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muenster - Re: [MS Piraten] Vermögenssteuern

muenster AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kreis Münster/ NRW

Listenarchiv

Re: [MS Piraten] Vermögenssteuern


Chronologisch Thread 
  • From: Martin Schlüter <admin AT web-data-master.de>
  • To: Kreis Münster/ NRW <muenster AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [MS Piraten] Vermögenssteuern
  • Date: Thu, 28 Jun 2012 21:35:56 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/muenster>
  • List-id: Kreis Münster/ NRW <muenster.lists.piratenpartei.de>





meinst du das jetzt wirklich ernst? Hier ist eine Diskussion über eine mögliche Vermögenssteuer, und fachliche Beiträge zu dem Thema bezeichnest du dann mal pauschal als "ausserhalb jedes Diskussionstranges" ......

Ist es denn nicht das Ziel hier sachlich über eine Vermögenssteuer zu diskutieren?

Michael Jochmann schrieb:
Danke für den sachkundigen Einwand, der für mich leider außerhalb jedes Diskussionsstrangs liegt. War das eine persönliche Stellungnahme oder ein Versuch sich inhaltlich einzubringen?

Wenn letzteres der Fall ist, kann über entsprechenden AGs informiert werden - einfach noch einmal schreiben.

micha

Am 28. Juni 2012 00:07 schrieb Birgit Hemecker <emcgmbh AT aol.com <mailto:emcgmbh AT aol.com>>:

Hallo,
zunächst einmal eine grundsätzliche Überlegung zum Unterschied
zwischen Vermögensteuer und Einkommensteuer:
Die Vermögensteuer knüpft an eine Bestandgröße, nämlich das
Vermögen, an, während die Einkommensteuer die Stromgröße Einkommen
besteuert. Dies scheint zunächst so, als wenn es sich um völlig
unterschiedliche Steuerarten handelt. Finanzmathematisch lässt
sich jedoch jede Vermögenssteuer in eine gleichwertige
Einkommensteuer umrechnen. So erzeugt z. B. bei einer EK-Rendite von 5 % eine 1 %ige Vermögensteuer dieselbe Belastung wie eine 20
%ige Einkommensteuer.
Theoretisch wären also die beiden Steuerarten austauschbar, aber
in der Praxis gibt es noch zwei wichtige Unterschiede zwischen der
Vermögensteuer und der Einkommensteuer.
Hierzu zitiere ich den Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Stefan
Homburg (Homburg, Stefan (1997) Allgemeine Steuerlehre, München:
Vahlen, S. 148 ff.):
„Erstens belastet die Vermögensteuer im Unterschied zur
Einkommensteuer nicht das /Isteinkommen/, also jenen Betrag, der
dem Steuerpflichtigen nach Abzug erwerbsbedingter Ausgaben
tatsächlich zufließt, sondern ein /Solleinkommen/. Hinsichtlich
der Umverteilungswirkungen macht dies einen Unterschied, wenn
Steuerpflichtige mit gleichem Vermögen unterschiedliche Einkommen
erwirtschaften und erst recht, wenn man bedenkt, dass
Steuerpflichtige mit höheren Vermögen aufgrund besserer Beratung
regelmäßig höhere Renditen erzielen können. Jemand mit 100.000
Vermögen besitzt vielleicht Wertpapiere, die 5 % Zinsen abwerfen,
während ein gut beratener Anleger mit einem Vermögen von 10
Millionen ertragreichere Anlageformen finden und Risiken besser
diversifizieren kann. Insofern wirkt eine proportionale
Vermögenssteuer im vertikalen Vergleich /regressiv/. Horizontal
belastet die Vermögensteuer ungleich, wenn die tatsächlichen
Renditen der Steuerpflichtigen zufallsbedingt oder systematisch
voneinander abweichen. Im Hinblick auf das Ziel einer Besteuerung
nach der Leistungsfähigkeit ist die an das Solleinkommen
anknüpfende Vermögensteuer einer am Isteinkommen orientierten
Einkommensteuer deutlich unterlegen.
Zweitens leidet die Gleichmäßigkeit aller historisch bekannten
Vermögensteuern an einem /falschen Vermögensbegriff/, der die oben
geschilderte Äquivalenz zwischen Einkommen und Vermögen gründlich
verkennt. Die der Vermögensteuer zugrundeliegende Steueridee
besteht nämlich in der Belastung sogenannter /fundierter
Einkommen/, zu denen vor allem die Einkünfte aus Kapitalvermögen,
Grundvermögen und Unternehmertätigkeit gezählt werden. Hierdurch
wird ein Vermögensgegenstand von immenser volkswirtschaftlicher
Bedeutung, nämlich das /Humankapital/, ganz willkürlich aus der
Bemessungsgrundlage herausgenommen, obwohl die Gleichwertigkeit
von Einkommen und Vermögen selbstverständlich auch für
Arbeitseinkommen und ihrem Barwert, eben das Humankapital, gilt.
Der Terminus „fundiertes Einkommen“ soll eine höhere Sicherheit
und damit eine höhere Belastbarkeit bestimmter Einkommensarten
suggerieren und damit deren diskriminierende Besteuerung
rechtfertigen. In Wirklichkeit ist es höchst fraglich, ob ein in
Aktien angelegtes Vermögen oder eine Beamtenstelle auf Lebenszeit
das „fundiertere“ Einkommen abwirft. Ein Beamter, der jährlich
100.000 brutto verdient und noch sehr viele Dienstjahre vor sich
hat, besitzt laut (Formel für das Ertragswertverfahren) ein
Humankapital von knapp 2 Millionen, wenn man einen Zins von 5 %
ansetzt. Dieses Humankapital unterliegt nicht der
Vermögensbesteuerung, während ein Aktienkapital mit einem Kurswert
von 2 Millionen durch eine 1 %ige Vermögensteuer mit jährlich
20.000 belastet wird. Hierin liegt die gravierendste
Ungleichmäßigkeit der Vermögensteuer. (Auf die vermögensteuerliche
Behandlung des Humankapitals weist auch Schmidt (Schmidt, K.
(1980) ....) hin, der eine solche Bevorzugung für besonders
bedenklich hält „wenn das >>human capital<< gratis und franko von
staatlichen Bildungseinrichtungen bezogen, das individuelle
Vermögen aber aus hoch versteuertem Einkommen gebildet worden ist“.)
Auch bestimmte andere Einkommen – wie beispielsweise Renten aus
der Gesetzlichen Rentenversicherung – werden häufig aus der
Vermögensbesteuerung herausgenommen. Die Vermögensteuer belastet
deshalb im Gegensatz zu einer synthetischen Einkommensteuer nicht
alle Einkommensarten, sondern nur bestimmte. Sie entspricht
üblicherweise einer Steuer auf Kapitaleinkommen, Bodeneinkommen
und Reingewinne. ...
Abschließend sei erwähnt, dass die oben herausgestellte Äquivalenz
der Einkommens- und Vermögensbesteuerung inzwischen auch vom
Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Urteil vom 22.
Juni 1995 ausdrücklich anerkannt worden ist: „Die Vermögensteuer
darf deshalb zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur
hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des
Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen,
abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in die Nähe
einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand
verbleibt“. (Bundesverfassungsgericht (1995) Urteil vom 25. Juni
1995. BStBl. 1995 II. 655 = EuGRZ 1995, 370.375. ...) Hiermit wird
gesagt, dass eine mehrfache Belastung desselben Steuergegenstandes
durch verschiedene Steuern zwar verfassungsrechtlich zulässig ist,
diese Steuern aber in ihrem Zusammenwirken nicht auf eine
Konfiskation hinauslaufen dürfen. Rechnet man eine 1 %ige
Vermögensteuer wie oben geschehen in eine 20 %ige Einkommensteuer
um und addiert man 50 % Einkommensteuer hinzu, so ergibt sich
selbst bei Preisstabilität und Vernachlässigung der indirekten
Steuern eine Gesamtbelastung von 70 %, die erkennbar nicht mehr
„in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und
öffentliche Hand“ verbleibt.“
Eine Vermögenssteuer wieder einzuführen ist somit nicht
zielführend und verfassungsrechtlich bedenklich. Wenn es eine
Einkommensteuer gibt, kann und darf es nicht gleichzeitig eine
Vermögensteuer geben. Was mit dem Vermögen erwirtschaftet wird,
wird durch die Einkommensteuer erfasst und erst wenn ein Vermögen
liquidiert wird, d. h. für persönlichen Konsum ausgegeben wird,
dann wird es auch automatisch durch die Mehrwertsteuer besteuert.
Nur so wird verhindert, dass Unternehmen durch Besteuerung
gebundenen Kapitals in finanzielle Engpässe gebracht werden, denn
eine passgenaue Erhebung von Vermögenssteuern, die gewährleistet,
dass Unternehmen nicht unnötig in die Insolvenz getrieben werden,
ist kaum möglich (Konzerne können ins Ausland ausweichen, kleinere
und mittlere Unternehmen haben diese Möglichkeit nicht).
Problematisch ist vor allem die Besteuerung von Kapitalvermögen,
das international in der Finanzwelt gemacht wird. Die
Vermögenssteuer ist eigentlich ein Überbleibsel aus einer anderen
Zeit. Sie belastet nur die althergebrachten Einkommensarten,
bietet aber keine „Tools“, um die neuen Gegebenheiten
finanztechnisch adäquat abzubilden.
Kurz und gut – ich persönlich bin generell gegen Steuererhöhungen.
Steuererhöhungen schaden letztendlich jedem. Der Staat soll
sparen. Wenn es überhaupt Steuererhöhungen geben muss, dann wäre
ich für die Anhebung von Konsumsteuern ( z.B. MwSt u. andere
Verbrauchssteuern ). Damit die unteren Einkommen nicht stärker
belastet werden, müssten Grundnahrungsmittel u. ä. komplett von
der Besteuerung ausgenommen werden. Diese Steuern würden die
geringsten Verzerrungen verursachen und die Steuererhebung würde
deutlich preiswerter ausfallen.
Grüße
Birgit Hemecker

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