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ag-umwelt - [Ag-umwelt] Bericht zur Wiener ASPO Konferenz zu Peak Oil II

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Betreff: Ag-umwelt mailing list

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[Ag-umwelt] Bericht zur Wiener ASPO Konferenz zu Peak Oil II


Chronologisch Thread 
  • From: Johannes Nix <johannes.nix AT gmx.net>
  • To: Mailingliste der AG Energiepolitk <energie_und_infrastruktur AT lists.piratenpartei.de>, Piratenpolitik mit Weitsicht <ag-nachhaltigkeit AT lists.piratenpartei.de>, ag-umwelt AT lists.piratenpartei.de, ag-soziale_marktwirtschaft <ag-soziale_marktwirtschaft AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: [Ag-umwelt] Bericht zur Wiener ASPO Konferenz zu Peak Oil II
  • Date: Wed, 6 Jun 2012 19:23:06 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-umwelt>
  • List-id: <ag-umwelt.lists.piratenpartei.de>

Hallo,

Hier nun auch mein etwas ausführlicherer Bericht zur Konferenz
der ASPO (Association on the Study of Peak Oil and Gas) in
Wien. Damit es lesbar beibt, habe ich Zwischenüberschriften eingefügt.
Weil dies gestern bei der Energie-Telefonkonferenz angemerkt wurde:
scheut euch gegebenenfalls nicht zu den interessanteren Stellen zu
springen und diese in eigenen Threads zu diskutieren,
das ist so für alle übersichtlicher.


ASPO - DIE ORGANISATION

Sehr neugierig war ich auf die Real-Life-Begegnung
mit ASPO Mitgliedern. Die ASPO besteht im Wesentlichen
aus Wissenschaftlern, Senior-Erdölgeologen und
Ingenieuren, die sich zusammengeschlossen haben
um die Konsequenzen rückläufiger Ölfunde zu
untersuchen. Sie sind also ein bißchen wie die
Piraten eine Nerd-Organisation. Ich kann mir daher
vorstellen, dass eine Stellwand zur Energiepolitik
der Piraten da in Zukunft ganz gut hinpassen würde.

Hinzu kommen zunehmend Menschen, die sich im
Bereich Klimaschutz engagieren.

Sehr positiv aufgefallen ist mir der Optimusmus
der ASPO-Mitglieder. Kjell Aleklett zum Beispiel
hat einen unerschütterlichen Glauben an
das Prinzip Transparenz und dass ein Wissen
um die Realitäten Menschen in die Lage versetzt,
auf ihre Zukunft positiv Einfluß zu nehmen
und gewaltsame Konflikte zu vermeiden.

Völlig unsinnig finde ich übrigens die Kritik,
dass die Positionen der ASPO zweckdienliche
PR sind, um den Ölpreis zu steigern. Wenn man die
Prognosen ernst nimmt, gibt es nur ein vernünftiges
verhalten, nämlich die Abhängigkeit vom Öl möglichst
schnell drastisch zu reduzieren, und dies senkt
natürlich - ebenso wie konsequenter Klimaschutz -
die Gewinne und Asset-Werte der Ölindustrie erheblich
da eine sinkende Nachfrage stark sinkende Preise
zur Folge hat.

KONFERENZTEILNEHMER

Zusätzlich zu den oben Genannten waren nicht
wenige Journalisten anwesend, dazu einige
hochinteressierte Einzelpersonen
aus Osteuropa. Außerdem diverse Vertreter
unabhängiger Beratungsfirmen aus dem
Bereich der Ölexploration sowie Finanzleute.

Diesmal waren auch diverse Regierungsvertreter
da, u.a. von der Bundesanstalt für Geowissenschaften
und Rohstoffe (BGR), dem Bundeskanzleramt
und Claudia Kemfert. Was ASPO diesmal
noch nicht gelang, war das erklärte Ziel
Vertreter von "Big Oil", den großen Ölfirmen
also, zu beteiligen.

AKTUELLE PROGNOSEN

Gespannt war ich darauf, ob die ASPO Vertreter
ihre Prognosen angesichts des momentanen Shale
Gas Booms in den USA irgendwie revidieren würden.
Das haben sie nicht getan - von der Prognose,
dass das konventionelle Öl die Maximale Förderung
wahrscheinlich 2006 erreichte, gingen sie keinen
Zentimeter zurück.

Nun, die bisherigen Prognosen haben sich zu einem großen Teil
bestätigt, denn die globale Ölproduktion wächst seit
2006 praktisch nicht mehr, und die IEA sowie auch die
BGR übernehmen zunehmend die Einschätzung der ASPO
bezüglich des konventionellen Öls.

http://www.peak-oil.com/2012/06/aspo-2012-in-wien-ein-kurzbericht/

Dazu muss man wissen, dass in den Medien immer
wieder angeblich riesige Neufunde an Öl berichtet werden,
die nur für heutige Verhältnisse groß sind.
Das Macondo-Ölfeld etwa, dessen Inhalt die
Deepwater Horizon in die Luft pustete, gilt
heute als sehr groß, es würde den Weltbedarf
aber nicht einmal für zwei Tage decken. An die
Dimension der allmählich zur Neige gehenden
Felder des Nahen Ostens, die seit mehr als vierzig
Jahren Öl liefern, kommt das nicht
einmal ansatzweise heran.

Das unkonventionelle Öl,
also Ölsande und "Schieferöl" sowie Shale Gas
wird nach Ansicht der ASPO wegen seinem niedrigen
Ausbaustand und des nur begrenzt möglichen Wachstums
das Maximum der gesamten Ölförderung nur sehr
begrenzt verschieben - Robert Hirsch sprach sogar von
von einem möglichen Zeitrahmen von eins bis vier Jahren
bis zum Rückgang der gesamten Förderung. Aber
die zeitliche Dimension ist natürlich nicht
sicher, da einfach vieles passieren kann.

AUSWIRKUNGEN

Robert Hirsch ging in seinem Vortrag auf
mögliche Auswirkungen einer Ölknappheit ein
und zog dazu Presseberichte aus dem Jahr 1973
heran. Die Politik besonders in den USA wurde
damals von der Ölverknappung vollkommen überrascht,
owohl ein Abfallen der US-amerikanischen Ölförderung
um das Jahr 197 herum schon 1956 vorhergesagt
worden war. Eine der Auswirkungen waren in den
USA damals Rationierungen für den Transport
besonders wichtiger Güter.

Generell schätzen viele Vertreter der ASPO
die Aussicht, dass es noch eine "weiche Landung"
für die Wirtschaft geben könnte, pessimistisch
ein - dazu hätte man vermutlich schon vor
zehn Jahren ein nachdrückliches Programm starten
müssen. Entscheidend wäre dabei auch die Rate eines
Rückgangs der Ölproduktion. Hirsch meint, dass ein Rückgang
von 2 % jährlich gut abzufedern sei, während 4 %
jährlich schon desaströse Konsequenzen haben
könnten.

Relativ oft wurde auch gesagt, dass Ölpreissteigerungen
sich stark destabilisierend auf das Finanzsystem
auswirken würden, eine Position welche ja auch
die Studie des Zentrums für Transformation der
Bundeswehr vertritt.

Diese Einschätzung bekam ich auch von
einem anwesenden Manager des norwegischen Ölkonzerns
Statoil, der meinte dass er mit einer wirtschaftlichen
Destabilisierung rechne.


"PEEKING AT PEAK OIL"

Hervorheben möchte ich das neu erschienene
Buch "Peeking at Peak Oil" von Kjell Aleklett.
Aleklett ist Professor der Uppsala Global Energy Systems Group
in Schweden. Das heißt, das Buch basiert auf wissenschaftlichen
Methoden und peer-reviewten Veröffentlichungen,
faßt die Ergebnisse aber in einer gut verständlichen
und interessant zu lesenden Form zusammen.

("Peeking at Peak Oil, Kjell Aleklett, Springer New Yoek London,
ISBN 978-1-4614-3424-8, eBook ISBN 978-1-4614-3424-5, ca 35 Euro).

TRANSPORT

Eine eigene Sitzung gab es zum Thema Gütertransport,
der nach mehrheitlicher Ansicht aufgrund der
fehlenden Ersatzmöglichkeit für fossile Treibstoffe
sehr stark betroffen sein wird. Akkus tun es hier
nämlich definitiv nicht.
Ein Sachverhalt, der für mich dabei klar wurde, ist
dass es beim LKW-Transport durchaus noch Einsparungen
im Bereich von einigen Prozent geben kann. Dies
wiegt das wahrscheinlich in Zukunft schnell schrumpfende
Erdölaufkommen mit ca. 2 - 5 % Rückgang jährlich
nicht auf. Höhere Einsparungen sind übrigens -
wie in vielen anderen industriellen Bereichen auch -
möglich und auch kostensparend, werden aber nicht
durchgeführt wenn sie sich nicht innerhalb von etwa zwei Jahren
amortisieren. Hier ließe sich durch forschere Gesetzgebung
also durchaus noch einiges herausholen.

[OT] Sehr gut fand ich in dem Zusammenhang übrigens die
Initiative des Verkehrsrates zu Oberleitungssystemen
für den Gütertransport auf Autobahnen:

http://www.zeit.de/auto/2012-06/lkw-oberleitungen

http://www.taz.de/Oberleitungen-fuer-Autobahnen/!94672/

Diese Technik hat nämlich den Vorteil, dass sie
existiert und grundsätzlich machbar ist und das Problem der
gefährlich großen Abhängigkeit vom Erdöl in einem
ökonomischen Schlüsselsektor tatsächlich
löst. Zudem stellt sie eine Möglichkeit dar,
Transportgewerbe und Fahrzeughersteller in die
Umstellung einzubinden, was auf weniger Widerstand
stoßen dürfte als das völlige fallenlassen der
nicht mehr tragfähigen fossilen Technologien. [/OT]


ENERGIESTEUERN

Ein mehrfach angesprochenes Thema waren
Energiesteuern. Ein prominenter Vertreter
einer Besteuerung von Energie ist der theoretische
Physiker Reiner Kümmel von der Universität Würzburg.
Dieser hat den - aus meiner Physiker-Sicht völlig vertretbaren
Ansatz - vorgestellt, das wirtschaftliche Gesamtsystem
als gekoppeltes nichtlineares System von Differentialgleichungen
zu beschreiben und die Stärke der Kopplungen in einem
folgendem Schritt abzuschätzen. Kümmel kommt zu dem
Schluss, dass das Bruttosozialprodukt vergleichsweise
wenig vom Faktor Arbeit abhängt und sehr stark
vom Faktor Energie. Er zieht daraus die Folgerung,
dass der Faktor Arbeit weniger besteuert werden
sollte und der Faktor Energie viel höher.

Übrigens hält Kümmel ein bedingungsloses Grundeinkommen
auf meine Nachfrage hin für nicht finanzierbar.
Da haben wir eventuell noch einigen Diskussionsbedarf ;->

Aber ich bin in dieser Disziplin eher Flachmann als Fachmann
und würde mich freuen, wenn sich hierfür qualifiziertere
Piraten des Themas annehmen würden - auch mit konkreten
Modellen und Rechnungen.

RESSOURCENKONFLIKTE

Einen herausgestellten Platz bei der Tagung nahm auch
das Thema Ressourcenkonflikte ein. Vertreten waren hier
Karin Kneissl, Jörn Reichert vom Zentrum für Transformation
der Bundeswehr, Daniele Ganser vom Schweizer Institut
für Friedens- und Energieforschung, Michael Klare vom
Five College und Karen Smith-Stegen vom Bremer Energie Institut.

Leider sind meine Versuche, Schlaf durch Koffein zu ersetzen,
an dieser Sitzung gescheitert, so dass ich keine
Details wiedergeben kann. Insgesamt jedenfalls
ist die Meinung dass es Konflikte um Erdöl geben wird
und auch schon gibt, beispielsweise beim Irakkrieg.
Ganser zum Beispiel meint auch dass im aktuellen Syrien-Konflikt
die Interessen Irans und Saudi-Arabiens sowie Russlands
und China eine wesentliche Rolle spielen. Ein weiterer
ölbefeuerter Konfliktherd ist Westafrika.


KOHLE

Eine vielleicht wesentliche weitere Entwicklung ist,
dass nach Abschätzung von Alekletts Gruppe ein
weltweiter Rückgang der Kohleförderung ebenfalls
absehbar ist, und zwar voraussichtlich etwa zwischen
2025 und 2030. Das wirkt sich praktisch auch schon
so aus, dass China vom größten Kohleexporteur
zum Importeur geworden ist und angefangen hat,
sich Kohlereserven im pazifischen Raum zu sichern.

Eine Konsequenz daraus ist auch, dass, so Aleklett, die Gewinnung
von mehr als einem kleinen Teil des Treibstoffbedarfs
mit Coal-to-Liquid Technologien nicht realistisch ist.
Die Umwandlungstechnik ist nämlich sehr ineffizient
und der resultierende Kohlebedarf gigantisch.

PEAK OIL UND ANTROPHOGENE ERWÄRMUNG

Ein weiterer interessanter und kitzeliger Punkt ist
das Verhältnis zwischen Peak Oil und den Prognosen
zur Globalen Erwärmung. Um hier die Position von
Aleklett wieder zu geben: Auch bei einem schnellem
Rückgang der Ölproduktion wird es eine weltweite
Erwärmung von etwa zwei Grad geben, die bereits erhebliche
negative Folgen hat. Für die "heißesten" Szenarien mit
katastrophalen Erwärmungen bis zu sechs Grad sind, so Aleklett, aber gar
nicht mehr ausreichend Ölvorräte da. Praktisch heißt das vor allem,
dass wir den Verbrauch fossiler Energien und Treibstoffe
nicht nur aus Fairness gegenüber den nächsten Generationen
sondern schon allein aus Eigeninteresse schleunigst
reduzieren sollten.

So, ich hoffe das war trotz der Länge interessant und
das Lesen wert.

Viele Grüße,

Johannes


Weitere vielleicht aufschlußreiche Materialien:

Webseite der ASPO:

http://aspo-deutschland.blogspot.de/p/peak-oil.html


Studie des Zentrums für Transformation der Bundeswehr:

http://peak-oil.com/download/Peak%20Oil.%20Sicherheitspolitische%20Implikationen%20knapper%20Ressourcen%2011082010.pdf


US Diplomatic Council on Energy Security: Oil and the Trade Deficit

http://www.secureenergy.org/sites/default/files/DCES-Oil-and-the-Trade-Deficit.pdf





  • [Ag-umwelt] Bericht zur Wiener ASPO Konferenz zu Peak Oil II, Johannes Nix, 06.06.2012

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