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ag-drogen - Re: [Drogenpolitik] Eine Anmerkung zur Frage "Abgabe oder nicht?"

ag-drogen AT lists.piratenpartei.de

Betreff: Mailingliste der AG Drogen- und Suchtpolitik

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Re: [Drogenpolitik] Eine Anmerkung zur Frage "Abgabe oder nicht?"


Chronologisch Thread 
  • From: Christine Zander <christine.zander AT gmx.net>
  • To: bestenfalls AT gmx.de, Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen AT lists.piratenpartei.de>
  • Subject: Re: [Drogenpolitik] Eine Anmerkung zur Frage "Abgabe oder nicht?"
  • Date: Fri, 10 Aug 2012 22:47:03 +0200
  • List-archive: <https://service.piratenpartei.de/pipermail/ag-drogen>
  • List-id: Mailingliste der AG Drogenpolitik <ag-drogen.lists.piratenpartei.de>

Hallo Leute,

Ich finde die ganze Herleitung der Abgabe in Bezug auf Selbstschädigung etc falsch. Das hört sich wirklich an wie eine Strafsteuer. Versteht mich nicht falsch – ich bin für eine Abgabe.

Ich sehe die ganze Sache so: Wenn wir bisher verbotene Substanzen legalisieren wollen – benötigen wir eine gut funktionierende Aufklärung und Prävention. Es geht hier einfach um die Auseinandersetzung und den individuellen Umgang mit diesen Substanzen. Das ist jedoch nicht durch die ständig von Kürzung bedrohten Bundesmittel gewährleistet. Die Abgabe, kommt den Konsumenten zugute, da eine gute Aufklärung über die Substanz die man konsumiert und besonders der Umgang damit, für Konsumenten total wichtig ist. Prävention richtet sich natürlich nicht nur an Konsumenten – die Abgabe soll ja auch nicht den kompletten Aufklärungs- und Präventionsbereich finanzieren. Ich denke sie kann nur als Zusatz zu Bundesmitteln funktionieren und sollte moderat sein. Mit dieser Abgabe könnte meinen Teil der Aufklärung finanzieren, der sich direkt an die Konsumenten richtet.

LG, Christine


Am 10.08.2012 um 08:26 schrieb bestenfalls:

Am 08.08.2012 19:47, schrieb Der Moonopool:
Hi Liste,

nachdem ja nun doch Emotionen hochschwappen, ob die Abgabe im e-Zig- Antrag
[1] stehen sollte oder nicht, möchte ich zu dieser Frage doch mal was
loswerden:

Persönlich wäre ich sehr dafür, wenn (neben einer allgemeinen Steuer zur
Finanzierung des Gemeinwesens als Ganzes) Personen von der Gesellschaft
dafür sozusagen "in Haftung" genommen würden, wenn sie sich gegenüber
dieser Gesellschaft schädlich verhalten.

Und zwar nicht nur bei Gebrauch von Stoffen mit möglichen Folgeschäden,
sondern auch z.B. bei unnötigem Individualverkehr, gefährlichen Sportarten,
Umweltverschmutzung u.v.a.m. Eine auf solche Handlungen erhobene
zweckgebundene Abgabe zum Ausgleich des angerichteten Schadens wäre dann
eine Art Strafe für den Verstoß gegen den Kant'schen Imperativ [2].

Ausgenommen von einer solchen Haftung müsste selbstverständlich die
Wahrnehmung von Freiheitsrechten sein. Es dürften z.B. nicht einer
wählenden Person qua Abgabe die Kosten der Wahl aufgedrückt werden, um
einmal ein ganz krasses Beispiel zu nennen. Und man darf natürlich auch
keinen Kranken mit einer Abgabe auf die Tatsache, dass er nun nicht mehr
zum Bruttosozialprodukt beiträgt oder dass er Therapiekosten verursacht
belasten. Wenn er für die Erkrankung nicht verantwortlich ist, dann ohnehin
nicht, wenn doch, dann muss er ja schon vorher Abgaben entrichtet haben.

Klingt doch gut.

Warum also das "wäre"?

Nun, ich sehe dabei zwei prinzipielle Probleme, die ich für so gewichtig
halte, dass ein solches Modell in der Praxis kaum umsetzbar wäre.

*1. Wer entscheidet, was mit einer Abgabe belegt werden soll?
*
Trickskilaufen würde wegen der mit dem vglw. hohen Verletzungsrisiko
verbundene Heilungskosten möglicherweise dazugehören. Nordic Walking sicher
nicht. Aber wie ist es mit dem Abfahrtslaufen auf präparierten Pisten. Hier
steht dem (potentiell abgabepflichtigen) Verletzungsrisiko eine körperliche
Ertüchtigung gegenüber, die medizinische Folgekosten gerade vermeiden hilft.

Und das war nur die betriebswirtschaftliche Sicht. Noch schlimmer wird es,
wenn Wertefragen berührt werden. Ist bspw. dei "Pille danach" ein
Menschenrecht der Frau oder ein gesellschaftsschädigendes Verhalten? Die
Piraten werden dazu wohl hoffentlich dafür entscheiden [3]. Aber wäre das
gesamtgesellschaftlicher Konsens? Wie würde sich die katholische Kirche
dazu äußern? Müsste also eine Abgabe auf Levonorgestrel erhoben werden oder
nicht? Ich freue mich auf die entsprechenden Diskussionen im
Gesundheitsausschuß. Die Vorsitzende würde vermutlich noch weniger
beteiligt zu Werke gehen, als bei der vergleichsweise wenig kontroversen
Diskussion zum medizinischen Cannabis neulich... [4] *
Blödes Beispiel? Tabubruch? Meinetwegen. Aber bitte jetzt nicht über das
Beispiel diskutieren sondern lieber selbst ein besseres machen :) *

Auch für unser spezielles Problem in der Drogenpolitik erscheint mir eine
bloße Kategorisierung in "Lebensmittel sind frei und Genussmittel werden
mit Abgaben belegt" erheblich zu kurz gegriffen und nimmt die
wertepolitische Probelmatik nicht angemessen auf. Cannabis ja. Brot nein.
Sprudel nein. Kaffee? Cola???

*2. Wie bewertet man die Folgekosten, die ja die Höhe der Abgaben bestimmen
müssten?
*
Unser geliebtes DKFZ kommt z.B. zum Ergebnis, dass die Folgekosten des
Tabakrauchens mit minimal 33,55 Mrd. Euro pro Jahr (Stichjahr 2007) an, und
schließt mit der Bemerkung: "Würde man aber den in zahlreichen Studien
verwendeten Wert von 100.000 Dollar pro verlorenes Lebensjahr ansetzen,
ergäben sich Gesamtkosten des Tabakkonsums von weit über 70 Milliarden
Euro." [5]

Die Deutsche Krebsgesellschaft hatte 2004 anders gerechnet und kam daher
auch zu einem anderen Ergebnis [6]. Man mag die Rechnung zynisch nennen,
aber so ist Betriebswirtschaft und welcher Betrachtung soll man sich nun
zur Bemessung der Abgabe anschließen? Und dabei haben wir den
volkswirtschaftlichen Wert in Form von Arbeitsplätzen in Herstellung,
Vertrieb und Marketing noch gar nicht mitberechnet. Vielleicht müsste man
sogar einen Zuschuß...?

Blödsinn?

Nein.

Genau diesen Fragen müsste man sich stellen.

Daher halte ich einen, von mir eigentlich begrüßten, Umbau des
Steuersystems in ein zweckgebundenes Abgabensystem auf die Gemeinschaft
schädigende Handlungen für praktisch nicht durchführbar. Hier jetzt an
einer Stelle ins Wespennest zu stechen, wäre zwar reizvoll, sollte aber nur
unternommen werden, wenn man es *sehr* gut durchdiskutiert hat und sehr
genau begründen kann, warum man das will und wie genau man es will.

Wenn wir versuchen wollen, uns durch die Komplexitäten eines solchen
Ansatzes zu beißen, dann bin ich dabei! Aber, auf die Gefahr hin, jetzt
einigen hier auf die Füße zu treten: Im Moment ist es mir noch zu
unausgegoren.

Was meint Ihr?

Lieben Gruß,
Dirk
@moonopool

[1] https://lqfb.piratenpartei.de/pp/issue/show/2378.html
[2] http://de.wikipedia.org/wiki/Kategorischer_Imperativ
[3] https://lqfb.piratenpartei.de/pp/initiative/show/4139.html
[4] http://dbtg.tv/cvid/1691090
[5]
http://www.dkfz.de/de/tabakkontrolle/download/Publikationen/AdWfP/AdWfP_Die_Kosten_des_Rauchens.pdf
[6] http://www.krebsgesellschaft.de/rauchen_kosten,1055.html



Lieber Dirk,


Gesamteindruck:

die Fragen, die du aufwirfst gefallen mir. Gehen aber zu weit?

Wir haben einen Wahlprogrammantrag produziert und keine Gesetzesvorlage. Diese würde viel mehr Zeit, Recherche, höhere Beteiligung und lange umfassende Formulierungen erfordern. Vom juristischen Feinschliff mal ganz abgesehen, findet so etwas keinen Platz in einem Wahlprogrammantrag.


Im Einzelnen:


1. Fahrlässige Selbstschädigung ohne Schaden für die Allgemeinheit
2. Vorsätzliche Selbstschädigung ohne Schaden für die Allgemeinheit
3. Fahrlässige Selbstschädigung mit fahrlässigem Schaden für die Allgemeinheit
4. Vorsätzliche Selbstschädigung mit fahrlässigem Schaden für die Allgemeinheit
5. Vorsätzliche Selbstschädigung mit vorsätzlichem Schaden für die Allgemeinheit

zu 1. Die Grenzen sind wie immer fließend: Schädigt sich jemand selbst und wäre der unmittelbare Tod eine Folge dessen, könnte ich immer noch auf den volkswirtschaftlichen Schaden eingehen, der daraus resultiert, daß die verstorbene Person mutwillig und frühzeitig aus dem produktiven Wirtschaftsprozess ausgeschieden ist.

---> Selbst"mord"versicherung/-abgabe? Die Erben auf Schadensersatz verklagen?

Ich kürze das Ganze hier ab:

Sicherlich gibt es noch viel zu diskutieren und "angemessenere" Formulierungen, aber wir sind weit davon entfernt, Gesetzgeber zu sein. Ich bin zufrieden, wenn wir eine richtungweisende Politik initiieren!


--
Lieben Piratengruß

Andreas alias Bestenfalls

http://wiki.piratenpartei.de/Benutzer:Bestenfalls
bestenfalls AT gmx.de
--
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