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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Thomas Weiß <Weiss-Tom AT gmx.de>
- To: ag Geldordnung <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [AG-GOuFP] Blogartikel v2: Löhne, Lohnnebenkosten und Wettbewerbsfähigkeit
- Date: Wed, 04 Dec 2013 18:31:56 +0100
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hi AG,
auf eure Anregungen und meine Nachforschungen hin, hab ich den Artikel deutlich umgestaltet. Heute Abend können wir ihn noch mal diskutieren.
Gruß, Thomas
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Unser AG-Mitglied Rudi ist genauso wie Heiner Flassbeck (http://www.flassbeck-economics.de/) ein Verfechter von signifikanten Lohnsteigerungen in Deutschland. Orthodoxe Ökonomen und Politiker lehnen diese Maßnahme oft ab, mit der Behauptung, dass das die Wettbewerbsfähigkeit vermindert und Arbeitsplätze vernichtet. Haben sie damit Recht?
Steigen die Löhne, so erhöhen sich für deutsche Firmen die Ausgaben für Lohnkosten. Das reduziert die erreichbaren Profite und vermindert folglich die Motivation für Unternehmer in Deutschland zu investieren, also Arbeitsplätze zu schaffen. Soweit so gut.
Viel zu wenig wird jedoch in der deutschen Öffentlichkeit die andere Seite der Medaille angesprochen: die Nachfrage. Steigende Löhne bedeuten auch steigenden Konsum bzw., aus Unternehmerseite betrachtet, steigende Umsätze und Profite.
Kompensiert also nun der Nachfrageeffekt die höheren Lohnkosten, sodass die Profite der Unternehmen unterm Strich stabil bleiben? Nur teilweise. Hier kommt nämlich der Außenhandel ins Spiel. Man darf selbstverständlich nicht annehmen, dass die höhere Nachfrage vollständig in *inländische* Produkte fließt. Der Teil, mit dem ausländische Produkte gekauft, also zusätzliche Importe finanziert werden, schlägt sich letztendlich negativ auf die Profite deutscher Unternehmen nieder.
Die Wettbewerbsfähigkeit sinkt also tatsächlich durch die höheren Löhne. Dass aber nicht alle gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit steigern können, und dass Deutschland innerhalb der EWU klar *über*-wettbewerbsfähig ist, wurde bereits hier (http://www.geldsystempiraten.de/wp/populare-irrtumer-die-sache-mit-der-wettbewerbsfahigkeit/) dargelegt. Trotzdem stellt sich die Frage, ob es eine Möglichkeit gibt, Arbeitslosigkeit global zu reduzieren, oder ob man diese letztendlich nur zwischen den Ländern hin- und herschieben kann. Anders ausgedrückt: Hätte die deutsche Wirtschaft den Erfolg der letzten Jahre auch erreichen können, ohne durch Lohnzurückhaltung seine europäischen Partner niederzukonkurrieren?
Eine Möglichkeit dazu liegt in den Lohnnebenkosten, also der Differenz zwischen den Lohnkosten der Unternehmen und den Nettolöhnen der Arbeiter. Eine Senkung der Lohnnebenkosten stärkt die Nachfrage während die Gewinne der Unternehmen erhalten werden. Daraus abgeleitet sollte die Politik also *nachfragewirksame* Steuersenkungen (Einkommensteuerfreibeträge, Mehrwertsteuer) durchführen oder Sozialabgaben reduzieren. Die Regierungen der letzten Jahre haben stattdessen genau nicht nachfragewirksam Steuern gesenkt, betreffend Vermögensteuer, Erbschaftssteuer, Spitzensteuersatz, Kapitalertragssteuer, siehe hierzu http://www.nachdenkseiten.de/?p=18433. Bei der Reduzierung der Sozialabgaben muss man allerdings die dadurch wegfallenden Sozialleistungen durch staatlich finanzierte Leistungen ausgleichen, um den Nachfrageausfall an anderer Stelle zu vermeiden. Das hat die Agenda 2010 verpasst und dadurch zahlreiche 400-€-Jobber hervorgebracht, die später von ihrer Rente nicht leben können.
Kombiniert man eine solche Senkung der Lohnnebenkosten mit höheren Löhnen, steigt das verfügbare Einkommen der Arbeitnehmer bei unveränderten Unternehmensprofiten zu Lasten des Staatshaushaltes.
Nun mögen manche zu Recht fragen, wieso denn unbedingt die Unternehmensprofite erhalten werden sollen. Die übliche und auch sehr plausible Antwort ist, dass Unternehmen in einem profitablen Umfeld investieren werden - die vielzitierte Wettbewerbsfähigkeit. Erstaunlicherweise ist jedoch gerade dieser Link in den vergangen Jahren verschwunden. Die Grafik http://ftalphaville.ft.com/files/2013/04/Screen-Shot-2013-04-29-at-16.06.07.png zeigt deutlich (hier USA), wie Profite und Investitionen bis um 2000 stark korreliert sind, und danach deutlich auseinanderlaufen. Ähnlich brachen in Deutschland um diese Zeit die Investitionen deutlich ein, obwohl die Profite dauerhaft auf hohem Niveau lagen. Eine Analyse der Ursachen würde wohl einen weiteren Artikel füllen.
Letztlich muss man also das Fazit ziehen, dass die vielgerühmte Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht reale Investitionen in der Industrie zum Hintergrund hat, sondern schlicht die Ausbeutung von Geringverdienern zu Gunsten der Unternehmensprofite. Die Konsequenz daraus muss sein, die Finger von den Lohnnebenkosten zu lassen und den Arbeitseinkommen wieder Vorrang vor den Kapitaleinkommen zu geben - etwa durch höhere Löhne. Anstatt den Unternehmen die Taschen vollzustopfen in der Hoffnung, dass diese irgendwann doch noch investieren, sollte der Staat sein Geld direkt investieren in dringend benötigte Dinge wie Infrastruktur und Bildung.
- [AG-GOuFP] Blogartikel v2: Löhne, Lohnnebenkosten und Wettbewerbsfähigkeit, Thomas Weiß, 04.12.2013
- Re: [AG-GOuFP] Blogartikel v2: Löhne, Lohnnebenkosten und Wettbewerbsfähigkeit, Axel Grimm, 04.12.2013
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