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muenster - Re: [MS Piraten] Vermögenssteuern

muenster AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Kreis Münster/ NRW

Listenarchiv

Re: [MS Piraten] Vermögenssteuern


Chronologisch Thread 
  • From: Michael Jochmann <michael.jochmann AT gmx.net>
  • To: Kreis Münster/ NRW <muenster AT lists.piratenpartei.de>, emcgmbh AT aol.com
  • Subject: Re: [MS Piraten] Vermögenssteuern
  • Date: Thu, 28 Jun 2012 21:31:35 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/muenster>
  • List-id: Kreis Münster/ NRW <muenster.lists.piratenpartei.de>

OK, ich hab der Thread verpasst - erledigt

Am 28. Juni 2012 21:14 schrieb Michael Jochmann <michael.jochmann AT gmx.net>:
Danke für den sachkundigen Einwand, der für mich leider außerhalb jedes Diskussionsstrangs liegt. War das eine persönliche Stellungnahme oder ein Versuch sich inhaltlich einzubringen?

Wenn letzteres der Fall ist, kann über entsprechenden AGs informiert werden - einfach noch einmal schreiben.

micha

Am 28. Juni 2012 00:07 schrieb Birgit Hemecker <emcgmbh AT aol.com>:
Hallo,
zunächst einmal eine grundsätzliche Überlegung zum Unterschied zwischen Vermögensteuer und Einkommensteuer:
Die Vermögensteuer knüpft an eine Bestandgröße, nämlich das Vermögen, an, während die Einkommensteuer die Stromgröße Einkommen besteuert. Dies scheint zunächst so, als wenn es sich um völlig unterschiedliche Steuerarten handelt. Finanzmathematisch lässt sich jedoch jede Vermögenssteuer in eine gleichwertige Einkommensteuer umrechnen. So erzeugt z. B. bei einer EK-Rendite  von 5 % eine 1 %ige Vermögensteuer dieselbe Belastung wie eine 20 %ige Einkommensteuer.
Theoretisch wären also die beiden Steuerarten austauschbar, aber in der Praxis gibt es noch zwei wichtige Unterschiede zwischen der Vermögensteuer und der Einkommensteuer.
Hierzu zitiere ich den Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Stefan Homburg (Homburg, Stefan (1997) Allgemeine Steuerlehre, München: Vahlen, S. 148 ff.):
 
„Erstens belastet die Vermögensteuer im Unterschied zur Einkommensteuer nicht das Isteinkommen, also jenen Betrag, der dem Steuerpflichtigen nach Abzug erwerbsbedingter Ausgaben tatsächlich zufließt, sondern ein Solleinkommen. Hinsichtlich der Umverteilungswirkungen macht dies einen Unterschied, wenn Steuerpflichtige mit gleichem Vermögen unterschiedliche Einkommen erwirtschaften und erst recht, wenn man bedenkt, dass Steuerpflichtige mit höheren Vermögen aufgrund besserer Beratung regelmäßig höhere Renditen erzielen können. Jemand mit 100.000 Vermögen besitzt vielleicht Wertpapiere, die 5 % Zinsen abwerfen, während ein gut beratener Anleger mit einem Vermögen von 10 Millionen ertragreichere Anlageformen finden und Risiken besser diversifizieren kann. Insofern wirkt eine proportionale Vermögenssteuer im vertikalen Vergleich regressiv. Horizontal belastet die Vermögensteuer ungleich, wenn die tatsächlichen Renditen der Steuerpflichtigen zufallsbedingt oder systematisch voneinander abweichen. Im Hinblick auf das Ziel einer Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit ist die an das Solleinkommen anknüpfende Vermögensteuer einer am Isteinkommen orientierten Einkommensteuer deutlich unterlegen.
Zweitens leidet die Gleichmäßigkeit aller historisch bekannten Vermögensteuern an einem falschen Vermögensbegriff, der die oben geschilderte Äquivalenz zwischen Einkommen und Vermögen gründlich verkennt. Die der Vermögensteuer zugrundeliegende Steueridee besteht nämlich in der Belastung sogenannter fundierter Einkommen, zu denen vor allem die Einkünfte aus Kapitalvermögen, Grundvermögen und Unternehmertätigkeit gezählt werden. Hierdurch wird ein Vermögensgegenstand von immenser volkswirtschaftlicher Bedeutung, nämlich das Humankapital, ganz willkürlich aus der Bemessungsgrundlage herausgenommen, obwohl die Gleichwertigkeit von Einkommen und Vermögen selbstverständlich auch für Arbeitseinkommen und ihrem Barwert, eben das Humankapital, gilt. Der Terminus „fundiertes Einkommen“ soll eine höhere Sicherheit und damit eine höhere Belastbarkeit bestimmter Einkommensarten suggerieren und damit deren diskriminierende Besteuerung rechtfertigen. In Wirklichkeit ist es höchst fraglich, ob ein in Aktien angelegtes Vermögen oder eine Beamtenstelle auf Lebenszeit das „fundiertere“ Einkommen abwirft. Ein Beamter, der jährlich 100.000 brutto verdient und noch sehr viele Dienstjahre vor sich hat, besitzt laut (Formel für das Ertragswertverfahren) ein Humankapital von knapp 2 Millionen, wenn man einen Zins von 5 % ansetzt. Dieses Humankapital unterliegt nicht der Vermögensbesteuerung, während ein Aktienkapital mit einem Kurswert von 2 Millionen durch eine 1 %ige Vermögensteuer mit jährlich 20.000 belastet wird. Hierin liegt die gravierendste Ungleichmäßigkeit der Vermögensteuer. (Auf die vermögensteuerliche Behandlung des Humankapitals weist auch Schmidt (Schmidt, K. (1980) ....) hin, der eine solche Bevorzugung für besonders bedenklich hält „wenn das >>human capital<< gratis und franko von staatlichen Bildungseinrichtungen bezogen, das individuelle Vermögen aber aus hoch versteuertem Einkommen gebildet worden ist“.)
Auch bestimmte andere Einkommen – wie beispielsweise Renten aus der Gesetzlichen Rentenversicherung – werden häufig aus der Vermögensbesteuerung herausgenommen. Die Vermögensteuer belastet deshalb im Gegensatz zu einer synthetischen Einkommensteuer nicht alle Einkommensarten, sondern nur bestimmte. Sie entspricht üblicherweise einer Steuer auf Kapitaleinkommen, Bodeneinkommen und Reingewinne. ...
Abschließend sei erwähnt, dass die oben herausgestellte Äquivalenz der Einkommens- und Vermögensbesteuerung inzwischen auch vom Bundesverfassungsgericht in seinem wegweisenden Urteil vom 22. Juni 1995 ausdrücklich anerkannt worden ist: „Die Vermögensteuer darf deshalb zu den übrigen Steuern auf den Ertrag nur hinzutreten, soweit die steuerliche Gesamtbelastung des Sollertrages bei typisierender Betrachtung von Einnahmen, abziehbaren Aufwendungen und sonstigen Entlastungen in die Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentlicher Hand verbleibt“. (Bundesverfassungsgericht (1995) Urteil vom 25. Juni 1995. BStBl. 1995 II. 655 = EuGRZ 1995, 370.375. ...) Hiermit wird gesagt, dass eine mehrfache Belastung desselben Steuergegenstandes durch verschiedene Steuern zwar verfassungsrechtlich zulässig ist, diese Steuern aber in ihrem Zusammenwirken nicht auf eine Konfiskation hinauslaufen dürfen. Rechnet man eine 1 %ige Vermögensteuer wie oben geschehen in eine 20 %ige Einkommensteuer um und addiert man 50 % Einkommensteuer hinzu, so ergibt sich selbst bei Preisstabilität und Vernachlässigung der indirekten Steuern eine Gesamtbelastung von 70 %, die erkennbar nicht mehr „in der Nähe einer hälftigen Teilung zwischen privater und öffentliche Hand“ verbleibt.“
 
Eine Vermögenssteuer wieder einzuführen ist somit nicht zielführend und verfassungsrechtlich bedenklich. Wenn es eine Einkommensteuer gibt, kann und darf es nicht gleichzeitig eine Vermögensteuer geben. Was mit dem Vermögen erwirtschaftet wird, wird durch die Einkommensteuer erfasst und erst wenn ein Vermögen liquidiert wird, d. h. für persönlichen Konsum ausgegeben wird, dann wird es auch automatisch durch die Mehrwertsteuer besteuert. Nur so wird verhindert, dass Unternehmen durch Besteuerung gebundenen Kapitals in finanzielle Engpässe gebracht werden, denn eine passgenaue Erhebung von Vermögenssteuern, die gewährleistet, dass Unternehmen nicht unnötig in die Insolvenz getrieben werden, ist kaum möglich (Konzerne können ins Ausland ausweichen, kleinere und mittlere Unternehmen haben diese Möglichkeit nicht). Problematisch ist vor allem die Besteuerung von Kapitalvermögen, das international in der Finanzwelt gemacht wird. Die Vermögenssteuer ist eigentlich ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit. Sie belastet nur die althergebrachten Einkommensarten, bietet aber keine „Tools“, um die neuen Gegebenheiten finanztechnisch adäquat abzubilden.
Kurz und gut – ich persönlich bin generell gegen Steuererhöhungen. Steuererhöhungen schaden letztendlich jedem. Der Staat soll sparen. Wenn es überhaupt Steuererhöhungen geben muss, dann wäre ich für die Anhebung von Konsumsteuern ( z.B. MwSt u. andere Verbrauchssteuern ). Damit die unteren Einkommen nicht stärker belastet werden, müssten Grundnahrungsmittel u. ä.  komplett von der Besteuerung ausgenommen werden. Diese Steuern würden die geringsten Verzerrungen verursachen und die Steuererhebung würde deutlich preiswerter ausfallen.
 
Grüße
Birgit Hemecker

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