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Betreff: Ag-umwelt mailing list
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- From: Hanns-Jörg Rohwedder <danebod AT arcor.de>
- To: AG Umwelt <ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [Ag-umwelt] Fwd: [EKiB!] Kipppunkt Golfstrom
- Date: Tue, 14 Apr 2015 22:21:58 +0200
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
- List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>
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Betreff: [EKiB!] Kipppunkt Golfstrom
Datum: Tue, 14 Apr 2015 09:24:19 +0000
Von: esche AT riseup.net
Antwort an: esche AT riseup.net
An: energiekaempfe AT lists.riseup.net
Der Einfluss der Erderwärmung auf den Golfstrom war in den 90er Jahren
ein präsentes Thema, war dann jedoch in den Hintergrund getreten.
Nunmehr ist der Einfluss des Klimawandels auf den Golfstrom direkt
messbar geworden, hierzu gab es mehrere Meldungen in der Presse und auf
klimaretter.info
Der angehängte Beitrag von Stefan Rahmsdorf zeigt auf, dass die Gefahr
des kompletten (und erst einmal unwiderruflichen -> "Kipppunkt")
Abreißens des Golfstroms in diesem Jahrhundert wahrscheinlich bislang
unterschätzt ist:
"Wenn unsere Analyse stimmt, dann deutet dies darauf hin, dass
Klimamodelle die Abschwächung der Atlantikströmung durch die globale
Erwärmung unterschätzen – wahrscheinlich weil die Strömung in diesen
Modellen zu stabil ist (siehe dazu Hofmann und Rahmstorf 2009). Denn
die Modelle sagen zwar für die Zukunft eine deutliche Abschwächung
vorher, nicht aber schon so früh wie die Beobachtungsdaten es zeigen
(siehe Abb. 2 unseres Papers). Dass die reale Strömung womöglich noch
instabiler als Gedacht ist, das wäre eine schlechte Nachricht für die
Zukunft.
Schwächt die Strömung sich zu stark ab, kann sie sogar ganz abreißen –
sie hat einen bekannten „Kipppunkt“ (Lenton et al. 2008). Der aktuelle
IPCC-Bericht gibt (ebenso wie der vorherige) eine Wahrscheinlichkeit
von bis zu 10% dafür an, dass dies schon in diesem Jahrhundert
passieren könnte. Allerdings beruht diese Einschätzung auf den
Modellen, die die Gefahr wie gesagt unterschätzen könnten.
Expertenbefragungen zeigen, dass viele Forscher das Risiko höher
einschätzen als der traditionell konservative IPCC (ähnlich wie beim
Meeresspiegel). In einer detaillierten Befragung (Kriegler et al. 2009)
sahen die 16 interviewten Experten schon bei einer moderaten globalen
Erwärmung (2 – 4 °C) die Wahrscheinlichkeit eines Umkippens der
Strömung zwischen 5 und 40 Prozent. Bei starker globaler Erwärmung (4 –
8 °C) wurde diese Wahrscheinlichkeit sogar als zwischen 20 und 65
Prozent eingeschätzt."
http://www.scilogs.de/klimalounge/was-ist-los-im-nordatlantik/?utm_source=rss&utm_medium=rss&utm_campaign=was-ist-los-im-nordatlantik
--
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- From: Stefan Rahmstorf
- Subject: Was ist los im Nordatlantik?
- Date: Mon, 23 Mar 2015 16:12:13 GMT
Der Nordatlantik zwischen Neufundland und Irland ist praktisch die einzige Weltgegend, die der globalen Erwärmung getrotzt und sich sogar abgekühlt hat. Vergangenen Winter gab es dort sogar einen neuen Kälterekord - während es global der wärmste Winter seit Beginn der Aufzeichnungen war. Unsere neue Studie (Rahmstorf et al. 2015) führt das auf eine Abschwächung des Golfstromsystems zurück, die in den letzten tausend Jahren offenbar einmalig ist.
Die ganze Welt erwärmt sich. Die ganze Welt? Nein! Eine Region im subpolaren Atlantik hat sich im vergangenen Jahrhundert abgekühlt – einmalig in den Weltgegenden mit vernünftiger Datenabdeckung (Abb. 1). Was also ist so besonders an dieser Region zwischen Neufundland und Irland?
Abb. 1 Linearer Temperaturtrend von 1900 bis 2013. Die Abkühlung im subpolaren Nordatlantik ist bemerkenswert und durch viele Messungen gut belegt - anders als der kalte Fleck im zentralen Afrika, der bei näherer Betrachtung offenbar ein Artefakt lückenhafter und inhomogener Wetterdaten ist.
Es handelt sich just um jene Gegend, für die Klimamodelle eine Abkühlung vorhersagen, wenn das Golfstromsystem sich abschwächt (die Forscher sprechen von der "Atlantic Meridional Overturning Circulation" oder AMOC, als Teil des "globalen Förderbandes"). Dass es dies infolge der globalen Erwärmung tun könnte, wird schon seit den 1980er Jahren in der Fachwelt diskutiert – seit Wally Broeckers klassischem Nature-Paper "Unpleasant surprises in the Greenhouse?" In den letzten Jahren häufen sich die Belege, dass diese Abschwächung bereits im Gange ist.
Die Atlantikzirkulation als Teil der globalen Umwälzbewegung der Weltmeere in einer Animation der NASA.
Schwer zu messen
Die Klimamodelle lassen schon lange eine solche Abschwächung erwarten – sowohl der aktuelle 5. als auch der vorherige 4. IPCC-Bericht von 2007 nennen eine Abschwächung in diesem Jahrhundert „sehr wahrscheinlich“, was mindestens 90% Wahrscheinlichkeit bedeutet. Bei ungebremsten Emissionen ist laut IPCC bis zum Jahr 2100 mit 12 bis 54% Abschwächung zu rechnen (siehe dazu auch die aktuellen probabilistischen Projektionen von Schleussner et al. 2014). Doch die tatsächliche vergangene Entwicklung der Strömung lässt sich mangels direkter Messdaten nur schwer rekonstruieren. Deshalb verwenden wir in unserer Studie Daten über die Meeresoberflächentemperaturen, um auf die Stärke der Strömung zu schließen: wir nutzen dazu die Temperaturdifferenz zwischen der von der Atlantischen Umwälzbewegung (AMOC) am stärksten beeinflussten Region und der restlichen Nordhalbkugel.
Abb. 2 Schema der Atlantikzirkulation. Oberflächenströme in rot, Tiefenströme in blau, Meereisdecke im Winter in weiß. (Quelle: Rahmstorf, Nature 1997)
Nun sind wir nicht die ersten, die aus Temperaturdaten gefolgert haben, dass die Strömung sich abgeschwächt haben muss - das zeigten bereits u.a. Dima und Lohmann 2010 oder Drijfhout et al. 2012 (für weitere Belege siehe die Einleitung unseres Papers). Neu ist jedoch, dass wir (in einer Kooperation mit Mike Mann) aus Proxydaten rekonstruierte Temperaturen ab dem Jahr 900 nach Christus ((Mann et al. 2009) verwenden, um die Strömungsstärke über die gesamten letzten 1100 Jahre abzuschätzen (Abb. 3). Dabei ergibt sich, dass trotz der vergleichsweise großen Unsicherheiten in den Proxydaten die Schwäche der Strömung ab 1975 mit mindestens 99-prozentiger Wahrscheinlichkeit einmalig seit mehr als eintausend Jahren ist. Das spricht stark dafür, dass es sich nicht um natürliche Strömungsschwankungen handelt sondern um eine Folge der globalen Erwärmung.
Abb. 3 Verlauf der Temperaturdifferenz zwischen dem subpolaren Nordatlantik und der gesamten Nordhalbkugel, die als Indikator für die Stärke der Atlantikzirkulation interpretiert werden kann.
Auch das Jahr 2014 zeigt wieder eine bemerkenswerte Kälteblase über dem nördlichen Atlantik – wie z.B. ein Blick auf die NASA-Website zeigt. 2014 war global das wärmste Jahr seit Beginn der Aufzeichnungen, 1 Grad wärmer als der Mittelwert über 1880-1920. Aber der subpolare Nordatlantik war 1-2 °C kälter als in diesem Zeitraum. Und erst letzte Woche gab die NOAA die in Abb. 4 gezeigte Datenauswertung für den vergangenen Winter bekannt. Global war das der wärmste Winter seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1880. Aber im subpolaren Atlantik war es der kälteste! Das deutet darauf hin, dass die Abschwächung der Strömung inzwischen noch weiter vorangeschritten ist, als wir es in unserem Paper diskutiert haben.
Abb. 4 Temperaturanomalien für die vergangenen Monate Dezember-Januar-Februar, nach NOAA.
Die Rolle von Grönland
Ein weiterer neuer Aspekt ist die Bedeutung des zunehmenden Abschmelzens des grönländischen Eispanzers, wodurch zusätzliches Süßwasser in den Nordatlantik gelangt und das Meerwasser verdünnt. Dazu haben wir mit dem Grönlandexperten Jason Box zusammen gearbeitet, der die Massenbilanz von Grönland seit dem Jahr 1840 rekonstruiert hat (Abb. 6 des Papers - siehe dazu auch seinen Blog). Durch die Eisschmelze kommen Süßwassermengen zusammen, die einen wichtigen Beitrag zur beobachteten Abnahme des Salzgehalts im Nordatlantik geleistet haben dürften – wahrscheinlich auch zu der unter Ozeanographen berühmten „großen Salzgehaltsanomalie“ der 1970er Jahre.
Schmelzwassersee auf dem grönländischen Eisschild. Foto: Ian Joughin.
Was bedeutet die Abschwächung?
Die Folgen einer starken Abschwächung des Golfstromsystems sähen zwar nicht so aus wie im Roland-Emmerich-Film The Day After Tomorrow. Sie wären aber keineswegs harmlos, z.B. für den Meeresspiegel (Levermann et al. 2005) insbesondere auch an der US-Atlantikküste (Yin et al. 2009), Meeresökosysteme, die Fischerei und womöglich auch für Stürme in Europa (Woollings et al. 2012). Wir haben sie vor Jahren in einem interdisziplinären Projekt mit Kollegen aus Bremerhaven, Hamburg und Norwegen untersucht – zusammengefasst sind die Ergebnisse in Kuhlbrodt et al. 2009.
Wenn unsere Analyse stimmt, dann deutet dies darauf hin, dass Klimamodelle die Abschwächung der Atlantikströmung durch die globale Erwärmung unterschätzen – wahrscheinlich weil die Strömung in diesen Modellen zu stabil ist (siehe dazu Hofmann und Rahmstorf 2009). Denn die Modelle sagen zwar für die Zukunft eine deutliche Abschwächung vorher, nicht aber schon so früh wie die Beobachtungsdaten es zeigen (siehe Abb. 2 unseres Papers). Dass die reale Strömung womöglich noch instabiler als Gedacht ist, das wäre eine schlechte Nachricht für die Zukunft.
Schwächt die Strömung sich zu stark ab, kann sie sogar ganz abreißen – sie hat einen bekannten „Kipppunkt“ (Lenton et al. 2008). Der aktuelle IPCC-Bericht gibt (ebenso wie der vorherige) eine Wahrscheinlichkeit von bis zu 10% dafür an, dass dies schon in diesem Jahrhundert passieren könnte. Allerdings beruht diese Einschätzung auf den Modellen, die die Gefahr wie gesagt unterschätzen könnten. Expertenbefragungen zeigen, dass viele Forscher das Risiko höher einschätzen als der traditionell konservative IPCC (ähnlich wie beim Meeresspiegel). In einer detaillierten Befragung (Kriegler et al. 2009) sahen die 16 interviewten Experten schon bei einer moderaten globalen Erwärmung (2 – 4 °C) die Wahrscheinlichkeit eines Umkippens der Strömung zwischen 5 und 40 Prozent. Bei starker globaler Erwärmung (4 – 8 °C) wurde diese Wahrscheinlichkeit sogar als zwischen 20 und 65 Prozent eingeschätzt.
Abb. 5 Die Meerestemperatur-anomalien vom 20. März 2015. Diese sind relativ zu der im Nordatlantik ohnehin schon kalten Referenzperiode 1979-2000. Quelle: Climate Reanalyzer.
Weblinks
Zum Hintergrund lesenswert sind diese beiden früheren KlimaLounge-Beiträge zum Golfstromsystem:
Golfstrom und Wahrheit
Tagesschau zum Golfstrom
Die Washington Post zu unserem Paper
Und The Independent
Die Süddeutsche Zeitung
Peter Sinclair hat ein kurzes Video über unser Paper mit Interviewclips mit Mike Mann, Jason Box und mir.
Climate Central: Atlantic Circulation Weaker Than In Last Thousand Years
Climate Central: Ocean Changes Linked to 2010 Hurricanes, Bitter Winters
Literatur
S. Rahmstorf, J.E. Box, G. Feulner, M.E. Mann, A. Robinson, S. Rutherford, and E.J. Schaffernicht, "Exceptional twentieth-century slowdown in Atlantic Ocean overturning circulation", Nature Climate change, 2015. http://dx.doi.org/10.1038/nclimate2554 W.S. Broecker, "Unpleasant surprises in the greenhouse?", Nature, vol. 328, pp. 123-126, 1987. http://dx.doi.org/10.1038/328123a0 C. Schleussner, A. Levermann, and M. Meinshausen, "Probabilistic projections of the Atlantic overturning", Climatic Change, vol. 127, pp. 579-586, 2014. http://dx.doi.org/10.1007/s10584-014-1265-2 M. Dima, and G. Lohmann, "Evidence for Two Distinct Modes of Large-Scale Ocean Circulation Changes over the Last Century", Journal of Climate, vol. 23, pp. 5-16, 2010. http://dx.doi.org/10.1175/2009jcli2867.1 S. Drijfhout, G.J. van Oldenborgh, and A. Cimatoribus, "Is a Decline of AMOC Causing the Warming Hole above the North Atlantic in Observed and Modeled Warming Patterns?", Journal of Climate, vol. 25, pp. 8373-8379, 2012. http://dx.doi.org/10.1175/jcli-d-12-00490.1 M.E. Mann, Z. Zhang, S. Rutherford, R.S. Bradley, M.K. Hughes, D. Shindell, C. Ammann, G. Faluvegi, and F. Ni, "Global Signatures and Dynamical Origins of the Little Ice Age and Medieval Climate Anomaly", Science, vol. 326, pp. 1256-1260, 2009. http://dx.doi.org/10.1126/science.1177303 A. Levermann, A. Griesel, M. Hofmann, M. Montoya, and S. Rahmstorf, "Dynamic sea level changes following changes in the thermohaline circulation", Clim Dyn, vol. 24, pp. 347-354, 2005. http://dx.doi.org/10.1007/s00382-004-0505-y J. Yin, M.E. Schlesinger, and R.J. Stouffer, "Model projections of rapid sea-level rise on the northeast coast of the United States", Nature Geosci, vol. 2, pp. 262-266, 2009. http://dx.doi.org/10.1038/ngeo462 T. Woollings, J.M. Gregory, J.G. Pinto, M. Reyers, and D.J. Brayshaw, "Response of the North Atlantic storm track to climate change shaped by ocean–atmosphere coupling", Nature Geosci, vol. 5, pp. 313-317, 2012. http://dx.doi.org/10.1038/NGEO1438 T. Kuhlbrodt, S. Rahmstorf, K. Zickfeld, F.B. Vikebø, S. Sundby, M. Hofmann, P.M. Link, A. Bondeau, W. Cramer, and C. Jaeger, "An Integrated Assessment of changes in the thermohaline circulation", Climatic Change, vol. 96, pp. 489-537, 2009. http://dx.doi.org/10.1007/s10584-009-9561-y M. Hofmann, and S. Rahmstorf, "On the stability of the Atlantic meridional overturning circulation", Proceedings of the National Academy of Sciences, vol. 106, pp. 20584-20589, 2009. http://dx.doi.org/10.1073/pnas.0909146106 T.M. Lenton, H. Held, E. Kriegler, J.W. Hall, W. Lucht, S. Rahmstorf, and H.J. Schellnhuber, "Tipping elements in the Earth's climate system", Proceedings of the National Academy of Sciences, vol. 105, pp. 1786-1793, 2008. http://dx.doi.org/10.1073/pnas.0705414105 E. Kriegler, J.W. Hall, H. Held, R. Dawson, and H.J. Schellnhuber, "Imprecise probability assessment of tipping points in the climate system", Proceedings of the National Academy of Sciences, vol. 106, pp. 5041-5046, 2009. http://dx.doi.org/10.1073/pnas.0809117106
--- End Message ---
- [Ag-umwelt] Fwd: [EKiB!] Kipppunkt Golfstrom, Hanns-Jörg Rohwedder, 14.04.2015
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