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- Subject: [AG-GOuFP] Ewiger Kredit
- Date: Fri, 2 Jun 2017 15:01:08 +0200
Hallo Wolfgang,
Ewiger Kredit (ewige Rente)
Ein Ewiger Kredit erscheint auf den ersten Blick wenig sinnvoll. Weshalb sollte jemand einen nie rückzahlbaren Kredit erteilen? Gibt es Beispiele für einen solchen Kredit?
Von den Städten Venedig und Florenz wird berichtet, dass diese bereits im 12. Jahrhundert Staatsanleihen zur Kriegsfinanzierung herausgaben, welche teilweise nie zurückgezahlt wurden. Die Städte leisteten lediglich die vereinbarten Zinszahlungen in Höhe von etwa 4 %. https://de.wikipedia.org/wiki/Staatsanleihe
Konnte aus den ewigen Zinszahlungen der Wert einer solchen Anleihe ermittelt werden? Um diesen zu berechnen fehlte noch eine Größe; der durchschnittliche Zinssatz, der zu dieser Zeit für Anleihen gezahlt wurde. Nehmen wir hierzu einen Wert von 5 % an.
Eine Staatsanleihe über 1 Million Florin erzeugte nach einem Jahr eine Zinszahlung in Höhe von 40.000 Florin. Hätte der Anleihenzeichner einen Betrag von 38.096 am Anfang eines Jahres an ein Unternehmen als Kredit mit 5 % Zinsen und 1 Jahr Laufzeit ausgegeben, so wären ihm nach diesem Jahr genau 40.000 Florin zurückgezahlt worden, die eingezahlten 38.096 Florin + 5 % Zinsen darauf = 1.904 Florin. Somit haben 40.000 Florin nach einem Jahr gezahlt heute einen Wert, man spricht auch von Barwert, von 38.096 Florin. Die nach dem zweiten Jahr gezahlten 40.000 Florin haben hingegen nur noch einen Barwert von 36.280 Florin. 36.280 Florin zu 5 % angelegt ergeben nach einem Jahr einen Wert von 38.094 Florin. Diese wiederum für ein Jahr angelegt einen Wert von 40.000 Florin. Diese Betrachtung kann nun für unendlich viele Zeiträume fortgesetzt werden. Die Addition dieser unendlich vielen Teilsummen führt zu einer recht einfachen mathematischen Beziehung.
Zur Berechnung des Barwertes der ewigen Rente wird die Rente (gleichbleibende Zahlung) durch den Kalkulationszinssatz geteilt.
Eine ewige Rente von 40.000 Florin hat bei einem Kalkulationszinssatz von 5 % einen Barwert von 40.000 / 0,05 = 800.000 Florin. Eine zu erwartende Größe, da eine Investition mit 5 % Zinsen ja wirtschaftlicher sein muss als eine Investition mit 4 % Zinsen. Wurde der Anleger zu einer Kriegsanleihe gezwungen, wie dies bei den oben erwähnten italienischen Städten teilweise der Fall war, hatte er bei den erwähnten Zinssätzen auf ewige Zeit gerechnet einen Verlust von 200.000 Florin.
Auch die Bank von England ist 1694 mit dem Modell der „Ewigen Rente“ gestartet. 1.200.000 £ wurden dem Staat als ewiger Kredit zu 8 % Zinsen überlassen. http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Bank_von_England
Wird nach der o. g. Formel der Fall eines zinslosen Darlehens untersucht, so ist die Formel nicht einsetzbar, da eine Division durch Null nicht erlaubt ist. Über die Grundformel
C=Cₒ x (1+i)ͭ mit C = Endwert, Cₒ = Barwert, i = Kalkulationszins und ͭ = Laufzeit in Jahren
lässt sich jedoch leicht ausrechnen, dass bei einem Zinssatz von 0 %, Barwert und Endwert gleich sind. Beim zinslosen Darlehen kann grundsätzlich der Darlehensbetrag unendlich lange stehen bleiben. Dem Darlehensempfänger wird ein Wert zur immerwährenden Nutzung überlassen. Der Darlehensempfänger sieht sich bestenfalls durch moralische Zwänge dazu veranlasst, den Darlehensbetrag zurückzuzahlen. Bei einer dauerhaften Inflationsrate, wie ihn die EZB mit einem Ziel von 2 % anstrebt, wird zusätzlich der effektive Wert der Darlehenssumme immer kleiner. Es ist also für den Darlehensnehmer wirtschaftlich lukrativ, den Rückzahlungszeitpunkt möglichst weit hinauszuschieben.
Das sind so einige Grundsatzüberlegungen zum ewigen Kredit und der ewigen Rente. Ist die ewige Überlassung von Forderungen ohne Zinsen auch in unserem heutigen Geldsystem noch anzutreffen?
Ja, bei der Schaffung von Giralgeld.
Erwirbt eine Bank Aktiva so zahlt sie in einem ersten Schritt mit selbsterstellten Schuldscheinen. Den auf dem Girokonto des Verkäufers gutgeschrieben Betrag bezeichne ich hier als Schuldschein, um die Funktion des Giralgeldes möglichst allgemeinverständlich darzustellen. Solange der Schuldschein nur innerhalb der Kundschaft der ausgebenden Bank kursiert, besteht für die Bank keine Veranlassung zur Refinanzierung. Refinanzierung im weiten Sinne gedacht als Beschaffung von Mitteln zur Kreditvergabe, unabhängig ob dies im Vorfeld der Kreditvergabe oder aber erst danach geschieht. Wechseln wir auf eine alle Banken umfassende Betrachtung der Giralgeldbestände stellen wir fest, dass etwa 12 % der Bilanzsumme der Banken http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Refinanzierung aus täglich fälligen Schuldverschreibungen an Nichtbanken bestehen. Nur 12 % da in der „Zahlungsverkehrs- und Wertpapierabwicklungsstatistiken in Deutschland 2011 – 2015“ auch Termineinlagen bis zu einem Monat noch als Sichteinlagen gezählt werden. Wir beschränken uns aber auf den dort genannten Wert von 1,1 Billionen € für „Sichteinlagen auf Girokonten“. Dies ist ein konsolidierter Wert für die deutschen Banken. Dieser Wert besagt, dass die Banken für 12 % ihrer Mittel keine Zinsen zahlen müssen und dieser Wert ihnen im Schnitt ewig zur Verfügung steht. Es ist sogar so, dass dieser Betrag im Laufe der Zeit i. d. R. stetig steigt. Die Bankkunden gewähren insgesamt gesehen damit den Banken einen ewigen Kredit in Höhe von 12 % der konsolidierten Bilanzsumme. Die Banken brauchen hierfür keine Zinsen zu zahlen. Eine Rückzahlung dieses Kredites ist nicht vorgesehen, zumindest solange nicht, wie das Bankensystem noch funktioniert. Diese 12 % Giralgeld bedeuten in Deutschland immerhin 1.1 Billionen €, eine schwer zu fassende Größenordnung. Geht man davon aus, dass Nichtbanken im Schnitt mindestens 3 % Zinsen für Geldanleihen oder Kredite zahlen, kann der Bankensektor alleine durch das Privileg der Giralgeldverwahrung für ihre Kunden einen wirtschaftlichen Erlös in Höhe von ca. 33 Mrd. € pro Jahr erzielen. Das bestehende System privilegiert somit eindeutig den Bankensektor. Sind deshalb aber bereits diese 33 Mrd. € als Gewinn der Banken anzusehen?
https://www.bundesbank.de/Navigation/DE/Statistiken/Banken_und_andere_finanzielle_Institute/Banken/GuV_Statistik/Tabellen/tabellen.html
Ein Blick in die GuV-Statistik der Bundesbank zum Bankensektor zeigt einen Jahresüberschuss vor Steuern in Höhe von 26 Mrd. €. Hierin sind auch Erlöse aus dem Provisionsgeschäft sowie aus Eigengeschäften enthalten. Folglich führt das Privileg der Banken nicht zu der erwarteten Gewinnerhöhung um 33 Mrd. €. In der o.g. Statistiksammlung sind auch die Eigenkapitalrenditen des Bankensektors aufgeführt. Vor Steuern betragen diese für das Jahr 2015 5,8 % und nach Steuern 4 %. Mit diesem Wert liegen die Banken eher am unteren Ende der Skala für Eigenkapitalrenditen. (Aktien ca 12%, Familienunternehmen ca 16 %, ) Sicher ist das Risikopotential bei Banken auch geringer als bei anderen Wirtschaftsunternehmen, so dass dies sich auch in den zu erwartenden Renditen widerspiegelt. Ein Run auf Bankaktien ist zumindest nicht zu verzeichnen, also wo bleibt der erwartete riesige Gewinn der Banken?
Wie Unternehmen in der Wirtschaft stehen auch die Banken in einem gegenseitigen Wettbewerb. Gegenüber den Wirtschaftsunternehmen, die sich marktbeherrschende Stellungen durch ihre teilweise einzigartigen Produkte erobern können, sehen die angebotenen Dienstleistungen der Banken doch recht gleichartig aus und unterliegen dem Wettbewerb. Schaut man sich die GuV der Banken an kann man erkennen, aus welchen Aufwendungen und Erlösen diese im Einzelnen bestehen.
GuV 2015 der Kreditinstitute, alle Bankengruppen
Bilanzsumme : 8.605 Mrd € Zinserträge: 201 Mrd € Zinsaufwendungen: -105 Mrd € Provisionserträge 45 Mrd € Provisionsaufwendungen -14 Mrd € Personal + Verwaltung -90 Mrd € außerordentliche Erträge und Aufwendungen -11 Mrd € Gewinn 26 Mrd €
Die Zinserträge setzen sich sowohl aus der Zinsmarge wie auch aus der Fristentransformation zusammen. Als Zinsmarge sehe ich dabei den Unterschied zwischen dem Zinssatz für Spareinlagen und dem Zinssatz für Kredite an. Details hiezu: http://www.um-bruch.net/uwiki/index.php?title=Das_Geldr%C3%A4tsel:_Bankkalkulation In die Zinsertragsbilanz fließen auch die
Erlösanteile aus
der Fristentransformation mit ein. Diese werden als
Strukturbeitrag bezeichnet.
In diesem ist auch der Bodensatz der Sichteinlagen
berücksichtigt. Für die
zuvor genannten 12 % Giralgeldbestände brauchen Banken keine
Zinsen zu zahlen.
Dieser Betrag wird ihnen von den Kunden heute kostenlos zur
Verfügung gestellt.
Bezogen auf die Forderungen/Verbindlichkeiten-Terminilogie
verzichten die
Kunden auf die Inanspruchnahme von 95 % ihrer Forderungen an die
Bank auf ewige
Zeit. Dies ist aber eine Gesamtbetrachtung und kann nicht auf
den einzelnen
Kunden und sein Verhalten heruntergebrochen werden. Definitiv
falsch ist jedoch die Aussage, dass dieser ewige Kredit ein
Geschenk an die Banken darstellt. Auch auf ewige Zeit gesehen
gehören die Giralgeldbestände nicht den Banken. Es bleiben ewige
Verpflichtungen der Banken gegenüber den Nichtbanken.
Der Aussage, dass die Banken faktisch den Erwerb ihrer Aktiva teilweise mit selbsterstellten Schuldscheinen bezahlen, kann zugestimmt werden. Zumindest für 95 % der 1,1 Billionen Giralgeldbestände werden keine Refinanzierungsmaßnahmen erforderlich.
Da Banken jedoch auch im Wettbewerb stehen
wird eine
erhebliche Ausdehnung über die 12 % Giralgeldbestände hinaus für
die einzelne
Bank zu einem Abfluss an Mitteln führen und damit ihre
Liquidität schwächen.
Hier hat sich mE ein automatischer Regelkreis etabliert, der
einen gewissen Gleichschritt
der Banken bewirkt. Arne spricht bei einem erheblichen Abfluss
von Mitteln
davon, dass die Bank ihr „Geldterritorium“ nicht verteidigen
kann.
Beim Schreiben der letzten Beiträge ist mir
ein immer wieder zu beobachtender Fehlschluss namhafter
Volkswirtschaftler, wie z. B. Werner oder auch Mehrling
besonders aufgefallen. Durchaus korrekte Beobachtungen aus
Einzelvorgängen in einer Bank oder aber auch in der Wirtschaft
werden ausführlich erläutert und daraus Schlüsse auf die
Gesamtheit der Banken oder Wirtschaftsteilnehmer getroffen.
Ähnlich wie Stützel zwischen Einzelwirtschaften und der
Gesamtheit aller Einzelwirtschaften streng unterscheidet ist
auch eine Differenzierung nach Einzelvorgängen und deren Summe
und Auswirkung auf eine gesamtwirtschaftliche Betrachtung
vorzunehmen. Dazu jedoch mehr in einem separaten Post.
Beste Grüße Rudi Müller |
- [AG-GOuFP] Ewiger Kredit, Rudolf Müller, 02.06.2017
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