nrw-duesseldorf-talk AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kreisverband Düsseldorf - TALK - (Nordrhein-Westfalen)
Listenarchiv
- From: WildOat <wildoat AT piratenpartei-nrw.de>
- To: nrw-duesseldorf-talk AT lists.piratenpartei.de
- Subject: Re: [Ddorf-Talk] Fw: fiftyfifty-Auflage "zigeunergeschädigt"
- Date: Wed, 15 Aug 2012 20:19:37 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/nrw-duesseldorf-talk>
- List-id: <nrw-duesseldorf-talk.lists.piratenpartei.de>
Danke Henry, für's Weiterleiten.
Ich fand den Bericht von Hubert Ostendorf, Mitbegründer der Obdachlosenhilfe „FiftyFifty“, sehr informativ.
Ich ertappe mich manchmal selber dabei, wie ich Vorurteilen folge.
Dann Fakten zu kennen, kann zumindest hilfreich dabei sein, zugängliche Menschen in einem Gespräch zum Nachdenken/Überdenken zu bringen.
Gruß,
Susa
Am 14.08.2012 11:53, schrieb Henry Jensen:
Diese weitergeleitete Mail, die über die Liste der Grünen Jugend
Düsseldorf kam, hat mich geschockt. Dieser Rassismus gegenüber Roma
passiert hier, vor Ort in Düsseldorf.
Gruß,
Henry
Begin forwarded message:
Von: Fifty-Fifty [mailto:info AT fiftyfifty-galerie.de]
Gesendet: Dienstag, 7. August 2012 10:14
Betreff: fiftyfifty-Auflage "zigeunergeschädigt"
Liebe fiftyfifty-UnterstützerInnen, liebe VertreterInnen der Medien,
vor ein paar Tagen habe ich per Rundmail beklagt, dass die Auflage
unserer Zeitung drastisch gesunken ist – und sehr viele Antworten
bekommen. Viele haben geschrieben: Lasst euch nicht unterkriegen. Macht
weiter so. ... Sehr viele aber haben auch (nette) Kritik geübt. Die
Titel-Seite von fiftyfifty erinnere an ein Bausparkassenheft. Die
Themen seien nicht radikal genug oder – das Gegenteil – “zu links”. Wir
werden alle Anregungen ausführlich diskutieren und hoffentlich die
richtigen Schlüsse ziehen – wohl wissend, dass wir es nicht allen recht
machen können. Viele haben auch geschrieben, dass Sie unsere Anregung,
nicht einfach so ein paar Münzten zu geben, ohne die fiftyfifty auch
tatsächlich zu kaufen, in Zukunft beherzigen werden. Andere meinten,
wir bekämen doch “so viele Kunstspenden”, damit kämen wir “doch gut
zurecht”. Hinweis: Dieses Geld wird in Häuser für Obdachlose investiert
und die anderen vielen Aufgaben – Armenspeisung, Underdog, Schulfonds,
Streetwork, Nachtbus ... - müssen auch erledigt werden. Die guten
Erfolge beim Verkauf von Kunst führen oft dazu, dass wir keine Spenden
mehr bekommen, die wir aber brauchen! Und dass andere Künstler sagen:
Ihr habt doch schon ... Nur ein Rechenbeispiel: Das neue Haus für
Obdachlose wird ca. 2 Mio. kosten und dann ca. 50 Jahre Hilfe leisten.
Wir haben durch den Verkauf der Arbeiten von Gerhard Richter 300.000
Euro bekommen. Und der Rest? Und all die anderen vielen Anliegen
(s.o.)? WIR BRAUCHEN BITTE IHRE SPENDEN UND UNSERE VERKÄUFERiNNEN, DASS
SIE DIE ZEITUNG KAUFEN.
(Konto: asphalt e.V., Postbank BLZ 360 100 43, Nr. 539661431)
Fast alle, die uns geschrieben haben, haben mehr oder weniger das
Problem der Roma, die wir betreuen, angesprochen. Manche etwas
verklausuliert, andere offen. Ein Leser hat geschrieben: “Ganz ehrlich,
euer Projekt ist zigeunergeschädigt.” Eine Leserin: “Ich will auch mit
meinen Verkäufern deutsch reden.” Eine andere: “So arm sehen sie gar
nicht aus.” Von den offen rassistischen mails will ich gar nicht
schreiben – es waren erschreckend viele. Immer wider die Begriffe:
“Banden” oder “Horden” - wie aus der Tierwelt. Dabei reden wir von
Menschen. “Kinder werden zum Klauen ABGERICHTET”, schreibt ein Leser.
Meine Güte: Abgerichtet werden Hunde.
Die vielen Zuschriften und Anfragen zum Thema “Roma” (aus Rumänien und
anderen Ländern) haben mich motiviert, nachfolgende Gedanken zu
formulieren. (
Ganz aktuell ist zu unserer Arbeit mit Roma ein Artikel in Hinz & Kunzt
erschienen, den ich Ihnen gerne empfehle – mit etwas Scham, weil ich
selbst darin als Nestor des Projektes vorgestellt werde, wobei Andere
bei uns die tägliche Arbeit verrichten.
http://www.hinzundkunzt.de/archiv/die-insel-der-gluckseligen/)
Seit 17 Jahren kümmern wir uns um Bedürftige. Vor über 10 Jahre haben
wir beschlossen, Russlanddeutsche und Polen aufzunehmen, wenn sie
bedürftig sind. Schon dies hat uns viel Kritik eingebracht. Nun haben
wir also (rumänische) Roma aufgenommen, das sind die neuen Armen in
Deutschland. Sie sind EU-Bürger, haben aber keinen Anspruch auf
irgendwelche Leistungen. Die neuen EU-BürgerInnen bekommen erst 2014
Arbeitsgenehmigungen. Meines Erachtens ist Rumänien nur in die EU
aufgenommen worden, damit Nokia und andere Konzerne billige
Produktionsstandorte haben (Nokia ist mittlerweile nach China
weitergezogen) - was mit den Menschen geschieht, scheint völlig
gleichgültig.
Ich selbst bin in Rumänien gewesen und habe mir dort die Roma-Dörfer
angeschaut kurz gesagt: 3. Welt vor der Haustür. Wir von fiftyfifty tun
nichts dafür, dass die Roma ihre Heimat verlassen und nach Deutschland
kommen. Hinter unseren VerkäuferInnen stecken keine organisierten,
zwielichtigen Banden - wie oft unterstellt, sie sind auch keine
Zigeuner - sondern Roma. Wir kennen sie ALLE persönlich. Unser System
sieht vor, dass jeder für sich alleine kommen muss, um Zeitungen zu
holen und es gibt immer nur geringe Mengen an Zeitungen. So vermeiden
wir Unterverteilsysteme. Wir berichten öfter in fiftyfifty über unsere
Roma (einige Beiträge anbei). Es sind zumeist sehr liebenswerte
Menschen, die einfach die Chancen der EU-Öffnung für sich und ihre
Kinder nutzen wollen und dann hier kläglich zugrunde gehen. (Wir achten
darauf, dass ALLE Kinder ordentlich in die Schule gehen und helfen
ihnen bei der Ausstattung und Kleidung.) Wir halten die Eltern an, in
Deutschkurse zu gehen - was viele dankbar tun. Die Kinder lernen
sowieso alle Deutsch.
Manche Familien haben sich trotz größter Armut ein preiswertes Autos
gekauft und Fahrgemeinschaften gebildet, damit sie keine Probleme wg.
Schwarzfahren bekommen. Ein passables Auto kostet oft nur 300 Euro,
weniger als die Monatstickets für 1 Familie in 1 Monat. (Wenn Rumänen
in Autos gesehen werden, wird aber oft von mafiösen Drückerkolonnen
geredet.)
Sowieso gelten auch alle Roma als kriminell. Alle? Die Tatsache, dass
wir ihnen eine Chance geben, ist ein Beitrag zu
Kriminalitätsprävention. (Nahezu alle Drogenkranken begehen täglich
Straftaten, darüber wird zum Glück nur selten geklagt – auch dank
unserer Lobby-Arbeit.) Die Tatsache, dass wir Roma zu regulären
Mietverträgen mit Meldeadresse verhelfen, führt dazu, dass sie sich für
begangene Straftaten auch gerichtlich verantworten und nicht einfach in
eine andere Stadt gehen – sie würden ein hohes Gut verlieren, nämlich
die Wohnung und, dass die Kinder zur Schule gehen können, was ja nur
mit offizieller Meldeadresse möglich ist. Es ist übrigens ein
Trugschluss, zu glauben, Roma und andere fiftyfifty-VerkäuferInnen
wären nicht da, wenn sie nicht fiftyfifty verkaufen würden. Wenn wir
unser Projekt einstellen müssten, wären die Armen ja nicht weg. Aber
niemand würde sich mehr um sie kümmern – mit verheerenden Folgen für
diese Menschen und den sozialen Frieden.
Alle VerkäuferInnen müssen einen fiftyfifty-Ausweis mit Nr. offen
tragen. (Ein Fälschen dieser Ausweise ist ganz vereinzelt vorgekommen,
nun aber nicht mehr, weil Menschen mit falschen Ausweisen keine
Zeitungen bei uns bekommen und die Weitergabe von Zeitungen an
Nichtbefugte durch reguläre KollegInnen aufgrund von streng begrenzten
Tagesdeputaten selten ist.) Ein Verkauf ohne Ausweis ist natürlich
gänzlich verboten. Durch die Mengenlimitierung kommt es vor, dass
einige schwarze Schafe Landsleute mit nur einem (!) Heft zum Betteln
ausschicken und ihnen verbieten, die Zeitung abzugeben. Dies
unterbinden wir neuerdings dadurch, dass auf die Titelseiten aller
Zeitungen die Nummer des fiftyfifty-Ausweises gestempelt wird und
dadurch der Verursacher der Weitergabe immer ermittelt und gemaßregelt
werden kann. Sie sehen, wir machen uns wirklich einen Kopf, um
Missbrauch zu verhindern.
Bei anderen Straßenzeitungen, die Roma ausdrücklich vom Verkauf
ausschließen, gibt es oft weit größere Probleme. Sie haben vermehrt mit
dem Problem zu tun, dass sich Roma regulär ein Heft zum regulären Preis
kaufen und sich damit ein Vehikel zum Betteln verschaffen. Im Übrigen
weise ich darauf hin, dass es in Holland und Österreich
selbstverständlich ist, dass Roma die jeweiligen Straßenzeitungen
verkaufen und auch einige deutsche Magazine sie nicht ausschließen. Wir
von fiftyfifty haben mittlerweile einen Aufnahmestopp verhängt, damit
es nicht zu viele werden.
Unsere rumänischen Roma sind tiefgläubige, orthodoxe oder penticostale
Christen. Ich hatte oft die Gelegenheit, bei einer Taufe zugegen zu
sein. Die Frömmigkeit dieser Menschen, Ihr Zusammenhalt, das
Familiengefühl und ihre Kinderfreundlichkeit nötigen mir Respekt ab.
Vor längerer Zeit habe ich das Konzert des berühmten Cellisten Thomas
Beckmann in der Tonhalle besucht. Ich durfte die Verlosung von fünf CDs
auf der Bühne durchführen. Herr Beckmann wünschte sich ausdrücklich,
dass ich ein Roma-Mädchen als Glücksfee mitmehme und damit dokumentiert
werde, dass diese Menschen zu uns gehören und unseren Schutz brauchen,
wie Bruder Matthäus es in einem Interview in der RP ausdrückte. Thomas
Beckmann zitierte an diesem Abend von Applaus unterbrochen Charlie
Chaplin mit den Worten: Wir denken zu viel und fühlen zu wenig. Der
Papst hat angesichts der unter Sarkozy skandalösen Abschiebungen aus
Frankreich gesagt, wir müssten die Roma endlich in ihrem "berechtigten
Anderssein" akzeptieren.
Bitte geben Sie auch unseren Roma eine Chance. Sie freuen sich über ein
nettes Wort, weil sie selten nett behandelt werden. Ich bin selbst
schon oft Zeuge polizeilicher Überprüfungen und sogar Übergriffe
geworden, die letztendlich haltlos und rassistisch begründet waren. Zum
Beispiel besorgen wir unseren Roma, vor allem den Schulkindern,
Fahrräder, damit sie nicht schwarzfahren müssen. Nahezu alle Kinder
berichten, dass sie von der Polizei angehalten worden sind, weil der
Verdacht bestanden habe, das Rad sei gestohlen nach dem Motto: schwarze
Haare, braune Haut = Dieb. Ich selbst fahre seit über 40 Jahren Fahrrad
und bin noch nie kontrolliert worden. Auch rufen Polizisten täglich
mehrfach bei uns an, weil sie wissen wollen, ob ein gewisser Mann oder
eine Frau aus Rumänien die fiftyfifty-Zeitungen gestohlen hätte. Dies
ist in der 17-jährigen Geschichte von fiftyfifty bei einem deutschen
Verkäufer noch nie vorgekommen. Menschen, die in den von Ihnen selbst
und nicht von der ARGE finanzierten Wohnungen leben, werden fast
täglich von Hausbewohnern als Zigeuner beschimpft. Neulich gab es eine
Messerattacke auf eine junge Roma und ihren Säugling, die Polizei
musste einschreiten. Diese junge Mutter bekommt - wie alle - keine
ARGE-Leistungen und ernährt sich und ihr Kind mit großem Fleiß vom
Verkauf unserer Zeitungen. Sie wird überall vertrieben, weil man vor
den Läden keine Zigeuner will. Deutsche Verkäufer dagegen werden oft
geduldet mit mit Hochachtung behandelt - auch ein Verdienst unserer
Lobby-Arbeit und unseres Engagements für unsere überaus geschätzten
deutschen KollegInnen.
Neulich war ich mit einer jungen Roma-Frau - Mutter von 3 Kindern - in
Düsseldorf unterwegs. Ein Polizist hielt uns an - eine
Alltagserfahrung, seitdem ich mit diesen Menschen umgehe. Und dann
passierte etwas Ungeheuerliches. Er fragte die Frau mit süffisantem
Lächeln, auf welcher Straße sie der Prostitution nachgehen würde. Die
Frau war tief beleidigt und brach in Tränen aus.
Ich könnte noch einige Dinge zu diesem Thema schreiben - ein weites
Feld. Viele Artikel zum Thema stehen in fiftyfifty, die ich Ihnen sehr
ans Herz legen – so schließt sich der Kreis.
Wir laden alle Medien ein, sich vor Ort in den Familien ein ehrliches
Bild unserer Arbeit zu verschaffen, damit auch einmal positive Berichte
über Roma veröffentlicht werden.
Ich wünschen Ihnen und Ihren Lieben alles Gute.
Mit freundlichen Grüßen
Hubert Ostendorf
fiftyfifty: Straßenmagazin & Galerie
Jägerstr. 15
D-40231 Düsseldorf
(0)211/9216284
0152 21529077
www.fiftyfifty-galerie.de
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- [Ddorf-Talk] Fw: fiftyfifty-Auflage "zigeunergeschädigt", Henry Jensen, 14.08.2012
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- Re: [Ddorf-Talk] Fw: fiftyfifty-Auflage "zigeunergeschädigt", WildOat, 15.08.2012
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