ag-geldordnung-und-finanzpolitik AT lists.piratenpartei.de
Betreff: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik
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- From: matthias garscha <matthias_garscha AT yahoo.de>
- To: "AG Wirtschaft \(Achtung viele Mails am Tag!\)" <ag-wirtschaft AT lists.piratenpartei.de>
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- Subject: Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Diskussion Vermögenssteuer
- Date: Sun, 5 Aug 2012 19:39:42 +0100 (BST)
- List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-geldordnung-und-finanzpolitik>
- List-id: Kommunikationsmedium der bundesweiten AG Geldordnung und Finanzpolitik <ag-geldordnung-und-finanzpolitik.lists.piratenpartei.de>
+1 Rene
einen ausgezeichnete Analyse der derzeitigen Situation, der die Ohnmacht auf nationalstaatliche Ebene deutlich werden lässt.
Wir müssen die Diskussion auf die Ebene des weltweiten Finanzsystems heben und dort die Wirkungsmechanismen untersuchen.
Zu diesem Zweck stehen uns heute neue und viel bessere Studien zur Verfügung (ETH, Max Planck etc). Diese stammen allesamt aus Institutionen, die noch nicht rein von Interessengeleiteten Studien geprägt sind . Diese sind noch dem Gemeinwohl verpflichtet und werden auch von diesem finanziert.
Die Arbeitskreise in der AG Geldorndnung und Finanzpolitik beschäftigen sich auch denn auch genau mit diesen
Themen.
lg
matthias
Von: René Röderstein <rene.roederstein AT piratenpartei-nrw.de>
An: AG Wirtschaft (Achtung viele Mails am Tag!) <ag-wirtschaft AT lists.piratenpartei.de>
Gesendet: 18:34 Sonntag, 5.August 2012
Betreff: [AG Wirtschaft] Diskussion Vermögenssteuer
Ahoi,
am Freitag ist etwas Unangenehmes passiert. Ich musste einem Statement von Patrick Döring zustimmen. Es ging um das Thema Vermögenssteuer. Döring führte aus, dass ein großer Teil der deutschen Vermögen in mittelständischen Unternehmen gebunden ist, dass die mittelständischen Unternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft darstellen und die meisten Arbeitsplätze schaffen. Sein Fazit war, dass eine Vermögenssteuer hauptsächlich den deutschen Mittelstand treffen und als Folge auch Unternehmen und Arbeitsplätze gefährden würde. Natürlich ist die Rhetorik etwas platt. Aber Döring geht wie selbstverständlich davon aus, dass der Mittelstand die Hauptlast einer Vermögenssteuer tragen müsste, obwohl die exponentielle Vermögensverteilung in Deutschland etwas anderes vermuten lässt. Wenn z.B. 0,1% der Deutschen 22,5% des Volksvermögens besitzen (Stand 2007), sollte man dann nicht davon ausgehen, dass die kleine Gruppe der Superreichen auch die Hauptlast einer möglichen Vermögenssteuer trägt?
Ende Juli habe ich eine Studie des ehemaligen McKinsey Chefvolkswirtes James Henry gelesen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, das weltweit zwischen 21 und 32 Billionen $ in Steueroasen angelegt sind. Das entspricht etwa dem sechs- bis neunfachen des Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik bzw. 30%-46% aller weltweit kumulierten Bruttoinlandsprodukte in 2011 und stellt einen Anteil von 16,8% - 25,6% am gesamten weltweiten Vermögen dar. Dieses Vermögen ist jedem Fiskus entzogen.
Nun darf man natürlich nicht annehmen, Steueroasen wären rebellische Staaten, die sich der internationalen Gemeinschaft widersetzen und Kapitalflüchtlingen Asyl gewähren. Wie lange würde sich wohl eine sogenannte Steueroase dem ernsthaften Reformwillen der USA widersetzen? Steueroasen sind nicht nur politisch toleriert sondern gewollt und stellen eine Art exklusives Steuersparmodell für Superreiche dar. Die Diskussion um ein Austrocknen dieser Oasen hat Alibicharakter und dient eher dazu, den normalen Bürgerinnen und Bürgern zu suggerieren, dass der Gerechtigkeit Genüge getan würde.
Das internationale Tax Justice Network ermittelt seit einiger Zeit den Financial Secrecy Index (FSI). Der FSI misst im weitesten Sinne den Umfang, in dem z.B. Steuerbehörden der Zugang zu Finanzdaten verwehrt wird, der für eine richtige Besteuerung erforderlich wäre. Auf Platz 1 findet sich die Schweiz, gefolgt von anderen "üblichen Verdächtigen". Deutschland belegt immerhin den neunten Platz. Vor dem Hintergrund überrascht es nicht, dass ein deutscher Politiker beim Thema Vermögenssteuer in erster Linie an eine Besteuerung mittelständischer Vermögen denkt. An die großen Vermögen kommt man schlecht ran.
Ich bin der Meinung, dass wir eine Umverteilung privater Vermögen in einer Größenordnung brauchen, wie es nur mit einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer gelingen kann. Persönlich halte ich eine Umverteilung über die Erbschaftssteuer für gerechter, da eine Erbschaft leistungslos erfolgt und sich ein staatlicher Eingriff in privates Eigentum deshalb besser rechtfertigen lässt. Die Notwendigkeit einer Umverteilung ergibt sich für mich im Wesentlichen aus zwei Gründen. Erstens, weil eine Gesellschaft nur ein gewisses Maß an Ungleichverteilung in den privaten Vermögen verträgt, bevor es zur gesellschaftlichen Spaltung kommt. Zweitens, weil unser Geldsystem so konstruiert ist, das mit der Höhe der Geldvermögen gleichzeitig auch die Gesamthöhe der Schulden wachsen muss. Ökonomisch kann ein Schuldenabbau im Gesamtsystem, z.B. im Rahmen einer Finanz- und Schuldenkrise, deshalb nur durch eine Bilanzverkürzung funktionieren, indem Vermögen für den Schuldenabbau eingesetzt werden.
Um eine wirksame Umverteilung zu erreichen, müssen die großen Vermögen besteuert werden. Angesichts der Vermögensverteilung in Deutschland macht es deshalb überhaupt keinen Sinn "Vermögen" bereits ab 250.000€ besteuern zu wollen. Wenn man allerdings davon ausgeht, die großen Vermögen nicht effektiv besteuern zu können oder zu wollen, muss man die Grenze für die Vermögenssteuer weiter unten ansetzen, um überhaupt noch signifikante Einnahmen zu generieren.
Aus meiner Sicht liegt der Sinn einer Vermögens- oder modifizierten Erbschaftssteuer nicht darin diejenigen zu besteuern, die nicht reich genug sind ihr Geld in eine Steueroase zu transferieren. Das war der Punkt, bei dem ich Patrick Döring zustimmen musste: eine Vermögenssteuer, die in erster Linie den Mittelstand trifft, halte ich für kontraproduktiv.
Eine Steuergerechtigkeit setzt voraus, dass sich auch das obere Prozent der Vermögenden einer Besteuerung nicht entziehen kann. Dies gilt es politisch und rechtlich zu lösen, damit eine Vermögensumverteilung funktionieren kann und eine Vermögenssteuer nicht nur eine Beruhigungspille für das Volk ist.
Piratige Grüße - René.
am Freitag ist etwas Unangenehmes passiert. Ich musste einem Statement von Patrick Döring zustimmen. Es ging um das Thema Vermögenssteuer. Döring führte aus, dass ein großer Teil der deutschen Vermögen in mittelständischen Unternehmen gebunden ist, dass die mittelständischen Unternehmen das Rückgrat der deutschen Wirtschaft darstellen und die meisten Arbeitsplätze schaffen. Sein Fazit war, dass eine Vermögenssteuer hauptsächlich den deutschen Mittelstand treffen und als Folge auch Unternehmen und Arbeitsplätze gefährden würde. Natürlich ist die Rhetorik etwas platt. Aber Döring geht wie selbstverständlich davon aus, dass der Mittelstand die Hauptlast einer Vermögenssteuer tragen müsste, obwohl die exponentielle Vermögensverteilung in Deutschland etwas anderes vermuten lässt. Wenn z.B. 0,1% der Deutschen 22,5% des Volksvermögens besitzen (Stand 2007), sollte man dann nicht davon ausgehen, dass die kleine Gruppe der Superreichen auch die Hauptlast einer möglichen Vermögenssteuer trägt?
Ende Juli habe ich eine Studie des ehemaligen McKinsey Chefvolkswirtes James Henry gelesen. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, das weltweit zwischen 21 und 32 Billionen $ in Steueroasen angelegt sind. Das entspricht etwa dem sechs- bis neunfachen des Bruttoinlandsprodukts der Bundesrepublik bzw. 30%-46% aller weltweit kumulierten Bruttoinlandsprodukte in 2011 und stellt einen Anteil von 16,8% - 25,6% am gesamten weltweiten Vermögen dar. Dieses Vermögen ist jedem Fiskus entzogen.
Nun darf man natürlich nicht annehmen, Steueroasen wären rebellische Staaten, die sich der internationalen Gemeinschaft widersetzen und Kapitalflüchtlingen Asyl gewähren. Wie lange würde sich wohl eine sogenannte Steueroase dem ernsthaften Reformwillen der USA widersetzen? Steueroasen sind nicht nur politisch toleriert sondern gewollt und stellen eine Art exklusives Steuersparmodell für Superreiche dar. Die Diskussion um ein Austrocknen dieser Oasen hat Alibicharakter und dient eher dazu, den normalen Bürgerinnen und Bürgern zu suggerieren, dass der Gerechtigkeit Genüge getan würde.
Das internationale Tax Justice Network ermittelt seit einiger Zeit den Financial Secrecy Index (FSI). Der FSI misst im weitesten Sinne den Umfang, in dem z.B. Steuerbehörden der Zugang zu Finanzdaten verwehrt wird, der für eine richtige Besteuerung erforderlich wäre. Auf Platz 1 findet sich die Schweiz, gefolgt von anderen "üblichen Verdächtigen". Deutschland belegt immerhin den neunten Platz. Vor dem Hintergrund überrascht es nicht, dass ein deutscher Politiker beim Thema Vermögenssteuer in erster Linie an eine Besteuerung mittelständischer Vermögen denkt. An die großen Vermögen kommt man schlecht ran.
Ich bin der Meinung, dass wir eine Umverteilung privater Vermögen in einer Größenordnung brauchen, wie es nur mit einer Vermögens- oder Erbschaftssteuer gelingen kann. Persönlich halte ich eine Umverteilung über die Erbschaftssteuer für gerechter, da eine Erbschaft leistungslos erfolgt und sich ein staatlicher Eingriff in privates Eigentum deshalb besser rechtfertigen lässt. Die Notwendigkeit einer Umverteilung ergibt sich für mich im Wesentlichen aus zwei Gründen. Erstens, weil eine Gesellschaft nur ein gewisses Maß an Ungleichverteilung in den privaten Vermögen verträgt, bevor es zur gesellschaftlichen Spaltung kommt. Zweitens, weil unser Geldsystem so konstruiert ist, das mit der Höhe der Geldvermögen gleichzeitig auch die Gesamthöhe der Schulden wachsen muss. Ökonomisch kann ein Schuldenabbau im Gesamtsystem, z.B. im Rahmen einer Finanz- und Schuldenkrise, deshalb nur durch eine Bilanzverkürzung funktionieren, indem Vermögen für den Schuldenabbau eingesetzt werden.
Um eine wirksame Umverteilung zu erreichen, müssen die großen Vermögen besteuert werden. Angesichts der Vermögensverteilung in Deutschland macht es deshalb überhaupt keinen Sinn "Vermögen" bereits ab 250.000€ besteuern zu wollen. Wenn man allerdings davon ausgeht, die großen Vermögen nicht effektiv besteuern zu können oder zu wollen, muss man die Grenze für die Vermögenssteuer weiter unten ansetzen, um überhaupt noch signifikante Einnahmen zu generieren.
Aus meiner Sicht liegt der Sinn einer Vermögens- oder modifizierten Erbschaftssteuer nicht darin diejenigen zu besteuern, die nicht reich genug sind ihr Geld in eine Steueroase zu transferieren. Das war der Punkt, bei dem ich Patrick Döring zustimmen musste: eine Vermögenssteuer, die in erster Linie den Mittelstand trifft, halte ich für kontraproduktiv.
Eine Steuergerechtigkeit setzt voraus, dass sich auch das obere Prozent der Vermögenden einer Besteuerung nicht entziehen kann. Dies gilt es politisch und rechtlich zu lösen, damit eine Vermögensumverteilung funktionieren kann und eine Vermögenssteuer nicht nur eine Beruhigungspille für das Volk ist.
Piratige Grüße - René.
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- Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Diskussion Vermögenssteuer, matthias garscha, 05.08.2012
- Re: [AG-GOuFP] [AG Wirtschaft] Diskussion Vermögenssteuer, Christoph Ulrich Mayer, 06.08.2012
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