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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: Patrik Pekrul <patrik.pekrul AT hotmail.de>
- To: AG AG-Geld <ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de>
- Subject: [AG-GOuFP] Staatsgeld und Privatgeld
- Date: Sun, 16 Sep 2012 13:28:38 +0200
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Hallo,
Anbei mal ein neuer Ansatz, um mit dem Geldthema weiterzukommen.
Ich hoffe wir sind uns alle einig, dass unser aktuelles Geld (i.S.v.
gesetzlichem Zahlungsmittel) vom Staatssektor emittiert wird, einige
Unternehmen im privaten Sektor (Banken) haben das Privileg, diese Geldmenge
"hebeln" zu dürfen.
Die implizite Annahme hinter diesem Privilegs ist das Prinzip, wonach
privatwirtschaftlich orientiertes Handeln notwendigerweise auch zu einer
gesamtwirtschaftlich optimalen Güterversorgung führt; dieses Prinzip halte
ich für reine Gütermärkte auch noch für zutreffend ABER Geld ist kein Gut!
Dieses war der Fehler! Man hat angenommen, dass der Finanzmarkt letztlich
auch "irgendwie" ein Gütermarkt sei (weil Geld letztlich "irgendwie" doch
Goldmünzen sind) und deshalb schon die selben Gesetze gelten würden; wir
stellen angesichts der Krise und mit ein bisschen Einsicht und Reflexion
fest: Nein, tut er nicht!
Da wir dies nun erkannt haben, wird es Zeit, darüber nachzudenken, wie wir
die Funktion(en) des Geldes anders und zeitgemäßer organisieren können. Für
den privaten Sektor habe ich bereits einen Vorschlag gemacht, der leider auf
das Thema "Freikarten" verengt wurde - aber vielleicht hat der eine oder
andere doch den Grundgedanken nachvollziehen können.
Nun also die Erweiterung auf die Fragestellung: Brauchen staatlicher und
privater Sektor notwendigerweise das selbe Geld?
Wir sind uns hoffentlich alle einig, dass der staatliche Sektor ganz anders
funktioniert als der private, dennoch scheint es ein Dogma zu sein, dass der
Staat die "Produktion" seiner Güter zwingend so organisieren muss, wie die
Privatwirtschaft - wieso?
Das führt zu allen möglichen (unnötigen) Diskussionen darüber, wie sich
staatliches Handeln auswirken würde, wenn der Staat ein privates Unternehmen
wäre (Haushaltsführung, Defizit, Überschuldung, Staatsbankrott, Effizienz,
etc.). Viele Missverständnisse könnten ausgeräumt werden, wenn wir den
"Leistungsaustausch" im Staatssektor einfach ANDERS organisieren als in der
Privatwirtschaft. Wir sollten andere Begriffe verwenden, um den
unterschiedlichen Charakter der "Transaktionen" deutlich zu machen und vor
allem, sollten wir ein anderes Zahlungsmittel für diesen Sektor verwenden.
Für den privaten Sektor wäre nach meinem Dafürhalten ein "Gütergeld" in der
Tat am sinnvollsten, weil die meisten Menschen eben so ticken. Das Geldsystem
sollte einfach intuitiv erfassbar sein - und da die meisten Menschen über das
"Münze in Sparschwein"-Denken eben nicht hinauskommen, sollte das Geld
grundsätzlich so organisiert sein.
Der Staat hat aber andere Aufgaben, er muss dafür sorgen, dass "Wohlstand für
alle" erreicht wird, sprich er muss sicherstellen, dass sämtliche Güter der
"allgemeinen Daseinsfürsorge" für alle verfügbar sind. Hierzu gehören meines
Erachtens, alle Leistungen, die einen Menschen körperlich und geistig in die
Lage versetzen, sein Leben weitestgehend frei zu gestalten; konkreter also
Voraussetzungen wie Bildung, Gesundheit, Sicherheit, Mobilität, Information
(und sicher viele mehr)
Darin besteht die Existenzberechtigung des Staates; kann er dies nicht
leisten, brauchen wir ihn nicht!
Warum aber sollte die Erbringung dieser Leistung notwendigerweise in einer
Form organisiert sein, die der privatwirtschaftwirtschaft entspricht oder
ähnelt?
Staatliche Güter sind ihrer Natur nach oftmals "öffentliche Güter", und die
kann man GAR NICHT privatwirtschaftlich organisieren, weil ihnen
entsprechende Eigenschaften fehlen, das hat sogar die "klassische Ökonomie"
erkannt; dennoch betreibt der Staat eine Haushaltsführung und ein
Zahlungsmittel zur Leistungsverrechnung, dass seinem Wesen nach ganz klar auf
privatwirtschaftliche Güter abzielt (es geht mir hier EXPLIZIT nicht darum,
zu fragen, welche Güter der Staat anbieten sollte oder nicht, es geht mir, um
die NATUR der Güter). Erscheint das sinnvoll?
Kann man eine Pflegedienstleistung wirklich genauso behandeln wie
Altglasrecycling? Sollte man das? Ist nicht nicht der Versuch alleine schon
pervers?
Wie "effizient" ist es, eine Feuerwehrwache zu betreiben, die kaum
ausgelastet ist, aber im Bedarfsfall Leben rettet? Kann man das mit dem
Auslastungsgrad einer Fabrik vergleichen, oder ist schon allein die
Gegenüberstellung falsch?
"Wie ist der ROI für Bildungsausgaben?" Ist das überhaupt eine relevante
Fragestellung?
Sollte man Fragen wie "Lohnt es sich einem 80-Jährigen noch ein künstliches
Gelenk zu finanzieren?" überhaupt stellen, oder komische Fragen wie "Gehören
alle Organe grundsätzlich der Allgemeinheit? Wer hat die Nutzungsrechte?"
Wir sollten anerkennen:
1. Der Staat hat andere Aufgaben als die Privatwirtschaft
2. Öffentliche Güter kann man nicht (sinnvoll) privatwirtschaftlich
organisieren
3. Staatliche Leistungen müssen anders organisiert sein
Vielleicht wäre folgender Ausgangspunkt sinnvoll: Solange der
privatwirtschaftliche Sektor nicht erreicht, für alle Bürgern die notwendigen
Voraussetzungen für ein selbstbestimmtes Leben zu schaffen, ist es Aufgabe
des Staates die nicht genutzten Ressourcen zu aktivieren, um dieses Ziel so
weit es geht zu erreichen.
Konkret:
Wenn in einer Gesellschaft z.B. 10% der arbeitswilligen Bevölkerung nicht in
der Lage sind, ein adäquates Einkommen zu erzielen, das es ihnen ermöglicht,
ihr Leben zu gestalten, dann bedeutet, dass die Privatwirtschaft, mit ihnen
anscheinend "nichts rechtes anzufangen weiss".
In einer solchen Situation sollte der Staat also ermitteln, welche
volkswirtschaftlichen Bedarfe ungedeckt sind (davon dürfte es unendlich viele
geben) und die Leuten ein Angebot machen in diesen Bereichen eingesetzt zu
werden.
Ich denke es liegt auf der Hand, dass damit der Wohlstand für alle steigt,
weil einerseits das Angebot an öffentlichen Gütern steigt, und zum anderen
den beteiligten Partizipationsmöglichkeiten gegeben werden.
Die spannende Frage ist doch nun, warum der Staat das dann nicht einfach
macht. Heutige Antwort: Finanzierungszwänge!
Das ist grober Unfug: Der Staat hat IMMER die Möglichkeit Leute zu
beschäftigen und zu bezahlen, man bedient sich nur einer
privatwirtschaftlichen Saldenmechanik, die nahelegt, dass man ein Problem
hätte, obwohl das faktisch nicht der Fall ist. Dies führt allerdings zu
Verwirrung, Unverständnis und in Folge zu Fehlschlüssen, z.B. die 10% müssen
halt in Agonie darben, weil es für sie keine bessere Verwendung als Fernsehen
gibt... Gleichzeitig haben wir Notstand in allen öffentlichen Bereichen, aber
es ist leider kein (privatwirtschaftliches) Geld da.
Was soll das? Selbst dem strikt realwirtschaftlich orientierten
(Neo-)Klassiker muss doch klar sein, dass es sich hierbei nur um
volkswirtschaftliche Vergeudung vorhandener Ressourcen handelt; demnach muss
doch logisch konkludent die jetzige Organisationsform des öffentlichen
Sektors suboptimal sein!
Es muss dem Staat also möglich sein, verschuldungsfrei notwendige staatliche
Leistungen anbieten zu können, da dies realwirtschaftlich und
volkswirtschaftlich vorteilhaft ist. Heute passiert folgendes:
1. Staat emittiert (aus dem nichts) Staatsanleihen (staatliches Geld)
2. Staat geht zur Zentralbank und tauscht es in Euro um
(privatwirtschaftliches Geld)
3. Staat bezahlt mit privatwirtschaftlichem Geld
Mein Vorschlag ist folgender:
1. Staat bezahlt mit Staatsgeld direkt
2. Steuern können nur mit Staatsgeld beglichen werden
3. Zentralbank tauscht privatwirtschaftliches Geld gegen Staatsgeld
Damit wird offensichtlich, dass Staaten etwas anderes sind als Unternehmen,
anderen Voraussetzungen unterliegen, andere Möglichkeiten haben, und dass
eine Ausweitung öffentlicher Dienstleistungen der Privatwirtschaft nicht
schadet, weil der Staat nicht an "ihr" Geld will, sondern diese Leistungen
selbst finanziert. Es ist sichergestellt, dass mit jeder öffentlichen Ausgabe
auch eine öffentliche Leistung einhergeht (die mit Staatsgeld bezahlt wurde)
und es lässt sich ganz einfach nachvollziehen, ob und wofür der Staat grade
Geld in den Markt pumpt.
Ich denke, dass dies ein sehr transparentes und nachvollziehbares System zur
Organisation staatlicher Leistungen wäre, das ohne die heutigen
Missverständnisse auskäme.
- [AG-GOuFP] Staatsgeld und Privatgeld, Patrik Pekrul, 16.09.2012
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