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ag-waffenrecht - Re: [Ag-waffenrecht] FAZ - Bericht über Psychopharmaka und Amokläufe

ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Waffenrecht

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Re: [Ag-waffenrecht] FAZ - Bericht über Psychopharmaka und Amokläufe


Chronologisch Thread 
  • From: Ralf Hagen <rhagen AT vralf-hagen.de>
  • To: Mailingliste der AG Waffenrecht <ag-waffenrecht AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Ag-waffenrecht] FAZ - Bericht über Psychopharmaka und Amokläufe
  • Date: Wed, 15 Jul 2015 21:54:59 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-waffenrecht>
  • List-id: Mailingliste der AG Waffenrecht <ag-waffenrecht.lists.piratenpartei.de>

Hallo,

Am 14.07.2015 um 19:47 schrieb Richard Wiesenmayer:
> bei der FAZ eben gefunden. Zaghafte Annäherung an den Themenkomplex
> Psychopharmaka und Amokläufe.

> http://tinyurl.com/pj34h8l

den Artikel sehe ich kritisch. Die "Arzneimittelpolitik" ist da m.E.
genauso "schuld" dran wie Waffen oder "Killerspiele".

Auch die FAZ zäumt den Gaul von hinten auf und verwechselt Ursache und
Wirkung.

Psychische Krankheiten verbreiten sich extrem, und das hat mit
"Modediagnosen" nichts zu tun. Filme wie "Matrix" oder "Dark City"
konnten überhaupt erst erfolgreich werden, weil sie Leute ansprachen -
nämlich, daß die Gesellschaft wie ein schlechter Film wirkt
("Dissoziation"), aus der es schön wäre, auszubrechen, aufzuwachen in
eine ganz andere, schwierigere, dafür lebenswertere Gesellschaft.

Hier von "verfehlter Arzneimittelpolitik" zu reden ist, als ob man bei
einem sehr durstigen Menschen nach Überanstrengung seinen großen
Wasserkonsum als Grund für Schäden hält.

* Psychopharmaka für Jugendliche:

Damit dürfte Methylphenidat gemeint sein, ein Handelsname von vielen:
"Ritalin". MPh ist das wohl besterforschte Psychopharmakum der Welt; wie
bei jedem Psychopharmakum gibt es offene Detailfragen. Was aber der
Effekt wo ist, ist weitgehend geklärt, und "Spätfolgen", wie die BILD
sie ständig behauptet, wären bei einem Mittel schon längst aufgefallen,
das seit den 1950ern auf dem Markt ist. (Auch Pharmainteressen sind
reiner Blödsinn bei einem Mittel ohne Patentschutz, das von vielen
Herstellern als Generikum angeboten wird.)

Meist wird zusätzlich zu MPh noch ein anderes Mittel eingestellt, weil
MPh eben nur auf die Konzentration wirkt (SDRI - Selektiver
Dopamin-Resorptions-Inhibitor - es erhöht entweder die
Dopaminkonzentration in einem bestimmten Gehirnareal, oder blockiert
Transportproteine, die Dopamin abbauen - das ist die "unerforschte
Frage". Effekt ist aber, daß dort mehr Dopamin zur Verfügung steht).
AD(H)S hat mehrere Komponenten, so daß auch ein S(N)SRI oftmals
verschrieben wird, der Serotonin und evtl. auch Noradrenalin "verstärkt".

Wenn zusätzlich zur sehr häufig notwendigen (ununterbrochen
siebenjährigen!) Medikamentengabe auch noch Therapieangebote zur
Verfügung stehen, macht das NULL.

* S(N)SRIs & Angststörungen
Selektive (Noradrenalin- und) Serotonin-Resorptions-Inhibitoren
("Prozac", "Cipramil/Cipralex", "Reboxetin", "Venlafaxin") führen per se
*nicht* zu Suiziden; die falsche Einstellung führt dazu.

Sie wirken, indem sie Antriebsschwäche und Stimmung verbessern, leider
nicht gleichzeitig: Erst wird die Antriebsschwäche verbessert, ohne daß
die Stimmung besser wird, erst wenige Wochen später hellt die sich auf.
Das bedeutet, daß sich ein psychisch Kranker zunächst weiter schlecht
fühlt, aber plötzlich "was dran tun" kann.

Jetzt geht bitte jeder kurz in sich und überlegt, wie schlecht es ihm
gehen muß, damit er seinem Leben ein Ende bereiten würde. GENAU dieses
Gefühl von Allgemeinbefinden zusammen mit Hoffnungslosigkeit, Ängsten
und VOR ALLEM der Überzeugung, daß das nie besser wird, erleben
Depressive VOR Medikamentengabe.

Eine "verfehlte Medikamentenpolitik" ist ein Euphemismus, daß man diese
Leute weiter vor die Hunde gehen läßt, weil sie durch ihre hoffnungslos
empfundene Lage "der Gesellschaft" nicht durch Taten zur Last fallen
würden. Das ist so ziemlich das KRASSE GEGENTEIL von einem solidarischen
Gesundheitssystem und Nächstenliebe.

Angststörungen sind ähnlich schlimm.

Es *KANN* also keine Diskussion darum geben, ob man diesen Menschen hilft.

* Lösungen

Wenn jemand medikamentös gut eingestellt ist, stellen sich diese Fragen
nach seiner "Gefährlichkeit" nicht mehr. Seine Suizidalität,
Unfallwahrscheinlichkeit etc.pp. sind genau so hoch wie die restliche
Bevölkerung.

Die gesteigerten (erweiterten) Selbstmorde *während des Beginns der
medikamentösen Einstellung* kann man einerseits durch intensive
Betreuung während der Einstellung z.B. durch eine Tagesklinik oder 2-3
wöchentliche Termine beim Neuro-Psych abfedern, am besten durch
stationäre Aufnahme in einer Nervenklinik. Der Hausarzt sollte solche
Medikamente schlicht nicht verschreiben.

Die andere Möglichkeit ist, mehr Menschen zu schulen, die Probleme bei
anderen schneller erkennen, sie drauf ansprechen, und sie auch dazu
bringen, sich einfach mal "auszukotzen". Nach Ramstein und "9/11" gibt
es für Einsatzkräfte derartige Programme, auch für Studenten etc. werden
solche PSUs (Psycho-Soziale Unterstützungsmaßnahmen) angeboten. Da müßte
mehr laufen. Als ich noch auf dem RTW gesessen habe, habe ich übrigens
hin und wieder schlicht den örtlichen Pfarrer beigerufen, die sind für
solche Fälle seit langem geschult.

* KEINE Lösungen

...sind Berufsverbote für Depressive (wie nach dem Absturz der
Germanwings-Maschine verlangt), Aushebelung der ärztlichen
Schweigepflicht ans Ordnungsamt (...das dann am besten noch den
Führerschein gerade mit einzieht...) und sonstige Repressionen. Ein
Betroffener, der befürchten muß, wenn er sich Hilfe sucht ist sein
Führerschein und seine WBKs und evtl. seine Arbeitsfähigkeit weg, führt
nur zu einem unsäglichen "Don't ask, Don't tell", wie es bei
Tauglichkeitsuntersuchungen SCHON JETZT ein Problem ist.

...In http://www.delif.de/2015/07/amok-populismus/ steht so ziemlich
dasselbe drin. Auch fürs Waffenrecht ist es keine Lösung, alle Jäger und
Sportschützen anlaßlos unter Verdacht zu stellen, bloß weil sie mit
Depressionen zu kämpfen haben - was JEDEM passieren kann.

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Dingo

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