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Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] [AG-Steuerpolitik] Diskussion Vermögensteuer
- Date: Tue, 07 Aug 2012 17:52:10 +0200
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- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
Lars Asmus schrieb:
Es ist doch vollkommen egal, ob der Zinssatz bei 3, 5 oder 10%
liegt.
STELL DIR VOR, DAS HATTE ICH GERADE NOCH SO VERSTANDEN - Deshalb
konnte ich mir auch die Berechnung (siehe unten) herleiten. ;-) Ist
ja auch nicht wirklich schwer, wer in Mathe Klasse neun (oder
acht?!?)
10. Klasse
Wesentlich ist a) die Expansion des Schuldenvolumens und b) auf
der Gläubigerseite die Konzentration der Guthaben in immer weniger
Händen.
Daher folgt Bakterienwachstum nämlich auch nicht der
Exponentialfunktion sondern der logistischen Funktion bis zu einem
Gleichgewichtszustand, und die sieht nummal anfänglich fast so aus,
wie eine Exponentialfunktion. Dasselbe gilt auch für das Geldangebot
und die Geldnachfrage.
Ähm, nein, von einem Gleichgewichtszustand würde ich nicht sprechen.
http://de.wikipedia.org/wiki/Dissipative_Struktur
http://de.wikipedia.org/wiki/B%C3%A9nard-Experiment
Wenn die Konzentration von Geld so eine naturwissenschaftlich
sichere Sache ist, wie erklärst du dann Unternehmenspleiten wie
Schlecker, Bankenpleiten oder den Untergang ganzer
Wirtschaftszweige?
Shit Happens. Aber mir wäre es lieber gewesen, dass nicht eine große
Drogeriekette über die Wupper geht, sondern dass von 1000
Einzelhandelskaufleuten mit insgesamt 5.000 Filialgeschäften (macht McD
das nicht so?) nur 10% in wirtschaftliche Schwierigkeiten kommen, ohne
die anderen mitzureissen. Das hat aber wiederum nichts mit der
Konzentration von Vermögen in der Hand von wenigen zu tun.
Man muss erst einmal das Problem erkennen.
Ja, Mathe Klasse neun erfolgreich bestanden. Problem kapiert, aber
hier das falsche Modell/die falsche Funktion (siehe oben).
Verkauf mal 10 jährige Sparbriefe, die einen logistisches Wachstum
verbriefen - das wird sicher schwer, wenn der Terminmarkt nicht jetzt
schon verrät, dass die Zinsen in den Jahren 8, 9, 10 zurückgehen. Die
Grenzen des Wachstums sind in der Realwirtschaft mit Sicherheit spürbar,
aber in der Finanzwirtschaft eben noch nicht. Nullen vor dem Komma
hinter einer führenden e1ns verursachen doch keinen realen Aufwand in
der Buchführung einer Bank. Im Distributionslager von Amazon macht es
dagegen schon einen Unterschied, ob 10.000 oder 100.000 Päckchen
verschickt werden müssen. Wenn eine Geschäftsbank nur Kredite an
Unternehmen der Realwirtschaft vergibt, dann ist sie auch den Grenzen
des Wachstums unterworfen. Wenn sie allerdings mit Provisionen auf
derivative Instrumente ihr Geld verdient, dann kann das Aufblähen dieses
Geschäftsvolumens ordentliche Erträge in die Kasse spülen. Die Frage ist
nur - wo kommt das her? Wo ist der Mehrwert fürs Gesamtsystem, ausser
einer verbesserten Risikoallokation, die aber irgendwann ausgereizt ist?
Wieso arbeitet der Poolboy und das Kindermädchen für den Bonusempfänger, nur weil der gut darin ist, Luftnummern zu kreieren?
Wann kommt die Tobin-Tax, die Finanztransaktionssteuer, die reine Spekulationsgeschäfte etwas einbremst, ohne den Finanztransaktionen, die mit Realgeschäften hinterlegt sind, zu schaden?
Zum einen ist es sicherlich die absolute Schuldenhöhe eine
Gesellschaft, die vielleicht bei niedrigem Zins noch eine
akzeptable Debt Service Rate zulässt. Irgendwann ist aber Schluss
mit lustig und dann hilft nur noch eine Entwertung durch einen
Schuldenschnitt bzw. eine langsame Entwertung per anziehender
Inflation. Hier darf man aber nicht vergessen, dass sowohl
Verbindlichkeiten als auch Guthaben im Vergleich zum aktuellen BIP
(dass ja auch nur in Geld gemessen wird) gleichermaßen zurückgehen.
Die Inflation bläht also nur den Zollstock auf, an den monetäre
Aktiv- und Passivstände gemessen werden.
Und wie nennt man das? Umverteilung von oben nach unten. Und das
allein durch die Kraft des Marktes.
Eine Inflation ist keine Umverteilung von oben nach unten, sie ist nur
eine generelle Entwertung gemessen am aktuellen Geldmaßstab. Die
Vermögensverteilung bleibt bestehen. Die die viel hatten, haben nach wie
vor viel, und bei den Habenixen ist nix dazugekommen. Es gibt lediglich eine Verschiebung innerhalb der Vermögenden, wenn ein Teil auf Geldvermögen gesetzt hat und andere eher auf Sachwerte. Siehe auch:
http://de.wikipedia.org/wiki/Hauszinssteuer
Das andere Thema ist, dass es zu eine Aufkonzentration der
Guthaben kommt, wohingegen die Schuldseite durch Kleinkredite von
Privatpersonen, durch gemeinschaftlich als >Steuerzahler zu
stemmende Staatsschulden oder auch durch Unternehmenskredite, die
der Konsument mitträgt, eher gleichmäßiger verteilt bleiben. Das
führt zu einem >Vermögensgradienten entlang der Lorenzkurve und
darin sehe ich auch die Quelle von sozialen Spannungen.
Da kann ich mir doch folgenden Kommentar nicht verkneifen: In der
DDR war Vermögen auch ziemlich gleichmäßig verteilt - es war nämlich
volkseigen ;)
Die oberen 20% besitzen in Industrienationen 30-50% der Vermögenswerte.
Die Skandinavier liegen eher bei 30% ohne dass ein großer Treck von dort
auf die Cayman Islands losgesegelt ist wegen zahlreicher staatlich
verordneter "Enteignungsschübe", in den USA liegt man eher bei 50%.
Damit haben die anderen 80% auch 50%, was in diesen breiten Gruppen zu
einem Verhältnis von 4:1 an Vermögensdichte führt. Das spreizt sich
natürliche weiter auf, wenn man die oberen 2% und die unteren 20%
betrachtet. Dann kann es durchaus den unteren 20% attraktiv erscheinen,
den oberen 2% einfach mal was auf die Mütze zu geben und selbst für die
Umverteilung von oben nach unten zu sorgen. Ich halte das für keinen
angenehmen Weg und den sozialen Frieden für ein hohes Gut.
Ich formuliere mal dieses Statement ein wenig treffsicherer um: Die
(mir bekannte) Lorenzkurve beschreibt einen statischen Zustand zum
Zeitpunkt x. Sie vermag zeitliche Entwicklungen zunächst weder zu
beschreiben oder gar zu erklären, da sie die Dimension Zeit auf
keiner Achse abbildet. Sie zeigt nicht die Vermögensverteilung,
sondern lediglich die EINKOMMENSVERTEILUNG (vgl. z.B. A. Woll (Dr.
Dr. h. c.), Allgemeine Volkswirtschaftslehre)
Die Lorenzkurve ist ein mathematisches Hilfmittel, um Ungleichgewichte
darzustellen. Das kann man mit dem Einkommen machen, aber auch mit dem
Vermögen, und anderen Dingen, wenn die statistischen Daten vorliegen.
Die Sportschau könnte im Rahmen der Kür zu Torschützenkönig auch eine
Lorenzkurve der Treffer über alle Bundesligaspieler auftragen.
Wenn man ein Merkmal f über zig Individueen x aufträgt, dann ist die
Lorenzkurve nichts anderes als das Integral von 0 bis alle über die
aufsteigend sortierten f(x)dx normiert auf die Summe.
UNTER DER ANNAHME, dass alle anderen Wirtschaftsparameter gleich
bleiben - sich insbesondere die Produktionsfunktion der
Volkswirtschaft nicht ändert,
Ceteris Paribus ist eine vernünftige Annahme, sonst macht man sich ja
bei den Gendankenspielereien zu mehrdimensionalen, nichtlinearen
Systemanalysen verrückt.
lässt sich mathematisch zeigen, dass die FRÜCHTEZIEHUNG aus Vermögen,
sofern es nicht verbraucht (Konsum) wird, neues Vermögen generiert,
aus welchem eine höhere Ungleichverteilung folgt. Die RELATIVE
Einkommensverteilung ändert sich.
Was heisst denn hier Früchteziehung aus Vermögen? Wenn die Erträge aus
große Vermögen kaum zum Konsum benutzt werden, mittelgroße teilweise und
der Aufbau kleiner Vermögen (Sparen aufs nächste Auto) mit einem
Konsumverzicht einhergeht, dann ist doch klar, dass sich die Steigung
der Lorenzkurve verstärkt, weil die Einkommen aus Vermögen zu einer
Umverteilung von unten nach oben führen. Wie schon gesagt, die Vermögen
liegen bei relativ wenigen, die Einkommenszuwächse werden aber durch die
Arbeit aller erbracht: Staatszinsen zahlen alle Steuerzahler zurück,
Unternehmenszinsen alle Konsumenten über den Produktpreis.
Ich behaupte aber, dass das nicht in der Weise der Fall sein wird,
dass das Einkommen nach unten durchgereicht wird und zu einer
gleicheren Verteilung führt, weil die sich zwangsweise ergebende
Umverteilung des Vermögens in der Weise stattfinden wird,
Wegen der Steuergesetzgebung?
dass "Reiche" mit liquidem Vermögen, das illiquide/immobile Vermögen
konzentrieren oder kleinere Unternehmen gegenüber größeren
Unternehmen benachteiligt werden, weil auch ihnen Liquidität in
höherem Umfang entzogen wird, als großen, weil die Steuer bei
kleinen Unternehmen zur stärkeren Erhöhung der Durchschnittskosten
für die Produktion führen wird.
Den Satz habe ich nicht verstanden. Kannst Du den noch mal anders
fassen: Einkommen wird nach unten durchgereicht, weil der liquide Anteil
im Vermögen Reicher abgeschöpft wird und dadurch die Kosten der
Produktion steigen? Bitte noch mal neu schreiben, da komm ich nicht mit.
Wieso Umverteilung? Ganz Einfach: wenn ich mein (Betriebs-)Vermögen
behalten will, muss bei einer Vermögensteuer von 1% in 20 Jahren
nominal 22,19% (1,01^20) des Anfangsvermögens aufbringen, oder, wenn
ich das Vermögen sich selbst verzehren lasse, habe ich am Ende der
zwanzig Jahre nominal 18,21% ( 1 - (1 - 0,01)^20) weniger Vermögen.
Wenn ich diese Liquidität nicht vorrätig habe, MUSS ich an jemanden
mit Geldvermögen verkaufen. Ich habe dann zwar Geld, um meine tolle
Vermögensteuer zu zahlen. Aber mein Betrieb ist nachhaltig
geschädigt oder meine anderweitige Geldanlage ("Sparen"), weil ich
nicht mehr in der Lage bin zu produzieren.
Ich glaub Du musst hier trennen zwischen dem Betrieb, dem es prinzipiell
egal sein kann, von wo er Eigen- und Fremdkapital erhält, und dem
Eigentümer des Betriebs. Wenn die Familie Walton mit einer
Vermögensabgabe versteuert werden würde, muss ja nicht der Markt drunter
leiden. Wenn Susanne Klatten oder Papa Piech ein paar Autoaktien
verkaufen, dann leidet IMHO darunter nicht der Absatz deutscher
Luxuskarossen.
Also dies spräche in der Tat zunächst dafür, Geldvermögen zu
besteuern. ABER: Wer Geld spart, der investiert volkswirtschaftlich
gesehen(, sofern es nicht in den Außenhandel geht).
Verstehe ich schon wieder nicht. Wieso investiere ich, wenn ich Geld
spare? Ein Sparkonto ist genauso wie ein Kreditkonto eine Möglichkeit
zum Verschieben von Zahlungsflüssen. Realwirtschaflich bedeutet in einer
arbeitsteiligen Gesellschaft das Sparen, dass ich den Anderen mehr von
meiner Arbeitsleistung zur Verfügung stelle und umgekehrt davon ausgehe,
dass mit dem Aufzehren meines Sparkontos, die anderen Mitbürger mehr
arbeiten, um mir einen Zusatzkonsum zu ermöglichen.
Wenn ich investieren möchte, kann ich das entweder aus dem Cash-Flow
tun, also der Wertübertragung von Produktionskapital auf die Produkte,
die man am Markt verkauft, oder ich nehme einen Kredit auf. Der wird
aber in der Regel nicht dadurch geschaffen, dass Sparer das Geld zur
Verfügung stellen (bei Bausparkassen ist das so, die finanzieren sich im
Innenverhältnis zu ihren Kunden) sondern dass die Bank mir einen
Kreditrahmen abrufbereit zur Verfügung stellt und als Gegenposition eine
Forderung aufmacht. Wenn es nicht die Begrenzung mit dem
Mindestreservesatz gäbe, könnten Geschäftbanken das Giralgeldvolumen bis
ins ultimo aufblähen.
Dass das volkswirtschaftliche Gesamteinkommen gleich bleibt oder
höher wird, wird bei der Lorenzkurve übrigens auch an keiner Stelle
beschrieben (für beides vgl. auch hier Woll). Unter der gemachten
Annahme ist es zwar so, dass die RELATIVE Einkommensteuerverteilung
GLEICHER wird, aber das kann auch auf niedrigerem Niveau geschehen,
sodass unterm Strich alle ÄRMER sind.
Das Ziel besteht wie schon richtig erkannt, dass sich sowohl die Vermögensverteilung als auch die mittelbar (auch) davon abhängige Einkommensverteilung vergleichmäßigt. Es nutzt doch niemandem, wenn einer ganz im Alleingang das Volkseinkommen auf 200% verdoppelt und der schäbige Rest in der Gosse landet. Auch der an der Speerspitze eines Gini-Staates = 1 wäre ziemlich einsam.
Gruß,
Gunnar
--
/^\
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- Re: [AG-GOuFP] [AG-Steuerpolitik] Diskussion Vermögensteuer, Gunnar Kaestle, 07.08.2012
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