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Betreff: Piraten Neuss (Nordrhein-Westfalen)
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[Neuss] Fwd: [Piraten NRW] Piratenpartei - Eine harte Nuss für Lobbyorganisationen
Chronologisch Thread
- From: Mainframer <Mainframer AT web.de>
- To: Neuss <neuss AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [Neuss] Fwd: [Piraten NRW] Piratenpartei - Eine harte Nuss für Lobbyorganisationen
- Date: Fri, 7 Oct 2011 11:25:06 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/neuss>
- List-id: <neuss.lists.piratenpartei.de>
FYI:
Von: corax <corax AT piratenpartei-nrw.de>
Datum: 7. Oktober 2011 01:56
Betreff: [Piraten NRW] Piratenpartei - Eine harte Nuss für Lobbyorganisationen
An: Landesverband Nordrhein-Westfalen <nordrhein-westfalen AT lists.piratenpartei.de>
Ahoi,
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http://www.sos-wp.com/index.php/artikel/13-piratenpartei-eine-harte-nuss-fuer-lobbyorganisationen.html
"
Piratenpartei - Eine harte Nuss für Lobbyorganisationen
- Kategorie: Artikel
- Veröffentlicht am Donnerstag, 06. Oktober 2011 18:26
- Geschrieben von Stan-Oliver Schoch
- Zugriffe: 4439
Die einst als Nussschale belächelte Piratenpartei schlägt im Fahrwasser der Politik bereits beeindruckende Wellen die auf dem Sonnendeck der "etablierten" Parteien, die erste Wassertropfen hinterlassen haben. Und während die Analysten, Berater und Politikwissenschaftler die Piratenpartei zu kategorisieren versuchen und stetig neue Prognosen publizieren, laufen im Lobby-Hinterzimmer die ersten Schlechtwetterberichte über den Strategie-Ticker. - Was ist passiert?
Nach dem Einlaufen in den Berliner Hafen unter voller Fahrt mit unglaublichen 8,9%, bringt die Heckwelle die ersten Oppositionsboote am Anleger in ein heftiges Schaukeln, während im Funkraum zeitgleich die bekannten 0-8-15-Morsecode-Ablenkkörper in die Medienlandschaft geschossen werden. "Protestwähler" sollen sie alle sein, auch der Nichtwähler wählt jetzt plötzlich aus Protest diese Partei. Ein Denkzettel, eine Botschaft, ein einmaliges Ereignis - die Kreativität kennt bei Nebelkerzen keine Grenzen.
Selbst die eingefahrenen Massenmedien in Print und TV setzen ihre Segel in den aufkommenden Wind und wirken in ihrer Berichterstattung plötzlich ungewohnt entzügelt und in ihrem Fragenkomplex sichtlich entflammt. Menschen beginnen zu reden, zu diskutieren und über diese junge Partei zu spekulieren. Aufklärung wird verlangt, Fragen gestellt, Antworten werden erwartet.
Hohe Ziele bereits im Kern - das ideelle Basisdemokratie-Modell
Doch es steckt mehr in dieser Form von Partei, was ein etabliertes Partei-System zur Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes, auf den Kopf stellt. Im Gegensatz zu dem klassischen Partei-Modell, was durch Entscheidungen von oben nach unten diktiert wird, setzt die Piratenpartei in ihrem Kern auf das ideelle Basisdemokratie-Modell, was alle Entscheidungen und Neuerungen von der Basis ausgehen und von derselben durch Abstimmungen bestätigen lässt.
Dieses Ziel ist nicht nur zur Gänze von unzähligen Gruppierungen und Generationen mit dem selben hohen Interesse und der selben tiefen Überzeugung versucht worden, sondern endet mit einer ebenso hohen Anzahl von Fehlschlägen verschiedenster Art und Weise. Und aus diesem Grund legt die aktuelle Politik dieses wiederkehrende Ereignis in derselben Akte ab und verweist auf die vergangene Geschichte.
Doch eine solche Fehleinschätzung wäre gravierend. Das immer noch in den großen Teilen unserer Parteilandschaft unverstandene Medium Internet hat bereits seit seiner Entstehung vor über 30 Jahren das gleiche Potential in sich, eine besondere Lücke zu schließen. Es bietet in seinem einzigartigen Funktionsumfang und seiner Struktur die Möglichkeit, eine Kommunikationslösung zu ermöglichen, die zum ersten Mal ein Kollaborations- und Abstimmungsverfahren auf der Grundlage einer transparenten Basisdemokratie in den realen Fokus zieht.
Jeder an jedem Schreibtisch - jeder an jedem Dokument - jede Idee zählt
Die internetaffine Gemeinschaft der Piratenpartei hat dieses Potential nicht unbedingt erkannt, nutzt aber in ihrer unkomplizierten und wissbegierigen Art und Weise unvoreingenommen dessen Möglichkeiten. Die Kommunikation über dieses globale Netzwerk ist praktischer Alltag und ist in ihrer vereinfachten Form mit dem Griff zu einem Stift und einem Blatt Papier zu vergleichen. Darüber hinaus besteht ein Zugang zu unglaublichen Wissensmengen, die direkt in den Denkprozess einfließen, während sie durch Kommunikation verbreitet und dabei stetig weiterentwickelt werden.
Und so werden Ideen in Kollaborationssystemen, wie Wiki, Pad, Foren, etc., entwickelt, organisiert und durch Abstimmungssysteme gewichtet und entschieden. Es entsteht damit zum ersten Mal ein Rückkanal, der durch die immer wieder genannte Transparenz abgesichert wird. Die Masse der Beteiligten steuert dabei unbewusst in ihrem Gesamten die Richtung der Entwicklung und wirkt zeitgleich als Antriebs- und Motivationsmotor.
Das "Online" Mem - Gemeinsame Ziele nicht "aus" sondern "via" Internet
Viele Bewegungen und Aktionsbündnisse formieren sich ebenso über das Internet, jeder mit seiner Ausrichtung. Die Piratenpartei nimmt in ihrer aktuellen Ausrichtung dabei den politischen Part ein und vereinigt viele der Ziele der außerpolitischen Bewegungen. In dieser Konstellation betritt nun die Piratenpartei mit ihren Zielen die "offline"-Politik und definiert sich mit Eigenschaften, die nicht, wie ständig kommentiert wird, "im Internet" entstanden sind, sondern bereits seit Gedenken in den Bedürfnissen der Menschen besteht - Bürgerrechte, direkte Mitbestimmung, Transparenz, Datenschutz, Freiheit, Aufklärung, etc. - und trifft auf Menschen, die mit den genannten Themen teilweise so wenig anfangen können, dass ihr Interesse erst durch die neuen Möglichkeiten wieder geweckt werden muss.
100% Transparenz - angewandte Provokationen
Doch nicht nur das. Nach Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus bricht die Piratenpartei ein Tabuthema im klassischen Partei-Modell, ein Thema, was keine andere Partei im Landesparlament überhaupt in Erwägung zieht, sogar direkt ablehnt - eine 100% Transparenz in der innerparteilichen Kommunikation und Berichterstattung. Für die Piratenpartei ist das keine Veränderung in der bereits bundesweiten transparenten Praxisanwendung sämtlicher innerparteilichen Angelegenheiten via Internet. Und so wird auch die erste Fraktionssitzung im Internet veröffentlicht.
Sollte es die Piratenpartei schaffen, die Transparenz auch aus einem Landesparlament aufrecht zu halten, ist es nur eine Frage der Zeit, bis der Wähler oder das Mitglied einer anderen Partei an seine eigene Partei die Frage stellt, warum eine Transparenz in dieser Form nicht auch in seiner Partei möglich ist und diese auf der Grundlage der Praxisanwendung einzufordern beginnt.
Dies könnte auch für die basisdemokratische Mitbestimmung gelten und sich zu einem ähnlichen Zeitpunkt mit einem entsprechenden Druck auf die etablierten Parteien auswirken. Ob und in welcher Form dieses Einfluss auf die gesamte Parteienlandschaft hat, ist schwer abzusehen. Aber selbst aus Sicht nur einzelner Auswirkungen könnten weitere Veränderungen und Entwicklungen unweigerlich daraus resultieren.
Aufklärung - eine Säule und ein Schild
Der gewagter Vorstoß der Piratenpartei, mit diesem innerparteilichen Modell die aktuelle Tagespolitik für jeden Bürger nicht nur transparent und bestimmbar zu machen, sondern darüber hinaus auch noch Einfluss auf das gesamte Politikmodell auszuüben, setzt jedoch einen entscheidenden Punkt voraus - die Aufklärung.
Kein Individuum ist in der Lage, eigene und freie Entscheidungen zu fällen, Einfluss in Neuerungen und Entwicklungen zu nehmen und diese objektiv zu fördern, oder Kontrolle über die Wahrung demokratischer Verhältnisse auszuüben, wenn er nicht Zugang zu allen Informationen und allen Auslegungen sämtlicher Seiten besitzt. Diese Form der Aufklärung, die bei den Piraten bereits als ein wichtiger Bestandteil angesehen wird, ermöglicht erst den Fortbestand eines solchen oben beschriebenen Systems. Nicht nur aus Sicht der innerparteilichen Arbeit, sondern auch zum Schutz vor dem Einfluss von Lobby- und Interessenvertretungen, bei denen die Piratenpartei durch eigene Studien gewichtet und schlussfolgernd entsprechendes Potential zugesprochen bekommt, gewinnt dieses Modell fortlaufend an Wert.
Lobby und die direktdemokratische Elemente
Wie LobbyControl vor wenigen Tagen berichtet, hat das PR-Unternehmen MSL in seiner aktuellen Public Affairs Umfrage für das Jahr 2011 gezeigt, über welche Mechanismen die Lobbybranche am effizientesten Einfluss auf die Politik ausübt. So sind zwei Drittel der Public-Affairs Verantwortlichen der Meinung, dass die Einführung von direktdemokratischen Elementen ihre Arbeit erheblich erschwert. In diesem Bezug wird deutlich, dass genau die Parteien mit einer 'konstruktiven' Zusammenarbeit glänzen, die dem klassischen "oben-nach-unten"-Parteimodell am überzeugendsten folgen, allen voran die CDU (80%), direkt gefolgt von der FDP (62%).
Es zeigt sich, dass persönliche Treffen zur politischen Kontaktpflege mit Abstand das beliebteste Instrument (92%) in der Beeinflussung von einzelnen Personen bleibt, was vermutlich auch begründet, dass 62 Prozent der Befragten im letzten Jahr mehr personelle Ressourcen für Public-Affairs-Aktivitäten einsetzten.
Bleibt die Piratenpartei bei dem Modell, ihre Abgeordneten, ihre Vorstände und andere Personen in verantwortlichen Positionen nur als Verwaltungsorgan und öffentliches "Sprachrohr" in ihrer politischen Arbeit zu definieren und über Transparenz dieses demokratische Verfahren zu schützen, bricht der Lobby die Basis einer gesamten Angriffsfläche weg. Es verbliebe ihr nur die Beeinflussung der gesamten Piratenpartei-Gemeinschaft, was weder personell noch finanziell zu realisieren wäre und kaum zu messbaren Ergebnissen führe.
Da der gesamte 'Social Media'-Bereich für die Lobby immer noch ein massives Problem in ihren strategischen Aktivitäten darstellt, zeigt die Nutzung von gerade einmal 34 Prozent im praktischen Public-Affairs-Mix.
Es werden strukturierte soziale Netzwerke wie Facebook (30%), Xing (18%), etc. benötigt um via PR-Schnittstellen "vorgefertigte" Einflussmechanismen einzustreuen und diese zeitgleich anhand Web Analytics messen und steuern zu können. Um so mehr Dezentralisation und soziale Aspekte in einem Web-/Netz-Dienst integriert sind, um so mehr sinkt die Effektivität für einen Einsatz bei Public-Affairs-Aktivitäten. So verbleibt z.B. bei der Nutzung von sozialen Medien für Dienste wie Twitter gerade einmal 10 Prozent, bei Social Media Newsroom nur noch 6 Prozent.
Da sich aber gerade die Mitglieder der Piratenpartei durch ihre Ansichten zu Überwachung, Datenschutz und Netzsperren für Dienste mit einer dezentralen und offenen Struktur interessieren und diese in ihrer täglichen Kommunikation einsetzen, verlagert sich auch hier die "Zielgruppe" in die Problemzone. Dazu kommt noch, dass die verwendeten Plattformen für kollaborative Bearbeitung (Wiki, EtherPad, etc.) sich durch Transparenz via anonymisierten Verlauf vor Manipulationen zu schützen versuchen.
Parteiprogramm als Mammutaufgabe
Die Piratenpartei hat auf eine Krise schneller, überzeugter und effektiver reagiert und bereits vor einem Einzug in ein Abgeordnetenhaus die Probleme benannt, gegen sie demonstriert und in Lösungen investiert. Sie praktiziert und entwickelt eigene Modelle und öffnet und teilt sie mit der Gemeinschaft.
Die Krise definiert die Piratenpartei in ihrem Parteiprogramm - Bürgerrechte, direkte Mitbestimmung, Transparenz, Datenschutz, Freiheit, Aufklärung - und stellt damit eine Mammutaufgabe für die nächsten Jahre in den politischen Fokus eines ganzen Landes.
Berichterstattung - Verständnisprobleme oder doch Agenda-Setting
Doch leider ist das Verständnis über diese Zusammenhänge entweder zu komplex für einige Medien, oder es bestehen bereits die ersten breit gestreuten Gegenmaßnahmen aus den Etagen der Lobbyorganisationen anhand Agenda Setting via ihrer Hausverlage.
So ist es sehr interessant, dass in einer Online-Ausgabe eines bekannten Magazins ein Artikel mit den Worten "Die parlamentarische Krabbelgruppe" beginnt und im gesamten Text nur auf der "lächerliche Idee" hingewiesen wird, sich für eine 'politische Teilhabe' und 'Transparenz' stark zu machen, und auch noch zu Zeiten von Griechenland und Eurokrise. Eine Finanz-Zeitung legt nach und betitelt den ersten bundespolitischen Auftritt mit den Worten "Piratenpartei planmäßig planlos".
Kein Journalist soll oder kann scheinbar keine Verbindung von 'politischer Teilhabe' zu Griechenland, Eurokrise & Co. ziehen.
Erstaunlich, selbst nach Jahrer langer Berichterstattung über Themen, wie der Problematik der demokratischen Legitimation im politischem System der Europäischen Union, wie z.B. die Europäische Kommission, der kommende Europäische Stabilitäts-Mechanismus (ESM), oder die Abstimmung über den Vertrag von Lissabon, scheint es, keinen Grund dafür zu geben, die Frage nach 'politischer Teilhabe' neu zu stellen. Auch scheint die 'politische Teilhabe' innerhalb der Bundesrepublik bei Projekten wie Stuttgart21 mit dem lang umkämpften Volksentscheid ebenso "unwichtig" wie auch die Tatsache, dass fast jeder Gesetzesentwurf auf dem Tisch des Verfassungsgerichtes landet und man sich wundert, warum die Wahlbeteiligung fortlaufend sinkt, während man bei Diskussionen auf eine politische Frage nur noch ein einarmiges Abwinken vom Durchschnittsbürger als Antwort bekommt.
Fazit
Doch das alles soll der einzelne Bürger selbst entscheiden - wenn er in der Lage dazu ist.
Wir dürfen gespannt sein, wohin sich die Piratenpartei bewegt und weiterentwickelt.
Quelle Bildmaterial: Piratenpartei Deutschland (CC BY 2.0) - cbmd (CC BY-NC-ND 2.0) - URBAN ARTefakte (CC BY-NC-ND 2.0)
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Matthes
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When the government fears the people, there is liberty. When the people fear the government, there is tyranny.
(Samuel Adams)
If tyranny and oppression come to this land, it will be in the guise of fighting a foreign enemy.
(James Madison)
Experience hath shewn, that even under the best forms of government those entrusted with power have, in time, and by slow operations, perverted it into tyranny.
(Thomas Jefferson)
- [Neuss] Fwd: [Piraten NRW] Piratenpartei - Eine harte Nuss für Lobbyorganisationen, Mainframer, 07.10.2011
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