen die Euro-Staaten neue Schulden maximal in Höhe von 0,5 Prozent ihrer Wirtschaftskraft aufnehmen. Verstöße dagegen sollen fortan automatisch sanktioniert werden. Die Einführung strenger und effektiver Defizitvorgaben in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Eurozone, sowie acht weiterer EU-Staaten, wird durch ein Klagerecht vor dem Europäischen Gerichtshof gewährleistet. Auch dem Schuldenstandskriterium von 60 Prozent wird wieder zur Geltung verholfen, indem ein konkreter Fahrplan zu dessen Einhaltung vereinbart wurde. Insgesamt hat die christlich-liberale Koalition mit ihrer Initiative zu diesem Vertragswerk die Schwächen des Vertrages von Maastricht behoben! Nachdem der alte Stabilitäts- und Wachstumspakt durch die rot-grüne Bundesregierung 2004 aufgrund eigener Disziplinlosigkeit seiner Wirkung vollkommen beraubt wurde, stehen wir nun vor einer völlig neuen Stabilitätsarchitektur in Europa.
Für die FDP-Bundestagsfraktion ist das ein wichtiges Signal auf dem Weg hin zu einer soliden Haushaltsführung in den EU-Mitgliedsstaaten. Nur so können die tatsächlichen Ursachen der Staatsschuldenkrise wirksam bekämpft werden. Mit der flächendeckenden Einrichtung nationaler Schuldenbremsen in allen Mitgliedstaaten der Eurozone wird das Problem an der Wurzel gelöst und die Weiche zu dauerhaft tragfähigen Staatshaushalten gestellt.
Mit dem ESM werden wir darüber hinaus ein deutliches Signal für Stabilität, Solidität und Kontinuität innerhalb Europas setzen. Er gewährleistet, dass die temporäre Schwäche einzelner Staaten sich nicht zu einem Flächenbrand in der gesamten Eurozone ausweiten kann. Auch der ESM fußt auf dem Grundsatz, dass Solidarität nur bei entsprechender fiskalpolitischer Solidität gewährt werden kann. Leistungen des ESM dürfen daher auch nur von Staaten beansprucht werden, die die Vorgaben des Fiskal-Vertrages umsetzen.
Lassen Sie mich auf einzelne, immer wieder auftauchende, Fragestellungen im Folgenden mit der Darstellung einiger wichtiger Fakten zum ESM eingehen:
Der ESM soll über 80 Mrd. Euro eingezahltes Kapital verfügen und über 620 Mrd. Euro abrufbares Kapital, welches haushaltsrechtlich in Form von Garantien bereitgestellt wird. Der ESM wird daher nicht, wie teilweise behauptet, über 700 Mrd. Euro Grundkapital verfügen. Der Begriff Grundkapital suggeriert, dass die Beträge absolut gezahlt werden müssten. Es handelt sich vielmehr um "grundsätzlich" genehmigtes Stammkapital in Höhe von insgesamt 700 Mrd. Euro, welches nach Art. 8 Abs. 1 und Abs. 2 ESM-Vertrag zwingend zum Nennwert ausgegeben werden muss.
In Art. 8 Abs. 5 ESM-Vertag ist klar geregelt, dass die Haftung eines Mitgliedstaates unter allen Umständen auf seinen Anteil am genehmigten Stammkapital beschränkt bleibt.
Der deutsche Anteil am genehmigten Stammkapital beträgt rd. 190 Mrd. Euro. Er setzt sich aus 21,7 Mrd. Anteil an dem eingezahlten Stammkapital (von insgesamt 80 Mrd.) und 168,3 Mrd. Euro Anteil am abrufbaren Kapital (von insgesamt 620 Mrd.) zusammen.
Zur Frage des Übergangs vom bisherigen vorübergehenden Rettungsschirm EFSF zum dauerhaften ESM haben die Staats- und Regierungschefs der Eurozone sich am 30. März 2012 darauf verständigt, dass die gemeinsame Obergrenze der Kreditvergabekapazität von EFSF und ESM temporär von 500 auf 700 Mrd. Euro erhöht wird. Der Umfang des ESM bleibt bei 500 Mrd. Euro. Hinzugerechnet werden bereits zugesagte Mittel in Höhe von 200 Mrd. Euro aus der EFSF sowie jeweils rd. 50 Mrd. Euro aus EFSM und bilaterale Kredite aus dem ersten Hilfspaket an Griechenland. Insgesamt kommt man damit auf eine Brandmauer in Höhe von rund 800 Mrd. Euro. Im EFSF verbleiben bis zu seinem Auslaufen Mitte 2013 noch 240 Mrd. Euro, die als Puffer in Reserve gehalten werden, bis der ESM komplett zur Verfügung steht. Die Kreditvergabekapazität des dauerhaften Rettungsschirms ESM hingegen konnte bei 500 Mrd. Euro gedeckelt werden.
Die führenden Industrie-und Schwellenländer (G20) haben sich am 20. April in Washington darauf geeinigt, den Weltwährungsfonds für Staaten in Problemlage um rund 430 Milliarden US-Dollar (325 Mrd Euro) aufzustocken. An den 150 Milliarden Euro der Euro-Länder beteiligt sich die Deutsche Bundesbank mit rund 41,5 Milliarden Euro. Die Erhöhung der Mittel, die dem IWF für Krisenländer zur Verfügung stehen, ist von den nationalen Notenbanken vorgenommen worden. Die Notenbanken sind ihrerseits grundsätzlich unabhängig, so dass das verstärkte Engagement der Deutschen Bundesbank keinem Parlamentsvorbehalt unterlag.
Die FDP begrüßt ausdrücklich das Ergebnis der IWF Frühjahrstagung.
Bundesregierung und Bundesbank haben mit der Aufstockung der Mittel zu Stabilisierung von Krisenländern einen guten Beitrag geleistet.
Das effektive Kreditvergabevolumen des ESM wird maßgeblich durch seine Kapitalstruktur vorbestimmt, die in Art. 8 des ESM-Vertrags näher geregelt ist. Während die Kapitalstruktur im Vertragstext rechtlich bindend festgelegt werden kann und sogar muss, da sie die Grundlage für die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten zur Bereitstellung von Kapital darstellt, lässt sich das effektive Kreditvergabevolumen rechtlich nur als Maximalbetrag (Obergrenze) und nicht als Mindestbetrag festschreiben. Denn der ESM verwendet sein Kapital als Absicherung, um am Markt die erforderlichen Mittel für ein Ausleihvolumen von maximal 500 Mrd. Euro aufzunehmen. Das exakte effektive Ausleihvolumen hängt damit auch von Marktentwicklungen ab.
Über Veränderungen des genehmigten Stammkapitals und eine etwaige Anpassung des maximalen Darlehnsvolumens des ESM entscheidet der Gouverneursrat. Dies ist kein unabhängiges Gremium, welches autonome Entscheidungen über europäische Steuergelder treffen kann. Der Gouverneursrat besteht aus den Finanzministern des Euro-Währungsgebiets, die gewählte Regierungen der Eurostaaten repräsentieren. Alle wesentlichen Entscheidungen, einschließlich der Gewährung von Finanzhilfen oder Änderungen am gezeichneten Kapital, werden grundsätzlich einstimmig durch die Finanzminister des Euro-Währungsgebiets getroffen - Deutschland hat jederzeit ein Vetorecht.
Dem Deutschen Bundestag soll dieses Vetorecht faktisch übertragen werden, indem wir dem Abstimmungsverhalten des deutschen Vertreters im Gouverneursrat einen Parlamentsvorbehalt vorschalten, wie wir es bereits bei der Europäischen Finanzstabilisierungsfazillität (EFSF) auf Druck der FDP getan haben. Auf diese Weise muss sich der deutsche Vertreter im Gouverneursrat des ESM zunächst die Zustimmung des Bundestages einholen, bevor er einer etwaigen Ausweitung zustimmen kann. Sollte der Bundestag diese Zustimmung verweigern, muss der deutsche Vertreter mit Nein stimmen und kann damit eine Ausweitung von Hilfen im Rahmen des ESM effektiv verhindern.
Die FDP im Deutschen Bundestag wird verhindern, dass der ESM - wie von der Opposition gefordert - eine Banklizenz erhält. Somit ist eine weitere Begrenzung der Mittel sichergestellt.
Da die Gewährung von Hilfen über den ESM an die strikte Einhaltung des Fiskalpaktes gekoppelt ist, dürfte sich rein faktisch die Inanspruchnahme des Stammkapitals in Grenzen halten. Auch hier gilt:
Ohne Solidität keine Solidarität!
Im Artikel 9 Absatz 3 des ESM-Vertrags heißt es: "Die ESM-Mitglieder verpflichten sich unwiderruflich und uneingeschränkt, Kapital, das der Geschäftsführende Direktor gemäß diesem Absatz von ihnen abruft, innerhalb von sieben Tagen ab Erhalt der Aufforderung einzuzahlen." Dieser Passus bezieht sich auf bereits genehmigtes Kapital, welches bereits durch die nationalen Parlamente bzw. Regierungen zugesagt wurde.
Hierdurch soll die Handlungsfähigkeit des ESM gewährleistet und einer etwaig aufkommenden schlechten Zahlungsmoral der Mitgliedstaaten vorgebeugt werden.
Die Verzahnung zwischen ESM-Vertrag und Fiskalvertrag in den Erwägungsgründen beider völkerrechtlicher Verträge gewährleistet in sachgerechter Weise die deutschen Interessen. Zusätzlich zu den strikten Auflagen, an die die Gewährung von Finanzhilfen nach dem ESM-Vertrag in Übereinstimmung mit dem neuen Art. 136 Abs. 3 AEUV geknüpft wird, ist es damit gelungen, eine präzise geregelte Verknüpfung mit den auf Prävention abzielenden Regelungen im Fiskalpakt zu vereinbaren.
Der Fiskalpakt bedarf - ebenso wie der ESM-Vertrag - der Ratifizierung durch nationale Parlamente. Das Verfahren für die Ratifizierung des Fiskalpakts ist in einigen Mitgliedstaaten komplexer als für den ESM-Vertrag, da z.T. Verfassungsänderungen erforderlich sind. Es ist deshalb durchaus sachgerecht, das die Ratifizierungsfristen für beide Verträge unterschiedlich lang ausgestaltet sind. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Regierungen der Eurozonen-Mitgliedstaaten hinsichtlich der Ratifizierung des Fiskalvertrags untätig bleiben könnten: mit der Zeichnung des ESM-Vertrags und der Einigung über den Fiskalvertrag haben sich die Regierungen politisch darauf verpflichtet, alles in ihrer Macht stehende für eine rechtzeitige Ratifizierung des Vertrags zu tun. Die Fortschritte hierbei werden selbstverständlich sorgfältig beobachtet werden und in das Gesamtbild bei der Entscheidung über etwaige Anträge auf Gewährung von Finanzhilfen einfließen.
Entscheidend bei der Bewertung der Verbindlichkeit des Bedingungszusammenhangs ist außerdem, dass Finanzhilfen des ESM nicht ohne Zustimmung Deutschlands gegeben werden und die Einhaltung des vereinbarten Bedingungszusammenhangs deshalb durchgesetzt werden kann.
Das in Art. 4 geregelte Eilverfahren ermöglicht in Ausnahmefällen eine Beschlussfassung über die Gewährung von Finanzhilfe mit einer super-qualifizierten Mehrheit von 85 %. Voraussetzung ist, dass die Europäische Kommission und die EZB beide zu dem Schluss gelangen, dass die Unterlassung der dringlichen Annahme eines Beschlusses zur Gewährung oder Durchführung von Finanzhilfe in aller Eile gemäß der Regelung in den Artikeln 13 bis 18 die wirtschaftliche und finanzielle Stabilität des Euro-Währungsgebiets bedrohen würde.
Der wesentliche Gehalt des Eilverfahrens besteht darin, dass bei besonders dringlichen, einstimmig zu treffenden Entscheidungen mögliche Verfahrensverzögerungen in einzelnen kleineren oder mittleren Mitgliedstaaten keine Blockade auslösen. Der Notfallreservefonds, der im Zusammenhang mit der Gewährung von Finanzhilfen im Eilverfahren gebildet wird, hat dabei die Funktion, einen zweckbestimmten Puffer zur Abdeckung der Risiken zu bilden, die sich aus der im Dringlichkeitsverfahren gewährten Finanzhilfe ergeben. D.h. die Mittel im Notfallreservefonds werden nicht an ein ESM-Mitglied ausgezahlt, sondern sie dienen zur Absicherung der Finanzierungsgeschäfte des ESM für die betreffenden Finanzhilfen. Auch für Beschlüsse im Eilverfahren gilt, dass der ESM zur Erfüllung seiner Aufgaben an den Kapitalmärkten bei Banken, Finanzinstituten oder sonstigen Personen und Institutionen Kapital aufnehmen kann (Art. 21). Die Bildung des Notfallreservefonds führt damit auch bei einer Speisung aus dem eingezahlten Kapital nicht zur Auslösung eines Kapitalabrufs nach Art. 9 Abs. 2, da die Bildung des Notfallreservefonds keinen Ausgleich von Verlusten, sondern eine Art spezielle Rückstellung für Verluste darstellt.
Bei den Immunitätsregelungen für den ESM handelt es sich um bei internationalen Finanzinstitutionen übliche Regelungen. Die Tätigkeit des ESM beinhaltet, so z.B. bei der Privatsektorbeteiligung, äußerst komplexe rechtliche Vorgänge, welche regelmäßig mit Risiken behaftet sind. In der Regel handelt es sich um Immunitäten im Zusammenhang mit der Tätigkeit der Organisation. Handlungen der Bediensteten sind folglich nur dann geschützt, wenn sie offizieller Natur sind. Allerdings sind für die Spitze der Organisationen, also z. B. den Präsidenten, teilweise weitergehende Immunitäten vorgesehen. Diese Immunitäten entsprechen den Immunitäten, die den Diplomaten im zwischenstaatlichen Verkehr zukommen. Der Gouverneursrat des ESM, in dem die Finanzminister der Mitgliedstaaten der Eurozone vertreten sind, bzw. der Geschäftsführende Direktor können die Immunität der Amtsträger und Bediensteten bei Bedarf aufheben. Vergleichbare Regelungen gelten u.a. für den IWF, die Weltbank sowie regionale Entwicklungsbanken wie z.B. die Afrikanische Entwicklungsbank (AfDB) und die Asiatische Entwicklungsbank (ADB).
Artikel 36 des ESM-Vertrags sieht u.a. die Befreiung des ESM von allen direkten Steuern sowie in bestimmten Fällen von indirekten Steuern vor.
Zudem sind die Bediensteten von der nationalen Einkommensteuer befreit, aber unterliegen im Gegenzug einer internen Besteuerung durch den ESM, die durch den Gouverneursrat ausgestaltet und beschlossen wird. Dem Gouverneursrat gehört auch der Bundesfinanzminister an, der in dieser Frage für Deutschland über eine Sperrminorität verfügt. Bei den Steuerbefreiungen handelt es sich um bei völkerrechtlichen und europäischen Einrichtungen übliche Regelungen. Für EU-Einrichtungen und deren Bedienstete sind vergleichbare Regelungen im Protokoll über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Union festgelegt. Der Sinn solcher steuerlichen Regelungen besteht zum einen darin zu vermeiden, dass dem steuerberechtigten Staat ein Druckmittel gegen die Organisation und deren Bedienstete in die Hand gegeben wird. Zum anderen hat die Befreiung der Bediensteten von den nationalen Steuern das Ziel, eine unterschiedliche Besteuerung der Gehälter zu vermeiden.
Artikel 29 des ESM-Vertrags soll gewährleisten, dass eine externe Finanzkontrolle des ESM umgesetzt wird. Der Gouverneursrat ist für die Bestellung der externen Prüfer verantwortlich und wird Einzelheiten der externen Kontrolle festlegen. Die Mitglieder des Gouverneursrat werden dafür Sorge tragen - allen voran der deutsche Gouverneur - dass die externe Prüfung so unabhängig und strikt wie möglich und voll und ganz im Einklang mit der für uns so wichtigen finanzpolitischen Stabilitätskultur ausgestaltet sein wird.
Nach Art. 12 Abs. 3 müssen ab 1. Januar 2013 in allen neuen Schuldentiteln des Euro-Währungsgebietes mit einer Laufzeit von mehr als einem Jahr Umschuldungsklauseln (CAC´s) aufgenommen werden. Dadurch wird gewährleistet, dass eine etwaige Gläubigerbeteiligung, die nach den üblichen Regeln des IWF weiterhin möglich sein wird, effektiv durchgeführt werden kann.
Mit unserem Ansatz der vernetzten Stabilität in der Eurozone tragen wir den durch zu hohe Staatsverschuldung entstandenen Problemen in angemessener Weise Rechnung. Anders als die SPD gehen wir die Probleme nicht durch eine Vergemeinschaftung aller Schulden, also durch Einführung von Eurobonds, sondern durch die Beseitigung der Verschuldungsursachen, und damit langfristig erfolgreich, an.
Sollten Sie noch weitere Fragen oder Anmerkungen haben, so stehe ich Ihnen gern zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Christian Ahrendt
Christian Ahrendt, MdB
Parlamentarischer Geschäftsführer
der FDP-Bundestagsfraktion
Deutscher Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Tel.: 030 - 227 71486
Fax : 030 - 227 76484
Meine Antwort:
Sehr geehrter Herr Ahrendt,
vielen Dank für Ihre ausführliche Stellungnahme zu meinem Schreiben. Allerdings möchte ich nicht verhehlen, dass ich mit Ihrer Sicht nicht konform gehe.
Zuvor möchte ich darauf verweisen, dass ich den ESM sowie auch den VSKS gelesen habe und auf meiner Internetseite auch für jedermann lesbar als HTML-Datei zur Information anbiete. Das gilt auch für den Lissabonvertrag, den man im Zusammenhang mit dem ESM und dem VSKS sehen muss, vor allem unter der Prämisse, dass dem EFSF und dem ESM ein Verbot im Lissabonvertrag (Art. 125) entgegensteht , die damit einer gesetzlichen Grundlage entbehren. Damit ist die Vorgehensweise auch vom Grundgesetz (Art. 20, Abs.3) nicht gedeckt.
Sie betonen, dass die FDP schon frühzeitig (1997) für eine Schuldenbremse eingetreten ist. Viel genutzt hat das allerdings nicht und das ist nicht nur dank der rot-grünen Regierung so, sondern wurde bereits in der Ära Kohl/Genscher missachtet und in der Zeit nach der Beendigung der rot-grünen Regierung massiv ausgeweitet. Dazu ein paar Zahlen auf der Basis der Maastricht-Kriterien:
Jahr | Regierung | Schuldenstand |
1998 - 2005 | Antritt rot-grün | 1.185 Mrd. |
2005 -2009 | Antritt schwarz-rot | 1.526 Mrd. |
2009 -2013 ?! | Antritt schwarz-gelb | 1.767 Mrd. |
2011 | schwarz-gelb | 2.088 Mrd. |
Dabei hat doch rot-grün eine Politik betrieben, die ganz im Geiste von schwarz-gelb gewesen ist. Der Spitzensteuersatz wurde massiv abgesenkt, die Sozialgesetze ausgehebelt, privatisiert was das Zeug hält, die Propaganda der viel zu hohen Lohnnebenkosten auf die Spitze getrieben und zum Anlass genommen, die paritätisch zahlbaren Kosten für die Sozialversicherungen teilweise zu deckeln, die verdeckte Schuldenaufnahme mit CBL (Cross Border Leasing und PPP (Public Private Partnership (auch ÖPP genannt)) eingeführt und das ÖPP-Beschleunigungsgesetz sowie die Riester-Rente und den "Nachhaltigkeitsfaktor" (Riester-Treppe) erfunden. Ich bitte Sie, eine bessere Klientelpolitik hätte auch schwarz-gelb nicht hinbekommen. Und die Schulden, die rot-grün in 7 Jahren Regierungs(unterlassenen)Verantwortung angehäuft hat, waren nicht höher, als sie schwarz gelb aktuell in drei Jahren aufweisen kann. Insofern halte ich Ihre Kritik an rot-grün für unberechtigt, denn schwarz-gelb konnte an die Aufbauarbeit von rot-grün nahtlos anknüpfen.
Bereits in der Vergangenheit hat Deutschland, nicht anders als andere Staaten, die Maastrichtkriterien der Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP (im Lissabonvertrag in Art. 126 mit Verweis auf Protokoll Nr. 12) verletzt, ohne das es je zu Sanktionen durch die EU gekommen wäre. Den aktuellen Prognosen nach steigt die Staatsverschuldung in Deutschland 2012 auf ca. 83,2%, auch deshalb, weil Schäuble ja den dieses Jahr zu zahlenden Anteil am ESM (Art. 41 ESM-Vertrag) nur über neue Schulden finanzieren kann. Diese zusätzlichen Zahlungen fallen gemäß ESM auch in den folgenden 4 Jahren an. Im günstigsten Fall, denn wenn der ESM beschlossen wurde und Staaten wie Griechenland, Irland, Portugal, Spanien oder Italien Hilfen aus dem ESM einfordern, wird das Grundkapital von 80 Mrd. nicht reichen und Kapital in derzeit nicht abschätzbarer Höhe aus den Bürgschaften eingefordert werden. Für Deutschland kann das bedeuten, dass der gesamte Anteil des Stammkapitals in Höhe von 190.024.800.000 Euro durch den Gouverneursrat abgerufen werden kann (Art. 5 Abs. 6-b und Art. 8 Abs. 2, 4 und 5). Nicht zu vergessen, lt. Art. 10 Abs. 1, Satz 2 kann der Gouverneursrat auch eine Veränderung des Stammkapitals beschließen, was er wohl machen wird, wenn die großen Länder straucheln und ob sie straucheln, dass so scheint mir, bestimmen einzig die Ratingagenturen. Außerdem waren ja längst die Forderungen erhoben worden, das Stammkapital auf 1 Billion und mehr zu erhöhen, u. a. vom IWF. Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass das eine der ersten Amtshandlungen des ESM sein wird, wenn der ESM erst mal etabliert ist. Für den nötigen Druck wird schon der IWF mit Mme. Lagarde sorgen.
Es ist also nicht sonderlich klug, rot-grün die Verantwortung für die deutsche Staatsverschuldung zu übertragen, denn schwarz-rot und schwarz gelb haben zu keiner Zeit anders gehandelt. Im Gegenteil, die Verschuldung ist seit 2009 überproportional gewachsen. Um also der Schuldenbremse gerecht zu werden, müsste Deutschland die Verschuldung von über 80% auf 60% des BIP zurückfahren, was mir vor allem nach Unterzeichnung des ESM als ein aussichtsloses Unterfangen erscheint. Die Lösung wird im VSKS in Art. 4 suggeriert und es bedarf keiner übermäßigen Phantasie, um zu erahnen, wo die Einsparungen ansetzen sollen.
Insgesamt sehe ich also die so genannte Schuldenbremse lediglich als Feigenblatt, vor allem wenn ich bedenke, dass es außer der öffentlich bekannten Verschuldung ja auch noch die verdeckte Verschuldung gibt (z. B. PPP, Fond Deutsche Einheit, Erblastentilgungsfond, Verwaltungsschulden u.a.). Aber ich denke, dafür hat die FDP bereits Lösungen ins Auge gefasst, Löhne runter, Renten runter, Sozialverpflichtungen runter und irgendwo dazwischen dann noch verschämt das Hauptziel, Unternehmenssteuern runter, dafür Umsatzsteuer und indirekte Steuern rauf.
Ich möchte Sie auch daran erinnern, dass der ESM von amerikanischen Anwaltskanzleien ausgearbeitet wurde, wie in der Vergangenheit auch die CBL-Verträge, die Länder und Kommunen um etliche Milliarden erleichtert haben, weil sie aus den Verträgen nicht mehr aussteigen konnten, als das US-Steuerrecht geändert wurde. Es muss für die FDP doch ein wahrer Traum sein, welche Möglichkeiten da erst der ESM bietet.
Der Euro ist aus meiner Sicht eine Missgeburt, denn die Volkswirtschaften sind in jeder Hinsicht derart divergent, dass jede Volkswirtschaft den Bach heruntergehen muss, deren Wirtschaftsleistung nicht mit der anderer Staaten Schritt halten kann. Bei eigener Währung wurde vor allem in den Südstaaten Europas ein Ausgleich durch Abwertung der Währung getroffen. Dieses Steuerungselement haben die Staaten mit dem Euro aus der Hand gegeben.
Ihre Einlassung zum IWF und der Aufstockung der Mittel, u. a. durch die Bundesbank in einer Größenordnung von über 41 Milliarden ist für mich nicht nachvollziehbar, denn diese 41 Milliarden werden ebenfalls aus dem Bundeshaushalt und damit aus unseren Steuern entnommen, einfach nebenher zu den bereits an den noch nicht existierenden ESM, weil diese Mittel von Schäuble bereits als Sondervermögen auf die hohe Kante gelegt werden, aus Steuermitteln bzw. Krediten finanziert.
Wie sie richtig anmerken, ist der ESM unabhängig und ich finde Verträge, die nicht kündbar sind und deren inhaltlichen Gegebenheiten geheim und von ihren Zahlmeistern nicht einklagbar sind, ausgesprochen obskur und nicht mit demokratischen Regeln vereinbar. Am Beispiel IWF hat die Welt gesehen, dass Kreditvergaben des IWF für Krisenländer immer mit Bedingungen verbunden waren, welche die Krisen dieser Länder noch ausgeweitet haben, zugunsten westlicher Konzerne. Kein vom IWF "unterstütztes" Land hat sich wieder erholt, es sei denn, sie konnten sich von diesem supranationalen Institut lösen. Sie kennen sicher das Buch von Stiglitz zu diesem Thema. Der IWF handelt rein nach marktradikalen Gesichtspunkten und der ESM wird ihm auf diesem Weg folgen, wie bereits aus dem Vertrag und auch aus dem Fiskalpakt hervorgeht.
Wenn Sie betonen, der Gouverneursrat sei kein unabhängiges Gremium, weil er aus den Finanzministern der Euroländer bestünde, finde ich das nicht beruhigend, sondern im Gegenteil beängstigend. Es ist schließlich das gleiche Gremium, das in Brüssel schon so manche Entscheidung am nationalen Parlament vorbei getroffen hat und Schäuble ist für mich seit der Schreiber-Affäre alles andere als ein vertrauenswürdiger Politiker. Sollte sich mein Verdacht bestätigen und als sein Stellvertreter im Gouverneursrat Staatssekretär Asmussen fungieren, kann das meine Besorgnis nur noch steigern.
Auch wenn Schäuble betont hat, die nationalen Parlamente würden bei Änderungen des ESM einbezogen, ist das dank Fiskalpakt ein weiteres Versprechen, das gebrochen werden wird, weil dann die Haushaltspolitik in Brüssel und nicht mehr in Berlin bestimmt wird. Den Parlamentsvorbehalt, den Sie anschneiden, halte ich für eine Farce. Die Immunität des ESM bzw. der ESM-Bediensteten einschließlich Gouverneursrat und Direktorium sichert Schäuble einen Freibrief, denn dieser Parlamentsvorbehalt ist inhaltlich nicht in den beiden Verträgen (ESM und VSKS) enthalten, sondern lediglich ein Versprechen auf nationaler Ebene, welches durch die höherrangigen, weil völkerrechtlichen Verträge aufgehoben werden kann. Wenn die in meinem Schreiben angeführten "Planer" eine Fiskalunion zimmern, sind die nationalen Parlamente ohnehin gänzlich aus dem Rennen. Ganz nebenbei, wenn der ESM, genauer der Gouverneursrat oder das Direktorium beschließt, dass das deutsche Parlament keinerlei Mitspracherechte hat, was wollen Sie dann machen? Verklagen können Sie den ESM und seine Mitglieder nicht, weil diese die volle Immunität (Art. 32, 35) besitzen und über Streitigkeiten befindet der Gouverneursrat (Art. 37, Abs. 2). Dagegen könnte das Parlament allenfalls eine Beschwerde beim EuGH einreichen (Art. 37, Abs. 3), aber wer die Rechtsprechung des EuGH kennt, kennt schon heute das Ergebnis. Die Beschwerde würde abgewiesen.
Wenn Sie schreiben, dass die Verzahnung des ESM mit dem Fiskalpakt die deutschen Interessen in sachgerechter Weise vertritt, muss ich sie fragen, was denn die deutschen Interessen Ihrer Ansicht nach sind, die Interessen der Finanzlobby oder die der Bevölkerung? Der ESM sowie der Fiskalpakt sind nur im Interesse der Finanzlobby, in der die Spekulanten dominieren. Die Maßnahmenkataloge dieser Verträge sollen den Banken, genauer den spekulativ orientierten Anlegern, gerne auch als die Märkte bezeichnet, zugutekommen, gleichgültig, wie stark dabei die Ausbeutung der echten Leistungsträger der Gesellschaft, bestehend aus Arbeitern und Angestellten, auf die Spitze getrieben wird.
Europa insgesamt ist geblieben, was es seit seiner Gründung durch das von den Bilderbergern verfasste Vertragswerk 1957 (französische Verträge) mit Gründung der EWG war, eine Wirtschaftsgemeinschaft, der die Interessen der in den Wirtschaftsgebieten lebenden Bevölkerungen völlig gleichgültig war. Doch das hat man über die Jahrzehnte hindurch geschickt zu verbrämen gewusst, mit schwülstigen Reden und gebrochenen Versprechungen.
Ich denke, auf den Rest Ihres Schreibens muss ich nicht weiter eingehen. Sollten Sie nun den Eindruck erlangt haben, ich sei der FDP nicht sonderlich gewogen, muss ich verschämt gestehen: Sie habe sowas von recht!
- [AG-GOuFP] FDP Antwort auf Anschreiben von Gert Flegelskamp zum Thema ESM., Peter Wittfeld, 15.06.2012
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