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ag-drogen - [Drogenpolitik] Medien schreiben "Kiffer" dumm

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

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[Drogenpolitik] Medien schreiben "Kiffer" dumm


Chronologisch Thread 
  • From: Maximilian Plenert <max.plenert AT hanfverband.de>
  • To: Fachforum Drogen der GRÜNEN JUGEND <liste-ff-drogen AT gruene-jugend.de>, BND Diskussionsliste <bnd-debatte AT bndrogenpolitik.de>, linke-drogenpolitik AT yahoogroups.de, Liste: AG_Drogen <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>, Sonics <drugchecking AT listar.hanfplantage.de>
  • Subject: [Drogenpolitik] Medien schreiben "Kiffer" dumm
  • Date: Wed, 29 Aug 2012 17:41:03 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>
  • Organization: Deutscher Hanfverband

Medien schreiben "Kiffer" dumm
Wie die Medien eine Studie über den Einfluss von Cannabis auf den IQ einseitig
und falsch darstellen.
http://hanfverband.de/index.php/nachrichten/aktuelles/1782-medien-schreiben-qkifferq-dumm

Gestern war ein guter Tag, um zu beobachten, wie tendenziös und manipulativ
die
Medien mit einer interessanten Studie umgehen. Den Effekt habe ich schon im
Buch
Rauschzeichen beschrieben: Die Medien neigen dazu, Nachrichten im Zusammenhang
mit Cannabis möglichst dramatisch darzustellen, um mehr Leser und größere
Einschaltquoten zu erreichen. Der Wahrheitsgehalt darf dabei auch mal auf der
Strecke bleiben.
Zunächst mal zu den tatsächlichen Inhalten der Studie eines internationalen
Forscherteams. Hier geht es zum Abstract der Studie, hier zur Meldung der
publizierenden Duke-University und hier zur Meldung einer englischen
Nachrichtenagentur mit Originalzitaten einiger der beteiligten
Wissenschaftler.
Einige Aussagen im Original:
"Impairment was concentrated among adolescent-onset cannabis users, with more
persistent use associated with greater decline."
"It's such a special study that I'm fairly confident that cannabis is safe for
over-18 brains, but risky for under-18 brains."
"The persistent, dependent use of marijuana before age 18 has been shown to
cause lasting harm to a person's intelligence, attention and memory, according
to an international research team.
Among a long-range study cohort of more than 1,000 New Zealanders, individuals
who started using cannabis in adolescence and used it for years afterward
showed
an average decline in IQ of 8 points when their age 13 and age 38 IQ tests
were
compared. Quitting pot did not appear to reverse the loss either, said lead
researcher Madeline Meier, a post-doctoral researcher at Duke University.
(...)
Study subjects who didn't take up pot until they were adults with fully-formed
brains did not show similar mental declines."
Die Studie hatte im Wesentlichen ergeben, dass Cannabiskonsum den IQ senken
kann, wenn Jugendliche unter 18 Jahren mit regelmäßigem Cannabiskonsum
begonnen
hatten, während keine solchen Effekte auftraten, wenn mit dem Konsum erst mit
18
Jahren oder später begonnen wurde.
In dieser Gruppe - Menschen, die mit unter 18 mit regelmäßigem Konsum begonnen
hatten - wurde eine durchschnittliche Senkung des IQ zwischen dem 13. und 38.
Lebensjahr von 8 Punkten festgestellt. Dieser Wert liegt nahe an der
statistischen Unschärfe der Studie, ist also schon von daher kaum signifikant.
Ich möchte hier nicht über Sinn und Unsinn von IQ-Tests oder die Testmethoden
sinnieren aber zum Vergleich ein paar Zahlen von Wikipedia:
Chronischer Jodmangel während der Schwangerschaft und frühen Kindheit senkt
den
durchschnittlichen IQ um 13,5 Punkte;
Bei Kindern mit einem bestimmten Gen wird der IQ durch Stillen um 7 Punkte
erhöht;
der IQ von Kindern, die in Armut aufwachsen, liegt 6 bis 13 Punkte unter dem
Durchschnitt.
Und was natürlich bei der Beurteilung der Ergebnisse auch nicht fehlen darf,
ist
der Vergleich mit Alkohol. Konkrete Zahlen zum Einfluss von Alkohol auf den IQ
habe ich nicht auf Anhieb gefunden, aber das ist vielleicht auch gar nicht
nötig. Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen erläutert in ihrer
Alkohol-Basisinfo die Folgen des Alkoholmissbrauchs drastisch:
Gleichfalls besonders gefährdet ist das Gehirn. Jeder Rausch zerstört
Millionen
von Gehirnzellen. Zuerst leiden Gedächtnis und Konzentrationsvermögen,
Kritik-
und Urteilsfähigkeit, später die Intelligenz, bis hin zu völligem geistigen
Abbau.
Unter dem Strich bleibt als Ergebnis der Studie festzuhalten: Es ist sicher
nicht gut für das Gehirn, wenn früh und regelmäßig mit Cannabiskonsum begonnen
wird. Das liegt daran, dass sich das Gehirn bei Jugendlichen noch in der
Entwicklungsphase befindet. Das ist insofern nicht neu, diese Erkenntnis haben
wir schon seit Jahren.
Es gilt: Je später mit dem Cannabiskonsum begonnen wird, umso besser.
Und: Menschen, die erst als Erwachsene mit dem Cannabiskonsum beginnen, sind
von
der IQ-Minderung gar nicht betroffen.
Nun zurück zu dem, was die Medien mit diesen Informationen anfangen. In der
oben
genannten Meldung der britischen Nachrichtenagentur waren die Fakten noch
einigermaßen korrekt wiedergegeben ("Cannabis found to lower IQ of young").
Die
dpa und andere deutsche Agenturen haben aber offensichtlich die
relativierenden
Aspekte nicht mit in ihre Meldungen übernommen (keine IQ-Senkung bei
Erwachsenen) und eine reißerische Überschrift gewählt.
Das führte dann zu dramatisierenden Meldungen quer durch praktisch alle
deutschen Zeitungen, Radiostationen und Fernsehsender. Hier einige der
Überschriften:
STUDIE ÜBER AUSWIRKUNGEN VON CANNABIS - Kiffen macht dumm
Langzeitstudie zeigt: Cannabis macht dumm
Studie zu Cannabis-Konsum Wer ständig kifft, wird dumm
Studie: Cannabis Konsum mindert Intelligenz
Cannabis macht unwiderruflich dumm
usw...
In den Artikel ist dann z.B. von einer irreversiblen Schädigung des Zentralen
Nervensystems die Rede, ohne dass die tatsächlich festgestellte Senkung des IQ
verständlich eingeordnet und mit anderen Faktoren verglichen wird. Es wird
zwar
erwähnt, dass Jugendliche besonders betroffen sind. Dass das Problem für
Menschen, die als Erwachsene mit dem Konsum beginnen, gar nicht existiert,
wird
nirgends erwähnt. Genauso gut hätten die Zeitungen titeln können: "Keine
Beeinträchtigung der Intelligenz bei erwachsenen Cannabiskonsumenten".
Aber das wäre eben nicht dramatisch gewesen. Genau das dachten wir beim DHV
schon vor kurzem, als gemeldet wurde, dass der Cannabiskonsum unter
Jugendlichen
deutlich zurückgegangen ist. Eine gute Nachricht, aber zu einer knalligen
Überschrift in der BILD-Zeitung hat es diese Information natürlich nicht
gebracht. Ist ja langweilig...

Jedenfalls hat es der ganze Medienrummel offensichtlich mal wieder geschafft,
sehr viele Leute zu verunsichern: "Cannabis ist ja wohl doch nicht so harmlos
wie gedacht".., und schon waren in vielen Familien zwei Jahre Diskussion
umsonst, es steht ja etwas Schlimmes über Cannabis in der Zeitung!
Und auch politisch wird die Meldung bereits ausgeschlachtet: Die CDU in
Schleswig-Holstein fordert die Rot-Grüne Landesregierung wegen der Studie auf,
ihre Pläne zu überdenken, die Eigenverbrauchsmengen für Cannabis anzuheben und
Drug-Checking einzuführen.
Dabei ist doch dieser weitere Hinweis, dass ein früher Cannabiskonsum für
Jugendliche schädlich sein könnte, ein weiteres Argument, endlich den
Cannabismarkt für Erwachsene zu regulieren und Jugendschutzbestimmungen
einzuführen, wie wir es z.B. in Merkels Zukunftsdialog gefordert haben:
"Bei der Regulierung des Cannabismarktes, z.B. durch Fachgeschäfte oder
Cannabis-Clubs, geht es ausschließlich um Volljährige (sofortiger Lizenzentzug
bei Abgabe an Jugendliche)."



  • [Drogenpolitik] Medien schreiben "Kiffer" dumm, Maximilian Plenert, 29.08.2012

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