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Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik
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[AG-Drogen] Initiative will Drogen testen, Denn sie wissen nicht, was sie nehmen
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- Subject: [AG-Drogen] Initiative will Drogen testen, Denn sie wissen nicht, was sie nehmen
- Date: Wed, 21 Jul 2010 18:02:18 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
- List-id: Mailingliste der AG Drogen <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
* 20.07.2010
Initiative will Drogen testen
Denn sie wissen nicht, was sie nehmen
Blei im Gras, Milzbrand im Heroin: Die Zahl der Streckmittel in Drogen nimmt
zu.
Eine Initiative will Konsumenten davor schützen und Drogen im Labor checken
lassen. VON Martin Schwarzbeck
http://www.taz.de/1/berlin/artikel/1/denn-sie-wissen-nicht-was-sie-nehmen/
Drogenhändler des Vertrauens sind nur schwer zu finden: Ein echtes Problem,
denn
Konsumenten können kaum abschätzen, was in den Pillen, Kügelchen oder
Haschischplatten außer den rauscherzeugenen Substanzen sonst noch drin ist -
sprich, mit was die Drogen gestreckt wurden, um den Gewinn der Verkäufer zu
erhöhen. Deswegen will eine Initiative die umfassende chemische Analyse für
Konsumenten in Berlin wieder möglich machen. "Das liberale Berlin bietet sich
für einen Modellversuch an", erklärt Barbara Seid, Mitglied der Drugchecking
Initiative Berlin Brandenburg und gesundheitspolitische Sprecherin der
Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV)
Friedrichshain-Kreuzberg.
Einen solchen Versuch gab es in der Stadt schon einmal Mitte der 90er-Jahre.
Und
in ganz Europa untersuchen verschiedene Projekte illegale Substanzen, um
Nutzer
vor giftigen Beimischungen oder gefährlich hohen Dosierungen warnen zu können.
Denn die Unwissenheit kann tödlich sein. Ende 2009 starben europaweit acht
Menschen, weil sie mit Milzbrand verseuchtes Heroin konsumiert hatten. 2007
mussten sich in Leipzig 35 Menschen im Krankenhaus behandeln lassen, weil sie
mit Blei gestrecktes Gras geraucht hatten.
Eigentlich gibt es eine Institution, die ziemlich genau weiß, wie die
einzelnen
Drogen zusammengesetzt sind. Die Polizei lässt im Rahmen von
Ermittlungsverfahren viele Drogen umfassend analysieren. "Doch außer des
durchschnittlichen Wirkstoffgehalts werden die Ergebnisse nicht kommuniziert,
das hat sich europaweit gezeigt", sagt Tibor Harrach, Pharmazeut und ebenfalls
Vertreter der Drugchecking Initiative Berlin Brandenburg.
Diese Initiative, getragen von der Deutschen Aidshilfe, den Grünen, der
Linken,
dem Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg und verschiedenen
Suchthilfeeinrichtungen, will dem Informationsmangel Abhilfe schaffen. So wie
bereits von Februar 1995 bis September 1996 soll in Berlin ein Labor Proben
untersuchen, die Konsumenten gegen ein Entgelt anonym abgeben. Für 70 Mark
konnte damals per Nennung eines Codewortes die chemische Zusammensetzung der
eingereichten Drogen telefonisch erfragt werden. Entdeckten die Analysten
gefährliche Beimischungen oder ungewöhnlich hohe Dosierungen, wurde vor der
jeweiligen Droge mit einer genauen Beschreibung auf Flyern, der Webseite der
Giftinformationszentrale Bonn und im Rundbrief der Aidshilfe gewarnt.
Doch im Juli 1996 schritt die Polizei ein und durchsuchte die Räume des
Vereins
"Eve and Rave", der das Drugchecking-Programm koordinierte, kurz darauf auch
das
landeseigene gerichtsmedizinische Institut der Charite, in dem die Analysen
durchgeführt wurde. Obwohl sowohl das Amtsgericht Tiergarten als auch das
Landgericht Berlin die Eröffnung einer Hauptverhandlung ablehnten, weil sie
keine illegale Handlung erkennen konnten, traute sich auf Jahre niemand mehr
an
eine Neuauflage des erfolgreichen Projekts.
Dabei ist es in Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Frankreich,
Spanien,
Portugal und Tschechien gang und gäbe Drogen zu testen. Das Drugchecking ist
dabei meist eng mit Beratungs- und Ausstiegsangeboten verknüpft - so ist das
auch im neuen Konzept für Berlin vorgesehen. "Dadurch erreichen wir
Hoch-Risikokonsumenten, die sonst nie mit dem Drogenhilfesystem in Kontakt
gekommen wären", sagt Alexander Bücheli, der in Zürich für das Drugchecking
und
weitere Präventionsangebote zuständig ist. Er hält es aktuell für wichtiger
denn
je, Drugchecking anzubieten, denn, "die Zahl der unerwarteten Substanzen hat
seit vergangenem Sommer exponentiell zugenommen".
Das ist auch den Vertretern der Drugchecking Initiative Berlin Brandenburg
bewusst, die deshalb ihr Projekt mit Nachdruck vorantreiben. Derzeit laufen
Gespräche mit dem Senat, wie ein Modellprojekt gestaltet sein könnte. Die
Erfolgsaussichten sind aber wohl stark vom Ausgang der nächsten Wahl abhängig.
Denn in der Union sieht man das Projekt nach Aussage des ehemaligen
Gesundheitssenators und Abgeordneten Peter Luther eher kritisch. "Wenn man
Drogen straffrei auf Gefährlichkeit prüfen kann, vermittelt das die Botschaft,
dass sie danach weniger oder ungefährlich seien, das wäre das völlig falsche
Signal."
Den Erfahrungen aus der Schweiz zufolge sind die Sorgen jedoch unbegründet.
Bei
der Auswertung von 1.300 Fragebögen, die im Rahmen des Drugchecking ausgefüllt
worden sind, erfuhren die Züricher laut Bücheli, "dass Personen mit
Drugchecking-Erfahrung generell zu einem risikoärmeren und bewussteren Konsum
tendieren".
Gedenktag für Drogentote
Am 21. Juli 1994 starb ein Gladbecker Jugendlicher unter bis heute ungeklärten
Umständen. Seine Mutter machte die repressive Drogenpolitik verantwortlich und
initiierte vier Jahre später, am 21. Juli 1998, mit weiteren trauernden Eltern
den "Nationalen Gedenktag für verstorbene Drogentote". In diesem Rahmen findet
auf dem Oranienplatz ab 12 Uhr die Veranstaltung "Gemeinsam gegen Ausgrenzung"
statt. Schirmherrin ist Gesundheitssenatorin Katrin Lompscher (Linke).
Im letzten Jahr starben in Berlin 155 Menschen an den Folgen des
Rauschgiftkonsums. 86 Prozent von ihnen waren Männer, das Durchschnittsalter
der
Drogentoten betrug 36 Jahre.
Im Juni 2009 beschloss der Bundestag die kontrollierte Abgabe von synthetisch
hergestelltem Heroin (Diamorphin) an Schwerstabhängige. Wann dieser Beschluss
umgesetzt wird, ist laut Senatsgesundheitsverwaltung noch nicht klar. Es werde
derzeit "intensiv am Konzept gearbeitet", so eine Sprecherin. (taz)
- [AG-Drogen] Initiative will Drogen testen, Denn sie wissen nicht, was sie nehmen, Maximilian Plenert, 21.07.2010
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