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- From: "Andreas Rohrmann" <andreas AT rohrmann.com>
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- Subject: [Ag-umwelt] Terrorstudie: Atomausstieg - die nukleare Verstopfung
- Date: Sat, 21 Mar 2015 21:55:32 +0100
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http://www.taz.de/Terrorstudie-gefaehrdet-Atomausstieg/!156817/
Terrorstudie gefährdet Atomausstieg
Es droht die nukleare Verstopfung
Bund und Länder wollten sich einigen, wer deutschen Atommüll aus dem
Ausland aufnimmt. Die Zwischenlagersuche ist offiziell gescheitert.
Es sind Albträume in bestem Behördendeutsch: Terroristen
überwältigen die Wachmannschaft eines atomaren Zwischenlagers in
Deutschland. Sie sprengen die massiven Türen zur Lagerhalle. Dort steht
ein Dutzend der fünf Meter hohen Castor-Behälter voller Atommüll. Zwei
der Selbstmordattentäter feuern tragbare panzerbrechende Raketen auf
einen der Container, in dem 52 hoch radioaktive Brennelemente vor sich
hin strahlen. Die Region um AKW und Zwischenlager wird kilometerweit
nuklear verseucht.
Auch das andere Szenario für eine "Störmaßnahme oder sonstige Einwirkung
Dritter" (SEWD) macht einen deutschen Atomstandort weitläufig zur
Todeszone: Nach dem Vorbild der Attentäter des 11. September 2001 in New
York und Washington bringen Terroristen einen Airbus A 380 im deutschen
Luftraum in ihre Gewalt und lassen ihn punktgenau auf ein nukleares
Zwischenlager abstürzen. Die Wucht des Einschlags und die Explosion des
leicht entzündbaren Kerosins verwüsten das Zwischenlager.
Solche Planspiele stehen in einem geheimen Dokument der Bundesregierung
mit dem Titel "Sicherung von Zwischenlagern - relevante
Einwirkungsmöglichkeiten unter Berücksichtigung neuer Erkenntnisse und
resultierende Nachrüstmaßnahmen". Die Studie ist streng unter
Verschluss, seit sie am 15. April 2011 in kleinstem Kreis verteilt
wurde. Vier Jahre später entfaltete das Papier seine Langzeitwirkung,
und zwar am Mittwoch dieser Woche vor dem Umweltausschuss des
Bundestags: Der Parlamentarische Staatssekretär im Umweltministerium,
Florian Pronold, bekräftigte vor den Abgeordneten, der Konsens bei der
Suche nach einer Heimat für 26 Castor-Behälter aus dem Ausland sei
gescheitert.
Der Zeitplan für den Atomausstieg gerät ins Wanken. Ursache ist die
Geheimhaltung genau jener Studie. Denn seit dem 8. Januar 2015 stehen
die Atom-Uhren in Deutschland still. Da entschied das
Bundesverwaltungsgericht, dass der Entzug der Genehmigung für das
Zwischenlager Brunsbüttel rechtmäßig sei. Dort wo die Elbe in die
Nordsee fließt sollten ein Teil der 26 Castor-Behälter mit nuklearen
Abfällen aus Großbritannien gelagert werden, die 2016 nach Deutschland
zurückkommen sollen. Die erfolgreichen Kläger gegen Brunsbüttel hatten
argumentierten, dass das zuständige Bundesamt für Strahlenschutz (BfS)
bei der Genehmigung nicht ausreichend bewiesen habe, dass die
Sicherheitsanforderungen aus der Geheimstudie vom April 2011 erfüllt
seien. Zwar riefen Bund, Land und Energiekonzerne sofort: "Das Lager ist
sicher!" Aber den Prozess verloren sie trotzdem.
Das startet nun eine Kettenreaktion: Ohne Brunsbüttel keine Einigung bei
der Verteilung der Castoren; ohne Einigung keine Klarheit über die
Zukunft der Zwischenlager an den AKWs; ohne Zwischenlager keine Planung
für Abschaltung und Abriss der AKWs; ohne Abschaltung kein Atomausstieg.
Das Umweltministerium schreibt an einem Konzept, wie die Castoren
verteilt werden sollen. Das ist der letzte Schuss: "Auf Freiwilligkeit
der Länder können wir nicht länger setzen", sagt der zuständige
Staatssekretär Jochen Flasbarth gegenüber der taz. "Sollte das Konzept
nicht akzeptiert werden, müssen die Betreiber selbst einen Ausweg
finden." Wie der aussehen könnte, weiß niemand.
Sicherheit vor Öffentlichkeit
Die Behörden haben sich selbst in eine Sackgasse manövriert. Denn seit
den Selbstmordanschlägen vom 11. September 2001 treibt sie eine Angst:
Im nächsten Jahrzehnt werden sich an den deutschen Atomstandorten über
1.000 Castoren mit stark strahlender Fracht ansammeln - ein
möglicherweise lohnendes Ziel für Anschläge. Um Terroristen keine
Einzelheiten über die Sicherung der deutschen Atomanlagen zu geben,
machten die Behörden die Schotten dicht. Sicherheit vor Öffentlichkeit.
Daran ist nun der Brunsbüttel-Prozess gescheitert, sagt die
Bundesregierung. Und verhandelt gerade aufgeschreckt zwischen Umwelt-
und Justizministerium darüber, wie "geheimschutzbedürftige Informationen
angemessen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren eingeführt werden
können", heißt es. Das nächste Urteil zu den Zwischenlagern - diesmal am
AKW Unterweser - steht wahrscheinlich noch in diesem Jahr an, vor dem
Oberverwaltungsgericht Lüneburg.
Im Endeffekt ist bisher nur eines von zwölf geplanten Zwischenlagern
ausgefallen. Nicht so schlimm, könnte man denken. Aber Robert Habeck
sagt: "Wir stehen vor dem Nichts. Das Urteil fordert die Diskussion
völlig neu." Habeck ist als grüner Umweltminister Schleswig-Holsteins
zuständig für das abgeurteilte Zwischenlager Brunsbüttel.
Habeck hatte sein Land für die Aufnahme der Castoren angeboten. 2013
versprachen Angela Merkel und ihr damaliger Umweltminister Peter
Altmaier den Ländern, sie könnten selbst darüber entscheiden, wo die
insgesamt 26 Castoren mit dem deutschen Müll aus den
Aufbereitungsanlagen in Sellafield und La Hague gelagert werden sollten.
Aber außer Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg wollte kein Land das
strahlende Erbe des Atomstroms aufnehmen. Frustriert zog nun Berlin das
Problem wieder an sich.
Zerbröselter Konsens
Und plötzlich wackelt der ganze Plan vom geordneten Rückzug aus dem
Atomzeitalter. Was vor vier Jahren nach Fukushima mit dem Atomgesetz und
dem Ausstieg bis 2022 begann, der schöne Konsens über die Lösung einer
Zukunftsfrage, zerbröselt an wirtschaftlichen Interessen, Egoismen und
dem Gefühl, alte Rechnungen begleichen zu müssen.
Dabei haben die Energiekonzerne und die Behörden nach dem doppelten
Schock vom Frühjahr 2011 - Fukushima und "neue Gefährdungslage" durch
Terrorangriffe - allerhand getan. Die Atomkonzerne haben ihre
Zwischenlager mit Genehmigung der Behörden, aber unter Ausschluss der
Öffentlichkeit "gehärtet", also nachgerüstet: Sie bestellen mehr
Wachmannschaften, schicken gepanzerte Fahrzeuge auf Patrouille, lassen
neue Wände bauen, mauern Gitteröffnungen zu oder stellen Castor-Behälter
um. Und schweigen sich aus. Denn die Maßnahmen sind mit der
zweithöchsten Sicherheitsstufe des Staats belegt: "geheim". Personen,
die die Aktenordner mit der SEWD-Richtlinie im Tresor stehen haben,
sagen nicht einmal, wie viele Seiten die Studie von 2011 hat.
Ging der Prozess um Brunsbüttel tatsächlich wegen dieser strikten
Geheimhaltung verloren? Unsinn, sagt eine Gerichtssprecherin gegenüber
der taz. Die Behörde habe einfach "Ermittlungs- und Bewertungsfehler"
gemacht.
Die Ironie der Geschichte: Jahrzehntelang haben Atomgegner mit der
"Verstopfungstheorie" versucht, das Ende der deutschen AKW
herbeizuboykottieren. Weil im Atomgesetz für den Betrieb der
Atomkraftwerke gefordert wurde, dass es Fortschritte bei der Entsorgung
gibt, waren die Proteste gegen Gorleben und die
Wiederaufarbeitungsanlage in Wackersdorf auch Proteste gegen die
Atomkraftwerke.
Grüne Umweltminister
Jetzt aber bringt die atomare Verstopfung in Deutschland bei den letzten
Atomtransporten aus dem Ausland genau das in Schräglage, was alle
Atomgegner immer wollten: den geordneten Rückzug aus der
Nuklearwirtschaft. Und die nächste Ironie: Wer damals protestierte, ist
heute für die Zwischenlagerung zuständig; in vier von fünf Ländern mit
aktiven Atomstandorten stellen die Grünen die Umweltminister. Wer damals
die Transporte rollen ließ - das Land Bayern etwa - verweigert jetzt die
Rücknahme und verschärft die Situation.
Die Zeit wird knapp. 2016 sollen die Castoren aus England zurückkehren,
jede Verzögerung kann Millionen kosten. Dafür müssen die Konzerne
Anträge stellen, wo sie hin sollen. Das ist bislang nicht passiert. Die
Konzerne wollen den Strahlenmüll nach wie vor am liebsten nach Gorleben
bringen, wo sie bereits 1,6 Milliarden Euro investierten. Das aber haben
Bund und Länder politisch ausgeschlossen, damit in der
"Endlagerkommission" des Bundestags eine offene Debatte beginnen kann.
Wenn der Vorschlag des Bunds keine Lösung bringt, verstopft der Müll das
System: Es wird mehr Verfahren beim BfS geben, das bereits jetzt so viel
Atom-Bürokratie zu bewältigen hat wie noch nie. Es wird noch mehr
Prozesse geben als die bislang zwei Dutzend Verfahren mit einem
Streitwert im zweistelligen Milliardenbereich. Und es wird die Suche
nach einem nationalen Endlager noch weiter belasten, den alten Streit
zwischen Atomfans und -gegnern mit frischem Streit über Standorte und
Verantwortung aufladen.
- [Ag-umwelt] Terrorstudie: Atomausstieg - die nukleare Verstopfung, Andreas Rohrmann, 21.03.2015
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