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Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik
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- Subject: [AG-Drogen] Mexiko - Zeitung kapituliert vor Drogenkartellen
- Date: Wed, 22 Sep 2010 13:08:20 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
- List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
Worum es geht: Mexiko - Zeitung kapituliert vor Drogenkartellen, 20.09.2010
http://www.spiegel.de/panorama/justiz/0,1518,718535,00.html
Es ist ein Triumph der Gewalt und eine Niederlage des Rechtsstaats: Eine
mexikanische Tageszeitung hat die Drogenkartelle um klare Anweisungen gebeten,
was veröffentlicht werden soll und was nicht. Zuvor waren Journalisten
erschossen worden.
Hier das Editorial aus der Taz:
Debatte Drogenkrieg in Mexiko - Was verlangen Sie von uns?
http://taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/was-verlangen-sie-von-uns/
20.09.2010
Nach der erneuten Ermordung eines Fotoreporters in Mexiko bittet die Zeitung
"El
Diario" die Drogenkartelle direkt, endlich Weisungen auszugeben. Die taz
dokumentiert das Editorial.
Sehr geehrte Herren, die Sie um die Vorherrschaft in Ciudad Juarez kämpfen,
in weniger als zwei Jahren wurden zwei unserer Reporter ermordet. Ihr Verlust
ist für uns alle, für die, die wir hier arbeiten ebenso wie für die
Angehörigen,
eine tiefe Zäsur.
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Wir geben Ihnen hiermit zur Kenntnis, dass Journalisten Kommunikatoren sind
und
keine Hellseher. Daher möchten wir Informationsdienstleister Sie darum bitten,
uns zu erklären, was Sie von uns wollen. Wir möchten gerne wissen, was wir
Ihrer
Meinung nach veröffentlichen oder nicht veröffentlichen sollen. Wir wollen
wissen, woran wir uns halten sollen.
Wir wollen keine Toten mehr
De facto sind Sie derzeit die Autoritäten in dieser Stadt. Die legal
installierten Machthaber vermochten es nicht zu verhindern, dass unsere
Kollegen
weiterhin umgebracht werden, obwohl wir sie wiederholt aufgefordert haben, für
mehr Personenschutz zu sorgen. Dieser Tatsache müssen wir ins Auge sehen.
Daher
wenden wir uns nun mit unserer Frage direkt an Sie. Denn wir wollen unbedingt
verhindern, dass ein weiterer unserer Kollegen Ihren Schüssen zum Opfer fällt.
Wir wollen keine weiteren Toten. Wir wollen keine weiteren Verletzten und auch
mit den Einschüchterungen muss jetzt Schluss sein. Unter den gegebenen
Bedingungen können wir unmöglich unserer Aufgabe nachkommen. Sagen Sie uns
also
bitte, was Sie von uns als Zeitung erwarten.
Das ist keine Kapitulation. Es bedeutet auch nicht, dass wir unsere Arbeit
beenden. Es geht vielmehr darum, einen Waffenstillstand mit denen zu
schließen,
die in unserer Stadt ihre Gesetze mit Gewalt durchgesetzt haben. Wir möchten,
dass Sie das Leben jener respektieren, die sich der Aufgabe verschrieben
haben,
die Bevölkerung mit den nötigen Information zu versorgen. Stattdessen ist
Journalismus inzwischen zu einer der gefährlichsten Aktivitäten überhaupt
geworden.
Ein gestern früh von einem der Drogenkartelle an einer Straßenecke
hinterlassenes Transparent nimmt offenbar Bezug auf die Ermordung unseres
Fotoreporters Luis Carlos Santiago Orozco, der am vergangenen Donnerstag
nachmittag in einem Einkaufszentrum umgebracht wurde. Das Transparent droht
mutmaßliche Kommandanten und einen Kommissar damit, ihnen würde das gleiche
passieren wie unserem Fotografen, sofern sie nicht eine bestimmte Summe Geld
zurückgäben. El Diario nimmt diese Botschaften ernst, zumal die Drohungen
immer
wieder wahr gemacht wurden.
Für uns, die wir diesem Verlagsunternehmen vorstehen, bestehen Ziel und
Mission
in der Information der Gesellschaft. Daran haben wir die vergangenen 34 Jahre
immer festgehalten. Aber wir sehen keinen Sinn darin, weiterhin das Leben so
vieler Kollegen zu gefährden, nur damit sie als Vehikel für offene oder
verschlüsselte Mitteilungen entweder der Organisationen untereinander oder für
ihre Kommunikation mit dem Staat missbraucht werden.
Ein Krieg ohne Strategie
Selbst in einem Krieg gibt es Regeln. An allen Fronten wird die Integrität der
Journalisten, die über einen Krieg berichten, mehr oder weniger repektiert.
Deshalb fordern wir Sie, die Herren der verschiedenen
Drogenhandelsorganisationen, erneut auf, uns zu erklären, was Sie von uns
erwarten, damit wir nicht mehr mit dem Leben unserer Kollegen bezahlen müssen.
Vor viereinhalb Jahren besuchte Felipe Calderón die Redaktion von El Diario.
Er
steckte mitten im Präsidentschaftswahlkampf. Bei diesem Treffen mit den
Mitarbeitern antwortete der heutige Präsident auf die Frage, wie seine
Regierung
zukünftig die Meinungsfreiheit garantieren wolle: "Was die Morde an
Journalisten
angeht: Jene, die zum Wohle der Gemeinschaft etwas tun, das sie in Gefahr
bringt, sollten ebenso geschützt werden wie ich als Präsidentschaftskandidat.
Ein Journalist, der bedroht wurde oder gerade an einer Recherche über das
organisierte Verbrechen arbeitet, sollte Personenschutz bekommen."
Wie die Geschichte dann weiterging, ist bekannt: Ohne jede Strategie stürzte
sich Calderón in einen Krieg gegen das organisierte Verbrechen. Ihm waren
dabei
weder die Dimension des Feindes noch die Folgenbewusst, die diese Attacke für
das Land haben würde. Ohne gefragt zu werden, wurden das mexikanische Volk und
insbesondere die Menschen in Ciudad Juarez in eine Sache hineingezogen, unter
deren Auswirkungen heute alle leiden.
Die Politik wirft Nebelkerzen
Auch die Journalisten wurden in diesen unkontrollierten Kampf verwickelt - und
zwar ohne dass der Präsident sich je wieder an sein Versprechen aus dem
Konferenzraum von El Diario erinnert hätte. Nie erhielten Journalisten den
Schutz, den Calderón einst als "unabdingbar" bezeichnet hatte.
Bislang war unsere einzige Verteidigungswaffe die Suche nach der Wahrheit, das
Beherrschen des Wortes, unsere Computer und unsere Kameras. Der Staat als
Beschützer der Rechte seiner Bürger - und nicht zuletzt der Journalisten - war
in diesen Jahren der Feindseligkeiten einfach abwesend, selbst wenn er mit
vielen letztlich gescheiterten Operationen versucht hat, das Gegenteil zur
Schau
zu stellen.
Am vergangenen Freitag, nach dem Verbrechen an unserem Fotoreporter Luis
Carlos
Santiago Orozco, veröffentlichte El Diario dazu einen Leitartikel unter dem
Titel "Von wem sollen wir Gerechtigkeit verlangen?" Den Bürgern von Juarez
geht
es genauso wie uns, auch sie wissen nicht mehr, an wen sie sich wenden sollen.
Und was macht der Verantwortliche für die Sicherheit der Bürger? Er verliert
sich in völlig sinnlosen Diskussionen darüber, ob sich Mexiko heute mit
Kolumbien vor zwanzig Jahren vergleichen lässt, wie es die Außenministerin der
USA, Hilllary Clinton, kürzlich geäußert hatte.
Das ist der Grund, warum wir die agierenden Gruppen selbst auffordern
darzulegen, was sie von uns Medienleuten eigentlich wollen. Wir sind an einem
Punkt angelangt, da es dringend notwendig ist, die gesetzmäßigen Autoritäten
in
Ciudad Juarez auf andere Weise dazu zu zwingen, gangbare Lösungen anzubieten.
Die Umstände haben die Leidensfähigkeit von bereits zu vielen Bürgern
erschöpft.
Das Editorial wurde von Bernd Pickert aus dem Spanischen übersetzt und
bearbeitet.
- [AG-Drogen] Mexiko - Zeitung kapituliert vor Drogenkartellen, Maximilian Plenert, 22.09.2010
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