ag-drogen AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik
Listenarchiv
[AG-Drogen] Volksentscheid über Cannabis in Kalifornien,Das letzte große Tabu der Moderne
Chronologisch Thread
- From: Maximilian Plenert <kontakt AT max-plenert.de>
- To: BND Diskussionsliste <bnd-debatte AT bndrogenpolitik.de>, linke-drogenpolitik AT yahoogroups.de, Liste: AG_Drogen <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>, vfdintern AT yahoogroups.de
- Subject: [AG-Drogen] Volksentscheid über Cannabis in Kalifornien,Das letzte große Tabu der Moderne
- Date: Thu, 28 Oct 2010 19:14:32 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
- List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
* 28.10.2010
http://www.taz.de/1/debatte/theorie/artikel/1/das-letzte-grosse-tabu-der-moderne/
Volksentscheid über Cannabis in Kalifornien
Das letzte große Tabu der Moderne
In Kalifornien könnte Cannabis bald legal werden: Das Volk wird am Dienstag
darüber abstimmen. Um die Macht der Kartelle zu brechen, muss die
Diskriminierung des Rauschs enden. VON MATHIAS BRÖCKERS
Am 2. November 2010 stimmen die Bürger Kaliforniens über die Legalisierung von
Cannabis für alle über 21 Jahren ab. Schon 1996 ließen sie per Volksabstimmung
medizinisches Marihuana zu.
Noch sind die Befürworter des "Regulate, Control and Tax Cannabis Act of 2010"
Umfragen zufolge knapp in der Minderheit. Doch sollte im Mutterland der
Marihuana-Diffamierung die größte aller Drogenlügen zurückgenommen und das
"Mörderkraut" Hanf endgültig rehabilitiert werden, hätte das einen
Vorbildcharakter.
Nach dem neuen Gesetz könnten Kommunen künftig Lizenzen zum Anbau und zum
Betrieb von Verkaufsgeschäften erteilen. Bei einer Steuer von 50 Dollar pro
Unze
- etwa 1,35 Euro pro Gramm - würden nach Berechnungen der Finanzbehörde etwa
1,4
Milliarden US-Dollar pro Jahr in die Kassen des hoch verschuldeten
Bundesstaats
fließen: in Zeiten der Finanzkrise ein starkes Argument.
Gouverneur Arnold Schwarzenegger eilte Anfang Oktober schon mal voraus und
beendete die Kriminalisierung von Kleinstmengen, um so Millionen an Polizei-
und
Justizkosten zu sparen. Bis zu einer Menge von 28,5 Gramm ist Hanfbesitz in
Kalifornien künftig keine Straftat mehr, sondern wird nur noch mit einem
Bußgeld
von 100 US-Dollar geahndet.
Gigantische Schattenwirtschaft
Diese Maßnahmen zeigen, dass das Modell der Prohibition nach einem Jahrhundert
definitiv ausgedient hat. Offen bleibt, wann an deren Stelle eine rationale,
schadensmindernde Drogenpolitik tritt. Denn auch die Legalisierung von
Cannabis,
wie sie jetzt in Kalifornien zur Wahl steht, rüttelt noch nicht an den
Grundfesten des "Kriegs gegen Drogen".
Die Opiumkonventionen, mit denen zu Beginn des 20. Jahrhunderts das Verbot
bestimmter Drogen international vereinbart wurde, waren die ersten Schritte zu
einer rechtlichen Globalisierung, zur Festlegung und Durchsetzung global
geltender Gesetze. Gute 100 Jahre später steht eine dringende Revision dieses
Verbots an.
Nicht nur haben die Unsummen, die seitdem weltweit in die Verfolgung von
Drogenanbau, -handel und -konsum geflossen sind, die stetige Ausweitung des
Drogengebrauchs nicht verhindert. Sie haben vielmehr dafür gesorgt, dass eine
Schattenwirtschaft gigantischen Ausmaßes entstehen konnte, die zu einer
Brutstätte von Epidemien und Elend, von Kriminalität und Terrorismus geworden
ist.
Das Geschäft mit illegalen Drogen ist mit über acht Prozent des Welthandels
größer als der globale Handel mit Autos oder Textilien. Und anders als beim
Handel mit Hosen oder Fahrzeugen, lassen sich mit illegalen Drogen
Profitmargen
erzielen wie mit keinem anderen Produkt: Aus 1.000 Dollar, das die Herstellung
von einem Kilogramm reinem Kokain kostet, werden im Endverkauf 120.000 Dollar,
bei Heroin fällt die Rechnung ähnlich aus.
Aus simplen Agrarprodukten wie Mohn oder Coca wurden dank der Prohibition
unvergleichbare Geldmaschinen. Deren riesige Profitraten sorgen letztlich auch
dafür, dass an dem gesundheits- und sozialpolitisch in jeder Hinsicht
gescheiterten Prohibitionsdogma nach wie vor festgehalten wird. Es hängt
einfach
zu viel an diesen Milliarden von Schwarzgeld, die eben nicht nur eine der
wichtigsten Einnahmequellen für den internationalen Terrorismus darstellen,
sondern auch für jene Warlords am Hindukusch, die mit der Nato verbündet sind.
Schwarzgeld für die Warlords
Weil sowohl die Verbündeten als auch die Regierung in Kabul auf die Einnahmen
angewiesen sind, ist es in Afghanistan dazu gekommen, dass die deutsche
Bundeswehr dort nun die größte Opium- und Heroinproduktion aller Zeiten
überwacht.
Oder, anders ausgedrückt: Ohne Heroin wäre der "Krieg gegen den Terror" dort
schon längst zu Ende, weil nicht mehr zu finanzieren. Solange aber der "War on
Drugs" dafür sorgt, dass mit illegalen Drogen mehr Profit gemacht werden kann
als mit jedem anderen Produkt dieser Erde, so lange bleibt der Kampf gegen den
Terrorismus aussichtslos.
Die Alkoholprohibition in den USA wurde Anfang der 1930er Jahre nicht
aufgegeben, weil mehr gesoffen wurde als zuvor - tatsächlich war der
Alkoholkonsum in den Prohibitionsjahren sogar leicht zurückgegangen -, sondern
weil aus den kleinen Gangsterbanden, die den illegalen Vertrieb übernommen
hatten, milliardenschwere Syndikate entstanden waren, die mit Korruption und
Gewalt ganze Städte und Regionen kontrollierten.
Rauschkunde und Werbeverbot
Angesichts der Lage in den mexikanischen Grenzprovinzen zu den USA und der
faschistoiden Milizen, die sich überall in Mittelamerika durch den
Kokainhandel
finanzieren, sowie angesichts feudaler Warlords und Söldnerführer, die in
Zentralasien dank Heroin zu Regionalmächten aufgestiegen sind, ist es an der
Zeit, die Prohibition sämtlicher Drogen weltweit zu beenden.
Der Kreislauf von Kriminalität, Krieg und Terror wird erst dann unterbrochen,
wenn ihre Ursache beseitigt ist: die Prohibition, die zu astronomischen
Drogenprofiten geführt hat.
Mit einer Legalisierung einhergehen sollte ein Werbeverbot für sämtliche
bewusstseinsverändernde Substanzen - inklusive Alkohol und Pharmaprodukte -
sowie Rauschkunde an den Schulen, die auf präventive Erziehung statt auf
repressive Tabuisierung setzt. Dieser Kampf muss in den Köpfen beginnen: durch
Aufklärung statt Dämonisierung, Fakten statt Desinformation, Risikoabwägung
statt Panikmache.
Die Erkenntnis, dass die Prügelstrafe keine geeignete Methode ist, um die
Befähigung zum Rechnen, Lesen und Schreiben zu befördern, fand erst in den
letzten Jahrzehnten an den Schulen und in der Rechtsprechung Widerhall. Für
den
- gesellschaftlichen wie individuellen - Umgang mit Drogen und Rausch gilt
Ähnliches: Repression führt zu nichts. Doch Konsequenzen aus dieser Einsicht
stehen noch aus.
Die größte zivilisatorische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war die
Überwindung zweier archaischer, patriarchaler Traditionen: der gewaltsamen
Unterdrückung von Frauen und Kindern und der Diskriminierung der Sexualität.
Jetzt steht die Überwindung des letzten großen Tabus der Moderne an: der
Diskriminierung des Rauschs und der gewaltsamen Unterdrückung seiner Mittel.
Mathias Bröckers war von 1979 bis 1991 taz-Redakteur, heute betreut er die
Online-Blogs der taz. Gerade erschien von ihm das Buch: "Die Drogenlüge. Warum
Drogenverbote den Terrorismus fördern und Ihrer Gesundheit schaden" (Westend).
- [AG-Drogen] Volksentscheid über Cannabis in Kalifornien,Das letzte große Tabu der Moderne, Maximilian Plenert, 28.10.2010
Archiv bereitgestellt durch MHonArc 2.6.19.