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ag-drogen - [AG-Drogen] Brief an die AG Drogen

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

Listenarchiv

[AG-Drogen] Brief an die AG Drogen


Chronologisch Thread 
  • From: Guido Weyers <guidoweyers AT googlemail.com>
  • To: ag-drogen-request AT lists.piratenpartei.de, ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
  • Subject: [AG-Drogen] Brief an die AG Drogen
  • Date: Sun, 23 Oct 2011 12:28:02 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

Guido Weyers, Neupirat

 

Ich will mich zunächst einmal vorzustellen. Ich bin erst seit einigen Wochen Mitglied in der Piratenpartei. Ich bin eingetreten, weil mir vor allem die drei zentralen Prinzipien der Transparenz, des Versuchs der direkten Demokratie aber vor allem auch der Ansatz der Ideologiefreiheit und das Anliegen einen neuen Politikstil zu etablieren sehr zu gesagt haben. Ich bin 46 Jahre alt, gebürtiger Kölner, lebe in Berlin, bin Dipl.-Psychologe, unverheiratet und seit über 10 Jahren im Suchthilfebereich tätig. Zunächst war ich sieben Jahre in der langzeittherapeutischen Behandlung von drogenabhängigen Jugendlichen als Suchttherapeut tätig, dann zwei Jahre Pause (Versuch der Selbstständigkeit als Supervisor und Schachlehrer) und nun seit einem Jahr in einer Suchtberatungsstelle tätig. Suchtberatung, ambulante Therapie und Prävention zählt zu meinen Hauptaufgabenfeldern. Selbst habe ich in meiner Kindheit sehr unter einem Vater gelitten, der massiven Alkoholmissbrauch betrieben hat aber nun bereits seit längerem nur noch gelegentlich konsumiert. Ich selbst habe vor allem in meiner Jugend (zwischen 14 und 17) am Wochenende, auf Partys, während der Karnevalszeit usw. sehr oft und sehr viel getrunken. Ab 18 kam dann auch gelegentlicher Cannabiskonsum hinzu. Ich hatte eine längere Phase in der ich mich sehr für das Thema interessierte (Homegrowing, spirituelle Aspekte, kulturelle Aspekte usw.). Härtere Drogen, außer einmal Speed, habe ich in meinem Leben freiwillig nicht konsumiert. Aufgehört zu konsumieren, habe ich als ich nach einem Joint am nächsten Tag krank wurde. Zur Information: Cannabis kann leider negative Auswirkungen auf unser Immunsystem haben. http://www.zeitenschrift.com/magazin/23012-drogensucht.htm Im Alter von 26 war ich drei Jahre lang dialysepflichtig (Nierenversagen), danach war ich 11 Jahre erfolgreich transplantiert und bin nun wieder seit 2,5 Jahren an der Dialyse. Ich warte auf meine Zweittransplantation. Da ich öfters stärkeren Schmerzzuständen ausgesetzt war habe ich auch starke Schmerzmittel (Valeron = ein Opiatantagonist) eingenommen. Ich habe jedoch auch schnell wahrgenommen  wie schnell die euphorisierende Wirkung dieser Substanz abhängig machen kann. Deshalb habe ich eine geringe Ahnung wie es schnell es vermutlich Menschen geht, die vom Heroin abhängig werden.

 

Persönliche Transparenz als Glaubwürdigkeitssignal

 

Der Grund weshalb ich euch gleich zu Beginn soviel von mir erzähle, besteht nicht in meinem Bedürfnis nach Selbstdarstellung sondern darin, dass ich der Meinung bin, dass er sehr sinnvoll ist das Thema Transparenz auch auf persönlicher Ebene in die politische Diskussion zum Thema Sucht und Drogen mit einzubringen. Dadurch, dass ihr nun ein klares Bild davon habt, welchen persönlichen Hintergrund ich in die Diskussion einbringe, könnt ihr meine Position zukünftig besser nachvollziehen, was insgesamt zu einem besseren gemeinsamen Verständnis führen sollte. Ich bin der Überzeugung, dass wenn wir über das Thema Sucht und Drogen diskutieren jeder seinen ganz eigenen persönlichen Hintergrund, der wesentlich seinen politischen Standpunkt reflektiert, in die Diskussion mit einbringen. Dieser kann z.B. darin bestehen, dass die Konsumenten unter euch wahrscheinlich eher sehr positiv, vielleicht sogar radikal dem Legalisierungsgedanken nahe stehen. Diejenigen unter euch, die keinen persönlichen Bezug zum Thema haben, aber dem Liberalismusgedanken nahe stehen, werden vermutlich ebenfalls eine ähnliche Position haben. Die Diskussionteilnehmer, Parteimitglieder und Gäste, die eher negative Erfahrungen mit Drogen gemacht haben, vielleicht unter dem Drogenkonsum von Angehörigen gelitten haben oder dem Suchthelfersystem in irgendeiner Form angehören, sind vielleicht gegen eine Liberalisierung. Ich habe das Gefühl sie trauen sich nicht ihren Standpunkt in die Diskussion einzubringen, weil sie das Gefühl haben in einer Minderheit zu sein. Sollte dies so sein, fände ich dies für eine transparente und respektvolle Diskussion sehr schädlich und vor allem undemokratisch. Ich habe sowohl das Parteiprogramm zum Thema gelesen und verfolge auch seit einiger Zeit die Mailingliste der AG Drogen als Beobachter, ab heute als Mitglied. Folgendes fällt mir dabei auf.

 

Pro- und Kontra der Diskussionsführung in der AG Drogen

 

Die Diskussion generell empfinde ich oft nicht unbedingt ideologiefrei und ausgewogen. Zudem ist sie manchmal unsachlich und geht auf eine persönliche Ebene. Das finde ich schade. Andererseits gibt es viele sachlich, interessante Beiträge, die mit entsprechenden Verweisen (Internet Links) arbeiten. Es wird ebenfalls versucht Struktur in die Gespräche zu bringen und die Diskussion weiter zu führen. Weiter so!

 

Eine verbesserte Diskussionsführung

 

1. Ich würde mich darüber freuen, wenn viele Teilnehmer meinen Appell zur persönlichen Transparenz annehmen und auch etwas über ihren Hintergrund bzw. über ihre persönlichen Erfahrungen zum Thema veröffentlichen.

2. Prinzipiell fände ich es wichtig, wenn man seine Position mit Studien untermauert, so dass man entsprechend Quellenangaben angibt oder einen Link mit anstellt. Aussagen wie: „ xyz gilt als wissenschaftlich erwiesen“ können sehr häufig einer kritischen Betrachtung nicht standhalten.

3. Ich gehe einmal davon aus, dass man zu vielen Themen nicht die absolute Wahrheit kennt. Ich weiß einfach nicht was passiert, wenn Cannabis legalisiert werden sollte. Ich glaube auch ihr könnt darüber nur spekulieren, oder? Sind die Auswirkungen z.B. tatsächlich die, dass dann alle zufrieden sind und es keine Beschaffungskriminalität gibt? Steigen vielleicht die Abhängigkeitsraten und Drogenkonsum und der Cannabiskonsum entwickelt sich zu einer Volkskrankheit (was bei Alkohol ja fast schon der Fall ist)? Hauptproblem finde ich, dass es wenig zuverlässige Daten zu den Erfahrungen mit Legalisierung in Holland oder Portugal gibt. Wenn jemand welche kennt, würde mich das sehr interessieren.

 

Unabhängige Untersuchungen

 

Deshalb halte ich sehr viel von „Ideologiefreiheit“. Habe ich also zwei gegensätzliche Positionen, die mit einer entsprechenden Ideologie einhergehen und entsprechend unterstützt werden (z.B. Cannabislegalisierungsbefürworter versus Cannabislegalisierungsgegener), so werden diese immer die Studien heranziehen, die ihre Position bestätigen. Für mich ist es deshalb entscheidend, mir genau anzusehen woher diese Studien kommen. Das Optimum wäre es, wenn man Studien zu einem Thema erhält, die nachgewiesener Weise von einem unabhängigen Untersucher stammen. In unserem konkreten Fall  (Cannabislegalisierungsdebatte) möchte ich folgendes Beispiel anführen:

Ein Artikel von Cannabislegalisierungsbefürwortern:

http://www.cannabislegal.de/argumente/index.htm

Ein Artikel von Cannabislegalisierungsgegner

http://www.cducsu.de/Titel__pressemitteilung_keine_legalisierung_von_cannabis/TabID__6/SubTabID__7/InhaltTypID__1/InhaltID__12153/Inhalte.aspx

Ich persönlich denke, dass in beiden Positionen sowohl Richtiges wie Falsches drin steckt, weil tatsächlich nur die Studien herangezogen werden, die zur jeweiligen Ideologie passen.

Was mich also nun interessierte, ist, ob es eine Untersuchung von einem unabhängigen Institut zum Thema Cannabiskonsum und Missbrauch gibt. Und da habe ich über einen befreundeten Kollegen tatsächlich etwas gefunden was hier zu finden ist:

http://www.erlangen.de/Portaldata/1/Resources/040_kinder_familie/513_CannabisexpertiseFlyer2007.pdf

In der Studie steht explizit folgendes, was für mich entscheidend ist:

„ Die Verantwortung für die im Bericht getroffenen Aussagen liegt bei den Autoren. Sie geben nicht unbedingt die Meinung des Bundesgesundheitsministeriums wieder.“

Es erfolgt also eine Abgrenzung zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer, was ich ein gutes Zeichen für relative Objektivität halte.

Leider kostet diese Expertise 20,00 Euro aber die Ergebnisse sind sicher sehr interessant. Kennt Sie vielleicht jemand.

 

Zusammenfassung

 

Wie ihr seht, bin ich trotz meiner jahrelangen persönlichen wie auch professionellen Erfahrungen mit diesem Thema in vielen Punkten unentschlossen und auf der Suche nach guten Lösungen, die ich noch nicht kenne. Mir ist es wichtig in der Legalisierungsdebatte offen für die Argumente von beiden Seiten zu sein. Nach dem Motto: Zuhören und möglicherweise nach einem Weg zu suchen, der bei einer Freigabe von illegalen Drogen auch all die nachvollziehbaren, möglichen Probleme berücksichtigt, die von den Legalisierungsgegner eingebracht werden.

Es gibt da jedoch noch eine Sache, die mir sowohl in der AG Drogen auffällt. Das Thema Alkoholmissbrauch und Abhängigkeit und deren verheerenden individuellen, sozialen und gesellschaftlichen Konsequenzen kommt leider immer nur Rande vor. Das sollte sich in jedem Fall ändern!



  • [AG-Drogen] Brief an die AG Drogen, Guido Weyers, 23.10.2011

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