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ag-bauen-verkehr - Re: [Ag-bauen-verkehr] Ramsauer und die Bahnbranche

ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Bundes-AG Bauen und Verkehr Diskussionsliste

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Re: [Ag-bauen-verkehr] Ramsauer und die Bahnbranche


Chronologisch Thread 
  • From: Carolin Mahn-Gauseweg <carolin.mahn AT googlemail.com>
  • To: Bundes-AG-Bauen-und-Verkehr <ag-bauen-verkehr AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-bauen-verkehr] Ramsauer und die Bahnbranche
  • Date: Mon, 20 Feb 2012 20:14:49 +0100
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-bauen-verkehr>
  • List-id: Bundes-AG-Bauen-und-Verkehr <ag-bauen-verkehr.lists.piratenpartei.de>

Ahoi!

Ich werde versuchen, die Problematik mal in Worte zu fassen. Leider ist sie, wie meist, nicht so einfach wie dargestellt. Bitte verzeiht mir deshalb, wenn ich etwas weiter aushole. Und wenn ich Euch zu verwirrend schreibe, sagt mir bitte Bescheid.

In den letzten Jahren hat sich im Bereich des Bahnbetriebs als auch im Bereich der Zulassung und des Sicherheitsnachweises Einiges getan.
Beim Bahnbetrieb bzw. der Bahntechnik sind das unter anderem folgende Aspekte: höhere Geschwindigkeiten, automatisierte Abfertigungsverfahren, mehr Komfortfunktionen (bspw. Klimatisierung),  neue Techniken (bspw. Türraumüberwachung), neue oder erweiterte Zugsicherungsverfahren, ...

Darüber hinaus hat sich die öffentliche Wahrnehmung von Unfällen (Radreifenbruch in Eschede, Brand in Nancy, ...) stark verändert / sensibilisiert.
Damit kommen wir zu den (daraus ergebenden) Änderungen bei Zulassung und Sicherheitsnachweisen von Schienenfahrzeugen: Diese wurden in den vergangenen Jahren von mehreren Seiten (durch EU und durch EBA) detailliert. Diese teilweise konkurrierende (und damit natürlich teilweise in ihrer Anwendung verwirrende) Rechtssetzung ergibt sich aus Versäumnissen von EU-Mitgliedstaaten (nicht Dtl.), deren Nichtumsetzung von Richtlinien eine neuerliche Reaktion der EU mehr oder weniger provoziert hat. Aus meiner Sicht leider verständlich.

Darüber hinaus wurden in den letzten Jahren enorme Anstrengungen unternommen, um den innereuropäischen Schienenverkehr (Interoperabilität) zu verbessern. Normen (die TSI = Technische Spezifikationen Interoperabilität) wurden zu diesem Zweck erstellt. Diese erfordern (weil nicht nur Dtl. ein Bürokratie-Staat ist) Zertifizierungen, die dann europaweit anerkannt werden. Da auch die TSI neu und auch noch nicht vollendet sind, sind sie zwar indirekt rechtsverbindlich, existieren aber weitgehend parallel zu den Normen, die unter dem "Stand der Technik" zusammengefasst sind. Grob gesprochen: überall, wo Lücken in der TSI sind, greifen die bisherigen (meist nationalen) Normen. Aber das Anwendungsgebiet der TSI und der Normen sind nicht immer klar voneinander abgrenzbar. Das macht die Auslegung der Normen natürlich nicht ganz einfach. Gerade mit Hinblick auf den Nachweis funktionaler Sicherheit ist diese Auslegungsunsicherheit in der Anwendung schwierig.

Ein weiteres Problem ist das EBA selbst (in mehrfacher Hinsicht). Zum einen stimmt es wirklich, dass das EBA im Laufe des Zulassungsverfahrens nicht selten vereinbarte Normen / Normenstände ändert. Das EBA hat sich bisher (das ändert sich gerade schleichend) nicht auf Normenstände festlegen wollen. Das war bei einigen wenigen Normen (bspw. Radsatzwellen, Software, ...) gravierende Unterschiede. Weiterhin stellt das EBA teilweise auch Forderungen über Normen hinaus auf, die nicht immer nachvollziehbar sind.

Noch ein strukturelles Problem des EBA ist, dass das Amt seine Mitarbeiter bei eventuellen juristischen Auseinandersetzungen (die Mitarbeiter sind für die Unterschriften, die sie setzen, persönlich verantwortlich) allein. Nach einem solchen Fall sind die Mitarbeiter des EBA natürlich noch vorsichtiger, bevor sie irgendwelche Unterschriften setzen.

Aus meiner Sicht (Sicherheitsingenieur) gibt es keinen Sicherheitswahn, sondern vor allem das Bestreben, bestehende Sicherheit nachzuweisen und neue Verfahren und Systeme entsprechend zu bewerten und nachzuweisen. Natürlich muss man dabei auf Plausibilität und Augenmaß achten und nicht jedem gelingt das. Gelegentlich ist es echt kleinlich. Aber das ist kein Massenphänomen.
Man muss sich auch vor Augen führen, dass bei Unfällen mehr und mehr auf Schadenersatz etc. geklagt wird. Da ist eine entsprechende Dokumentation und Nachweisführung der (funktionalen) Sicherheit immer wichtiger.

Die Probleme, die Siemens und Bombardier mit den zuzulassenden Fahrzeugen haben, sind teilweise selbstgemacht (weil die Firmen die Umstellung der Nachweisführung verschlafen haben), teilweise (vielleicht sogar mehrheitlich) aus der Unsicherheit bei den anzuwendenden Regelwerken. Dazu befanden sich Regelwerke, die die Nachweisführung erleichtern sollen (SIRF) zu dem Zeitpunkt noch in der Entwicklung, ein weiteres Regelwerk (CSM-VO) stand am Horizont. Beide sind mittlerweile gültig.

Und zugegebenermaßen, auch wenn das für meine Zunft nicht besonders schmeichelhaft ist, gibt es unter den Bahn-Fuzzis noch relativ wenige Leute, die mit Sicherheitsnachweisführung / Funktionaler Sicherheit auskennen. Das grundlegende Prinzip wurde aus dem Luftverkehr übernommen, aber eben nicht selbst entwickelt. Dieses Wissensdefizit in der Anwendung macht das Problem natürlich nicht einfacher. Hier steht die Branche vor einem Problem der mangelnden Kompetenz, einfach weil es kaum Leute gibt.

Übrigens sind die Aufgaben des EBA in den letzten Jahren zwar mehr geworden. Mit der Einführung einer neuen Verwaltungsvorschrift (VV IBG) zur Erteilung von Fahrzeugzulassungen wird aber eine ganze Latte von Aufgaben an (EBA-anerkannte) Gutachter abgegeben. Das EBA hat sich an dieser Stelle von einem Großteil der zu prüfenden Inhalte freigestoßen. Die haben immer noch viel zu tun, keine Frage. Aber es ist nicht nur mehr geworden.


Für alle, die bis hierher durchgehalten haben: Danke. ;)
Bei Fragen... siehe oben...


So long,
Caro


P.S.: Zum Abschluss noch ein paar Links:
* VV IBG: http://www.eba.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Infothek/Fahrzeuge/Inbetriebnahme/VV__IBG/VV__IBG__Fahrzeuge,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/VV_IBG_Fahrzeuge.pdf
* Sektorhandbuch Eisenbahnfahrzeuge: http://www.eba.bund.de/SharedDocs/Publikationen/DE/Infothek/Fahrzeuge/Inbetriebnahme/VV__IBG/Handbuch__Eisenbahnfahrzeuge,templateId=raw,property=publicationFile.pdf/Handbuch_Eisenbahnfahrzeuge.pdf
* CSM-VO: http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2009:108:0004:0019:DE:PDF
* ARdT: http://de.wikipedia.org/wiki/Anerkannte_Regeln_der_Technik
* SIRF: http://www.eba.bund.de/nn_309866/DE/Infothek/Fahrzeuge/Fahrzeugtechnik/funktionaleSicherheit/funktionale__Sicherheit__node.html?__nnn=true
* TSI: http://www.eisenbahn-cert.de/cln_031/nn_20680/DE/Start/040__Service/020__TSI/tsi__node.html?__nnn=true







Am 20. Februar 2012 18:50 schrieb Bjoern <bbb AT chefmail.de>:
Ahoi


Kannst du dazu als jemand vom Fach etwas sagen?
Stimmt es dass der Bahn Züge fehlen weil das Eisenbahnbundesamt während des Bau die Vorschriften ändert?

Habe das Gefühl dass ein übertriebener Sicherheitswahn inzwischen fast überall Einzug gehalten hat.
Wenn man bei einem Verkehrsmittel das eh schon extrem sicher ist noch meint die Vorschriften verstärken zu müssen ....


Gruß
Björn

Am 20.02.2012 14:47, schrieb Carolin Mahn-Gauseweg: --
AG-Bauen-Verkehr mailing list
AG-Bauen-Verkehr@lists.piratenpartei.de
https://service.piratenpartei.de/listinfo/ag-bauen-verkehr




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